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Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen

Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935)

AutorNils Oschinski
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783638742849
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Forschung und Studien, Note: 1,0, Georg-August-Universität Göttingen (Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft), 108 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Autor beschäftigt sich in seiner Arbeit mit den nationalsozialistischen Presseanweisungen des Propagandaministeriums. Nach einem allgemeinen Teil (Einordnung in das System nationalsozialistischer Presselenkung, Vorstellung der Untersuchungsobjekte) wird in einer ersten Untersuchung zunächst der Inhalt der Presseanweisungen nach 'Thema der Anweisung', Ausgabeanlass und nach 'Vorgabearten' aufgeschlüsselt. Es wird von der bisherigen Praxis abgewichen, pro Anweisung nur eine Vorgabe zu codieren (z. B. nur Verbot oder nur Sprachregelung). Da eine Presseanweisung in der Regel mehrere Vorgaben enthält, vermittelt die Analyse ein schärferes Bild als vergangene Untersuchungen. In einer zweiten Untersuchung wird anhand von drei Göttinger Zeitungen, die sich in ihrer politischen Tendenz unterscheiden (liberal, deutschnational, nationalsozialistisch), die Umsetzung der Anweisungen in den Jahren 1933 bis 1935 untersucht. Die als Input-Output-Analyse ausgestaltete Untersuchung beschränkt sich dabei nicht auf das simple ob der Umsetzung (Ja/ Nein). Darüber hinaus wird zwischen der Art der Abweichung (Abweichendes Erscheinungsdatum, Verbot nicht eingehalten, ...) und der Artikelaufmachung (Seite, Umfang, Foto) unterschieden. Weiterhin wird untersucht, ob für den Rezipienten ersichtlich war, dass es sich um gesteuerte Berichterstattung handelte. Um dem qualitativen Anspruch zu genügen, wird der Betrachtung und Diskussion von Auffälligkeiten genügend Platz eingeräumt. Die Aufstellung der beiden standardisierten Messinstrumente wurde sorgfältig dokumentiert. Die Codierregeln im Codebuch festgehalten. Somit stellt die vorliegende Arbeit zwei geprüfte Messinstrumente zur Verfügung, die sich für über das Jahr 1935 hinausgehende Untersuchungen der Presseanweisungen bzw. der Umsetzung von Presseanweisungen durch Zeitungen eignen.

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Leseprobe

4. Die soziale, wirtschaftliche und politische Situation in Göttingen vor und nach der Machtergreifung


 

Die Universitätsstadt Göttingen ist im Südosten des Bundeslandes Niedersachsen gelegen. Nach Hannover, Braunschweig, Osnabrück und Oldenburg ist sie die fünftgrößte niedersächsische Stadt mit 129.051 Einwohnern (Fachdienst Statistik und Wahlen Göttingen 2006: o. S.).

 

Dieser Abschnitt soll einen Überblick darüber vermitteln, wie sich die allgemeine Situation in Göttingen in den letzten Jahren der Weimarer Republik und am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft dargestellt hat.[68] Am Schluss soll ein Zwischenfazit darüber gezogen werden, inwieweit die historische Situation in Göttingen mit der in anderen Orten vergleichbar ist und an welchen Stellen Unterschiede deutlich werden.

 

4.1 Die Folgen der Weltwirtschaftskrise


 

Die Stadt Göttingen gehörte seit 1866 zu Preußen. Die Einwohnerzahl betrug am 1. Juli 1932 46.216 Personen (Göttinger Einwohnerbuch 1932: S. 2). Die soziale und wirtschaftliche Situation in Göttingen glich der deutscher Städte und Dörfer am Ende der Weimarer Republik. Wie im übrigen Deutschland litt Göttingen unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Arbeitslosigkeit und Armut waren die Folge. (Vgl. Bracher 1969: S. 185) Traditionsreiche Göttinger Firmen wie die Tuchfabrik Levin und der Klavierbauer Rietmüller und Sohn gingen Konkurs (vgl. Hasselhorn 1999: S. 110). Im März 1932 waren im Landkreis Göttingen 5.170 Arbeitslose gemeldet (vgl. Kühn 1983: S. 25).[69] Betrugen die Wohlfahrtsausgaben[70] der Stadt Göttingen im Haushaltsjahr 1928/29 noch 38.000 Reichsmark (0,99 Prozent des Haushalts) stiegen sie auf 886.000 Reichsmark (25,4 Prozent des Haushalts) im Haushaltsjahr 1932/33. Hinzu kam, dass das Reich den Gemeindeanteil an den Reichssteuern auf ein Drittel zusammenkürzte. Auch die übrigen Einnahmen (Gemeindesteuern, Gebühren, etc.) sanken oder konnten nur in beschränktem Umfang gesteigert werden. (Vgl. Hasselhorn 1999: S. 100). Auf die Arbeitslosigkeit und die damit steigenden Wohlfahrtskosten und sinkenden Steuereinnahmen reagierten die Stadtväter mit Stellenstreichungen von Gemeindearbeitern, Kürzungen bei Ausgaben für Baumassnahmen[71], der Einführung neuer[72] und Erhöhung bestehender Steuern, Gehaltskürzungen (vgl. ebd.), Einschnitten bei Unterstützungszahlungen (vgl. ebd.: S. 123) und Erhöhung des Schulgelds (vgl. ebd.: S. 109). Allerdings halfen diese Maßnahmen nicht die Krise einzudämmen, sondern trugen im Gegenteil noch zu ihrer Verschärfung bei.[73] 

 

4.2 Ablehnung der Demokratie


 

Auch die Reaktion der Göttinger auf die anhaltende Krise ähnelte der ihrer Mitbürger im Rest der Republik: Sie äußerte sich in einem tiefen Misstrauen gegenüber den demokratischen Parteien, die sie für die sozialen und wirtschaftlichen Missstände verantwortlich machten. Das Vertrauen in die Demokratie stand ohnehin auf wackligen Füßen. So lasteten viele Bürger insbesondere den Sozialdemokraten die Schuld für den Verlust des 1. Weltkrieges und den im Volksmund als Schandfrieden von Versailles bezeichneten Friedensschluss, der Deutschland die alleinige Kriegsschuld zuwies und mit hohen Reparationszahlungen an die Alliierten verbunden war, an. (Vgl. Tyrell 1996: S. 20ff.).

 

Infolge des gescheiterten Kapp-Putsches[74] und der Niederschlagung der Roten Armee des Ruhrgebiets[75], kam es zu der bis zu ihrem Ende typischen Handlungsblockade der Weimarer Republik: Auf der einen Seite waren die Gegner der Republik zu schwach um diese zu stürzen, blieben aber weiterhin eine Gefahr. Auf der anderen Seite verloren die Parteien der Weimarer Koalition (SPD, DDP, Zentrum) ihre parlamentarische Mehrheit, die sie bis um Schluss nicht wiedererlangen konnten (vgl. Peukert 1987: S. 80). Diese Entwicklung schlug sich auch in Göttingen nieder. Verlierer waren vor allem Sozialdemokraten und Linksliberale. Insgesamt verloren die fünf Parteien, die sich während des Putschversuches für die Republik eingesetzt hatten, jeden dritten Wähler. Sie repräsentierten nur noch die Hälfte der Göttinger Bevölkerung. Gewinnen konnten hingegen die Rechtsparteien (DVP, DNVP), die teilweise offen ihre Sympathie für die Putschisten bekundet hatten. (Vgl. Hasselhorn 1999: S. 85f.).

 

4.3 Frühe Wahlerfolge der NSDAP in Göttingen


 

Offizieller Gründungstag der NSDAP-Ortsgruppe war der 15. Mai 1922[76]. Treibende Kraft war der Medizinstudent Ludolf Haase. Als der preußische Innenminister die NSDAP am 17. November 1922 verbot, gingen die 25 Mitglieder unter Haases Führung in den Untergrund. Unter verschiedenen Tarnbezeichnungen operierend, konnte sie jedoch relativ unbehelligt von der lokalen Polizei weiterarbeiten. Unterstützung erhielt sie auch durch eine SA-Gruppe unter Führung des Chemikers und Offiziers Dr. Wilhelm Jander, die ebenfalls verboten wurde und als Tarnorganisation weitermachte.[77] (Vgl. Hasselhorn 1999: S. 89f.).

 

Auch waren die Göttinger Nationalsozialisten schon früh bereit die „braune Revolution“ (Schoenbaum 1968) notfalls auch mit Gewalt herbeizuführen. So versammelten sich in den Tagen des Hitlerputsches am 8. und 9. November 1923 angeblich 200 Mann im Kaiser-Wilhelm-Park um die Putschisten zu unterstützen. Diese kamen jedoch nicht zum Einsatz, da sich die Ereignisse in München überstürzten und die Nachricht davon Göttingen zu spät erreichte. (Vgl. Hasselhorn 1999: S. 90).

 

Früher als in weiten Teilen Deutschlands konnte die NSDAP in Göttingen überdurchschnittlich hohe Wahlerfolge verzeichnen. Weshalb Göttingen schon bald als „Hochburg des Nationalsozialismus“ galt (Hasselhorn/ Weinreis 1983: S. 57). Schon bei ihrem Wahlantritt zu den Bürgervorsteherwahlen (Stadtparlament)[78] am 4. Mai 1924 erhielt ihre Liste 21,6 Prozent der Stimmen (SPD: 19,5 Prozent). Bei den Reichstagswahlen, die am selben Tag stattfanden, erreichte sie in Göttingen 17,8 Prozent (SPD 19,2 Prozent). Damit lag sie weit über dem Reichsdurchschnitt von 6,5 Prozent (SPD: 20,5 Prozent)[79].[80] Seit der Kommunalwahl 1929[81] regierte die NSDAP im Bürgervorsteher-Kollegium mit und stellte zwei der sechs ehrenamtlichen Senatoren (vgl. Hasselhorn 1999: S. 104). Nationalsozialistische Kommunalpolitik beschränkte sich während der Weimarer Republik auf Blockadepolitik und propagandistische Forderungen. So stellten am 17. Januar 1930 die nationalsozialistischen Vertreter in der Sitzung des Bürgervorsteher-Kollegiums den Antrag auf Streichung der Aufwandsendschädigung für Bürgervorsteher und Senatoren. Das eingesparte Geld sollte Kindern unter 16 Jahren, Rentnern und Arbeitslosen in Form von Gutscheinen zugute kommen. Die Gutscheine sollten bei allen nichtjüdischen Göttinger Firmen einlösbar sein. Diese Forderung hielten die Nationalsozialisten jedoch nur so lange aufrecht, bis sie alle ehrenamtlichen Senatoren stellten. (Vgl. ebd.: S. 104ff., sowie Tollmien 1999: S. 161). Trotz solcher leicht durchschaubarer Auftritte ging die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September in Göttingen als stärkste Kraft hervor und lag mit 37,8 Prozent (SPD: 23,6 Prozent) wieder weit über dem Reichsdurchschnitt von 18,3 Prozent (SPD 24,5 Prozent) (vgl. Hasselhorn 1999: S. 111).[82]

 

Über die Gründe für die frühen Wahlerfolge kann hier nur spekuliert werden. Sicher ist, dass das auflagenstarke Göttinger Tageblatt die Göttinger NSDAP seit ihrer Gründung offen unterstützt hat (vgl. Kühn 1983: S. 13) und damit zumindest zu einer Konsolidierung als wählbare Partei beigetragen hat. Auch scheinen die Nationalsozialisten in Göttingen mit Parolen wie „Politik gehört nicht aufs Rathaus“ (Hasselhorn 1999: S. 91) den Nerv vieler Wähler getroffen zu haben, die den verschiedenen Parteien, wegen ihrer Zerstrittenheit, nicht zutrauten, für Stabilität zu sorgen (vgl. ebd.: S. 90ff.). Begünstigt wurden die Wahlerfolge sicherlich auch durch die Göttinger Wirtschafts- und Sozialstruktur. Diese wurde von mittelständischen Unternehmen und durch die Beamtenverbände dominiert, während lediglich 6 Prozent der Betriebe Industriebetriebe waren (vgl. Tollmien 1999: S. 170). Göttingen verfügte also über ein starkes Kleinbürgertum, „das Rohmaterial aus dem Hitler seine Bewegung schmiedete“ (Allen 1965: S. 24). Sie bildeten reichsweit die größte Gruppe innerhalb der NSDAP-Wählerschaft.[83] Viele von Ihnen wählten aus Protest die Nationalsozialisten, weil sie aufgrund der veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse um ihre Privilegien fürchteten. Auch war diese Gruppe häufig für einen gemäßigten Antisemitismus empfänglich. (Vgl. Saldern 1999: S. 61). Spezifische Göttinger Faktoren, die zu den frühen Wahlerfolgen beigetragen haben, müssen hier offen bleiben.[84] Interessant ist, dass ähnliche Erfolge für die Göttinger KPD im Gegensatz zum Rest des Reiches ausblieben.[85]

 

4.4 Straßenschlachten und antisemitische Anschläge


 

Neben propagandistischen Auftritten im Bürgervorsteher-Kollegium legten die...

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