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Ist Altern eine Krankheit?

Wie wir die gesellschaftlichen Herausforderungen der Demenz bewältigen

AutorReimer Gronemeyer, Rüdiger Dammann
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783593407227
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Demenz, insbesondere Alzheimer, ist das große Schreckgespenst unserer Zeit. Viele Menschen - Betroff ene, Angehörige, Pfl egekräfte - stehen dem Leiden hilfl os und nicht ausreichend informiert gegenüber. Ein falsches, bloß medizinisches Verständnis des Volksleidens ist verbreitet. Jährlich werden Milliardensummen in die Bekämpfung der Demenz gesteckt. Deren Ursachen sind aber weiterhin unklar und eine Therapie ist nicht in Sicht. Angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen und der zunehmenden Zahl der unter Demenz Leidenden ist eine große Debatte zu diesem Thema überfällig. Dieses Buch gibt den Anstoß dazu, liefert Fakten und sucht nach neuen Lösungen.

Rüdiger Dammann, Jahrgang 1959, ist promovierter Soziologe sowie Autor und Herausgeber zahlreicher politischer Bücher. Reimer Gronemeyer, Jahrgang 1939, ist Professor für Soziologie an der Universität Gießen und Autor mehrerer Bücher. Er ist Vorsitzender des Vereins Aktion Demenz e. V. - Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz.

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Leseprobe
Akzeptanz, Einfachheit und Liebe (S. 137-139)

Auswege aus dem Demenzdilemma Klaus Dörner, einer der renommiertesten Vertreter der deutschen Sozialpsychiatrie, plädiert seit längerem dafür, dass die Lasten, die in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zu tragen sind, auf mehrere Schultern verteilt werden müssen. Die Angehörigen sind oftmals emotional sehr verstrickt, deswegen eignen sie sich vielleicht am wenigsten dafür, aktiv zu helfen. Sie bedürfen jedoch mindestens der Unterstützung. Die professionell Pflegenden sind – institutionell, medizinisch, hygienisch, juristisch – vielen Aufgaben, Zwängen und Vorgaben unterworfen. Sie wären mit einem integrierten Pflegeansatz, der den Einzelnen in seiner Individualität wahrnimmt und ihn zugleich als lebendigen Resonanzboden der gesellschaftlichen Verhältnisse begreift, zweifellos überfordert.

Gebraucht wird deshalb ein Bürger-Profi-Mix des Helfens, der den profizentrischen Ansatz der Pflege zu einem bürgerzentrischen Konzept erweitert. Klaus Dörner spricht von einem »dritten Sozialraum der Nachbarschaft«, der neben den privaten und den öffentlichen treten müsse und schon hier und dort tatsächlich bereits sichtbar wird. Man denke nur an die steigende Zahl der freiwilligen Helfer gerade im sozialen und gesundheitlichen Bereich, man denke an die rund 80 000 Helferinnen und Helfer in der Hospizarbeit. Die Chance einer solchen neuen nachbarschaftlichen Lebendigkeit liegt zweifellos auch darin begründet, dass es den Menschen sicherlich schwer fällt, sich für das Elend der ganzen Welt zu engagieren, dass sie sehr wohl aber bereit sind, für den Menschen, den sie kennen und für ihren eigenen begrenzten Sozialraum einzutreten.

Das moderne Individuum hat sich der Eierschalen entledigt, die den Einzelnen in Gemeinschaften beengt und geschützt haben. Es steht nun mit sich, seiner Freiheit und seiner Identität zunächst einmal prinzipiell allein da. Wenn dieses Alleinsein, das haben wir gesehen, nicht durch neue Gemeinschaftsformen überwunden wird, kann es in die Demenz münden. Es kann also einer der Gründe dafür werden, warum das Gehirn, das eben nicht alles nur aus sich selbst schöpfen kann, seinen Dienst quittiert.

Aus dem Alleinsein entspringen dann am Ende die Depression und die Demenz – das »erschöpfte Selbst«, wie der französische Soziologe Alain Ehrenberg sein Buch über die Mühen der Selbstverwirklichung in der Gesellschaft der Gegenwart genannt hat. Die Demenz – wie die Depression – ist immer auch Ausdruck vergangener Lebenserfahrungen und aktueller Lebenslagen. Sie zeigt nicht zuletzt die Krankheit einer Gesellschaft, die kaum noch etwas anderes zusammenhält als ihr pragmatischer Betrieb, einer gleichsam »monadischen« Gesellschaft, die unverbindlich geworden ist und in der alles einst Verbindende sich in die Eigenverantwortung der vielen Einzelnen zerstreut. Aber das Alleinsein ist kein unabwendbares Schicksal. Das erleben wir glücklicherweise immer wieder, nicht nur im Privaten.

Tatsächlich sind die Anfänge einer neuen Solidaritätsbewegung mittlerweile unverkennbar – auch im Bereich der Demenzforschung und Demenzversorgung. Gegen eine zunehmende Pathologisierung von Alterserscheinungen, gegen die geschilderte Elektronifizierung wie auch gegen eine humantechnologische Professionalisierung der Pflege regt sich inzwischen ein Widerstand, der einen anderen, einen zivilgesellschaftlichen Weg einzuschlagen fordert. Diese Gegenbewegung lässt in Konturen durchaus erkennen, was Klaus Dörner jenen »dritten Sozialraum der Nachbarschaft« genannt hat – und was man ebenso gut eine Re-Vergesellschaftung der Verantwortung nennen könnte.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Die Schrecken der Umnachtung8
Ein Prolog8
Auguste D.19
Die Erfindung der Alzheimer-Krankheit19
Leitbild Gesundheit30
Was uns krank macht30
Diagnose: Demenz43
Annäherung an eine moderne Epidemie43
Warum die Kräfte schwinden61
Eine Evolution des Vergessens61
Vom Umgang mit Verwirrten92
Alte Konzepte und neue Ratlosigkeiten92
Akzeptanz, Einfachheit und Liebe138
Auswege aus dem Demenzdilemma138
Was geschieht, wenn nichts geschieht177
Ein Blick in die Zukunft177
Zu guter Letzt195
Wo bin ich – und wenn ja, mit wem?195
Anmerkungen206
Ein Dank211
Literatur212
Adressen215
Glossar218

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