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An ihrer Seite sein

Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen

AutorBarbara Preitler
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783706558549
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Ich will helfen!' Das denken sich viele angesichts der Situation zahlloser geflüchteter Menschen, die in anderen Ländern Schutz suchen müssen. Und sie stellen sich die Frage: Wie gehe ich richtig mit traumatisierten Menschen um? Wie baue ich ein Vertrauensverhältnis auf? Und wie kann die Begegnung funktionieren? Das vorliegende Buch widmet sich genau jenen Fragen, ist Ratgeber und Leitfaden für freiwillige und ehrenamtliche HelferInnen und bietet Grundlage für einen funktionierenden Umgang mit geflohenen Menschen. Auf einfache und verständliche Weise vermittelt die Autorin Barbara Preitler Grundwissen zur Traumatisierung und Flucht aus psychologischer Sicht und zeigt Möglichkeiten zum Verständnis und für Handlungsmöglichkeiten in der zwischenmenschlichen Begegnung auf. Ziel ist es, Mut zu machen, die Begegnung zu wagen, und Beziehungen zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit verschiedenen Lebensgeschichten zu ermöglichen.

Dr. Barbara Preitler ist Psychologin, Psychotherapeutin, Supervisorin. Sie ist Gründungsmitglied und Therapeutin bei Hemayat - Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien; Lektorin u.a. an der Universität Klagenfurt, der FH Joanneum in Graz, der FH Wien und der FH St.Pölten sowie an der MedUni Wien. Vortragstätigkeit und Publikationen zu den Themen Psychotraumatologie, komplizierte Trauer; interkulturelle psychosoziale Interventionen und psychosoziale Betreuung und Krisenintervention in verschiedenen Projekten in Südasien.

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Leseprobe

2. Zehn Folgen von Traumatisierungen und wie wir diesen in der psychosozialen Arbeit begegnen können


Dieses Konzept wurde bei vielen Workshops in Österreich und in Krisenregionen in Südasien entwickelt und es soll gerade im psychosozialen Bereich hilfreich sein. Die Grundregel „Do no harm“ (Es soll zu keinen weiteren Verletzungen durch die Intervention kommen), wie sie in den Richtlinien für psychosoziale Unterstützung in Krisensituationen definiert wurde, gilt als Maß aller beschriebenen Vorschläge und Interventionen (IASC, 2007).

In den Richtlinien werden unter anderen folgenden Eckpunkte genannt:

Hilfe soll koordiniert werden, damit möglichst alle Betroffenen erreicht und Verdoppelungen bzw. Lücken im Versorgungssystem vermieden werden können.

Information über die jeweilige Situation muss Grundlage für jede Planung von psychosozialen Hilfsangeboten sein.

Kulturelle Kompetenz und Sensibilität soll entwickelt und vertieft werden.

Die Menschenrechte sind Grundlage jeden Handelns. Machtverhältnisse und Rollenverständnis zwischen den HelferInnen und den Betroffenen müssen immer wieder reflektiert und wenn notwendig verbessert werden (IASC, 2007, S. 10).

Im Folgenden beschreibe ich zehn verschiedene Aspekte der psychischen Auswirkungen von schweren Traumatisierungen. Sie werden benannt, analysiert und im Kontext von Krieg, Folter und Flucht diskutiert. Es geht darum zu verstehen, was traumatische Erfahrungen verursachen und wie dem in der psychosozialen Arbeit begegnet werden kann. Aus diesem Verständnis ergeben sich mögliche Handlungsstrategien. Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, will aber anhand von Beispielen dazu anregen, genau hinzusehen und Beziehung mit traumatisierten Menschen positiv zu gestalten.

Natürlich gibt es dabei immer wieder Überlappungen zwischen den einzelnen Aspekten, auf die in den einzelnen Kapiteln auch hingewiesen wird. Die Reihenfolge der Kapitel ist nicht hierarchisch zu verstehen, sondern verschiedene Teilperspektiven der psychischen Verletzung – Traumatisierung – werden von unterschiedlichen Seiten beleuchten.

2.1 Chaos – Sicherheit


Sicherheit stellt eine Grundkomponente menschlichen Lebens dar. Sichere Bindung ist nach Erikson das erste Thema in der psychischen Entwicklung.

Sie ist die Basis für alles: wie wir uns selbst erleben, wie wir unsere Umwelt und unsere Mitmenschen wahrnehmen und mit ihnen interagieren. Idealerweise lernen wir durch die sichere Haltung unserer Eltern, dass wir in dieser Welt sicher sind und wir entwickeln eine gute Basissicherheit für unser ganzes Leben. Auch wenn wir wissen, dass es auf dieser Welt schreckliche Dinge gibt, können wir unseren Alltag so gestalten, als könnte uns nichts passieren. Und tatsächlich ist dies auch notwendig, damit wir die Herausforderungen der Gegenwart bewältigen und Zukunftsperspektiven entwickeln können.

Chaos – Zusammenbruch aller Sicherheiten

Traumatische Situationen sind immer vom Zusammenbruch von guten Strukturen und Unsicherheit gekennzeichnet. Das Vertrauen darauf, dass Altvertrautes und Bekanntes so bleiben, wie sie sind oder sich in überschaubaren Schritten, die nachvollzogen werden können, verändern, wird erschüttert. Auf einmal ist alles ganz anders. Alle bisher erlernten und bewährten Strategien zur Bewältigung sind auf einmal wertlos. Nichts, was bisher gut funktioniert hat, zeigt Wirkung.

Chaos ist ein zentrales Element in traumatischen Situationen. Krieg ist gekennzeichnet durch den Zusammenbruch vieler, und manchmal auch aller, bisher vertrauten und alltäglichen Strukturen. Jederzeit kann es zu einem tödlichen Ereignis kommen.

Wer flieht, lässt vertraute Strukturen zurück und alles, was vor den Menschen liegt, ist ungewiss und unsicher.

Sichere Begegnungen

Gerade die neu angekommenen Flüchtlinge haben sich als Teil einer Masse erlebt, ihre Individualität wurde immer wieder in Frage gestellt. Umso wichtiger sind Begegnungen, die Freundlichkeit und Empathie signalisieren und die Sicherheit vermitteln, als Mensch willkommen zu sein. Auch dort, wo die Begegnung sehr kurz ist, können freundliche Gesten wie ein Lächeln, eine Frage nach dem Wohlbefinden etc. genügend Vertrauen geben, um genug Kraft für die weitere Reise zu haben.

Fluchtwege kommen mir immer wieder so vor wie das Durchqueren einer Steilwand. Jeder Schritt ist gefährlich und ungewiss. Unachtsamkeiten und manchmal auch nur Pech können zum Absturz führen. Da tut es gut, dazwischen ganz sichere Haken und Ankerpunkte zu haben. Auch kleine ruhige Rastplätze helfen, Energie für den weiteren – gefährlichen – Aufstieg zu sammeln.

Kurze menschliche Begegnungen können diese notwendige Sicherung und diese Energiespender sein. HelferInnen erleben sich angesichts der Wucht des menschlichen Leides oft überfordert und hilflos. Sie haben das Gefühl, nicht genug für diese Menschen zu tun. Und übersehen dabei, wie viel Gutes sie durch Freundlichkeit und ihre kleinen Gesten gemacht haben: Sie waren immer wieder genau diese sicheren Anker auf einer unsicheren Reise. Jahre später, wenn z.B. in den Psychotherapien die eigene Lebensgeschichte mit allen Verletzungen, aber auch mit den Stärken erzählt wird, sind diese kleinen Begegnungen, die in einer sehr chaotischen Zeit Sicherheit gegeben haben, und sei es auch nur für einen kurzen Moment, immer noch zentral. Sie haben das Weitergehen oft erst möglich gemacht.

Wenn HelferInnen sich angesichts der vielen Menschen, die auf der Flucht sind, und deren großer Bedürftigkeit überfordert fühlen, will ich dies zu bedenken geben: Auch kleine Hilfe, die mit Freundlichkeit und Respekt erwiesen wird, ist eine wertvolle, manchmal überlebensnotwendige Unterstützung.

Informationen geben Sicherheit

Um sich in einer unsicheren Welt wieder orientieren zu können, braucht es viele Informationen. Immer wieder neue Orte und neue Regeln müssen einmal verstanden werden und sollten deshalb so einfach und klar wie möglich erklärt werden: Wo bin ich, wie lange werde ich voraussichtlich hier sein, welche Regeln gelten hier usw.? Für die offenen Fragen soll es Anlaufstellen geben.

Vor allem wenn Familienmitglieder oder FreundInnen verloren wurden, braucht es schnell die Möglichkeit, mit der Suche zu beginnen. Im Herbst 2015 haben die Suchsysteme entlang der europäischen Hauptfluchtrouten gut funktioniert und meist konnte die schreckliche Ungewissheit schnell beendet werden. Selbst wenn es in einer unübersichtlichen Situation nichts Neues gibt, ist dies eine Information, die hilft, sich zu orientieren. Eine betroffene Person, die erfährt, dass z.B. das verlorene Familienmitglied noch nicht gefunden worden ist, dass aber die Daten an alle verfügbaren Stellen weitergeleitet worden sind etc., erfährt damit, dass sie nicht allein gelassen ist und dass gehandelt wird. Am schwersten ist in solchen Situationen, die Hilflosigkeit auszuhalten. Nachfragen, selbst einen Handlungsspielraum zu bekommen und zu wissen, dass ein ganzes Hilfssystem unterstützt, gibt die Möglichkeit aktiv und so nicht der Hilflosigkeit ausgeliefert zu sein.

Manchmal verunsichern ungenaue oder halbe Informationen, die in der eignen Gruppe verbreitet werden. Die Angst, die alle Flüchtlinge haben, lassen Gerüchte oft sehr monströs werden. Z.B. verbreitete sich unter afghanischen Jugendlichen die Nachricht, dass einem von ihnen die Verlängerung des subsidiären Schutzes (Aufenthaltsberechtigung) verweigert worden wäre und dass dies nun für sie alle gelte. Niemand kannte den angeblich Betroffenen und so konnte auch niemand die Gründe für die Ablehnung nennen bzw. klären, ob es überhaupt stimmt. Für uns HelferInnen gilt es also immer wieder genau hinzuhören, Informationen einzuholen (in diesem Fall war von offizieller Seite kein solcher Fall belegt) und sie den Flüchtlingen weiterzuleiten. Klare Informationen helfen sich zu orientieren. In dem genannten Fall konnte einfach die Situation beruhigt werden. In anderen Fällen ist es möglich, die Gefahr anhand der Information einzuschätzen und die Auswirkungen auf die persönliche Situation zu bewerten. Daraus kann wiederum klar erkannt werden, ob es notwendig ist, aktiv zu werden oder eben nicht.

Sicherheit ist auch für alle Begegnungen mit Behörden wichtig. Die Berichte von Asyleinvernahmen unserer KlientInnen zeigen dies immer wieder: In negativen Fällen ist die Interviewsituation re-traumatisierend, weil massiv Unsicherheit erlebt werden muss. Aber es gibt auch Berichte von sehr respektvollen und sicheren Gesprächssituationen: Es wurde Raum und Zeit gegeben sich sicher zu fühlen und ruhig erzählen zu können. Es ist natürlich günstig, wenn die Flüchtlinge zu diesen so belastenden Terminen begleitet werden. Zu wissen, dass eine vertraute und wohlwollende Person da ist, kann das subjektive Sicherheitsgefühl enorm erhöhen.

Sichere Beziehungen

Sicheren Raum für die Begegnung schaffen

Am Beginn jeder Beziehung sollte viel Raum und Zeit gelassen werden, um sich langsam kennenzulernen. Auch der reale Raum wird bewusst wahrgenommen und gestaltet. Wie ist es am bequemsten zu sitzen?...

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