Entwerfen und Entwickeln als Prozess zu beschreiben, stellt uns vor große theoretische und praktische Probleme. Denn allzu oft handelt es sich um eine Suche, bei der wir gar nicht wissen, wonach wir Ausschau halten. Wie organisiert man aber die Suche nach und die Entwicklung von etwas, das man nicht kennt?[1] Es ist eine Tatsache, dass wir in einer wissensbasierten Ökonomie und Gesellschaft leben, was bedeutet, dass die Qualifikationsanforderungen und der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften, die über den neuesten Kenntnisstand verfügen, kontinuierlich wachsen. Es ist auch eine Tatsache, dass sich Bildungssysteme weltweit in einer Krisis befinden, da sie diesen Qualifikationsanforderungen nicht gerecht werden. Das ist ein Problem! Eine eindeutige Lösung für dieses Problem ist leider noch nicht gegeben.
Die These, die in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, ist, dass um das aktuelle Bildungssystem eines Landes zu optimieren und an die Anforderungen der aktuellen gesellschaftlichen Ansprüche anzupassen, ist es nicht unbedingt notwendig das bestehende System von Grund auf zu verändern. Basierend auf der 4. Regel der Biokybernetik, die besagt: Nutze die vorhandenen Kräfte nach dem Jiu-Jitsu-Prinzip statt Bekämpfung nach der Boxer-Methode[2], wäre es notwendig die Gegebenheiten und die Gewordenheiten des bestehenden Systems bzw. einer seiner Teilsysteme genau zu erforschen. Die entdeckten Potenziale und Lücken könnte man dann nutzen um neue, aber immer noch in das bestehende System integrierte Bildungsangebote zu konzipieren. Gelingt es auf diese Art und Weise sinnvolle und innovative Angebote zu etablieren, ist es nur eine Frage der Zeit, dass diese neuen Strukturen die Alten auf einer „natürlichen Weise" verdrängen bzw. ablösen. Solche Strategie bietet die Möglichkeit lokal relativ kurzfristig Veränderungen zu schaffen und langfristig globale Auswirkungen zu erzielen.
Basierend auf der oben formulierten These ist die Aufgabe, die in der vorliegenden Forschungsarbeit bearbeitet wird, eine doppelte:
1. nach übergreifenden theoretischen und anwendungsorientierten Kategorien zu suchen, die für die Erschließung bzw. Diagnose sowie Um- bzw. Neugestaltung eines bestehenden Bildungssystems und seinerTeilsysteme erforderlich und sinnvoll sind ;
2. die Möglichkeiten einer solchen Erschließung mittels eines konkreten Anwendungsbeispiels aufzuzeigen und zu konkretisieren.
Dabei geht es vor allem darum, die vielfache Abhängigkeit eines solchen Vorhabens (Konzeption von Bildungsangeboten) von unterschiedlichen Faktoren des Bildungssystems sowie der anderen gesellschaftlichen Systeme aufzuzeigen und einen Weg zu entwickeln und vorzuschlagen, der den dafür Verantwortlichen[3] hilft diese systemischen Zusammenhänge und
Abhängigkeiten wahrzunehmen und einzubeziehen.
Für die Bearbeitung dieser durchaus komplexen Aufgabe wird das System der wissenschaftlichen Weiterbildung in Deutschland mittels des systemanalytischen Werkzeugs („9-Felder- Modell") von Girmes beispielhaft erschlossen und anschließend die Entwicklung eines integrativen berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums auf dem Hochschulniveau konzeptionell erstellt.
Das übergreifende Ziel dieses Vorhabens besteht darin, das beispielhaft vorgeschlagene Weiterbildungskonzept, das basierend auf der durchgeführten Systemerschließung entstanden ist, zu einem nachhaltigen theoretischen Modellkonzept bzw. zu einer Strategie zu entwickeln, die eine systemische Konzeption von Bildungsangeboten in allen denkbaren Bildungsbereichen unterstützen soll und die :
Kernbestandteile eines Konzepts definiert,
eine Art Gerüst anbietet, das an das jeweilige Bildungsbereich angepasst und angebotsspezifisch ergänzt werden muss,
als Anregung und als Instrument für die Bildungseinrichtungen dient, die neue Bildungskonzepte entwickeln und implementieren möchten, sowie
Rücksicht nimmt auf:
> bildungspolitische Entwicklungen im Rahmen der Europäisierung und Internationalisierung des Bildungsraumes,
> länderspezifische Anforderungen und Rahmenbedingungen durch die Bildungsgesetzgebungen,
> Bedingungen und Entwicklungsziele der eigenen Bildungseinrichtung.
Als Instrument für die vorgenommene Felderschließung wurde das von Prof. Girmes entwickelte systemanalytische Werkzeug - das„9-Felder-Modell" - gewählt.
Es gibt zwei Methoden, die für eine systemische Erschließung der Welt genutzt werden können: Induktive und deduktive Methode. Werden die Erfahrungen des Einzelnen als Ausgangspunkt genommen und die Gesetzmäßigkeiten durch Beobachtung, Vergleich und Generalisierung erschlossen, spricht man von der induktiven Methode der Welterschließung. Wird eine Regel, ein Gesetz oder eine Definition als Ausgangspunkt genommen und wird daraus vom Allgemeinen auf das Einzelne erschlossen, spricht man von der Bestätigung des Gesetzhaften am Einzelnen und somit von der deduktiven Methode der Welterschließung. Wenn es sich um ein bestehendes System mit Unmengen Gesetzmäßigkeiten, die in diesem System wirksam sind, handelt, wäre die induktive Methode wahrscheinlich diejenige, die der Systemerschließung am besten dienen kann. Dabei gelten folgende basalen Grundlagen:
Jedes System ist immer ein Teil des Ganzen;
Jedes System beinhaltet eine Reihe Handlungsfelder;
In jedem Handlungsfeld agieren Akteure bzw. Aktanten;
Alle Akteure/ Aktanten führen bestimmte Tätigkeiten aus;
Die Tätigkeiten werden unter der Berücksichtigung der im System herrschenden Regeln (Programme) ausgeführt;
Alle Tätigkeiten sind zielgerichtet;
Jedes Ziel bzw. Setzung schließt auf eine bestimmte Voraussetzung an;
Es gibt immer eine Spannung zwischen Voraussetzungen und Setzungen;
Um die Spannung zwischen Setzungen und Voraussetzungen zu verringern muss eine Reihe Aufgaben erfüllt werden;
Damit die Aufgaben in die Tätigkeiten umgesetzt werden, bedarf es unterschiedlicher Ressourcen, z. B. Wissensbestände, Werkzeuge, Materialien usw.
Diese Grundlagen bilden die Basis für das von Prof. Girmes entwickelte „9-Felder-Modell" (odysseys end®)[4], das der systemischen Erschließung eines Bildungssystems in dieser Arbeit dienen soll.
Bei diesem Instrument handelt es sich um einen Versuch, die „Welt" mit Hilfe der ausformulierten Topoi zu kartieren und systematisch sowie systemisch zu erfassen. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass jedes menschliche Handeln immer in einem Handlungsfeld stattfindet, das in einem systemischen Rahmen eingebettet ist und von Akteuren bzw. Aktanten vollzogen wird. Daraus entstanden die drei zentralen Felder des Modells (siehe Abb. 1): Handlungsfeld (Setting), Programm (System) und Kompetenz der handelnden Akteure bzw. Aktanten. Jedes dieser Felder wird weitgehend dimensioniert und beinhaltet folgende 6 Dimensionen: Voraussetzungen, Setzungen, Repertoire an Werkzeugen und Wissensbeständen, Wirklichkeitskonzept bzw. Handlungsfeld, Aufgaben und Tätigkeiten. Diese Dimensionen nehmen ihrerseits Rücksicht auf die Voraussetzungen bzw. Bedingungen und orientieren sich auf die Ziele bzw. Setzungen im jeweiligen Feld. Durch derartige Dimensionierung kann die Wirklichkeit ganzheitlich (re)konstruiert werden. Folgende Abbildung bietet eine schematische Übersicht des beschriebenen Instruments:
Abb 1 9-Felder-Modell („Lernwelten")[5]
Die Erschließung des gesamten „Geländes" kann von jedem beliebigen Ausgangsfeld angefangen werden. Dabei kann der Forscher entscheiden, welches Feld mit damit verbundenen vier Referenzfeldern in der „Mitte" seiner Betrachtung steht.
Verglichen mit anderen Werkzeugen dieser Art, wie zum Beispiel dem „Sensitivitätsmodell"[6] nach Vester, bietet dieses Werkzeug die Möglichkeit komplexe Systemwelten auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig zu erschließen und basierend auf den Ergebnissen dieser Erschließung innovative Lösungsstrategien zu erarbeiten.
Zur Gewinnung der Daten- und Informationsgrundlage wurde eine Kombination unterschiedlicher Forschungs- und Erhebungsmethoden angewandt. Sekundärdatenanalyse/Literaturauswertung
Insbesondere für die Analyseschwerpunkte auf Systemebene wurde auf bereits vorliegende Untersuchungen und Studien zurückgegriffen. Diese wurden im Rahmen von Internet- und Literaturrecherchen gesichtet...