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IRRT zur Behandlung anhaltender Trauer (Leben Lernen, Bd. 286)

Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy in der Praxis

AutorMervyn Schmucker, Rolf Köster
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl242 Seiten
ISBN9783608100471
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Der in der Traumaverarbeitung erfolgreiche Ansatz »Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy« (IRRT) bewährt sich auch bei der Behandlung von komplizierten Trauerreaktionen. Behutsamer und schneller als mit anderen Verfahren können auch langfristig bestehende Blockaden gelöst und damit auch Depressionen überwunden werden. Trauergefühle gehören zu den grundlegenden menschlichen Emotionen und sie sind, etwa beim Tod eines Angehörigen, eine seelisch notwendige Reaktion. Doch unter bestimmten Umständen gerät der Prozess ins Stocken, der Betroffene bleibt in seiner Trauer oft über Jahre gefangen. Die Methode des Imagery Rescripting & Reprocessing (IRRT) kann hier eine besonders effektive Hilfe bieten. IRRT ist auch in der Behandlung von Traumafolgestörungen, Angststörungen und Depressionen erfolgreich, welche häufig mit einer komplizierten Trauerreaktion verbunden sind. Das Buch stellt die psychologischen Hintergründe bei anhaltender Trauer umfassend dar und zeigt die Anwendung von IRRT in vielen Fallbeispielen mit unterschiedlichen Verläufen detailliert auf. - IRRT ist ein erfolgreicher Ansatz bei Traumaverarbeitung, Depressionen und anderen psychischen Störungen - Schnelle und nachweisbare Therapieerfolge - Verankert in verhaltenstherapeutischer Weiterbildung Dieses Buch richtet sich an: - PsychotherapeutInnen aller Schulen - VerhaltenstherapeutInnen - TraumatherapeutInnen

Rolf Köster, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH in eigener Praxis, ärztlicher Leiter des Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie Bremgarten/Schweiz, Schwerpunkt Psychotraumatologie, Weiterbildungen in EMDR, Prolonged Exposure, Brief Eclectic Therapy of PTSD; IRRT-Trainer und -Supervisor.

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Leseprobe

1 Einleitung


Vor einigen Jahren besuchte ich (R. K.) mit meiner Frau einen Freund in England, der uns einen Nachmittag und Abend zu seinen betagten Eltern eingeladen hatte. Zum Abendessen deckte seine Mutter den Tisch nicht nur für die anwesenden fünf Personen, sondern für sechs. Auf unser Nachfragen reagierte die Mutter mit befangenem Schweigen, womit sie, so empfanden wir spontan, eine tiefe Trauer verdeckte. Unser Freund erklärte, es sei für seinen Bruder mitgedeckt, der fünf Jahre zuvor – wieder im Elternhaus lebend – vierzigjährig unerwartet an einem Herzinfarkt verstorben sei. Später, unter sechs Augen, berichtete er uns des Weiteren, seine Mutter sei über den Tod ihres Sohnes nicht hinweggekommen. Er zeigte uns das Zimmer des Bruders, das seit dessen Tod nicht mehr verändert worden war: Die zuletzt getragenen Kleider hingen unberührt über dem Stuhl, das zuletzt gelesene Buch lag aufgeschlagen auf dem Nachttisch. Offensichtlich handelte es sich um einen Fall einer anhaltenden Trauer einer Mutter, deren Trauerprozess nach dem Verlust des geliebten Sohnes blockiert war, wahrscheinlich an dem Punkt, wo es um die endgültige innerliche Verabschiedung ging. Genauere Hintergründe erfuhren wir nicht mehr.

Trauer ist einer der grundlegenden menschlichen existenziellen und emotionalen Zustände. Sie tritt üblicherweise nach dem Verlust eines nahestehenden, geliebten Menschen auf und verweist auf die Bedeutung des Sozialen, auf unser Ausgerichtetsein auf ein Du. Der Begriff der Trauer beschreibt neben einer momentanen Befindlichkeit mit einer bestimmten emotionalen Qualität und dazugehörigen physiologischen Reaktionen, z. B. Weinen, auch etwas Prozesshaftes; der Trauer ist das Streben nach Bewältigung, Veränderung, Auflösung und Neuorientierung eingegeben. In allen Kulturen und Religionen sind Rituale entwickelt worden, die einer individuellen oder kollektiven Trauer einen Rahmen geben und den Trauerprozess erleichtern helfen sollen.

Ein zur Trauer führender Verlust kann sich allerdings nicht nur auf geliebte oder nahestehende Mitmenschen (Partner1, Kinder, Eltern, Freunde, Bekannte) beziehen, sondern auch auf verehrte Mitmenschen (Politiker, Künstler, Vorbilder) und auch auf amputierte oder zerstörte/funktionslose Körperteile oder Organe, auf Haustiere, auf das eigene Haus, auf Heimat, Eigentum, Beruf oder Arbeitsplatz, d. h. auf alle Personen und sogar Dinge, zu denen wir eine engere emotionale und existenzielle Beziehung aufgebaut haben und welche zur Bildung unserer eigenen Identität beigetragen haben.

Zur Beschreibung dessen, was einen Trauerprozess eigentlich ausmacht, sind seit Freud verschiedene Modelle und Konzepte vorgeschlagen worden (eine kurze Zusammenfassung liefert Kap. 2). Dabei wird Trauer als ein phasenhaft ablaufendes Geschehen, als Herausforderung, verschiedene Aufgaben zu bewältigen, als Stressreaktion, als Inkonsistenzquelle (Anspannung aufgrund unerfüllter Grundbedürfnisse), als Coping-Modell oder als biologisches Geschehen angesehen, wobei sich aus unserer Sicht diese verschiedenen Modelle eher ergänzen als miteinander zu konkurrieren.

Trauer an sich ist keine Krankheit, sondern ein unter bestimmten Bedingungen (meist der Verlust einer nahestehenden Person) seelisch notwendiger, gesunder Zustand bzw. Vorgang. Ein Teil der Betroffenen erlebt aber im Trauerprozess ein Stocken, eine Blockade, die den Prozess ähnlich einer Schallplatte mit einem Sprung immer wieder am selben Hindernis anrennen lassen, sodass die eigentlich angestrebte oder zu erwartende Bewältigung des Verlusts nicht vollendet werden kann. Der Begriff für dieses Phänomen hat eine jahrzehntelange Geschichte, wobei mittlerweile der Terminus der anhaltenden Trauer am weitesten akzeptiert ist (s. Kap. 2).

In welcher Phase des Trauerprozesses bzw. im Zusammenhang mit welcher seelischen Herausforderung die Blockade auftritt, ist sehr unterschiedlich. Es bestehen sicher Bezüge zur Lebensgeschichte des Betroffenen und vor allem auch Bezüge zur Geschichte seiner Beziehung zum Verstorbenen. Manchmal findet sich die Ursache der Blockade auch im Ablauf der letzten Tage oder Stunden vor dem Tod, z. B. wenn die hinterbliebene Ehefrau Wutgefühle auf ihren durch Suizid verstorbenen Ehemann empfindet oder wenn der Sohn nicht mehr rechtzeitig vor dem Tod seines Vaters anreisen konnte, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen, und dadurch Schuldgefühle oder das Empfinden von Unerledigtem (»unfinished business«) entstanden. In diesem Zusammenhang ist sicher die Beobachtung zu berücksichtigen, dass bei anhaltender Trauer eine ausgeprägte Komorbidität vorliegt, d. h. bei mehr als zwei Dritteln der Fälle von anhaltender Trauer andere psychische Störungen gleichzeitig vorhanden sind, in erster Linie Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen.

Wenn Betroffene sich der Problematik bewusst werden und – von sich aus oder auf Empfehlung anderer – therapeutische Hilfe suchen, stellt sich für die Psychotherapeuten nach entsprechender diagnostischer Abklärung die Frage, ob, und wenn ja, wie sie helfen können. Dazu benötigen Therapeuten ein Verständnis dafür, worum es in einem Trauerprozess geht und durch welche Mechanismen dieser im individuellen Fall gestört sein kann. Oft geht es einfach darum, eine mitfühlende Anteilnahme und menschliche Begleitung anzubieten, wobei diese Rolle keinesfalls auf Psychotherapeuten beschränkt ist. Manchmal kann es ausreichen, darauf zu verweisen, dass gewisse emotionale Reaktionen (z. B. Wutgefühle dem Verstorbenen gegenüber) normal sind und keinen Grund für eine Verunsicherung oder für Schuldgefühle darstellen müssten, oder dem Betroffenen zu erklären, worum es in der Fortführung des Trauerprozesses möglicherweise gehen würde (z. B. »Vielleicht müssten Sie sich endgültig von ihm verabschieden können.«). Auch diese Funktion muss nicht zwingend von einem Psychotherapeuten eingenommen werden, sondern kann auch von Freunden, Verwandten, vertrauten Bekannten oder Seelsorgern ausgefüllt werden. Manchmal reichen die menschliche Begleitung und einfache Sachinformationen aus (»Psychoedukation« von Fachleuten, »gute, einfühlsame Ratschläge« von Bekannten), oft aber auch nicht. Die Einsicht bei den Betroffenen ist dann intellektuell vielleicht vorhanden, aber zum inneren Vollzug fehlt ihnen irgendetwas. Diese Situation ist die Domäne zur Durchführung einer Psychotherapie bei Trauerfällen im Allgemeinen und zum Einsatz der IRRT (Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy) im Besonderen.

Psychotherapeuten jeglicher Provenienz, insbesondere die, welche sich bereits umfassend mit der Behandlung anhaltender Trauerreaktionen beschäftigt haben, werden vom Einsatz der IRRT in ihrer praktischen Arbeit sehr profitieren können. Die Therapien werden effektiver, gezielter und schneller durchgeführt werden können. Die IRRT eignet sich zur Integration in jegliche therapeutische Ausrichtung. Eine Psychotherapie anhaltender Trauerreaktionen kann aber auch mit einer ausschließlichen Fokussierung auf die IRRT durchgeführt werden.

Als Schmucker in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts die Grundlagen der IRRT entwickelte, ging es ihm zunächst um die Behandlung erwachsener Opfer mit Posttraumatischen Belastungsstörungen infolge körperlicher Misshandlungen oder eines sexuellen oder psychischen Missbrauchs im Kindesalter. Sein eigenes, viele Jahre zurückliegendes, erstes persönliches Erlebnis mit der Arbeit in der Imagination auf der Inneren Bühne handelte aber tatsächlich von einer imaginativen Begegnung mit seinem früh verstorbenen Vater im Sinn eines Auflösens einer larvierten anhaltenden Trauerreaktion (Schmucker u. Köster 2014 a, S. 20 ff., Fallbeispiel M. S. in diesem Buch). So war von Beginn der Entwicklung der Methode an deutlich, dass die IRRT auch bei dieser Problematik indiziert sein könnte.

Wir haben im Praxishandbuch IRRT (Schmucker u. Köster 2014 a) im theoretischen Teil (S. 51, S. 106 ff.) und auch bei den Fallbeispielen (Fallbeispiele 13 bis 15) die IRRT-Behandlung von anhaltenden Trauerreaktionen bereits kurz beschrieben. Mit dem vorliegenden Buch stellen wir den theoretischen Hintergrund und die detaillierte konkrete Vorgehensweise auch in komplexeren Fällen systematischer und umfassender dar.

Wie schon das Praxishandbuch IRRT besteht auch dieses Buch zu einem großen Teil seines Umfangs aus Fallbeispielen. Diese illustrieren die Beschreibungen des Theorieteils, geben einen Eindruck von der Vielfalt möglicher Verläufe und therapeutischer Interventionen einer IRRT-Trauersitzung, und sie zeigen nicht nur Sitzungsausschnitte, sondern auch komplette IRRT-Sitzungen von der Einleitung bis zum Abschluss. Gerade dieser letzte Aspekt kann für Psychotherapeuten, die sich die IRRT zur Arbeit mit Patienten mit Trauerreaktionen aneignen wollen, eine ganz konkrete Anleitung und damit wertvolle Hilfe sein. Betonen möchten wir aber auch, dass die therapeutische Anwendung der IRRT nur schwierig allein aus Büchern gelernt werden kann. Die persönliche Anleitung und Supervision erscheinen uns unerlässlich. So einleuchtend, logisch und systematisch die IRRT wirkt, so schwierig ist sie doch anfangs in der konkreten Anwendung durchzuführen, was wir anhand zahlreicher Beispiele in unseren...

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