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Iran: Der falsche Krieg

Wie der Westen seine Zukunft verspielt

AutorMichael Lüders
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl175 Seiten
ISBN9783406640278
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,49 EUR

Es scheint alles so klar und einfach zu sein: Auf keinen Fall dürfen die fanatischen Mullahs in Teheran in den Besitz der Atombombe gelangen. Lenken sie nicht ein, müssen sie eben die Konsequenzen tragen. Bis hin zum Krieg. Welche Beweise aber gibt es, dass der Iran tatsächlich nach Atomwaffen strebt? Und geht es in diesem Konflikt allein um die Bombe?
2003 führten die USA ihre "Koalition der Willigen" in einen Krieg mit dem Irak. Doch von den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins fehlt bis heute jede Spur. 2012 droht ein Angriff auf den Iran - aus ähnlichen Gründen. Läuft der Westen Gefahr, innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal den falschen Krieg zu führen? Michael Lüders erklärt, warum Teheran im Fadenkreuz liegt und stellt scheinbare Gewissheiten infrage. Dabei erzählt er die Geschichte Irans seit dem Sturz von Premier Mossadegh durch einen britisch-amerikanischen Putsch 1953. Er zeichnet ein lebendiges Bild der Islamischen Republik und beschreibt die machtpolitischen Verhältnisse zwischen Mittelmeer und Indien. Das Buch zeigt, wie gefährlich ein Angriff auf den Iran wäre. Er würde nicht allein die Hardliner um Präsident Ahmadinedschad stärken und die Opposition schwächen. Sondern auch, so die These, die gesamte Region in Brand setzen und wie ein Bumerang auf den Westen zurückschlagen. Ein mutiges Plädoyer gegen einen Krieg, der dieses Jahrhundert prägen könnte wie der Erste Weltkrieg das vorige.



Michael Lüders, Autor und Berater, war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit seinen anschaulichen Erklärungen über die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten ist er bei allen großen Fernseh- und Radiostationen im deutschsprachigen Raum ein häufiger Gast.

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Leseprobe

Der Iran: Eine Innenansicht der Macht


Der Atomstreit ist der letzte Höhepunkt einer langen, wechselseitigen Feindschaft zwischen der Islamischen Republik und dem Westen, namentlich Großbritannien und den USA, die zurückgeht auf den Staatsstreich gegen Ministerpräsident Mohammed Mossadegh im Jahr 1953. Dieser Putsch prägt die iranische Geschichte bis in die Gegenwart und hat eine traumatische Spur im Nationalbewusstsein vieler Iraner hinterlassen. Wie so häufig in der Region ging es dabei um Erdöl und Geopolitik. Der Iran ist heute der viertgrößte Erdöl- und Erdgasproduzent der Welt. Großbritannien hatte sich seit 1901 die Rechte an der Erdölexploration sichern lassen und damit ein Vermögen gemacht: Für jedes Pfund Sterling, das der Iran für die Ölförderung erhielt, verdiente die britische Anglo-Iranian Oil Company acht Pfund. Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte eine Gruppe von Parlamentariern, die Ölverträge mit Großbritannien neu auszuhandeln. Ihr Wortführer war der Rechtsanwalt Mohammed Mossadegh, der die «Nationale Front» gründete. Mit dem Ziel die ausländischen Einflüsse in Politik und Wirtschaft zurückzudrängen und im Inland die Autokratie der Schah-Dynastie zu bekämpfen. Bei den Parlamentswahlen 1950 wurde die «Nationale Front» mit ihrer Forderung nach Verstaatlichung der Ölindustrie stärkste Partei. Daraufhin verhängten die Briten ein Ölembargo, das landesweite Massenproteste und Streiks auslöste.

Als Mossadegh im März 1951 Premierminister wurde, entbrannte in Großbritannien und den USA eine wahre Propagandaschlacht. «Die Medien bezeichneten Mossadegh als wutschäumenden ‹Extremisten› oder einfach als ‹Irren›. Britische Politiker und ihre iranischen Verbündeten verbreiteten das Gerücht, er wolle den Schah absetzen, um den Iran der Sowjetunion auszuliefern. Die amerikanische Regierung, die keine unmittelbaren Interessen am iranischen Öl hatte und von der bröckelnden Position Großbritanniens zu profitieren hoffte, schlug anfangs einen vorsichtigen Kurs gegenüber Mossadegh ein, fügte sich jedoch 1953 der harten Linie Großbritanniens, die Regierung Mossadegh durch einen Putsch zu stürzen. Dass in jenem Jahr der Republikaner Eisenhower den Demokraten Truman im Amt des Präsidenten ablöste, spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle», schreibt der Publizist Peyman Jafari in seinem Buch «Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart» (München 2010).

Kaum ein Historiker bezweifelt, dass die Wurzeln der iranischen Revolution von 1979 hier liegen: im Sturz Mossadeghs durch die CIA und den britischen Auslandsgeheimdienst MI 6. Die von vielen Brüchen und Widersprüchen geprägte Geschichte des modernen Iran wurde durch diesen Putsch «bereinigt» zugunsten der Diktatur des Schahs, die jede evolutionäre politische Entwicklung in Richtung Demokratie gewaltsam unterband. Bis sich die sozialen und gesellschaftlichen Spannungen in einer Explosion entluden, angeführt von Ayatollah Chomeini. Anders gesagt: Die Revolution von 1979 war die zeitlich verzögerte Antwort auf den Putsch von 1953.

Die Freunde des Schahs

Der Schah machte aus dem Iran einen Militärstützpunkt der USA an der Südgrenze der Sowjetunion und entwickelte gute Beziehungen zu Israel. Der Iran wurde neben dem jüdischen Staat zum wichtigsten Stützpfeiler der Hegemonie Washingtons im Nahen und Mittleren Osten. Nach dem Putsch teilten sich US-amerikanische und britische Konsortien die Erdöllizenzen. Der Iran erhielt 50 Prozent der Einnahmen, deutlich mehr als zuvor, und somit das Kapital für die vom Schah forcierte Industrialisierung und Modernisierung des Landes «von oben». Mit dem Bau von Straßen und Eisenbahnlinien schuf er eine moderne Infrastruktur, die Basis für sein ehrgeiziges Industrialisierungsprogramm. Gleichzeitig entstand ein autoritärer Staat, der alle Macht in den Händen des Schahs vereinte: mit Hilfe des Sicherheitsapparates, einer mehr oder weniger effizienten Bürokratie, die vor allem dazu diente Steuern einzutreiben, und ergebenen Günstlingen.

Als Gegenleistung für seine Loyalität zum Westen erhielt der Schah umfangreiche Finanz- und Wirtschaftshilfen der USA. CIA und Mossad halfen ihm beim Aufbau der Armee und des berüchtigten Geheimdienstes SAVAK, der ähnlich wie die Stasi über Tausende festangestellte Mitarbeiter verfügte sowie ein Heer an Informanten. Wer die gegebenen Verhältnisse kritisierte oder sich als Oppositioneller zu erkennen gab, allen voran Journalisten oder Intellektuelle, wurde verhaftet und meist gefoltert. Peyman Jafari: «Um den Schein von Demokratie zu wahren, rief er zwei Parteien ins Leben, die sich kaum voneinander unterschieden, außer dass die eine die Regierung bildete und die andere die Opposition.»

Neben ihrer Brutalität litt die Legitimität der Schah-Herrschaft unter der großen Nähe zu den USA, welche die Diktatur vorbehaltlos unterstützten. Mitte der 1970er Jahre lebten 60.000 US-Berater im Iran. Sie genossen Immunität vor der iranischen Gerichtsbarkeit und zahlreiche Privilegien, wie heute ihre Nachfolger im Irak. Viele Iraner, obgleich nicht anti-amerikanisch eingestellt, hatten das Gefühl, nicht ihre politische Führung, sondern die Amerikaner bestimmten die Geschicke des Landes. Wie die große Mehrheit der Dritte-Welt-Staaten erlebte auch der Iran Moderne und Modernität in Form eines militarisierten Imperialismus, dessen vermeintliche Segnungen nur einer kleinen Elite zugute kamen. Ebenfalls Mitte der 1970er Jahre konzentrierte sich die wirtschaftliche Macht in den Händen von weniger als 50 Familien, die eine enge Beziehung zum Schah-Regime unterhielten und zusammen 85 Prozent der größten Unternehmen besaßen. Unter Reza Schah Pahlevi, der von 1941 bis 1979 regierte, von 1953 an als Alleinherrscher, wuchs die Macht des Zentralstaates, auf Kosten allerdings der traditonellen Stützpfeiler der iranischen Monarchie: der Stämme und der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig entstanden als Folge der Industrialisierung und Modernisierung neue soziale und gesellschaftliche Bewegungen, die nicht mehr in die alte Ordnung passten. Organisierten sich die politischen Gegenkräfte in den 1950er Jahren noch entlang der beiden großen säkularen Ideologien, die nicht allein den Iran, sondern den gesamten Nahen und Mittleren Osten prägten, nämlich Nationalismus und Kommunismus, kam in den 1960er Jahren der politische Islam hinzu. Unter ihrem charismatischen Führer Ayatollah Chomeini wurden die Islamisten bald schon zur stärksten oppositionellen Strömung. Sie füllten das entstandene Vakuum: Die nationalistischen und kommunistischen Kräfte, die Mossadegh unterstützt hatten, wurden unter dem Schah brutal verfolgt und verloren ihren Einfluss.

Den Islamisten kam zugute, dass die traditionelle Mittelschicht von der Modernisierung der Wirtschaft hart getroffen wurde. Der Basar, ein Netzwerk aus Händlern, Handwerkern und Geschäftsinhabern wurde zum Rückgrat des politischen Islam. 1963 versuchte der Schah, seine Machtbasis im Zuge der sogenannten «Weißen Revolution» zu erweitern. Mit Hilfe einer Bodenreform wollte er die überwiegend in Armut und Rückständigkeit lebende Landbevölkerung für sich gewinnen. Das Land der Großgrundbesitzer verteilte er an kleine und mittelgroße Bauern. Doch waren die Grundstücke, die sie erhielten, zu klein, um davon existieren zu können. Die meisten verkauften ihr Land an moderne Agrarbetriebe – der Schah hatte die Macht der Großgrundbesitzer gebrochen, aber keine neue Machtbasis dazu gewonnen. Viele Bauern wanderten in die Städte ab, vor allem die Einwohnerzahl Teherans explodierte. Dort lebten sie von der Hand in den Mund. Entwurzelt und von den Stadtbewohnern verachtet fanden die Dörfler Halt in ihrem Glauben und organisierten sich in sozialen Netzwerken rund um die Moschee – eine weitere Machtbasis für die Islamisten. Die ungelöste soziale Frage bekam damit auch eine kulturelle und religiöse Dimension.

Die von oben forcierte Industrialisierung hatte die traditionelle Gesellschaftsordnung weitgehend zerstört, ohne dass etwas Neues von unten nachgewachsen oder die Armut, in der ein Großteil der Bevölkerung lebte, überwunden worden wäre. Auch Bildung war keine Garantie für den sozialen Aufstieg: Hochschulabsolventen endeten vielfach als Taxifahrer.

Als 1977 die ersten landesweiten Proteste einsetzten, wusste der Schah nur noch die Oberschicht, die Armee, den Geheimdienst SAVAK und die westlichen Staaten hinter sich. Die Unterstützung der eigenen Bevölkerung, geschweige denn ihre Sympathien, hatte er längst verloren.

Macht und Koran

Die iranische Revolution, die 1979 den Schah stürzte, wäre kaum vorstellbar ohne ihren spirituellen Führer Ayatollah Chomeini. Der einst zurückgezogen im religiösen Seminar der Stadt Qom, südlich von Teheran, lebende Kleriker geriet in den 1960er Jahren in Konflikt mit dem Schah und entging seiner Verhaftung, indem er in die irakische Stadt Nadschaf übersiedelte, eine theologische Hochburg der Schiiten wie auch Qom. Dort nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf und wurde zur religiösen Leitfigur der wachsenden...

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