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E-Book

Im Angesicht des Manaslu

Speedbergsteigen in der Todeszone

AutorBenedikt Böhm
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783492966412
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Im Herbst 2012 ereignete sich eines der schwersten Bergunglücke im Himalaja: Benedikt Böhm plante eine Speedbegehung des Manaslu, als eine Lawine mehrere Bergsteiger begrub und er mit bloßen Händen Überlebende aus den Schneemassen barg. Nun verarbeitet er die Tragödie in einem Buch und erzählt, warum er wenige Tage danach trotzdem den Gipfel bestieg. Rückblickend beleuchtet er Schlüsselmomente seiner Bergsteigerkarriere: von der Bezwingung des ersten Achttausenders - des Gasherbrum II -, einem dramatischen Überlebenskampf am Broad Peak bis hin zum Scheitern am Manaslu fünf Jahre davor. Er schreibt über schwierige Entscheidungen, einsame Erfolge sowie Freundschaft und Rivalität am Berg; und schildert, wie sich Expeditionen, Familie und Beruf vereinbaren lassen.

Benedikt Böhm, 1977 in München geboren, bezwingt Achttausender so kompromisslos wie kaum ein anderer. Er wuchs mit fünf Geschwistern auf und ist seit seinem zehnten Lebensjahr Leistungssportler. 2003 bis 2006 war er Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft im Skibergsteigen. Er hat in Massachusetts und Oxford studiert und arbeitet als Geschäftsführer des Skitourenausrüsters Dynafit. 2012 war er am Manaslu, als eine Lawine mehrere Menschen begrub. Er half bei der Bergung der Überlebenden. Darüber erschien auch sein Film »7 Tage im September«.

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Leseprobe

SCHNELLER


Mittenwald, Skizug Bundeswehr, 1997/98


Eine sportliche Blütezeit erlebte ich dann noch einmal nach dem Abitur. Kurz nach meinem Abschluss meldete sich ein Herr Seiko von der Bundeswehr bei mir und fragte mich, ob ich nicht Interesse daran hätte, in den Skizug einzutreten. Anscheinend hatten mich frühere Skilangläufer Kollegen empfohlen, die ihre Bundeswehrzeit im Skizug abgeleistet hatten. Herr Seiko erklärte mir, dass es zwei verschiedene Einheiten innerhalb des Skizugs gebe: eine Biathlonmannschaft und eine Militärpatrouille. Die Militärpatrouille bewege sich auf Tourenski auf und ab in den Bergen. Für beide Mannschaften würde eine Handvoll der besten Sportler ausgesucht werden. Ziel der Einheit sei es, sogenannte Militärpatrouillen-Wettkämpfe erfolgreich zu bestreiten. Man müsse die ersten zwei Monate Grundausbildung in Mittenwald hinter sich bringen, dann würde man in einem separaten Gebäude innerhalb der Kaserne Murnau untergebracht werden. Den Flecktarnanzug würde man nur noch sehr selten sehen.

Ich hatte ursprünglich vorgehabt, irgendwie durch die Musterung zu fallen, aber es war mir leider nicht gelungen. Das Angebot mit dem Skizug kam mir daher sehr gelegen. Herr Seiko hatte mich für den Biathlonzug vorgesehen, aber für mich war sofort klar, dass ich die Militärpatrouille wähle. Tourenski gefielen mir inzwischen wesentlich besser als Langlaufski. Er lenkte ein. Im September sollte ich meinen Dienst antreten.

Bevor es so weit war, gönnte ich mir aber erst mal einen ausgiebigen Surfurlaub in Spanien. Schließlich hatte ich gerade das Abitur geschafft! Zusammen mit drei Freunden kauften wir einen alten, postgelben VW-Bus, bauten ihn gemütlich aus und fuhren damit unmittelbar nach der Zeugnisvergabe in Richtung Süden. Wir klapperten die ganze Atlantikküste bis Porto ab, campierten wild am Strand und ritten jede Welle, die sich uns bot. Nach ein paar sehr entspannten Wochen lieferten mich meine Freunde direkt am Mittenwalder Bahnhof ab. Den salzigen Geschmack der Freiheit noch auf den Lippen, stand ich nun von Angesicht zu Angesicht zwei Soldaten vor einem Militär-Unimog gegenüber. Sie waren über meinen Anblick wahrscheinlich genauso erschrocken wie ich über ihren. Aus ihren korrekten Uniformen trafen mich verächtlich musternde Blicke. Durch die lange Zeit am Meer hatte ich fast weißblonde, schulterlange Haare und war überall mit irgendwelchen Ketten behängt. Ich sah aus wie ein Hippie, und irgendwie fühlte ich mich auch so – bis ein zackiges militärisches »Aufsitzen!« mich endgültig aus meinem Urlaub riss.

Nie wieder habe ich eine so bunte Vielzahl an dubiosen Persönlichkeiten getroffen wie bei der Bundeswehr. Die ersten Tage während der Grundausbildung in Mittenwald stand ich ab und zu am Fenster und blickte wehmütig auf die vorbeifließende Isar. Mich packte das Heimweh, und mir schoss der Gedanke durch den Kopf, einfach in den Fluss zu springen und bis nach München zu schwimmen, um diesem Kasperlverein zu entfliehen. Die Disziplin und die körperlichen Herausforderungen waren im Vergleich zu dem, was ich im Skiclub Hochvogel erlebt hatte, ein Witz. Einzig und allein der wenige Schlaf machte mir zu schaffen. Schließlich lernte ich notgedrungen, überall zu schlafen. Eine Sekunde Leerlauf genügte, um in jeder Köperhaltung, auch stehend, in den Schlaf zu fallen. Wenn sich bei dem Kommando »Volle Deckung!« alle bäuchlings auf den Boden werfen mussten, stand bei dem Befehl »Aaaaachtung!« die Hälfte der Soldaten nicht mehr auf, sondern schlummerte friedlich vor sich hin.

Bereits in der zweiten Woche lernte ich Markus Finsterwalder kennen. Er wurde mein bester Freund und erhellte mir die düsteren Tage der Grundausbildung. Als ein Abfahrtsskifahrer der Extraklasse war er ebenfalls für den Skizug ausgewählt worden und fühlte sich hier ebenso fehl am Platze wie ich. Nach kurzer Zeit genossen wir die Tatsache, dass wir unkündbar waren. In der Schule war es immer darum gegangen, das Jahr zu schaffen und nicht durchzufallen. Hier konnten wir uns alles erlauben. Selten hatte ich so viel Spaß.

Irgendwann während einer mehrtägigen Übung im bergigen Militärgelände hatten Markus und ich die Schnauze voll vom ewigen Kriegspielen und dem wenigen Schlaf. Er erklärte: »Mi langweilt der Scheiß da so brutal. Die solln sich selber mit den Platzpatronen derschießen. Wir verpissen uns jetzt und pennen erst amoi ordentlich aus. Des spannt doch keine Sau.« Wir packten unseren Schlafsack, eine Zeltplane und unser Geschirr zusammen und liefen los, bis wir nichts mehr von den Schüssen hörten und von den Leuchtkugeln sahen. Vorher hatten wir noch aus dem Essenszelt reichlich Proviant mitgehen lassen.

Nach einer herrlichen Nacht im dichten, nach Freiheit duftenden Wald wachten wir beide ausgeschlafen und uns wohlig rekelnd auf. Es war bereits zehn Uhr morgens. Schnell packten wir unsere Sachen zusammen und rasten zurück, um uns unauffällig wieder unter die Truppe zu mischen. Leider war unsere Abwesenheit nicht unbemerkt geblieben. Alle mussten antreten. Wir beide wurden nach vorn gerufen. Markus stand dem Offizier kaugummikauend gegenüber, als dieser uns einen ordentlichen Föhn verpasste. Es hagelte ein ganzer Schwall von Beschimpfungen auf uns hernieder.

Als wir am Vorabend noch aktiver Teil der Übung – es ging darum, den »Feind« anzugreifen – gewesen waren, hatten wir ein gegnerisches Zelt in Flammen gesetzt, indem wir die Leuchtspurmunition nicht, wie es uns gelehrt worden war, in die Luft, sondern direkt auf »das Ziel« abfeuerten. Zuvor hatten wir uns natürlich versichert, dass niemand drinnen war. Es gehörte zwei ganz guten Freunden aus unserer Kompanie, die das sicher lustig fanden.

Damit noch nicht genug, hatten wir von unserem G3-Gewehr das Manöverpatronenübungsgerät (MPG) abgeschraubt. Das MPG mussten alle Soldaten vorschriftsmäßig zum Schießen mit Platzpatronen verwenden. Es wird einfach auf ein Gewinde am vorderen Teil des Laufs aufgeschraubt. Damit wird der Knall erheblich gedämpft und zudem der dicke Feuerschweif, der jeden Schuss begleitet, verhindert. Wenn man das MPG aber abschraubte, knallte es richtig laut, und ein dicker Feuerschweif schoss aus der Mündung, was in der Nacht besonders toll aussah. Wir fanden, dass wir ohne MPG bei unseren Gegnern mehr Eindruck schinden konnten. Es liefen so viele dunkel getarnte Soldaten umher, dass die Unteroffiziere unmöglich erkennen konnten, zu wem die beiden superlauten Gewehre ohne MPG gehörten. Wir hatten den größten Spaß, überknallten die »Feuer sofort einstellen!«-Befehle und genossen es ganz besonders, dem leitenden Unteroffizier auf diese Weise seine Autorität zu rauben. Er hatte Markus und mich von Anfang an auf dem Kieker gehabt. Sein großes persönliches Ziel war immer, in den Skizug aufgenommen zu werden, aber dieses Ziel verfehlte er von Jahr zu Jahr, obwohl er doch ein so vorbildlicher Soldat war. Wir waren seine Feindbilder, und er wurde zu unserem.

Markus hatte beim nächtlichen Ausflug in den Wald seine Erkennungsmarke verloren. Und so standen wir jetzt stramm vor der Kompanie, während uns das Gebrüll des Vorgesetzten scharf ins Gesicht blies. Zur Strafe mussten wir beide uns an einem extrem heißen Tag gegen einen Gasangriff verteidigen. Das heißt in voller Montur mit Gasmaske und sogenanntem Gasponcho den ganzen Tag irgendwelche Übungen machen. So trainierte ich unfreiwillig, bei geringer Sauerstoffzufuhr aktiv zu bleiben. Natürlich folgte auch eine Beschwerde des besagten Unteroffiziers beim Skizugleiter Seiko, dass wir schlechte Soldaten seien. Der zeigte sich aber unbeeindruckt, vermutlich galt sein Interesse mehr unseren sportlichen als unseren militärischen Fähigkeiten.

Nach der Grundausbildung in Mittenwald verbrachten wir noch acht Monate im Skizug in Murnau. In dieser Zeit bestritt ich das erste Mal Skitouren-Wettkämpfe, die allerdings sehr militärisch geprägt waren. Neben der Zielvorgabe, möglichst schnell den Berg hoch- und wieder runterzukommen, wurden zusätzlich Punkte für Schießen, Handgranatenwerfen und Zusammenbau und Führen eines Ski-Akias, des wannenförmigen Transport- oder Rettungsschlittens, vergeben. Das machte mir großen Spaß.

Unser Skizug bestand aus nur acht Soldaten. Wir waren in einer ehemaligen Offiziersvilla auf dem Kasernengelände untergebracht und verbrachten Tag und Nacht zusammen. Trainieren, essen, schlafen, aufstehen, trainieren, essen, schlafen, Wettkampf, essen, schlafen … (Auch das war, im Nachhinein betrachtet, eine gute Schule, um die Lebensumstände in einem Basislager gelassen zu ertragen.) Gegen Ende dieser Zeit verlor ich das erste Mal einen Freund in den Bergen. Mein Skizugkollege Tobias kam nach einem Wochenende nicht mehr zurück. Er war zwischen Groß- und Kleinglockner tödlich abgestürzt. Ein Schlag ins Gesicht. Ich weiß noch gut, wie ich damals am Schreibtisch saß und versuchte, in einem Brief an seine Mutter, tröstende Worte zu finden. Durch Tobias’ Tod musste ich mich zum ersten Mal ganz konkret mit dem Thema Sterben auseinandersetzen. Während ich mich bemühte, der Mutter gegenüber meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, wurde mir selbst bewusst, wie sehr ich das Leben liebe und dass ich jeden Moment davon intensiv gestalten und erleben will.

Ich war froh, als es nach insgesamt zehn Monaten endlich vorbei war. Obwohl ich der Schule nie hatte etwas abgewinnen können, hatte ich während meiner Militärzeit erstaunlicherweise das Gefühl, etwas zu verblöden.

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