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E-Book

Im Namen Gottes

Religion und Gewalt

AutorKaren Armstrong
VerlagPattloch Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl688 Seiten
ISBN9783629320629
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In ihrem neuen Buch 'Im Namen Gottes' nimmt die Autorin erstmals die Geschichte und Gegenwart von Judentum, Christentum und Islam in Bezug auf religiöse Gewalt in den Blick. Karen Armstrong geht den Ursachen dieser Gewalt auf den Grund. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Jahrtausendelang waren Politik und Religion ineinander verwoben. Die Trennung von Politik und Religion in der Neuzeit konnte die Gewalt nicht eindämmen. Mit ihrer Analyse schafft Karen Armstrong die Grundlagen für das Verständnis der aktuellen internationalen Konflikte, die von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Interessen beherrscht sind. »Geistreich, informativ und nachdenklich: Karen Armstrong versteht es, komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen, aber sie vereinfacht nicht.« New York Times Book Review

Karen Armstrong (geb. 1944) zählt zu den renommiertesten Religionswissenschaftlern weltweit. Die geborene Engländerin gehörte ab 1962 einer katholischen Ordensgemeinschaft an, bevor sie 1969 nach Oxford ging und ihre wissenschaftliche Karriere begann. Seit 1982 ist Karen Armstrong freie Autorin mit mehr als fünfzehn Bestsellern, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie wurde von Kofi Annan als Botschafterin der UN-Initiative 'The Alliance of Civilizations' berufen, wo sie sich für religöse Freiheit einsetzt. Seit September 2001 ist Karen Armstrong als Islam-Kennerin gefragt und hat in dieser Eigenschaft Regierungen und Parlamente beraten und wurde vielfach für ihre Arbeit ausgezeichnet, u.a. mit dem TED Prize, der den Anstoß für 'Die Botschaft' gab. Bei Pattloch sind bislang drei Bücher von Karen Armstrong erschienen: 'Die Botschaft' (2012) , 'Die Geschichte von Gott' (2012) und 'Im Namen Gottes'(2014).

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Leseprobe

Teil 1


Anfänge

1


Bauern und Hirten

Gilgamesch, der legendäre fünfte König von Uruk, galt als der »stärkste der Männer, riesig, schön, strahlend, vollkommen«[54]. Es heißt, er habe alles gesehen, sei bis zu den Enden der Erde gereist, habe die Unterwelt besucht und große Weisheit erlangt. Im frühen dritten Jahrtausend v.u.Z. war Uruk, das im heutigen Südirak lag, der größte Stadtstaat im Staatenbund von Sumer, der ersten Zivilisation der Welt. Der Dichter Sin-leqi, der seine Version von Gilgameschs bemerkenswertem Leben um 1200 v.u.Z. aufschrieb, platzte noch vor Stolz über die Tempel, Paläste, Gärten und Läden der Stadt. Aber er beginnt und beendet sein Epos mit einer überschwenglichen Beschreibung der großartigen, sechs Meilen langen Stadtmauer, die Gilgamesch für sein Volk wiedererrichtet hatte. »Geht auf der Mauer von Uruk!«, drängt Sin-leqi seine Leser voller Begeisterung. »Folgt ihrem Weg rund um die Stadt, betrachtet ihre mächtigen Fundamente, untersucht die Ziegel und wie meisterhaft sie gebaut ist.«[55] Diese phantastische Stadtbefestigung zeigte, dass der Krieg im Leben der Menschen schon gegenwärtig geworden war – allerdings nicht als Ergebnis einer zwangsläufigen Entwicklung. Hunderte von Jahren hatte Sumer keinerlei Notwendigkeit gesehen, seine Städte vor Angriffen von außen zu schützen. Gilgamesch jedoch, der vermutlich um 2750 v.u.Z. regierte, war eine neue Art sumerischer König: »Ein wilder Stier von einem Mann, ein unbesiegter Führer, Held der vordersten Schlachtreihe, geliebt von seinen Soldaten. Festung nannten sie ihn, Beschützer des Volkes, rasende Flut, die alle Verteidigungslinien zerstört.«[56]

Trotz seiner Leidenschaft für Uruk musste Sin-leqi zugeben, dass die Zivilisation auch unschöne Seiten hatte. Die Dichter hatten schon kurz nach Gilgameschs Tod damit begonnen, seine Geschichte zu erzählen, weil es eine archetypische Geschichte ist, eine der ersten schriftlichen Aufzeichnungen vom »Weg des Helden«.[57] Aber diese Geschichte ringt auch mit der unausweichlichen strukturellen Gewalt des zivilisierten Lebens. Denn das Volk von Uruk – unterdrückt, verarmt und elend – bat die Götter, es vor Gilgameschs Tyrannei zu retten:

Die Stadt ist sein Besitz, er stolziert

hindurch, voll Arroganz, den Kopf erhoben,

trampelt ihre Bürger nieder wie ein wilder Stier.

Er ist der König, er tut, was ihm gefällt.

Verfolgt die jungen Männer von Uruk ohne Urteil.

Gilgamesch lässt keinen Sohn frei zu seinem Vater gehen.[58]

Diese jungen Männer wurden wohl für die Arbeitstrupps zwangsverpflichtet, die die Stadtmauer errichteten.[59] Das Leben in der Stadt wäre nicht möglich gewesen ohne die skrupellose Ausbeutung der großen Bevölkerungsmehrheit. Gilgamesch und der sumerische Adel lebten in bis dahin unbekanntem Prunk, aber für die bäuerlichen Massen brachte ihre Herrschaft nichts als Elend und Unterdrückung.

Die Sumerer waren wohl das erste Volk, das die Ernteüberschüsse der Gemeinschaft privatisierte und eine privilegierte herrschende Klasse hervorbrachte. Das war nur mit Gewalt möglich. Um 5000 v.u.Z. waren die ersten wagemutigen Siedler in die fruchtbare Ebene zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat gezogen.[60] Der Boden dort war jedoch zu trocken für den Ackerbau, so dass sie ein Bewässerungssystem entwickelten, um das Schmelzwasser von den Bergen, das die Ebene jedes Jahr überflutete, zu kontrollieren und zu verteilen. Das war eine außerordentliche Leistung. In einer gemeinsamen Anstrengung mussten Kanäle und Deiche geplant, entworfen und erhalten werden, und das Wasser musste gerecht zwischen den wetteifernden Gemeinschaften aufgeteilt werden. Das neue System fing vermutlich klein an, führte aber bald zu einem dramatischen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion und damit zu seiner Bevölkerungsexplosion.[61] Um 3500 zählte das Volk der Sumerer eine halbe Million Seelen – eine bis dahin undenkbare Zahl. Nun wurde eine starke Führung unabdingbar, aber bis heute ist nicht klar, was diese einfachen Bauern zu Stadtbewohnern machte. Vermutlich war es eine ganze Reihe von miteinander verbundenen, sich gegenseitig verstärkenden Faktoren: das Bevölkerungswachstum, eine bisher ungekannte Fruchtbarkeit der Landwirtschaft und die intensive Arbeit an der Bewässerung – ganz zu schweigen von schlichtem menschlichem Ehrgeiz – trugen zur Herausbildung einer neuen Gesellschaftsform bei.[62]

Was wir sicher wissen, ist nur dies: Um 3000 v.u.Z. gab es zwölf Städte in der Ebene von Mesopotamien, die alle von den Ernten der Bauern in dieser Region lebten. Diese Bauern betrieben Subsistenzwirtschaft. Jedes Dorf musste seine gesamte Ernte in der Stadt abliefern, der es diente; Beamte sorgten dafür, dass die Bauern einen Teil davon zum Leben bekamen, der Rest wurde in den Tempeln der Stadt für den Adel gelagert. Auf diese Weise sicherten sich einige wenige große Familien mit Hilfe ihrer Gefolgsleute – Bürokraten, Soldaten, Kaufleute und Hausdiener – die Hälfte bis zwei Drittel des Ertrags.[63] Diesen Überschuss nutzten sie, um ein ganz anderes Leben zu führen, frei für vielfältige Beschäftigungen, die Muße und Wohlstand voraussetzten. Im Gegenzug sorgten sie für das Bewässerungssystem und ein gewisses Maß an Recht und Ordnung. Alle vormodernen Staaten fürchteten die Anarchie: Eine einzige Missernte durch Dürre oder soziale Unruhen konnte Tausende von Menschen das Leben kosten, und so war für die Elite klar, dass das System der gesamten Bevölkerung nützte.

Die Bauern freilich, die man um die Früchte ihrer Arbeit brachte, waren kaum mehr als Sklaven: Sie pflügten, ernteten, gruben Bewässerungskanäle, wurden unterdrückt und lebten im Elend. Die harte Arbeit auf den Feldern saugte ihnen das Mark aus den Knochen. Wenn ihre Aufseher nicht zufrieden waren, schossen sie den Bauern die Zugtiere lahm oder fällten ihre Olivenbäume.[64] Hier und da sind bruchstückhafte Aufzeichnungen über die Not der Bauern erhalten: »Der Arme ist tot besser dran als lebendig«, klagt einer von ihnen.[65] »Ich bin ein Vollbluthengst«, beschwert sich ein anderer, »aber man hat mich zum Maultier gemacht, und ich muss den Karren ziehen, mit Kraut und Stoppeln beladen.«[66]

Sumer hatte ein System struktureller Gewalt entwickelt, wie es in jedem Agrarstaat bis in die Moderne hinein vorherrschen sollte, also bis zu dem Zeitpunkt, da die Landwirtschaft als wirtschaftliche Grundlage der Zivilisation an Bedeutung verlor.[67] Symbol der rigiden sumerischen Hierarchie waren die Zikkurats: riesige stufenförmige Tempeltürme, die zum Markenzeichen der Zivilisation in Mesopotamien wurden. Auch die sumerische Gesellschaft bestand aus nach oben zunehmend kleiner werdenden sozialen Schichten, die in eine adelige Spitze mündeten und jedem Individuum seinen unverrückbaren Platz zuwiesen.[68] Historiker argumentieren freilich, ohne diese grausame Ordnung, die der großen Mehrheit der Bevölkerung Gewalt antat, hätten die Menschen niemals die Künste und Wissenschaften entwickelt, die Fortschritt erst möglich machen. Die Zivilisation selbst brauchte eine freigestellte Schicht von Menschen, die sie kultivierte, und so bauten die besten Errungenschaften der Menschheit jahrtausendelang auf dem Rücken ausgebeuteter Bauern auf. Es ist kein Zufall, dass die Sumerer die Schrift erfanden, um sie als Mittel der sozialen Kontrolle einzusetzen.

Welche Rolle spielte aber die Religion in dieser schändlichen Unterdrückung? Alle politischen Gemeinschaften entwickeln Ideologien, die ihre Institutionen mit der natürlichen Ordnung begründen, wie sie sie wahrnehmen.[69] Die Sumerer wussten, wie empfindlich ihr bahnbrechendes städtisches Experiment war. Ihre Gebäude aus Lehmziegeln brauchten ständige Pflege; Euphrat und Tigris traten oft über die Ufer und vernichteten die Ernten; Wolkenbrüche verwandelten den Boden in Schlamm, und schreckliche Stürme zerstörten Besitz und töteten das Vieh. Aber die Angehörigen des Adels hatten begonnen, die Gestirne zu beobachten, und dabei wiederkehrende Muster in den Bewegungen der Himmelskörper entdeckt. Sie staunten darüber, wie die verschiedenen Elemente der natürlichen Welt zusammenwirkten, um ein stabiles Universum zu erhalten, und sie vermuteten, der Kosmos selbst müsse eine Art Staat sein, in dem jedes Ding seine feste Aufgabe hatte. Wenn sie nun ihre Städte nach dieser himmlischen Ordnung einrichteten, so dachten sie, dann stünde ihr Gesellschaftsexperiment in Einklang mit der Welt und würde deshalb gedeihen und die Zeit überdauern.[70]

Der kosmische Staat, so glaubten sie, wurde von Göttern regiert, die untrennbar mit den Naturkräften verbunden waren, sich ihrem Charakter nach also vollkommen von dem Gott unterschieden, den Juden, Christen und Muslime heute verehren. Diese Gottheiten konnten keine Ereignisse beeinflussen, sondern waren an dieselben Gesetze gebunden wie die Menschen, Tiere und Pflanzen. Es gab auch keinen großen existenziellen Abstand zwischen Mensch und Gott – Gilgamesch war beispielsweise zu einem Drittel menschlich und zu zwei Dritteln göttlich.[71] Die Anunnaki, die höheren Götter, entsprachen in ihrem vollkommenen und wirkungsvollsten Selbst den...

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