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E-Book

Ich, Tochter eines Yakuza

AutorShoko Tendo
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783864130502
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
**Überlebenskampf im Untergrund von Tokio** Geboren als Tochter eines Yakuza-Bosses, wächst Shoko Tendo in den 1970er-Jahren in einer zwar von Luxus geprägten, aber doch bedrohlichen Umgebung auf. An ihrer Schule wird sie als 'Yakuza-Kind', also Mafia-Kind, von Schülern und Lehrern gemobbt. Sie tritt einer gewalttätigen Yanki-Girl-Gang bei und beginnt schon mit 12 Jahren, Speed zu konsumieren. Mit 15 wird sie zu einem achtmonatigen Aufenthalt in einer Besserungsanstalt verurteilt. Drogensucht, Armut, psychischer und sexueller Missbrauch ziehen das junge Mädchen immer weiter in den Abgrund. Sie verliert zunächst ihre Eltern, erleidet dann eine Fehlgeburt und gerät immer wieder an brutale Yakuza-Männer, die sie nur als Nebenfrau für amouröse Treffen benutzen. Mehrmals versucht sie, sich umzubringen, bis die Entscheidung, sich tätowieren zu lassen, ihrem Leben die entscheidende Wende gibt. In nüchterner, klarer Sprache und ohne jede Bitterkeit zeichnet Shoko Tendo das Porträt ihres von Gewalt und Missbrauch geprägten Lebens und gewährt tiefe persönliche Einblicke in die dunklen Seiten der japanischen Gesellschaft. Ein erschütternd ehrliches und tief bewegendes Buch.

Shoko Tendo wurde 1969 als Tochter eines hochrangigen Mitglieds der japanischen Yakuza in Tokio geboren und wurde schon früh mit Gewalt, harten Drogen und sexuellem Missbrauch konfrontiert. Heute lebt sie mit ihrer kleinen Tochter in Japan. Ihre Autobiografie ist ein Bestseller in Japan und in den USA und wurde in rund ein Dutzend weitere Länder verkauft.

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Leseprobe

1. WOLKEN, DIE VORÜBERZIEHEN


Im Winter 1968 wurde ich als Tochter eines Yakuza geboren.

Ich war die zweite Tochter meines Vaters Hiroyasu und meiner Mutter Satomi Tendo. Insgesamt waren wir vier Geschwister: Mein großer Bruder Daiki war zwölf Jahre älter als ich, meine Schwester Maki war zwei Jahre älter und unsere Jüngste, Natsuki, war fünf Jahre jünger als ich. Daiki war für mich immer mein »großer Bruder«, Maki war »Maki-chan5« und Natsuki immer »Na-chan«.

Anfangs wohnten wir in einem Haus in Toyonaka, im Norden von Osaka, doch schon bald zogen wir in ein neues Haus im vornehmen Sakai. Es war ein wunderschönes Haus, das zur Straße hin von großen eisernen Flügeltoren abgeschirmt wurde, herrliche Rhododendren blühten auf beiden Seiten eines Weges aus Pflastersteinen, der zum Eingang führte. Unsere Eltern und jeder von uns hatte ein eigenes Schlafzimmer, es gab ein Ankleidezimmer, ein Esszimmer, zwei Zimmer im japanischen Stil mit Tatami-Matten und ein Geschäftszimmer im westlichen Stil, in dem Vater seine Geschäftspartner empfing. Weil das ganze Haus so neu war, wehte noch der Duft von frischem Holz durch alle Zimmer. Alles war viel zu groß für uns, es gab mehr Platz, als wir eigentlich brauchten.

Vor meinem Schlafzimmerfenster stand ein großer Kirschbaum, der immer erst sehr spät im Jahr blühte und fast ein guter Freund für mich war. Hatte ich Probleme oder Sorgen, dann setzte ich mich unter seine Zweige und fühlte mich dort geborgen. Vor unserem Wohnzimmer war ein großer Teich, in dem vielfarbige Koi-Karpfen anmutig ihre Bahnen zogen. Wenn es Sommer wurde, waren wir im Pool auf der anderen Seite des Hauses und spielten dort den ganzen Tag, wobei wir oft völlig die Zeit vergaßen.

Mein Vater war ein Yakuza-Boss, aber daneben besaß er noch Firmen in drei Bereichen: Hoch- und Tiefbau, Konstruktion und Immobilien. Unser Vater war unser Held. Er liebte Autos, war völlig verrückt danach. In unserer Garage parkten immer die neuesten ausländischen und japanischen Autos, natürlich hatte er auch Motorräder, Harleys und andere, sie alle standen wie in einem Autosalon glänzend und frisch poliert nebeneinander.

Selbstverständlich war mein Vater nie mit dem Standardmodell zufrieden, die Motoren mussten alle getunt werden. Wenn ein anderer aufgemotzter Wagen an der Ampel neben ihm stand, provozierte er gern den Fahrer, ließ den Motor wie bei einem illegalen Straßenrennen aufheulen, und sobald es grün wurde, rasten dann beide Autos los. Mein Vater fühlte sich mit dem Steuer in der Hand genauso glücklich wie ein Fisch im Wasser. Mama dagegen saß immer besorgt auf dem Beifahrersitz und warnte: »Nicht so schnell, das ist doch gefährlich!«

Mir konnte es gar nicht schnell genug gehen.

Am Wochenende gingen wir immer alle zusammen shoppen und dann essen. Wenn wir ausgingen, war die Krokoleder-Geldbörse meines Vaters so prall und voll wie ein Reptil, das gerade einen fetten Fisch verschlungen hatte. Bevor es losging, saß meine Mutter an ihrem Frisiertisch und kümmerte sich sorgfältig um ihre Haare und ihr Make-up. Das war für sie eine Art Ritual. Sie nahm auch immer den gleichen blassrosa Sonnenschirm mit.

An der Hand, in der sie den Sonnenschirm hielt, trug sie an einem ihrer zierlichen weißen Finger einen Ring mit einem Opal, der im Sonnenlicht in allen Farben des Regenbogens schimmerte. An der anderen Hand hielt sie mich und sagte oft lächelnd zu mir: »Shoko-chan, wenn du einmal groß bist, dann wird der Ring dir gehören.«

Obwohl mein Vater als Yakuza-Boss und mit den drei Firmen wirklich viel zu tun hatte, haben wir die Tage um Silvester und Neujahr6 immer zusammen verbracht.

Der Tisch war dann voller hübscher Schälchen mit dem köstlichen traditionellen Festtagsessen, das meine Mutter zubereitet hatte: kunstvoll gestaltetes Gemüse, dicke Scheiben gesüßtes Eieromelette, schwarze, süße Bohnen, goldene Esskastanien – wir konnten es jedes Mal kaum erwarten, dass wir endlich mit dem Essen anfangen durften.

Wenn wir an Neujahr mit dem Essen fertig waren, ging die ganze Familie zu einem Shinto-Schrein in der Nähe, um die ersten Gebete im neuen Jahr abzuhalten. Wir Kinder erhielten dort Papierstreifen mit Wahrsagungen, gaben sie unseren Eltern und baten sie, den Spruch für uns zu deuten. Das machten wir jedes Neujahr so.

Am ersten Neujahr nach meiner Einschulung schenkte mein Vater nur mir einen kleinen Glücksbringer mit einem Glöckchen. Er legte ihn in meine Handfläche und meinte: »Der ist für dich, Shoko.« Der Glücksbringer wärmte meine Hand und mich selbst bis tief in mein Herz. Ich befestigte ihn an meinem Schulranzen und in den Pausen schüttelte ich ihn, um das leise Klingeln zu hören. Oft verlor ich mich dabei ganz in den glücklichen Erinnerungen an die Neujahrsfestlichkeiten.

Unsere Eltern waren zwar immer sehr liebevoll zu uns, erzogen uns aber auch streng und legten großen Wert auf gute Manieren. Das Hausmädchen durfte uns auch keinesfalls verwöhnen, so war es zum Beispiel verboten, vor dem Fernseher zu essen. Vor jedem Essen falteten wir wohlerzogen unsere Hände und wünschten einen guten Appetit. Nach dem Essen bedankten wir uns und räumten natürlich unsere Teller selbst ab. Unsere Erziehung war sehr traditionell, aber mir gefiel das.

In unserem Haus herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, die Wagen der Geschäftspartner fuhren vor, dann kamen die Juweliere, die Kimonomacher und Schneider, ständig waren viele Menschen da und es war immer sehr viel los.

Ich war die Lieblingsenkelin meines Großvaters väterlicherseits. Eines Tages, als ich drei Jahre alt war, saß ich auf seinem Schoß. Während er meinen Namen murmelte –»Shoko, Shoko« –, hatte er plötzlich einen Herzinfarkt und starb. Vier Jahre später, als ich eingeschult wurde, starb auch meine Großmutter. Nach der Beerdigung setzten wir uns gerade zum Essen zusammen, als ein Onkel von mir zu meinem Vater trat und ihm zuraunte: »Du kriegst keinen Yen von dem ganzen Vermögen der Tendo-Familie, du verdammter Yakuza!«

»Die Trauerfeier ist noch nicht einmal vorbei und da willst du schon über das Erbe reden. Ich brauche keinen einzigen Yen davon und dieses Haus werde ich nie wieder betreten«, brüllte mein Vater und stürmte davon.

Damals hat keiner der anderen Verwandten ein Wort gesagt, alle haben nur auf ihre Füße gestarrt. Meine Oma war gerade erst gestorben – wie konnten die Erwachsenen nur so gierig sein und schon über Geld reden? Das fand ich schrecklich. Mein Vater war zwar ein Yakuza, aber ich fand, dass er absolut recht hatte.

Einige Tage später geriet mein Vater in irgendwelche Schwierigkeiten, wurde verhaftet und kam ins Gefängnis.

Unsere Familie war von Anfang an nie wirklich in die Nachbarschaft eingebunden gewesen, wir waren neu hinzugezogen und hatten uns nie richtig eingelebt. Nach der Verhaftung brodelte dann allerdings die Gerüchteküche und es ging los mit Diskriminierungen.

Als ich eines Tages vor unserem Haus ein Bild malte, kam eine Frau aus der Nachbarschaft vorbei, beugte sich zu mir hinunter und flüsterte mir ins Ohr: »Shoko, weißt du eigentlich, dass dein großer Bruder gar nicht dein richtiger Bruder ist? Er stammt aus der ersten Ehe deiner Mutter.«

Natürlich veränderten sich meine Gefühle für meinen Bruder dadurch nicht, aber ich konnte nicht verstehen, warum jemand einem Kind so etwas unbedingt mitteilen musste. Ich fand das grausam. In der Schule breiteten sich diese Gerüchte über meine Eltern aus wie eine ansteckende Krankheit, und ich war als das »Yakuza-Mädchen« gebrandmarkt. Die ersten sechs Jahre in der Schule wurde ich eigentlich nur noch gemobbt.

Als ich in der zweiten Klasse war, geschah etwas, das ich nie vergessen werde.

Wie alle anderen Schüler musste auch ich regelmäßig das Lehrerzimmer putzen. Da ich sehr klein war, konnte man mich leicht zwischen den Tischen und Stühlen übersehen. Eines Tages hörte ich dabei plötzlich die vertraute Stimme meiner Lieblingslehrerin. »Shoko Tendo? Das Mädchen kann doch nichts außer zeichnen und Japanisch, oder? Die ist wirklich strohdumm! Eigentlich lohnt es sich gar nicht, der etwas beizubringen zu versuchen«, höhnte meine Lehrerin und warf dabei ein Blatt Papier auf den Tisch. Die anderen Lehrer im Lehrerzimmer stimmten ihr zu: »Da hast du recht!«

Dann lachten alle laut. Mein letzter Test lag mit Note auf dem Tisch. Lernen fiel mir immer schwer, aber ich habe mich stets wirklich angestrengt …

Ich richtete mich auf und stand wie ein begossener Pudel inmitten der lachenden Lehrer, denen endlich auffiel, dass ich da war.

»Oh, bist du fertig mit Putzen? Gut gemacht«, beeilten sie sich zu sagen und schickten mich dann mit einem falschen Lächeln aus dem Zimmer. Ich rannte davon, so schnell ich konnte.

So lernte ich, dass Menschen immer zwei Gesichter haben. Und diese Lektion habe ich niemals vergessen.

Damals war Kindern zwischen vier und vierzehn Jahren verboten, jemanden im Gefängnis zu besuchen. Deshalb konnten Maki und ich unseren Vater lange nicht sehen. Mama musste die kleine Na-chan überallhin mitnehmen und kümmerte sich um die Firmen und die jüngeren Yakuza. Sie beklagte sich nie, aber ich wollte ihr auf keinen Fall noch mehr Sorgen bereiten, deswegen erzählte ich ihr nichts davon, was in der Schule alles passierte.

Doch weil ich niemandem etwas davon verriet, wurden das Schikanieren und der Terror bald zur Normalität: Meine...

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