Sie sind hier
E-Book

Inklusion und Gerechtigkeit

Das Recht behinderter Menschen auf Teilhabe

AutorFranziska Felder
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl319 Seiten
ISBN9783593412832
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Behinderte Menschen haben ein Recht auf Inklusion. Franziska Felder liefert dafür eine ethische Begründung, die der teilweise sehr emotional geführten Debatte eine rationalere Grundlage verleiht: Welche Ansprüche lassen sich auf der Grundlage moralischer Rechte legitimieren und welche müssen dem freiwilligen Verhalten von Menschen überlassen bleiben? Auch zeigt sich, dass die normative Bedeutung von Inklusion in der Ermöglichung und Absicherung von Freiheit, Anerkennung und Entwicklung liegt und dass Inklusion für das gute Leben von Menschen eine herausragende Bedeutung hat.

Franziska Felder, Dr. phil., ist Studienleiterin des Bereichs 'Gesellschaft und Behinderung' an der Paulus-Akademie Zürich und Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Die Frage nach einem moralischen Recht auf Inklusion für behinderte Menschen ist aus zwei Gründen interessant und bedeutsam. Erstens ist Inklusion ein Wert, auf den oft und in unterschiedlichen politischen und sozialen Zusammenhängen referiert wird (vgl. Buchanan 1993; Hillmert 2009; Wansing 2009; Wilson 2000; Young 1989). Auch beziehen bestimmte Disziplinen, beispielsweise die Sonderpädagogik oder die soziale Arbeit, einen Großteil der Legitimität ihres Handelns daraus, ob und wie sie die soziale Inklusion benachteiligter Menschen fördern. Inklusion ist ein Ziel professionellen Handelns in diesen Disziplinen, Professionen und Praxen. Damit ist Inklusion ein konzeptioneller Schlüsselbegriff, der sowohl in unterschiedlichen wissenschaftlichen, professionellen, praktischen und politischen Diskursen als auch im Alltagsleben von Menschen Anwendung findet.

Zweitens involvieren moralische Rechte besonders starke moralische Ansprüche. Denn Rechte implizieren Pflichten auf anderer Seite, sich in bestimmter Weise zu verhalten. Haben Menschen also ein Recht auf Inklusion, bestehen Pflichten auf Seiten anderer Menschen oder Institutionen. Damit sind die Pflichten, welche durch die Rechte ausgelöst werden, von besonderem Interesse. Kann nämlich ein moralisches Recht auf Inklusion aufgezeigt und mit Gründen unterlegt werden, haben die betreffenden Disziplinen und Praxen in ihrem anwaltschaftlichen Auftrag besondere Trümpfe in der Hand. Dasselbe gilt für die Betroffenen selbst. Inklusion ist so betrachtet nämlich keine Sache von Freiwilligkeit oder Wohltätigkeit mehr.

Die Frage nach einem Recht auf Inklusion mag einige Leserinnen und Leser, beispielsweise in der Sonderpädagogik, auf den ersten Blick verwirren, denn ihre positive Beantwortung wird in dieser und anderen Disziplinen gemeinhin vorausgesetzt. Die Frage, könnte man demnach schließen, ist eine rhetorische und zudem eine gefährliche, da sie das Recht auf Inklusion vorgängig in Frage stellt.

Ich möchte im Folgenden allerdings zeigen, dass diese Einschätzung vorschnell wäre. Denn im Zentrum meines Interesses steht nicht nur die generelle Frage nach einem Recht auf Inklusion, sondern auch die folgenden Anschlussfragen: Wenn ja, worauf genau? Wie sieht ein solches Recht aus? Ist ein Recht auf Inklusion ein spezielles Recht, das nur bestimmten Menschen zukommt, nämlich solchen, von denen man sagt, sie hätten eine Behinderung? Kommt ihnen dies gegebenenfalls als Gruppe zu? Oder ist es ein allgemeines Recht, das allen Menschen zukommt? Hat ein Recht auf Inklusion, wenn es das denn gibt, Grenzen, und falls ja, wie lassen sich diese begründen? Was bedeuten die Pflichten, die mit Rechten korrespondieren? Wer muss diese Pflichten tragen, einzelne Individuen oder Gruppen? Was ist der genaue Inhalt dieser Pflichten? Kann darüber hinaus etwas über Forderungen nach Inklusion aus ethisch-normativer Sicht gesagt werden? Und schließlich: Gibt es neben einem Recht auf Inklusion auch andere moralische Kategorien, mit denen Forderungen untermauert werden könnten, beispielsweise Tugenden der Inklusion?

Zwei offene Fragen: Die Konzepte Behinderung und Inklusion

Einige der oben genannten Anschlussfragen verweisen auf die Konzepte von Behinderung und Inklusion, die es zu klären gilt. Die Frage nach einem Recht behinderter Menschen auf Inklusion weist somit jenseits der Klärung der Struktur, der Funktion und der Inhalte moralischer Rechte auf zwei weitere offene Fragen hin: Erstens, was versteht man im vorliegenden Zusammenhang unter einer Behinderung? Zweitens, was bedeutet Inklusion respektive wie sind die Struktur und die normative Relevanz von Inklusion zu sehen? Was, mit anderen Worten, bedeutet es, inkludiert zu sein und warum ist dies wichtig für das Leben von Menschen?

Stellt man die Frage nach einem Recht behinderter Menschen auf Inklusion, weist dies erstens darauf hin, dass in der Behinderung offensichtlich mangelnde oder gescheiterte Inklusion verborgen liegt. Behinderung ist, mit anderen Worten, ein Problem oder eine Herausforderung für die Inklusion der betroffenen Menschen. Was auf den ersten Blick tautologisch wirkt, weist letztlich darauf hin, dass Inklusion und Behinderung in der vorliegenden Arbeit in einem wechselseitigen Begründungsverhältnis stehen. Was nämlich genau als Problem oder als Herausforderung für die betroffenen Menschen gesehen wird, zeigt sich erst vor dem Hintergrund eines bestimmten Verständnisses von Behinderung. Behinderung und Inklusion verweisen also in der Hauptfrage der Arbeit wechselseitig aufeinander, und zwar nicht hinsichtlich der Konzepte selbst - die Struktur und Bedeutung von Inklu­sion erschließen sich auch ohne Bezug zu Behinderung - sondern hinsichtlich der Interpretation der lebensweltlichen Problematik und im Zuge dessen auch in der Beurteilung derselben durch Disziplinen wie der Sonderpädagogik oder der sozialen Arbeit.

Um zu verdeutlichen, was ich damit meine, kann man sich folgende mögliche Interpretation der Problematik von Behinderung und Inklusion vor Augen führen: Setzt man eine Behinderung mit einer intrinsisch bedingten Schädigung der Körperfunktionen und -strukturen gleich, ist es naheliegend, die Ursachen für mangelnde oder fehlende Inklusion in abwesenden individuell-intrinsischen Faktoren - beispielsweise Intelligenz oder Körperstärke - zu sehen. Versteht man unter Inklusion weiter eine aktive Partizipation in einem bestehenden Kontext, beispielsweise einer Schulklasse, würde Unterstützung und Hilfe vordringlich daran anschließen, die Betroffenen für ihre Inklusion ?fit? zu machen. Fehlende Ressourcen oder inadäquate Strukturen werden aber nicht prominent thematisiert, sondern tauchen, wenn überhaupt, höchstens am Rande auf.

Dieses Beispiel zeigt, dass es notwendig ist, die beiden Konzepte Behinderung und Inklusion zu klären, bevor man dazu übergehen kann, die Frage nach einem moralischen Recht auf Inklusion für behinderte Menschen zu beantworten. Die Erarbeitung eines Konzepts von Behinderung, insbesondere der normativen Relevanz von Behinderung, sowie der Struktur und normativen Bedeutung von Inklusion wird dementsprechend in der Arbeit viel Raum einnehmen und die Grundlage zur Beantwortung der eigentlichen Hauptfrage liefern.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort10
1.Einleitung12
1.1 Fünf Beispiele12
1.2 Die Bedeutung der Frage nach einem moralischen Recht auf Inklusion16
1.3 Die Notwendigkeit des Erbringens einer Begründungsleistung für Inklusion18
1.4 Der Aufbau der Arbeit24
Teil I: Grundlagen28
Einleitung30
2. Begriff, Struktur und Funktion von Rechten32
2.1 Der Begriff und die Funktion von Rechten35
2.1.1 Freiheiten, Kompetenzen, Immunitäten und Ansprüche37
2.1.2 Positive und negative Rechte39
2.1.3 Rechtsobjekt, Rechtssubjekt, Rechtsgegenstand40
2.1.4 Das Verhältnis von Rechten und Pflichten42
2.2 Die Begründung von Rechten43
2.2.1 Willenstheorie44
2.2.2 Interessentheorie48
2.3 Zwei Ebenen von Interessen52
2.3.1 Bedürfnisse52
2.3.2 Pläne und Ziele54
2.4 Fazit57
3. Behinderungsmodelle60
3.1 Das medizinische Modell von Behinderung64
3.2 Das soziale Modell von Behinderung70
3.3 Das Wohlbefindensmodell von Behinderung von Kahane und Savulescu76
3.4 Das Wohlergehensmodell von Behinderung82
3.5 Fazit84
4. Mögliche Antworten auf die Frage nach dem guten Leben86
4.1 Hedonistische Theorien87
4.2 Wunschtheorien90
4.3 Objektive Theorien93
4.4 Der Capability-Ansatz von Amartya Sen und Martha Nussbaum96
4.4.1 Verwirklichungschancen und Funktionen97
4.4.2 Die Schwierigkeiten des Capability-Ansatzes100
4.4.3 Ein modifizierter Capability-Ansatz107
4.5 Fazit112
Teil II: Inklusion116
Einleitung118
5. Die Struktur von Inklusion130
5.1 Gemeinschaftliche versus gesellschaftliche Inklusion136
5.2 Gemeinschaftliche Inklusion141
5.2.1 Partizipative versus exklusive Grundstrukturen von Gemeinschaften146
5.2.2 Gemeinschaftliche Inklusion und die Bedeutung von Intentionalität153
5.2.3 Passive Partizipation als Form von Inklusion159
5.3 Gesellschaftliche Inklusion164
5.3.1 Inklusion in den Sozialstaat169
5.3.2 Inklusion in den politischen Bereich172
5.4 Fazit181
6. Die normative Relevanz von Inklusion184
6.1 Die Bedeutung sozialer Intentionalität für Inklusion191
6.2 Die Bedeutung von Anerkennung für Inklusion196
6.3 Die Bedeutung von Freiheit für Inklusion208
6.4 Freiheit, Entwicklung, Anerkennung und Inklusion216
6.5 Fazit222
7. Das Recht auf Inklusion224
7.1 Soziale Ungleichheit und strukturelle Benachteiligung229
7.2 Der Staat als moralischer Agent239
7.3 Das Interesse an Nicht-Exklusion und an Inklusion244
7.3.1 Das Recht auf Nicht-Diskriminierung245
7.3.2 Das Recht auf die Ermöglichungsbedingungen von Inklusion255
7.3.3 Die Inhalte des Rechts auf die Ermöglichungsbedingungen von Inklusion259
7.4 Ein – vorerst ernüchterndes – Fazit263
7.5 Inklusionstugenden264
7.6 Die Utopie einer guten Gesellschaft267
7.7 Fazit268
Teil III: Anwendung274
Einleitung276
8.Inklusion und Sonderpädagogik278
8.1 Die Aufgaben von Disziplin, Profession und Praxis in Hinblick auf Inklusion278
8.2 Die Grenzen des Inklusionsauftrags in der Sonderpädagogik289
8.3 Die Herausforderungen sonderpädagogischen Handelns und Wissens294
8.4 Fazit299
9. Fazit und Ausblick301
Literatur305

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft. Für jeden, der sich gründlich und aktuell informieren will. Zu allen Fragen rund um die Immobilie. Mit ...

dima

dima

Bau und Einsatz von Werkzeugmaschinen für spangebende und spanlose sowie abtragende und umformende Fertigungsverfahren. dima - die maschine - bietet als Fachzeitschrift die Kommunikationsplattform ...

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS

Eishockey NEWS bringt alles über die DEL, die DEL2, die Oberliga sowie die Regionalligen und Informationen über die NHL. Dazu ausführliche Statistiken, Hintergrundberichte, Personalities ...

Euphorion

Euphorion

EUPHORION wurde 1894 gegründet und widmet sich als „Zeitschrift für Literaturgeschichte“ dem gesamten Fachgebiet der deutschen Philologie. Mindestens ein Heft pro Jahrgang ist für die ...