Sie sind hier
E-Book

Ihr kriegt den Arsch nicht hoch

Über eine Elite ohne Ambition

AutorEvi Hartmann
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783593439037
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Zukunft ohne Leistungsethos? Wo sind die Macher geblieben? Jede Menge intelligente und gut ausgebildete junge Menschen wollen Status und Geld, aber keine Anstrengung und bloß nicht zu viel Verantwortung im Job. Posen statt Performen: Eine Pseudo-Elite, vermeintliche Säule der Zukunftsgesellschaft, ist selbstzufrieden, gierig und überschätzt sich maßlos selbst. Die wahre Leistungselite wird immer kleiner, beobachtet die BWL-Professorin Evi Hartmann. Stattdessen breitet sich epidemieartig eine Kultur der Leistungsverweigerung aus, gut getarnt als Work-Life-Balance. Wie kann es sein, dass sich in Zeiten riesiger wirtschaftlicher und politischer Herausforderungen immer mehr Menschen zurücklehnen statt anzupacken? Hartmanns Buch ist ein Aufruf für ein neues Leistungsethos und ein verschärftes Leben - nicht nur für die Generation Y!Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht und lehrt intensiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen, Mutter von vier Kindern und lebt in Frankfurt am Main.INHALT Das 'Bloß nicht überarbeiten!'-Phänomen? 7 1 Mehr Leistung, mehr Elite, bitte! 15 2 Die Leistungsverweigerer: Unsere Pseudo-Elite 41 3 Der Sinn des Lebens: Was wollen die Arbeitsverweigerer? 77 4 Wir Versager: Wer tut, was getan werden muss? 107 5 Wahnsinnskarrieren: Wie wird man Elitist? 127 6 Leben im Seuchengebiet: Leistung macht einsam 159 7 Ist Elitismus heilbar? 191 8 Drei Zukunftsszenarien: Was wird aus der Luschen-Gesellschaft? 201 Dank 219 Anmerkungen 221

Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht und lehrt intensiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen, Mutter von vier Kindern und lebt in Frankfurt am Main.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Es war verblüffend, in was für Überlegenheitsgefühlen man schwelgen konnte, ohne etwas geleistet zu haben. John von Düffel, Beste Jahre DAS 'BLOß NICHT ÜBERARBEITEN!'-PHÄNOMEN Was haben Sie heute geleistet? Und Ihre Kolleginnen und Kollegen? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Vorgesetzten? Kunden? Wenn ich diese Fragen im persönlichen Gespräch stelle, reagieren viele Menschen mit lebhaften Gefühlen. Von Resignation und Frust über Unzufriedenheit und Unverständnis bis hin zu Wut und Rachegelüsten. Sie schildern mir auch, warum. Ein 52-jähriger Projektleiter aus dem Anlagenbau zum Beispiel erzählt: 'Heute haben wir drei Arbeitspakete fertiggestellt, eine Kundentagung komplett durchorganisiert und vier neue Projekte aufgelegt. Wir rackern uns hier ab, hängen uns voll rein und halten jede Deadline, aber haben einen unglaublichen Chef. Kriegt wenig zustande, ist fachlich nicht wirklich kompetent - führt aber das große Wort und schreibt sich unsere Erfolge auf die eigene Fahne.' Dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Führungspositionen. In vielen Bereichen der Wirtschaft ist ein solches Arbeitsverhalten Prinzip. Zum Beispiel im Projektmanagement. Die Zahlen schwanken von Unternehmen zu Unternehmen, von Projekt zu Projekt, doch grob gesagt: Von jeweils zehn Mitgliedern des Projektteams hängen sich zwei voll rein, schieben Überstunden und Wochenendarbeit und übernehmen pro Meilenstein vier, fünf Arbeitspakete - die Leistungselite. Fünf der zehn Mitglieder machen Dienst nach Vorschrift und null Überstunden, übernehmen höchstens ein einziges Arbeitspaket und würden schon den bloßen Gedanken an Wochenendarbeit mit einem Ausdruck tiefster Empörung zurückweisen. Aber das sind genau jene fünf, die in jedem Teammeeting den zwei Spitzenleistern Steine in den Weg legen, das große Wort führen, alles besser wissen und am Ende die Erfolge des ganzen Teams für sich reklamieren. Kennen Sie das? Wer kennt das nicht. Diese Leute sind überall. Da ist zum Beispiel die 27-jährige Uni-Absolventin mit exzellenter Ausbildung: Master in Internationalem Management, Praktika in drei internationalen Konzernen, zwei Auslandsaufenthalte. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie bei einem großen deutschen Mittelständler, der heftig gegen die internationale Konkurrenz und noch heftiger mit der digitalen Transformation und der Vierten Industriellen Revolution kämpft. Deshalb möchte die Geschäftsleitung der exzellent ausgebildeten, aufstrebenden jungen Frau mit den besten Voraussetzungen die Entwicklung von fünf neuen, digitalen Kundenservices an der Spitze eines Expertenteams übertragen. Das möchte das Unternehmen. Die junge Frau möchte das nicht. Sie lehnt das zukunftsweisende und für Existenz und Erfolg des Unternehmens strategisch wichtige Spitzenprojekt ab (das für ihre eigene berufliche Zukunft sicher auch nicht gerade schädlich wäre). Weil sie schon mit ihrem normalen Job gut ausgelastet ist. Ihre Vorgesetzte ist erst einmal baff, als sie das hört: 'Entschuldigung, das sind wir alle! Oder hat jemand von uns täglich noch eine Stunde frei? Hand hoch? Irgendjemand?' Ich verstehe den Sarkasmus der Vorgesetzten. Sie dachte vor bald drei Jahren, dass sie mit der jungen, bestens ausgebildeten und in anderen Belangen durchaus auch ehrgeizigen jungen Frau eine Spitzenkraft eingestellt habe. Das bezweifelt sie inzwischen. Deshalb leitet das Projekt für die neuen Services jetzt eine Produktmanagerin: Die ist ebenfalls gut ausgebildet, ebenfalls 'schon mit ihrem normalen Job' mehr als gut ausgelastet - aber sie will das Projekt übernehmen. Sie will diese Extraleistung bringen, ist motiviert: 'Digitale Transformation? Alle reden darüber, alle machen das, und ich kann ganz vorne und maßgeblich mit dabei sein? Mach' ich! Ich verstehe die Kollegin nicht, die kneift. Ist das die berühmte Generation Y? Wenig leisten, viel feiern?' Schön wär's ja. Dann wäre das Problem 'nur' auf eine Generation beschränkt. Tatsächlich aber zieht sich das 'Bloß nicht überarbeiten!'-Phänomen durch alle Altersschichten und Hierarchieebenen, Branchen, Berufsgruppen, Unternehmen, Verbände, Vereine und Familien: Einige sind voll dabei, übernehmen Verantwortung und Aufgaben und bringen Leistung, während andere gerade einmal das Nötigste erledigen. Wohlgemerkt: Nicht, weil sie nicht könnten, am Ende ihrer Kräfte oder dem Burn-out nahe sind. Nein, wer objektiv nicht kann oder überfordert ist, den und die nehme ich ausdrücklich von jedem Vorwurf und den Überlegungen auf allen folgenden Seiten aus. Ich meine vielmehr jene, die von ihren Voraussetzungen, Qualifikationen und Fähigkeiten her durchaus in der Lage sind, die gestellten Aufgaben zu erledigen. Sie tun es bloß nicht. Und sie leiden auch nicht darunter, dass sie es nicht tun. Im Gegenteil. Es geht ihnen gut, blendend sogar. Ist ja auch logisch: Wenn jemand eine Aufgabe, eine Verantwortung nicht übernimmt, dann erspart er oder sie sich damit erst einmal Aufwand, Stress und Energie - die dann ein anderer aufbringen muss. Denn in Beruf und Leben werden ja (meist) keine Luxusaufgaben verteilt, auf die man gut und gerne auch verzichten könnte. Was muss, das muss. Und wenn das der Leistungsverweigerer nicht macht, dann muss es eben jemand anderes übernehmen - zum Beispiel Sie und ich. Wir müssen einspringen, wenn andere kneifen. Dieses Kneifen beginnt schon ganz früh. So gilt die erste Kandidatenfrage in Vorstellungsgesprächen heute oft nicht mehr dem Gehalt (also dem Leistungsäquivalent), sondern der Überstundenregelung (also einem Freizeitäquivalent). An den Universitäten verhält es sich nicht anders: Viele Studierende kommen nicht zum vereinbarten Gesprächstermin des Briefings für ihre Masterarbeit. Sie tippen danach, praktisch ohne professorale Maßgabe und nach Gutdünken, ihre Seiten runter, und wenn am Ende nicht die Wunschnote herauskommt, fangen sie mit Verve an nachzukarten und nachzuverhandeln - anstatt diesen Fleiß von vorneherein in Briefing, Abstimmung mit dem Betreuer, Recherche und Textgestaltung einfließen zu lassen. Personalchefs von Unternehmen sind mit dem 'Bloß nicht überarbeiten!'-Phänomen bestens vertraut. Der Personalvorstand eines Konzerns zum Beispiel beugte sich beim Pausenkaffee einer Fachveranstaltung über den Stehtisch und raunte: 'Können Sie sich das vorstellen? Wir interviewen einen Kandidaten für eine Großprojektleitung, 23,5 Millionen Budget, sechsstelliges Gehalt, und der fragt mich doch tatsächlich, ob Überstunden abgegolten oder abgefeiert werden - er frage wegen des Freizeitwerts der Stelle! Ich wäre fast vom Stuhl gefallen. Würden Sie so jemanden einstellen? Würden Sie so jemandem ein Millionenprojekt anvertrauen? Jemandem, der schon beim ersten Gespräch nicht über seine Leistungsbereitschaft redet, sondern über seine Freizeitbereitschaft? Mensch, die Arbeit ist doch nicht weniger geworden, bloß weil jetzt alle nach Work-Life-Balance rufen!' Die Arbeit ist in vielen Unternehmen nicht weniger, sondern mehr geworden, zum Beispiel wegen der Digitalisierung. In der aktuellen, regelmäßig erscheinenden 'Change-Fitness-Studie' der Wiesbadener Unternehmensberatung Mutaree geben zum Beispiel 79 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass sie für die ihnen zusätzlich aufgebürdeten digitalen Change-Projekte keinerlei Entlastung im Tagesgeschäft erfahren:1 Die Projekte werden einfach obendrauf gepackt. Und eben nicht allen Beschäftigten im gleichen Maße, sondern meist einer kleinen Gruppe Leistungsträgern, die sowieso schon mächtig unter Druck stehen: und seit der Digitalisierung nun eben noch ein wenig - oder sehr viel - mehr. Der US-Forscher Robert Paulsen fand heraus, dass in der Arbeitswelt und insbesondere in deren Büros vielfach eine Kultur der Verlogenheit und Leistungsvermeidung vorherrscht. Viele der Auskunftspersonen seiner Studie2 gaben an, keinen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen und lediglich zur Arbeit oder ins Büro zu gehen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Paulsen bestätigt die Beobachtung, dass darüber natürlich keiner offen spricht (außer in anonymisierten Studien), um nicht gegen die herrschenden Regeln am Arbeitsplatz zu verstoßen und um nicht die eigene berufliche Existenz zu gefährden. Schließlich braucht man den Arbeitsplatz - um Rechnungen bezahlen zu können. Man arbeitet, weil man arbeiten muss, nicht um Leistung zu erbringen. Diese Einstellung greift in jüngster Zeit epidemisch um sich. Eine andere amerikanische Studie über die Millenials zeigt: Die Generation X (die 30- bis 45-Jährigen) und die Babyboomer führten in ihren Top-5-Gründen, warum ihre Generation einzigartig und anders als andere Generationen sei, wie selbstverständlich auch das Thema 'Arbeitsmoral' mit auf (GenX : Platz 2, Babyboomer: Platz 1). Bei der Befragung von Generation Y taucht die Arbeitsmoral erst gar nicht in der Liste der Top 5 auf. Hingegen nennt die Gen Y erstmals in dieser Liste Musik, Popkultur und Kleidung als herausragende Merkmale, die sie von anderen Generationen abhebt: Arbeit und Leistung sind offiziell abgemeldet.3 Menschen wollen immer noch Firmen gründen, die Welt verändern, Projekte vorantreiben, Aufgaben stemmen, Krankheiten heilen, Patente anmelden, Erfindungen machen, Erfolge erzielen, Meisterschaften gewinnen, Preise erringen, Nationen lenken, Institutionen gründen, Unternehmen führen, Märkte erobern, Deals abschließen, Akquisen stemmen und Karriere machen. Die sind nicht das Problem. Das Problem sind jene, die das nicht (mehr) wollen. Manche Menschen wollen leisten. Andere wollen das neueste Handy, um fünf Uhr Feierabend und jede Überstunde bezahlt. Das ist nicht bloß ein Trend. Es ist die Katastrophe. Die Haltung, nichts Wesentliches mehr ändern, nichts Großes mehr leisten, nichts Wegweisendes mehr erreichen zu wollen, breitet sich immer weiter aus. Und das, während die Menschheit vor großen Aufgaben steht. Oder vielleicht gerade deswegen? Weil man vor lauter Anforderungen lieber gar nicht mehr hinschauen will? Das Klima kollabiert, die Meere werden zugemüllt, die Populisten übernehmen Regierungen, die digitale Revolution bedroht Unternehmen und Arbeitsplätze - und jene, die sich der Probleme annehmen sollten, fragen erst einmal nach dem nächsten Handy, der Überstundenregelung und ihrer persönlichen Work-Life-Balance? Was um Himmels Willen soll man mit solchen Leuten anfangen? Die retten die Welt nicht. Und auch nicht die Firma. Die retten nicht mal sich selbst. Wohlgemerkt: Wer heute mit diesen globalen Problemen konfrontiert ist, hat sie natürlich meist nicht verschuldet - weil er oder sie schlicht zu jung dafür ist. Schuld trifft die ältere Generation. Aber es geht hier nicht um Schuld. Es geht darum, wer die Sauerei wegmacht. Und das sind sicher nicht jene, die Tag für Tag pünktlich um fünf Uhr Feierabend machen, was schon schlimm genug ist. Es kommt schlimmer. Ich habe Ihnen bislang nur die halbe Wahrheit erzählt. Die halbe Wahrheit ist die grassierende Leistungsverweigerung in unserer Gesellschaft. Die halbe Wahrheit sind jene, die nicht mehr leisten als unbedingt nötig, die mit angezogener Handbremse, in Schonhaltung arbeiten, kein über das Nötigste hinausgehendes Engagement oder Commitment zeigen oder für nötig halten, die mit ihrer Leistung schon zufrieden sind, wenn sie absolut durchschnittlich ist, die Dienst nach Vorschrift tun und die unter Work-Life-Balance 'viel Life, wenig Work' verstehen. Die ganze Wahrheit ist: Diese Leute, die nicht das leisten, was sie zu leisten imstande sind, halten sich tatsächlich für etwas Besseres. Auch das erzählen mir viele. Projektleiterinnen und -leiter klagen mir regelmäßig: 'Die Leute mit den wenigsten Arbeitspaketen im Projekt sind meist jene, die notorisch vorgeben, alles besser zu wissen als jene mit vielen Arbeitspaketen. Wahrscheinlich, um ihre Arbeitsvermeidung zu kaschieren oder um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.' Oder wegen des Dunning-Kruger-Effekts. Der meist populärwissenschaftlich zitierte Effekt, der eine verbreitete kognitive Verzerrung bezeichnet, geht auf die beiden US-Forscher David Dunning und Justin Kruger zurück. Er beschreibt die Tendenz von weniger kompetenten Personen, sich selbst zu überschätzen und das Können von fähigeren Personen dafür zu unterschätzen. Weil der Effekt im Arbeitsalltag so oft zu erleben ist, haben sich zynische Bürosprüche etabliert wie 'Wer wenig arbeitet, soll wenigstens viel meckern.' Besserwisserei statt Leistung - auch eine Begleiterscheinung des 'Bloß nicht überarbeiten!'-Phänomens. Unsere Gesellschaft ist krank. Sie bestraft die Leistung ihrer Leistungselite und belohnt die großmäulige Selbstdarstellung einer leistungsverweigernden Pseudo-Elite, die deutlich weniger leistet, sich aber für etwas Besseres hält. Wer etwas bewegen will, kriegt Steine in den Weg gelegt, unsachliche Kritik, im besten Falle Undank. Wer sich den Hintern breitsitzt, Maulaffen feilhält und nur das Nötigste schafft, bekommt freie Hand - aber nichts gebacken. Und das, während die Menschheit vor einem der größten Umbrüche in ihrer Geschichte steht und zahllose Herausforderungen meistern muss. Wer soll das alles bewältigen? Etwa die Leistungsvermeider? 'Eure Arbeit wird einen großen Teil eures Lebens einnehmen und die einzige Möglichkeit, wirklich zufrieden zu sein, ist, dass ihr glaubt, dass ihr großartige Arbeit leistet. Und der einzige Weg, großartige Arbeit leisten zu können, ist zu lieben, was ihr tut.' Steve Jobs, Rede vor Stanford-Universitätsabsolventen, 1995 1 MEHR LEISTUNG, MEHR ELITE, BITTE! WAS IST ELITE? Wann haben Sie Ihr letztes Gesetz verabschiedet? Noch nie? Ich auch nicht. Müssen Sie und ich auch absehbar nicht. Dafür haben wir unsere traditionelle politische Elite. Oder: Wann haben Sie zuletzt 50 Ingenieure eingestellt? Brauchen wir ebenfalls nicht. Das macht unsere Wirtschaftselite. Zwei Eliten - Polit- und Wirtschaftselite - ein Begriff: Elite. Es ist der traditionelle Elitebegriff, der heute im Alltag verwendet wird, um jene Menschen zu erfassen, die 'das Land regieren und die Wirtschaft lenken', wie es Leiter von Elitehochschulen gerne bei Absolventen-Abschlussfeiern mit entsprechendem Pathos betonen. Dabei geht es um Macht und um Gestaltungskraft. Grob ausgedrückt: Wer sich in einer Spitzenpositionen befindet, gehört gemeinhin zur Elite. Andere nennen das auch 'das Establishment'. Beide Begriffe dienen dazu, jene zu identifizieren und zu verorten, die gemeinhin als 'führend' in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betrachtet werden. Es gelingt damit auch eine relativ einfache Sprachregelung: Der CEO eines Großunternehmens gehört zur Wirtschaftselite, weil er CEO ist. Die Harvard-Absolventin ist Teil der Bildungselite. Trump zählt zur politischen Elite, weil er zum Präsidenten gewählt wurde. Noch einmal: So lautet das bislang übliche Begriffsverständnis von 'Elite'. Umgangssprachlich übersetzt: Die da oben. Die Experten, Prominenten, Politiker, Millionäre, Milliardäre und Nobelpreisträger. Sie und ich sind bestens versorgt mit Eliten. Wir haben so viele davon. Diese soziodemografische Definition der Elite hat sich in ihrer Aussagekraft auch bewährt. Sie hat zwar, wie alle Definitionen, blinde Flecken. Doch das ist normal und in Ordnung: Eine halbwegs zutreffende Begriffsbildung eines komplexen Zusammenhangs kann und möchte niemals alles Denkbare abschließend erklären. Es bleibt immer ein Rest, es bleiben Austastungslücken. In einem dieser blinden Flecken treffen wir auf eine interessante Diskrepanz, wenn wir zum Beispiel zwei Angehörige der Führungselite miteinander vergleichen. Nehmen wir zwei CEOs oder Vorstände ein und desselben Unternehmens unter die Lupe. Beide bekleiden nacheinander dieselbe Position. Der eine gründet das Unternehmen, kniet sich zwölf Stunden am Tag rein, fängt mit fünf Mitarbeitern an und hört mit 50 000 auf. Der andere, der ihm folgt, ist bekannt dafür, dass er sich öfter bei gesellschaftlichen Anlässen sehen lässt als bei richtungsweisenden Meetings seiner Hauptabteilungen und für sein sparsames Engagement in strategischen Entwicklungsprojekten. Er pflegt eine nicht nur an diesen beiden Indizien beobachtbare Schonhaltung und wirtschaftet das Unternehmen in Folge auf 20 000 Mitarbeiter herunter. Beide Unternehmenslenker würden wir unter großzügiger Anwendung des traditionellen Elitebegriffs wahlweise oder summarisch als Angehörige der Bildungs- oder Wirtschaftselite bezeichnen. Der klassische Elitebegriff passt auf beide, ohne Zweifel, aber eben mit Austastungslücke. Folgen wir der stark verkürzten Meinung von Shareholdern und Analysten, können wir sagen: Der eine Elite-Angehörige hat ein Unternehmen gegründet, aufgebaut, 50 000 Arbeitsplätze und Milliardenwerte geschaffen. Der andere hat nicht wegen der Unwägbarkeit des Marktes, sondern aufgrund seiner eigenen Schonhaltung einige Milliarden und Zehntausende Arbeitsplätze vernichtet. Obwohl der Unterschied in ihrer Leistung nicht größer sein könnte, zählen beide zur Elite, so wie sie bislang verstanden wird. In diesem Spannungsfeld bewegt sich dieses Buch: Es gibt Angehörige der traditionellen Elite, die Großes, Herausragendes, weit Überdurchschnittliches leisten. Und es gibt solche, die das nicht tun. Sie vernichten Werte, treiben Banken in staatliche Rettungsprogramme, zerstören Unternehmen, lehnen Projekte ab, fragen beim Bewerbungsgespräch erst mal nach der Work-Life-Balance oder tun schlicht und einfach nicht das, was getan werden muss. Was ist der Unterschied zwischen beiden Gruppen? DIE LEISTUNGSELITE UND DIE PSEUDO-ELITE Leider sagt der traditionelle Elitebegriff nichts aus über den Wertbeitrag eines Menschen für die Gesellschaft, für das Unternehmen oder die Familie, in der oder dem er lebt und arbeitet. Der Begriff sagt lediglich, zu welcher sozialen oder demografischen Schicht jemand gehört. Nicht, was dieser Jemand leistet. Ein wesentlicher Punkt bleibt außen vor: Leistung. Und um Leistung soll es in diesem Buch gehen. Deshalb halte ich es auch für sinnvoll, Elite anders zu definieren als soziodemografisch. Echte Elite ist Leistungselite. Das sind Menschen, die sich durch Leistung auszeichnen, die Herausragendes leisten. Diese Menschen zähle ich zur Leistungselite. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, welche Position in der Hierarchie eines Unternehmens sie einnehmen oder welcher sozialen Schicht sie angehören. Zur Leistungselite zählen alle, die ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten ausschöpfen, die vollen Einsatz zeigen und Überdurchschnittliches vollbringen. Es gibt aber auch Menschen, die nur so tun, als gehörten sie zur Elite. Sie bringen die besten Voraussetzungen mit, um ebenfalls Herausragendes zu leisten - aber sie tun es nicht. Sie tun nur das Nötigste und arbeiten im Schongang. Ihrer - theoretischen - Möglichkeiten sind sie sich jedoch nur allzusehr bewusst - und das reicht ihnen, um sich der Elite zugehörig zu fühlen. Mehr noch: Sie finden sich selbst besonders clever, weil sie weniger tun als die Vielleister, weil sie ihren Freizeitwert maximieren und gleichzeitig auf die echte Leistungselite herabschauen, sie abwerten und behindern. Wir nennen sie im Folgenden 'Pseudo-Elite' und ihre Angehörigen der Kürze wegen 'Elitisten'. Versuche ich, den Unterschied zwischen Leistungselite und Pseudo-Elite anderen zu erklären, dann reagieren die Zuhörer meist nicht so gelangweilt wie bei anderen Definitionsversuchen. Spätestens wenn der Begriff 'Pseudo-Elite' fällt, fangen die Ersten an zu nicken. Andere rollen mit den Augen und fangen an zu grinsen. Wie zum Beispiel die 29-jährige Jungmanagerin, die dann spontan ausrief: 'Kenne ich! Ich schufte mich hier bucklig, die Kollegen machen sich einen faulen Lenz - aber wissen alles besser!' Oder der Architekt aus einem größeren Büro, der klagte: 'Ich besuche meine Baustellen ungefähr doppelt so oft wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen. Deshalb gibt es auf meinen Baustellen weniger Probleme, Missverständnisse und Verzögerungen. Aber das wird mir hier im Büro nicht gedankt. Im Gegenteil. Einige der Kollegen nennen mich ?Maurer-Kumpel?.' Wenn ich solche Klagen in informellen Gesprächen oder bei Vorträgen, zu denen ich als Rednerin eingeladen werde, einfließen lasse, ernte ich zustimmendes Kopfnicken von einigen. Aber es gibt immer welche, die nicht mitnicken. In jeder Gruppe, jedem Publikum jedes Vortrags. Wer stimmt nicht zu? Natürlich: Menschen, die am Arbeitsplatz, in Projekten oder im Büro selbst das große Wort führen, ohne die große Leistung zu bringen. Menschen, die reden, während andere leisten. Menschen, die sich dazu berechtigt fühlen, die meinen, sie hätten einen Anspruch darauf: Sie zeichnen sich durch ihren Anspruch aus, nicht durch ihre Leistung. Es ist nicht polemisch, zu sagen: Sie zeichnen sich durch das Gegenteil aus, durch ihre Leistungsvermeidung. Der US-Forscher Robert Paulsen fand in seinen Interviews mit Beschäftigten heraus, dass eine der beliebtesten Arbeitsvermeidungsaktivitäten das private Surfen in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter ist. Andere Vermeidungsaktivitäten während der Arbeitszeit sind der private Onlineeinkauf oder der Besuch pornografischer Websiten.4 Zu dieser sich teilweise explosionsartig verbreitenden Schonhaltung trägt auch der Zeitgeist bei. Angesichts zunehmender stressbedingter Krankschreibungen und deren teilweise hysterischen Thematisierung in den Medien hat sich die übergeneralisierende Ansicht breit gemacht, dass Arbeit an sich schädlich sei. Also versuchen immer mehr Menschen, die objektiv absolut leistungsfähig wären, sozusagen prophylaktisch im Sinne der eigenen Gesundheitsvorsorge so viel Arbeit wie möglich zu vermeiden. Arbeit wird zunehmend nicht mehr als Chance für Leistung und Selbstverwirklichung betrachtet, sondern als notwendiges und darüber hinaus gesundheitsschädliches Übel, dem man am besten durch eine Neuorientierung als Influencer auf Instagram entkommen kann. Oder indem man nach der ersehnten Beförderung ins eigene Büro die Tür hinter sich zumacht und bei solider Bezahlung dann ungestört und größtenteils unbeobachtet Arbeitsvermeidung und Selbstoptimierung betreibt. Die Ausflüsse dieser um sich greifenden Schonhaltung erleben wir alle täglich. In jedem verdammten Meeting mit 15 Teilnehmern arbeiten fünf ernsthaft an der Sache mit, während drei Teilnehmer die andern mit ihren Ausschweifungen aufhalten und langweilen. Deshalb sind Meetings so legendär ineffizient. Während die fünf, die mitarbeiten, jeweils drei Aufgaben oder Maßnahmen übernehmen, übernehmen jene, die im Meeting Reden schwingen, jeweils nur eine. Wenn ein Angestellter diese Standard-Story aus dem Büroalltag über die Umtriebe der Pseudo-Elite erzählt, nicken immer einige mit. Andere verstehen das nicht. Warum nicht? Naheliegender Verdacht: Weil sie selbst zur Pseudo-Elite gehören. Sie sehen nicht ein, warum sie den anderen nicht erklären sollten, wie die Arbeit zu machen ist, während die anderen die Arbeit tatsächlich machen. Sie halten das eine für so gut wie das andere. Sie können einfach nicht verstehen, warum das nicht in Ordnung sein soll. Die Pseudo-Elite könnte einen in den Wahnsinn treiben. Wie gut, dass es noch die echte Leistungselite gibt.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Das »Bloß nicht überarbeiten!«-Phänomen8
1Mehr Leistung, mehr Elite, bitte!16
2Die Leistungsverweigerer: Unsere Pseudo-Elite42
3Der Sinn des Lebens:Was wollen die Arbeitsverweigerer?78
4Wir Versager: Wer tut, was getan werden muss?108
5Wahnsinnskarrieren: Wie wird man Elitist?128
6Leben im Seuchengebiet: Leistung macht einsam160
7Ist Elitismus heilbar?192
8Drei Zukunftsszenarien:Was wird aus der Luschen-Gesellschaft?202
Dank220
Anmerkungen222

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...

e-commerce magazin

e-commerce magazin

PFLICHTLEKTÜRE – Seit zwei Jahrzehnten begleitet das e-commerce magazin das sich ständig ändernde Geschäftsfeld des Online- handels. Um den Durchblick zu behalten, teilen hier renommierte ...