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Ihr müsst kein Kopftuch tragen

Aufklären statt verschleiern

AutorAbdel-Hakim Ourghi
VerlagClaudius Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783532600320
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Keine Religionsgemeinschaft hat so viel Angst vor der Selbstbestimmung der Frau wie der Islam. Zum Erhalt althergebrachter Machtstrukturen dient das Kopftuch. Es symbolisiert die Kontrolle der Muslima durch die Männer und führt längst zur Selbstkontrolle der Frauen. Aber ist das Kopftuch wirklich eine religiöse Vorschrift oder doch nur historisches Produkt des Patriarchats? Bei Claudius ist 2017 Ourghis viel beachtetes Debattenbuch 'Reform des Islam' erschienen. Nun wendet sich der Autor an alle, die gute Argumente für eine klare Position zum Thema Kopftuch suchen.

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Leseprobe

2. Die öffentliche Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit


Es gibt wohl kaum ein Thema in der Ideengeschichte des Islam, über das so kontrovers und heftig diskutiert worden ist wie über die muslimische Frau und ihre Stellung in der islamischen Kultur. Schon am Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren die Rechte der muslimischen Frauen und das Kopftuch ein Thema in der islamischen Öffentlichkeit. Im Jahr 1885 erschien beispielsweise ein Buch des algerischen Gelehrten Muḥammad Ibn Muṣṭafā Ibn al-Ḫūğa (1864–1915) mit dem Titel Beachtung der Sorge um die Rechte der Frauen. Darin ging es um die Befreiung der muslimischen Frauen. Fünf Jahre später verfasste der ägyptische Reformer Qāsim Amῑn (1865–1908), der in Frankreich das Jurastudium absolviert hatte, sein monumentales Werk Die Befreiung der Frau.7 Seine wichtigste These war bereits damals, dass der in seiner Zeit verbreitete Schleier überhaupt nichts mit dem Islam zu tun habe. Die Verschleierung sei keine religiöse Vorschrift. Heute meinen die einen, der Islam habe durch seine kanonischen Quellen – den Korantext und die Tradition des Propheten (Sunna) – die Frau befreit bzw. sie zumindest verehrt. Für die anderen hat der Islam die bestehenden Strukturen der vorislamischen Zeit im Rahmen des „patriarchalischen Geistes“ fortgeführt. Das Kopftuch ist dabei ohne Zweifel das am meisten diskutierte äußere Merkmal, das zugleich als Ausdruck der religiösen Einstellung von Musliminnen gewertet wird. Zu verschiedenen Anlässen wird uns im Westen immer wieder aufs Neue eine Kopftuchdiskussion beschert, sei es, dass es um die Verschleierung der Frauen im Kindergarten oder in der Schule, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum geht. Kontroverse gesamtgesellschaftliche Debatten entzünden sich daran. Das Thema „Kopftuch“ hat durch seine fortdauernde Präsenz im öffentlichen westlichen Diskurs nichts von seiner drängenden Aktualität verloren. Der Bedarf an Aufklärung ist immens.

Für die überwiegende Mehrheit der Muslime ist das Tragen des Kopftuchs eine essenzielle religiöse Pflicht. Sein pauschales Verbot wird als Diskriminierung der Frau, ja sogar als rassistisch gewertet. Der zunehmende gesellschaftliche Wandel, hervorgerufen durch die religiöse Pluralität, könnte eigentlich eine Basis für die Akzeptanz des Kopftuches in der Öffentlichkeit sein. Für viele Menschen in der Mehrheitsgesellschaft und für viele aufgeklärte Muslime ist die Verschleierung jedoch ein Zeichen der Unterwerfung der Frauen, das zur Aufrechterhaltung der patriarchalischen Strukturen in den muslimischen Gemeinden dient. Für die Mehrheit der Muslime hingegen ist das Kopftuch eine religiöse Vorschrift und ein Merkmal der kulturellen Zugehörigkeit. Die zweite Behauptung muss zuerst geprüft werden.

Die Geschichte des politischen Islam war immer eine Geschichte der Knechtschaft der Muslime, sei es der Frauen oder der Männer. Mit der islamischen Revolution des Jahres 1979 im Iran wurde der Westen auf die Wiederbelebung des politisch-konservativen Islam aufmerksam. Dieses öffentliche Interesse verstärkte sich durch den im Rahmen eines Rechtsgutachtens (fatwā) verhängten Mordaufruf im Jahre 1989 gegen den Schriftsteller Salman Rushdie im Zusammenhang mit seinem Buch Die satanischen Verse. Als Reaktion auf die islamische Revolution im Iran begannen die Machthaber des Königreichs Saudi-Arabien den sunnitischen Islam in seiner ultraorthodoxen Auffassung nicht nur in den muslimischen Ländern zu verbreiten, sondern auch unter den im Westen lebenden Muslimen zu propagieren. Ihr Ziel war es, die Muslime ausgehend vom puritanischen Verständnis des Islam im siebten Jahrhundert zu reislamisieren. Insbesondere seit den 1990er-Jahren hat das Phänomen des Erteilens von Rechtsgutachten (fatāwā)8 einen regelrechten Boom in allen islamischen Ländern und im Westen erlebt. Zu diesem Zeitpunkt hatten nämlich einige muslimische Gelehrte und Imame die Moscheen verlassen und die Kanäle des Satellitenfernsehens und das Internet für sich entdeckt. Ihre Propagandabühne für den salafistischen Islam wurde auch der Westen, denn sie predigten immer wieder in hiesigen Moscheen.

Jeder Gelehrte konnte ein Cyber- oder Fernsehmufti werden, selbst wenn er keine formell-religiöse Erlaubnis (iğāza) besaß. Dies trug zur rasch zunehmenden Popularität solcher Gelehrter in der gesamten islamischen und westlichen Welt bei. In den Räumen der Moscheen war das Rechtsgutachten überwiegend etwas Persönliches zwischen dem Fragenden und dem Befragten gewesen, denn die Gelehrten wurden oft nur in einem privaten Gespräch unter vier Augen zu Rate gezogen. Ohne die Erwähnung des Namens des Betroffenen wurden diese Rechtsprechungen dann manchmal auf der Kanzel während des Freitagsgebets aufgegriffen, falls andere Gemeindemitglieder ebenfalls von diesem Problem betroffen waren. Eines der wiederkehrenden Themen war dabei die Rolle und die Kleidung der Frauen im Islam, insbesondere derjenigen, die im Westen als Minderheit lebten und der kulturellen Entfremdung ausgesetzt waren.

Die rasche Verbreitung unzähliger Gutachten islamischer Rechtsgelehrter in den Medien kennzeichnet immer noch den Alltag der Muslime. Es gibt viele muslimische Gelehrte, die in ausländischen Fernsehsendern interviewt werden oder eigene Webseiten betreiben – darunter auch zahlreiche, die nicht von den zuständigen Behörden als Rechtsgutachter ernannt wurden. Sie alle werden weltweit von muslimischen Ratsuchenden aus arabischen und westlichen Ländern um mündliche Rechtsgutachten in religiösen Angelegenheiten gebeten. Solche Gelehrte, vor allem die sogenannten „Medienmuftis“, veröffentlichen ihre religiösen Antworten schriftlich im Internet und stellen sie jedem im Netz zur Verfügung.9 Zwei Beispiele können in diesem Zusammenhang angeführt werden: erstens die im Jahre 1991 mit Hauptsitz in London gegründete MBC, die älteste saudische TV-Satellitenstation, und zweitens der im Jahre 2003 ins Leben gerufene Nachrichtenkanal Al Arabiya.10 In diesen Sendern werden live religiöse Fragen an muslimische Gelehrte gestellt und von diesen mündlich beantwortet. Das religiöse Establishment der islamischen Welt konnte in seinen früheren Bedenken gegenüber diesen Medien dadurch besänftigt werden, dass diese Sender auch Sendungen mit religiösen Inhalten ausstrahlen. Den konservativen Gelehrten des Senders geht es in erster Linie darum, ihre religiöse Deutungshoheit in der Welt zu wahren und ihr konservatives Islamverständnis zu verbreiten. Besonders der Platz der muslimischen Frau im Westen und ihre aktive Rolle bei der Bewahrung der religiösen Identität werden immer wieder live erörtert.

Vor dem Jahre 2001 trugen im Westen nur wenige ältere Frauen das Kopftuch – für sie stellte dies einen Akt der Gewohnheit dar. Die Rückkehr zur Körperbedeckung als Anhaltspunkt für die religiöse Identität geschieht in einer Welt, die nicht nur durch Identität und Orientierung – sondern gleichzeitig durch Konflikte und Intoleranz gekennzeichnet ist. Denn auch die zweite und dritte Generation der Muslime in diesem Land, deren kulturelle Identität durch die Maßstäbe der westlichen Kultur geprägt wurde, werden nicht immer als Teil der sogenannten Aufnahmegesellschaft angesehen, sondern als nicht integrierte Randgruppe. Sie bleiben „Ausländer“. Auch die immer wieder gestellte Frage, ob der Islam oder die Muslime zum Westen gehören, kann als Beleg für diese Haltung gesehen werden. Als Reaktion auf diese Ausgrenzung und die alltägliche Diskriminierung rückt durch die Verschleierung die Religion stärker ins Bewusstsein der Muslime. Das Kopftuch wird zum Ausdruck des Protestes und trägt diesen nach außen. Es wird so zum Symbol der kulturellen Identität und gleichzeitig zum Merkmal der sozial-religiösen Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe. Die Angst vor dem Identitätsverlust ist immens und deshalb wird in der Körperbedeckung unter anderem ein Ausweg in Form einer Re-Traditionalisierung und einer Re-Ethnisierung gesehen. Und die „Importimame“ in den türkischen Moscheen und die selbsternannten Imame in den arabischen tun mit ihren Predigten und dem Koranunterricht am Wochenende ihr Übriges, um den Opferstatus und die Rückkehr zur kulturellen Identität der Elterngenerationen zu befördern.

In der westlichen Öffentlichkeit herrscht sowohl unter den Muslimen als auch unter den Nicht-Muslimen die vereinfachende Sichtweise vor, dass das Kopftuch eine islamische Vorschrift sei und dass diese angeblich auf den kanonischen Quellen basiere. Dass die Körperbedeckung eher ein historisch-soziales Phänomen ist, das die männliche Herrschaft grundlegend unterstützt, scheint die Muslime und die öffentliche Wahrnehmung wenig zu interessieren. Über die daraus resultierenden Missdeutungen werden Frauen mit Kopftuch schließlich als hilflose Opfer dargestellt, die vor den Blicken fremder Männer zu beschützen sind. Diese fortgeschriebene „Folklore des Halbwissens“11 zieht noch nicht einmal in Betracht, dass die Kopfbedeckung ein männliches Herrschaftssymbol ist, und eben nicht mit dem Einverständnis der Frauen durchgesetzt wird. Viele dieser muslimischen Frauen – und besonders diejenigen, die sich bereits den herkömmlichen Rollenvorstellungen unterworfen haben – werden später zu Mittäterinnen, die ihre eigenen Töchter zur Verschleierung bewegen. Sie unterstützen damit die Macht der männlichen Herrschaft. Denn die Verschleierung ist ein Mittel der andauernden physischen und psychischen Disziplinierung im westlichen Umfeld, wo die Gefahren der kulturellen Entfremdung angeblich überall außerhalb der Familie lauern. Die...

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