Seit der Unterzeichnung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen, die Deutschland am 23. März 2009 ratifizierte, sind Veränderungen im deutschen Bildungssystem festzustellen. Betrachtet man den Datenreport zu den aktuellen Entwicklungen „Update Inklusion“, der für die Bertelsmann Stiftung erhoben wurde, so wird deutlich, dass der Anteil der SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf angestiegen ist. Er liegt heute 10 Prozent höher als noch vor fünf Jahren. Diesen Anstieg erklärt die Stiftung mit einem bisher verdeckten Förderbedarf, der darauf zurückzuführen sein kann, dass nicht mehr jeder diagnostizierte Bedarf automatisch den Besuch der Förderschule zu bedeuten hat. Es sei eine bundesweite Entwicklung zu erkennen, bei der immer mehr allgemeine Schulen für Förderschüler geöffnet werden. Der Inklusionsanteil ist demnach von 18,4 Prozent im Jahr 2009 auf 28,2 Prozent im Schuljahr 2013/13 angestiegen (Bertelsmann Stiftung, 2014)
In Deutschland wurden im Schuljahr 2012/13 insgesamt 494.744 Schüler sonderpädagogisch unterrichtet. Dies fand laut Bertelsmann Stiftung (2014) entweder im Unterricht an speziellen Förderschulen (Exklusiv) oder an allgemeinbildenden Schulen, zusammen mit allen anderen Kindern (Inklusiv) statt. Innerhalb der Gruppe der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinbildenden Schulen finden wir neun Untergruppen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: KMK 2014
In Abbildung 5 wird deutlich, dass der Förderbedarf insgesamt deutschlandweit überwiegend konstant geblieben ist. Allerdings ist der Anteil der SchülerInnen mit einem Defizit im Bereich Lernen um 14 Prozent gesunken, dem gegenüber steht ein gestiegener Anteil im emotional-sozialen Bereich, der körperlichen und motorischen Entwicklung und der Sprache. Diese Erkenntnis wird zu einem späterem Zeitpunkt der Arbeit noch einmal aufgegriffen. Sie wird dann von Bedeutung sein, wenn es darum geht, sich innerhalb des Themenschwerpunktes auf einen Teil der SchülerInnen mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkt zu beschränken.
Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kommt es zu erheblichen Abweichungen in Bezug auf die Förderquote. Sie gibt den Anteil der Schüler mit Förderbedarf an allen Schülern im schulpflichtigen Alter unabhängig von ihrem Förderort an. Auch wenn die Zahlen in Mecklenburg Vorpommern im Vergleich zu den letzten Jahren rückläufig sind, liegen sie mit 10,1 Punkten deutlich über dem Bundesdurchschnitt (vgl. Abb.6).
Abbildung 6: KMK 2014
In der Zusammenfassung der Kennziffern wird deutlich, wie unterschiedlich die Entwicklung hin zu einem inklusiven Schulsystem in den einzelnen Bundesländern vorankommt (Bertelsmann Stiftung, 2014). Mecklenburg Vorpommern schafft es trotz seiner bundesweit höchsten Förderquote, den Anteil der inklusiv unterrichteten SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, innerhalb von fünf Jahren um 10 Prozent zu steigern. Das Bundesland liegt damit im vorderen Mittelfeld. Ebenfalls rückläufig sind die Zahlen beim Anteil der SchülerInnen mit Förderbedarf, welche separat in Förderschulen unterrichtet werden. Mit 6,9 Prozent liegt die Exklusionsquote trotzdem noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt (vgl. Abbildung 7).
Abbildung 7: KMK 2014
Zusammenfassend kann anhand des Datenreport der Bertelsmann Stiftung festgestellt werden, dass die Umsetzung der Inklusion im Schulsystem von Mecklenburg Vorpommern vorankommt. Jeder dritte Förderschüler besucht aktuell eine Regelschule. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Kinder, die in Förderschulen unterrichtet werden. Jörg Dräger aus dem Vorstand der Bertelsmann Stiftung ist der Meinung: „Mecklenburg-Vorpommern macht bei der Umsetzung der Inklusion Fortschritte, aber es bleibt noch viel zu tun“ (Bertelsmann Stiftung ,2014).
Die im Abschnitt 2.2. genannte Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen durch die Deutsche Bundesregierung, hat weitreichende Konsequenzen für alle Bundesländer. Sie sind dazu aufgerufen, ihre Bildungssysteme so zu gestalten, dass eine chancengleiche Teilhabe für Menschen mit Behinderung möglich ist. Als eine der ersten Maßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern konnte am 22. Mai 2012 das Papier „Schulfrieden“ auf den Weg gebracht werden. Es wurde von allen demokratischen Parteien des Landtages unterschrieben und soll sicherstellen, dass die vereinbarten Ziele parteiübergreifende Gültigkeit besitzen und über Legislaturperioden hinaus bestand haben (Ministerium für Bildung, Wissenschaft & Kultur, 2012). In der Vereinbarung heißt es unter anderem das...
die demokratischen Fraktionen eine einvernehmliche Beschlussfassung über das Konzept zur schrittweisen Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern anstreben
die unterzeichnenden Fraktionen, an der Umsetzung des Konzepts bis zum Jahr 2020 unabhängig vom Ausgang der nächsten Landtagswahl festhalten
Dieses Abkommen, welches unter den Parteien vereinbart wurde, verleiht den handelnden Akteuren die nötige Sicherheit, um langfristig an der Umsetzung der ehrgeizigen Ziele auf dem Weg zu einem inklusivem Bildungssystem zu arbeiten. Der Institution Schule werden damit verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen, mit denen sie kontinuierlich an der Umsetzung der durch die Expertenkommission (EPK) erarbeiteten und durch die Landesregierung erlassenen Gesetzte arbeiten können.
In einem weiteren Schritt hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommerns im Januar 2012 eine Expertenkommission, unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Katja Koch von der Universität Rostock, ins Leben gerufen. Die Kommission stellt ein parteiunabhängiges Gremium dar, dessen Zusammensetzung einen breiten Erfahrungsschatz in den einzelnen Bereichen des Bildungssystems einbringen soll.
Daher setzt sich der Ausschuss aus Schulleiterinnen und Schulleitern von Grundschulen, Förderschulen und Regionalen Schulen zusammen. Aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Universitäten, Vertreter des Städte- und Gemeindetages, des Landtages und Vertreter des vorschulischen Bereichs sind in ihm integriert. Bestreben dieser Zusammensetzung ist es, Vertreter aller an der Reform des Bildungssystems unmittelbar Beteiligten zu versammeln (Brodkorb & Koch, 2012).
Ziel war es bis zum Oktober 2012 eine Konzeption für die zukünftige Gestaltung und schrittweise Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020 zu erarbeiten. Die Konzeption liegt seit diesem Zeitpunkt öffentlich vor und muss nun die politischen Gremien passieren.
Anschließend möchte ich kurz auf die wichtigsten Empfehlungen der Kommission eingehen, um im späteren Verlauf meiner Arbeit darauf zurückzugreifen und Überlegungen in meine Ausführungen mit diesen zu untermauern.
In ihren Empfehlungen orientiert sich die Expertenkommission an einem weiten Inklusionsbegriff. Dieser wurde in Kapitel 2.3.4. näher erläutert und steht laut Kommission mit dem Ziel eines guten, d.h. fachlich anspruchsvollen und zugleich sozial befriedigenden demokratischen Bildungsbegriffs in Übereinstimmung (Ministerium für Bildung, Wissenschaft & Kultur Mecklenburg-Vorpommern, 2013). In diesem weniger radikalen Begriff, werden weder zentrale Leistungsstandards noch zertifizierte Abschlüsse in Frage gestellt. Vielmehr soll dafür Sorge getragen werden, dass die Individuen diesen Leistungsstandards auf jeweils individuellem Weg, mit Hilfe von spezifischen Fördermaßnahmen gerecht werden können. Da eine spezielle Beschulung nach Ansicht der Kommission keinen Sinn ergebe, wenn den Bedürfnissen von Kindern auch anderswo genauso gut entsprochen werden kann, müssen sich alle Schulformen der Inklusion behinderter Kinder und Jugendlicher öffnen (Brodkorb & Koch, 2012).
Die Frage, die sich bei der Darlegung der EPK stellt ist, in wie weit sich die zentralen Leistungsstandards den sich in Zukunft verändernden Klassenkollektiven anpassen werden. Da sich im Zuge der Inklusion das Klassengefüge zunehmend heterogener darstellen wird, müssten die Leistungsbemessungsgrenzen meiner Meinung nach individueller gestaltet werden. Da dies nach jetzigem Stand der Expertenkommission nicht vorgesehen ist, besteht eine weitere Möglichkeit in der Berücksichtigung der jeweiligen Beeinträchtigung der SchülerInnen mit Handicap. Dies gilt sicherlich für alle Unterrichtsfächer im allgemeinen, für dass Fach Sport, mit seinen überwiegend praktischen Elementen, aber im Besonderen. Zu dieser Annahme werde ich in einem späteren Kapitel...