Reise durch Java nach Bali Januar 1964
von Horst H. Geerken
Im Januar 1964 trat ich meine erste Reise nach Bali an. Dort sollte der erste zivile internationale Flughafen gebaut werden. Bisher bestand der Flughafen nur aus einer einfachen holprigen Graspiste. Sukarno (auch Soekarno) wollte diesen Flughafen internationalen Bestimmungen entsprechend ausbauen, um Bali für den Tourismus zu öffnen. Meine Firma in Deutschland war an dem Ausbau beteiligt und so musste ich regelmäßig für Verhandlungen oder die Überprüfung des Baufortschritts nach Bali.
Es gab noch keine Flugverbindung von Jakarta nach Bali, daher musste ich die beschwerliche Reise mit dem Auto unternehmen. Bevor man damals eine längere Reise antrat, musste man sich ausrüsten wie für eine Expedition. Der Kofferraum wurde gefüllt mit Ersatzkanistern für Benzin, einem Kanister mit Süßwasser, Bettwäsche, einem kleinen Campingkocher, um in Notfällen Trinkwasser und Wasser zum Zähneputzen abkochen zu können, Kaliumpermanganat zum Waschen und Desinfizieren von Obst, eine Hausapotheke, einer Flitspritze gegen Moskitos, Ameisengift, eine Dose mit DDT gegen Wanzen und Flöhe, eine Taschenlampe, Wachskerzen und Streichhölzer, eine Petroleumlampe, da es unterwegs meist keine Elektrizität gab, Besteck, Tee, Zucker, Marmelade, Zwieback, Toilettenpapier, Nähzeug, Hand- und Geschirrtücher und so weiter. Der Kofferraum war voll! So blieb für mich außer meinem Aktenköfferchen, das ich vorne mit im Fond hatte, um – wenn es nicht zu sehr schwankte – zu lesen und zu arbeiten, nur noch Platz für eine Reisetasche für meinen täglichen Bedarf.
Mein indonesischer Gesprächspartner für dieses Projekt war in Jakarta ein Ingenieur aus dem Batakerland in Sumatra, der seine Ausbildung in Deutschland erhalten hatte. Menschen aus dieser Region Sumatras waren bekanntermaßen gute Geschäftsleute. Kurz vor meiner Abreise besuchte ich noch diesen Herrn aus dem Batakerland in seinem Ministerium. Er gab mir den Rat mit auf die Reise: ‚Arbeiten Sie nicht zu viel, Herr Geerken. Besser ist es, auf dem Sofa zu sitzen und nachzudenken‘! Offensichtlich hatte er auch schon viel ‚nachgedacht‘, denn er war – für Indonesier eher ungewöhnlich – sehr füllig. Eine seiner Bemerkungen, dass auch deutsches Blut in seinen Adern fließen würde, überraschte mich doch sehr, denn der Herr war ziemlich dunkelhäutig. Nach seiner Erklärung: ‚Mein Großvater hat noch einen deutschen Missionar aufgefressen‘, war alles klar!
Tatsächlich waren die Bataker bis vor gut einem Jahrhundert noch Kannibalen. Nach alten Reiseberichten wurde noch 1907 öffentlich Menschenfleisch verkauft und viele europäische Missionare sind aus dem Batakerland nicht zurückgekommen. Ein solches Ende soll aber nur fremden Eindringlingen, Kriegsgefangenen, Ehebrechern und Dieben widerfahren sein. Der Herr konnte also mit seiner Bemerkung durchaus Recht haben. Wie ihm sein Großvater erzählt hatte, sollen die Handballen der weißen Missionare die größte Delikatesse gewesen sein. Dies bestätigt auch Louis Couperus in seinem Buch „Unter Javas Tropensonne“ von 1925.
Touristen müssen heutzutage keine Angst mehr haben, aufgefressen zu werden, aber Hunde leben dort bis heute nicht sicher. Im Reich der Bataker wird nämlich Hundefleisch als große Delikatesse geschätzt. In Jakarta hatte ich einen Bataker als Nachbarn. Er wollte mich immer wieder überzeugen, wie lecker Hundefleisch schmecken würde. Ich habe aber alle Einladungen zu einem Mahl dankend abgelehnt und auf meine eigenen beiden Hunde Aldi und Blacky immer ein besonders wachsames Auge gehabt.
Schon morgens um 4:30 Uhr bin ich mit meinem Fahrer Sudjono in Jakarta losgefahren, um die größte Hitze des Tages zu vermeiden. Es war wunderschön in der Morgendämmerung zu fahren, durch Palmenhaine und Dörfer mit strohgedeckten Häusern. Schon kurz hinter Jakarta, nach der flachen Küstenebene, sah man bei guter Sicht die Berge Gunung Salak und Pangrango. Nun kamen wir in die grünen Hügel von Bogor vor dem Punjak-Pass (heute: Puncak-Pass). Vorbei ging es an dem botanischen Garten von Bogor, der um 1813 während der nur kurzen Besatzung Javas durch die Engländer von Sir Stamford Raffles gegründet wurde. Hier steht immer noch der überdimensionale Palast des holländischen Gouverneurs, der aber nun von Präsident Soekarno als Sommerpalast genutzt wurde. Nach Bogor, einer regenreichen Stadt, ging es bergauf. Links und rechts der Straße lagen herrliche Villen in den Feldern, in denen die Europäer während der Kolonialzeit ihre Wochenenden im kühleren Klima verbrachten. Heute haben sich dort viele ausländische Geschäftsleute und Diplomaten für die Wochenenden eingemietet. Die Reisterrassen wurden weniger und nun ging es in vielen Kehren durch Teeplantagen in Richtung Punjak-Pass. Der Geruch der blühenden Bäume und Sträucher wurde immer intensiver. War unten, vor Bogor, der Verkehr noch ziemlich heftig, so hatte man hier oben auf der kurvenreichen Straße freie Fahrt. Nur ab und zu begegnete man einem Militärfahrzeug. Bauern und Teepflückerinnen in bunten Sarongs und großen kegligen Strohhüten waren schon unterwegs, um die Tagesarbeit zu beginnen. Indonesier sind Frühaufsteher.
Schon bald, mit dem ersten Licht des Morgens, pflücken die Frauen mit feinem Fingerspitzengefühl die äußersten vier Blätter der jungen Triebe von den kugelförmigen Teebüschen. Mit den bunten gebatikten Kains (Wickelröcken) und dem Schnürleibchen wirken sie wie farbige Flecken in der grünen Landschaft. Am Morgen ist es noch frisch. Gegen die Kälte haben sie noch einen langen Slendang (Tuch) um die Schultern drapiert. Sie unterhalten sich schon fröhlich, denn immer wieder flattert durch das geöffnete Fenster ein plötzliches Lachen zu mir hin. Es ist ein sorgloses Lachen, wie von Kindern.
Die Teepflückerinnen tragen einen langen schmalen Korb auf dem Rücken, in den sie zielsicher eine Handvoll Triebe nach der anderen über die Schulter hineinwerfen. Die jüngsten drei Blättchen ergeben den besten Tee. Das vierte Blatt wird später in der Fabrik abgezupft und ergibt, zusammen mit dem Stängel, eine minderwertigere Qualität.
Hier oben, mitten in den Teeplantagen, hatte Präsident Soekarno sein sogenanntes ‚Teehaus‘ bauen lassen, das er immer gerne mit ausländischen Staatsgasten besuchte. Von hier hatte man einen überwältigenden Ausblick über die grünen Teeplantagen und die wasserbedeckten Reisfelder im Tal. Allerdings musste man in dieser Höhe immer mit einem Regenguss rechnen. Die Teepflückerinnen und die Bauern hielten dann einfach ein riesiges Bananenblatt als Regendach über den Kopf.
Wenn man 1964 über das Land fuhr, haben sich immer wieder Bauern an der Straße und auf den Feldern vor dem ‚weisen Mann‘ im Auto tief verneigt. Die von den Holländern eingehämmerte Geste der Unterwürfigkeit saß tief! Ganz oben, im Hotel und Restaurant auf dem Punjak-Pass, zwischen Tjemara-Bäumen (heute: Cemara) mit ihrer üppigen Nadelpracht und Tamarisken, gab es immer eine Teepause. Hier gedeihen Sonnenblumen und Dahlien: eine Stimmung wie in einem europäischen Garten! Es war morgens in dieser Höhe noch sehr frisch. Die Sonne stand ganz flach am Himmel. Der Blick, nun nach Osten über die Reisterrassen und Kokospalmenhaine des Preangerlandes (der Gegend um Bandung), des hügeligen Geländes mit der kleinen Moschee im Frühnebel, war traumhaft schön. Riesige Bambusbüsche, mit ihren sich nach oben hin verjüngenden armdicken Trieben, wirkten aus der Ferne wie zarte zerbrechliche Kunstwerke. Der Wind trieb grüne Wellen durch das Meer der terrassenförmig angelegten Reisfelder. Noch glasklar ragten die Vulkane Gunung Gede und Gunung Salak in den blauen Himmel. Deutlich erkennt man dann die Spuren, die einst die über den Kraterrand strömende Lava bis tief hinab ins Tal hinterlassen hat. Nur eine oder zwei Stunden später verschwinden die Gipfel dann für den Rest des Tages in dunklen Wolken. Ich sollte noch hunderte Male diese Route befahren und jedes Mal machte ich hier Rast. Immer wieder stand ich oben an diesem Aussichtspunkt in der Morgendämmerung und wurde von der unglaublichen Schönheit dieses Panoramas und der zarten Atmosphäre des frühen tropischen Morgens überwältigt.
Nun ging die Reise weiter, in engen Kurven nach unten in flacheres Land. Es fällt auf, dass die Namen vieler Dörfer mit Ci beginnen, dem sundanesischen Wort für Wasser oder Fluss. Kein Wunder, denn hier gibt es viel Wasser. Alle Dorfer liegen an einem Fluss oder größeren Bach. Es war Reisernte. Hunderte von Frauen und Männern in langen Reihen mit den großen schattenspendenden konischen Strohhüten standen in den Reisfeldern, um die Ähren zu ernten. Die Reisernte ist immer ein buntes und fröhliches Fest. Dabei werden auf ganz Java viele Millionen Hektar Ähre um Ähre einzeln geerntet, mit einem kleinen Messerchen, das in der Hand nach innen gehalten wird, unsichtbar für den Reishalm. Die Ähre soll sich beim Anblick des scharfen Werkzeuges nicht ‚erschrecken‘. Denn in jeder Reisähre lebt...