Diese Kapitel beschäftigt sich zunächst mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und der Ausgestaltung der Bereitschaftspflege. Einen Schwerpunkt bildet die Erläuterung der Aufgaben und Anforderungen diese Hilfesystems, die dem Leser einen Einblick in die Komplexität dieses Berufsfeldes geben soll. Weiterhin werden die fachliche Begleitung, die Situation der einzelnen Familienmitglieder wie auch die Besuchskontakte mit den Herkunftseltern kurz beschrieben. Das Kapitel schließt mit einer Darstellung der Problematiken, die sich aus sehr langen Bereitschaftszeiten für alle beteiligten Personen ergeben.
Im Folgenden orientiere ich mich an den Ausführungen von Reinhard Wiesner (in Lillig 2002, 59 ff):
Da sich die Familiäre Bereitschaftsbetreuung aus der Praxis der 80er Jahre entwickelte, das SBG VIII, dessen Grundlagen aus den 70er und 80er Jahren stammen, zu dem Zeitpunkt der Manifestation dieser Hilfe aber schon verabschiedet war, findet sich keine direkte Rechtslage zur Familiären Bereitschaftspflege im SGBVIII.
Ursprünglich war die familiäre Bereitschaftspflege als eine alternative Unterbringungsform zur institutionellen Unterbringung nach einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII auf der Grundlage einer akuten Kindeswohlgefährdung nach § 1666 Abs. 1 BGB gedacht. Sie galt als erste Alternative zur in den 80ern noch üblichen Notunterbringung in Heimen.
Sie hat sich aber durch ihre tatsächliche Ausgestaltung zu zwei Varianten der Bereitschaftsbetreuung entwickelt. Einerseits kann sie als Bereitschaftsbetreuung einer Inobhutnahme bei geeigneten Personen fungieren, andererseits kann sie auch als vorläufige Hilfegewährung in Form von Vollzeitpflege dienen. Dabei bewegt sie sich rechtlich gesehen zwischen den Paragraphen der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff SGBVIII und der Inobhutnahme nach § 42 SGBVIII. Da erstere zu den sogenannten Leistungen der Jugendhilfe (§ 2 Abs.2 SGBVIII) und zweitere zu den sog. anderen Aufgaben (§2 Abs.3 SGBVIII) zählt, befindet sie sich sozusagen im Schnittpunkt zweier unterschiedlicher Aufgabenkategorien.
Sie kann nicht eindeutig der einen oder anderen Hilfekategorie zugeordnet werden, da sie sowohl Fälle umfasst, in denen die Eltern einer Fremdunterbringung nicht zustimmen, sowie auch Fälle, in denen die Eltern mit einer vorübergehenden Unterbringung des Kindes einverstanden sind.
Grundsätzlich bestehen zwischen der Hilfe zur Erziehung und der Inobhutnahme erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Rechtsgrundlage, die Ausgangssituationen der Maßnahmen wie auch in Bezug auf die Sorgerechtsregelungen. Ebenso unterscheiden sich Ziele und zeitliche Strukturen der Maßnahmen erheblich von einander.
Betonen muss man aber, dass die vorläufige Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer anderen Familie sehr oft auf der Grundlage der akuten Kindeswohlgefährdung basiert, dass heißt aufgrund von extremer Kindesvernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch.
Erfolgt die Unterbringung mit Zustimmung der Sorgeberechtigten, kann man von einer „vorläufigen Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege“ sprechen (Wiesner 2002, 61), wenn sie aufgrund der Eile in dieser Art von Maßnahme schon vor einer Erstellung eines Hilfeplans begonnen werden muss.
Das Einverständnis der Sorgeberechtigten sollte aber immer unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden. So geschieht diese Entscheidung meist unter einem allgemein hohen Druck aufgrund der Konfliktlagen. Zusätzlich haben die Sorgeberechtigten oft Kenntnis über den sonst drohenden Sorgerechtsentzug. Auch der Zeitdruck sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden. Man kann also von einer mehr oder weniger eingeschränkten Freiwilligkeit in diesen Fällen sprechen. Die Bereitschaft, an den Hilfemaßnahmen mitzuwirken, kann von der aktiven Teilhabe bis zur passiven Duldung reichen.
Da die Familiäre Bereitschaftsbetreuung aber nirgendwo eindeutig zuzuordnen ist, kann sie im Schnittfeld von Leistung und anderen Aufgaben i. S. des § 2 SGBVIII „Aufgaben der Jugendhilfe“ angesiedelt werden.
Laut Lillig gilt die Bereitschaftspflege als „ein familiäres Angebot der Krisenintervention und dient vor allem dem Schutz und der Abklärung des Hilfebedarfs für Kinder und Jugendliche in drohenden oder akuten Gefährdungssituationen und ist somit zeitlich bis zur Entscheidung für eine Reintegration in die Herkunftsfamilie oder eine Überleitung in eine geeignete Folgehilfe begrenzt.“ (Lillig 2002, 12 ).
Die Bereitschaftspflege gilt somit als Sonderform der Familienhilfe und Form der sozialpädagogischen Krisenintervention. Unter dem Begriff „Krise“ versteht man im sozialen Berufsfeld „üblicherweise eine akute, temporäre, für die Akteure problematisch-belastende, mitunter zugespitzte Situation, ein sog. kritisches Lebensereignis (critical life event) [...], die mit ihren herkömmlichen Problembewältigungsmustern anscheinend nicht gelöst werden kann.“ (Trenczek2008, 1).
„Als Krisenintervention bezeichnet man ungeachtet disziplinärer Besonderheiten alle Aktionen des Betroffenen sowie seiner (nicht zwingend) professionellen Berater und anderer Personen die ihm bei der Bewältigung der aktuellen Situation (Krisenanlass) helfen, die immanenten Folgen der Krise zu verhüten oder zu lindern. Im engeren Sinne geht es um die schnelle und kurzfristige Intervention in der akuten Krise zu deren Deeskalation und Sicherstellung vitaler Grundbedürfnisse, an die sich ein darüber hinausgehender Bearbeitungs- und Hilfeprozess anschließen kann“ (ebd., 20).
In der sozialpädagogischen Krisenintervention gibt es dabei sehr unterschiedliche Konzepte und Handlungsmethoden. Sie orientiert sich dabei an den individuellen Lebenslagen und - bedingungen der Kinder bzw. Jugendlichen und Familien und ist immer wieder neu auszurichten. Es gibt also kein einheitliches Konzept, sondern nur Orientierungspunkte.
Auch die Bereitschaftspflege weist durch die jeweils unterschiedlichen Bedarfslagen und Strukturen der Jugendhilfe im Bundesgebiet ein großes Spektrum an verschiedenen Konzepten auf (vgl. Dittrich, 1996, 138).
Nachdem viele Städte zunächst „Laien“- Pflegestellen einrichteten, kristallisierte sich nach und nach die „Professionelle Bereitschaftspflege“ als geeignetere Pflegeform heraus, da es in ersteren oft zu Abbrüchen oder Überforderungen kam.
Unter „Professioneller Bereitschaftspflege“ versteht man den Einsatz von Pflegekräften mit einer fachspezifischen Ausbildung.
„Die Fach- und Sachkenntnisse aus einem pädagogischen Arbeitsfeld können dabei erleichternde Hilfen für die professionelle Pflegeperson sein.“ (Kühn, 1996, 8, nach Dittrich, 1996, 140).
Die fachspezifische Ausbildung soll dabei helfen, einen objektiven Blick auf die spezifischen Bereitschaftserlebnisse zu bewahren und die teils enormen Belastungen durch eine fachliche Perspektive besser zu verarbeiten.
Durch die hohen Anforderungen der Bereitschaftspflege (siehe Punkt 3.3) sehen viele Städte die Professionalität der Betreuungskräfte als eine Voraussetzung für Bereitschaftsbetreuung an (siehe München: Blüml,1997, 58, Nürnberg: Kühn, 1996, 13).
Dazu ein Auszug aus dem Beschluss des Stadtrates von München vom 26.11.1992:
„Die wesentlichen Bausteine [...] sind eine kontinuierliche, sozialpädagogisch qualifizierte Betreuung der Säuglinge und Kleinkinder (bis zu fünf Jahren) in Familien [...]. Der Rund- um-die-Uhr-Einsatz der Bereitschaftspflegepersonen fordert deren physische und psychische Stabilität und eine tragfähige Partnerbeziehung. Die psychosoziale Entwicklung der eigenen Kinder darf durch die Bereitschaftspflegetätigkeit nicht beeinträchtigt werden.“ (StJA München, 1993, 3 in Kühn 1996, 13).
Dittrich kritisiert hierbei jedoch, dass eine sozialpädagogische Ausbildung allein nicht zur Bereitschaftspflege ausreicht und fordert eine spezifisch auf diese Arbeit ausgelegte Schulung:
„Die Fach- und Sachkenntnisse aus einem pädagogischen Arbeitsfeld sind erleichternde Starthilfen in der Arbeit als professionelle Pflegeperson - mehr nicht. Bereitschaftspflegestellen müssen von den Trägern, die sie haben wollen, vorbereitet und qualifiziert werden.“ (Dittrich 1996, 140).
Sie merkt jedoch an, dass dazu in den Städten und Gemeinden vielerorts wenig finanzielle Mittel zu Verfügung stehen.
Es gibt jedoch auch Städte und Gemeinden, die weiterhin mit „Laien“- Pflegestellen zusammenarbeiten (Kühn, 1996, 15-16).
Eine Auswertung des vom...