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Jean-Paul Sartre. Literatur des Existenzialismus

AutorClaudia Kollschen, Paul Parszyk, Ralf Beckendorf, Silja Maehl
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783656573319
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
'Die Hölle, das sind die anderen' - wie bei kaum einem anderen Autor ist die schriftstellerische Tätigkeit Jean-Paul Sartres unlösbar mit seiner Philosophie verknüpft, wie sich in seinen literarischen Werken deutlich zeigt. Dieses Buch stellt in einem einführenden Beitrag Sartres Verständnis von Kunst und Literatur vor. Darüber hinaus ziehen die Autoren Verbindungslinien zwischen der Philosophie des Existenzialismus sowie Sartres Erstlingsroman 'Der Ekel' und dem Drama 'Geschlossene Gesellschaft'. Aus dem Inhalt: Zur Theorie des imaginären Kunstwerks; Sartres Theorie der Intersubjektivität; Unbehagen, Scham und Ekel in 'Das Sein und das Nichts' und 'Der Ekel'; Elemente des Existenzialismus in 'Geschlossene Gesellschaft'

Parszyk, Paul(Pawe?), geb. in Gdingen (Polen), 1988. Zentral Abitur an der Hannah-Arendt Gesamtschule in Soest(Leistungskurse Englisch und Kunst, 2007. Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Erfurt: Bachelor, (Bachelorarbeit zum Thema Kannibalismus und Medien), 2012. Derzeit: Studium der Philosophie an der Universität Erfurt im Masterprogramm (Sprache - Wissen - Handlung). Masterarbeit zum Thema Medienphilosophie und Kultur. Organisierung und Haltung eines "Selbstorganisierten Lehrveranstaltung" zum Thema "Das Apollinische und das Dionysische bei Nietzsche" an der Universität Erfurt, 2013.

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Leseprobe

Sartres Kunstverständnis


Als Jean-Paul Sartre an seinem Essay „Was ist Literatur?“ schrieb, hatte Frankreich die Erfahrung des Krieges gegen den Faschismus und der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg gemacht. Viele französische Schriftsteller und Intellektuelle einschließlich Sartre – politisierten sich in dem Sinne, dass sie sich vornehmlich für sozialistische und kommunistische Ideale einsetzten. Das Bewusstsein dieses Umbruchs auch in der Literatur und der Problematik des L’art-pour-l‘art-Prinzips sind Grundlage dieses umfangreichen Essays von 1947. Letztendlich ist es jedoch als Antwort auf eine Polemik entstanden. Man hatte Sartre vorgeworfen, er wolle mit seiner Forderung nach dem Engagement der Literatur diese in den Dienst politischer Zwecke stellen und zur (kommunistischen) Tendenzliteratur machen. Daraufhin sah er sich gezwungen, seine Vorstellung von Literatur ausführlich zu erläutern:

„Und da die Kritiker mich im Namen der Literatur verurteilen, ohne jemals zu sagen, was sie darunter verstehen, ist es die beste Antwort, die Kunst des Schreibens ohne Vorurteile zu untersuchen. Was ist schreiben? Warum schreibt man? Für wen? Tatsächlich scheint sich das niemand je gefragt zu haben.“[14]

In „Was ist Literatur?“ finden sich wesentliche Gedanken Sartres zur Kunst. Es ist nicht allein die Literatur, die Sartre hier thematisiert, obwohl der Titel und die Kapitelüberschriften es zu beweisen scheinen. Es sind ebenso seine Vorstellungen von Kunst und von der Funktion eines Kunstwerks im Allgemeinen. Die Prosa nimmt unter den Künsten bei ihm eine Sonderstellung ein. Sartres Literaturverständnis detaillierter zu erläutern, ist hier nicht möglich und daher thematisiere ich die Literatur wie auch die Malerei, um Sartres genre-übergreifende Gedanken darzustellen.

WAS IST UND WAS KANN DIE KUNST?


Ich möchte die allgemeinen Bedingungen darlegen, unter denen für Sartre ein Kunstwerk Kunst ist. Wichtig für den Kunststatus bei Sartre ist zunächst die Tatsache, dass Kunstwerke nur in Wechselbeziehung zum Künstler und Rezipienten existieren. Eine Autonomievorstellung des Kunstprodukts, wie es sie beispielsweise in der Romantik bei Friedrich W.J. Schelling gegeben hat, wo sich Freiheit und Natur im Kunstwerk zu einer „endlichen Darstellung des Unendlichen“ verbinden, interessiert Sartre nicht. In „Was ist Literatur?“ entwickelt Sartre zwei grundlegende Bedingungen für den Kunststatus. In den Kapiteln „Was ist schreiben?“ und „Warum schreiben?“ finden sich auch die Gründe, warum man Sartres ästhetische Theorie als eine phänomenologische bezeichnen kann.

In „Was ist schreiben?“ bezeichnet er zunächst ein Kunstwerk als ein imaginäres Objekt. Die erste Bedingung für den Kunststatus ist also, dass ein Werk etwas-als-etwas präsentieren muss und nicht ausschließlich für-etwas, d. h. als Zeichen, stehen darf. Das Kunstwerk hat nach Sartre keinen Zweck, sondern ist einer.[15] So sei beispielsweise ein Gemälde reine Präsentation: „Jenen gelben Riß am Himmel über Golgatha hat Tintoretto nicht gewählt, um die Angst zu bedeuten noch um sie hervorzurufen; er ist Angst und gelber Himmel zugleich [..] eine Ding gewordene Angst“.[16] Dem Künstler geht es also anders gesagt um die Präsentation von Imagination, also einer Vorstellung. Dem Betrachter muss etwas anschaulich werden. Es entstehe in seinem Bewusstsein ein Sinngebilde, das abhängig sei von den Absichten, die der Künstler hineingelegt hat, von der Imaginationsfähigkeit des Betrachters und vom Kontext des Betrachtens. Der Kontext sei insofern wichtig, als dass der Betrachter nicht immer mit gleicher Intensität und unter gleichen Voraussetzungen betrachte. Der Betrachter nimmt also die imaginären Gegenstände eines Kunstwerkes so wie der Künstler sie an ihn heranträgt auf, nimmt sie gleichzeitig mit seiner ganzen Welterfahrung wahr und vereinnahmt sie für sich als etwas Neues. Im Folgenden daher wird Sartres Kunstverständnis in Abgrenzung zum materialistischen und semiotischen als ein dynamisches oder synthetisierendes bezeichnet.

Zweitens ist es für ihn eine Sonderform des Imaginären, da in ihm offenbar wird, wie und wann etwas-als-etwas präsent wird, d. h. wie die Subjektivität des Künstlers das etwas-als-etwas auf die je eigene Weise präsentiert und genau dann wenn der Betrachter die betrachtende Haltung einnimmt. Zu Letzterem heißt es in „Das Imaginäre“: „So muß das Gemälde als ein materielles Ding verstanden werden, das von Zeit zu Zeit (jedesmal, wenn der Betrachter die vorstellende Haltung einnimmt) von einem Irrealen heimgesucht wird [...j“.[17] Kunst ist also über die Funktion der Präsentation von Imagination hinaus eine indirekte Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient. Um das näher zu erläutern, ist es nötig, nachfolgend auf die Rolle des Künstlers und die des Rezipienten näher einzugehen.

Zunächst kann man jedoch schlussfolgern, dass für Sartre die Kunst etwas ganz eigenes kann und eine Funktion sui generis erfüllt. Im Zusammenspiel von Künstler und Betrachter entsteht ein imaginäres Sinngebilde, das mit nicht-begrifflichen Mitteln ein Bewusstsein von der Welt schafft. Durch die Darstellung in Wort, Material oder Ton werden Botschaften über die Welt vermittelt. Botschaft ist hier aber nicht zeichentheoretisch zu verstehen, sondern „die Botschaft ist letztlich eine Gegenstand gewordene Seele.“[18] Die Botschaft ist das Werk. Imagination ist bei Sartre das, was die Kunst ausmacht und Kunst dient meines Erachtens hier als Verstärker der Imagination. Lambert Wiesings zweite, eingangs erwähnte These vom Bild als Imaginationsverstärker erscheint konstruktiv und plausibel und wird daher im Folgenden auf das gesamte Kunstverständnis von Sartre übertragen.

Was leistet die Kunst bei Sartre genau? Von entscheidender Bedeutung ist zunächst die Tatsache, dass für Sartre Kunstwerke auch literarische Werke der Weltliteratur die Weh nicht verändern können. In „Was kann Literatur?“ betont er einmal mehr, dass sie keinen praktischen Nutzen haben und „noch kein Buch den Tod eines Kindes verhindert hat.“ Trotzdem schrieb Sartre weiterhin philosophische, literarische und politische Texte, was er in seiner Autobiographie „Die Wörter“ so begründet: Trotzdem schreibe ich Bücher und werde ich Bücher schreiben; das ist nötig; das ist trotz allem nützlich. Die Kultur vermag nichts und niemanden zu retten [..j Aber sie ist ein Erzeugnis des Menschen, worin er sich projiziert und wiedererkennt, allein dieser kritische Spiegel gibt ihm sein eigenes Bild.“[19] Den Vergleich des Spiegels benutzt Sartre häufiger im Hinblick auf die Literatur. Gemeint ist damit nicht die bloß nachahmende Spiegelfunktion der Kunst wie sie Platon beschreibt. Sartre räumt der Literatur eine wichtige Rolle zur kritischen Selbstreflexion und damit zur Selbstwerdung ein. Sie ist also ein „Ort“, wo der Mensch sich selber auf eine Art und Weise reflektieren kann, die ihm weder die alltägliche Wahrnehmung, noch die direkte Kommunikation mit anderen ermöglicht.

In „Was ist Literatur“ beschreibt Sartre ebenfalls die Funktion der Selbstreflexion und Selbstschöpfung: „Eines der Hauptmotive des künstlerischen Schaffens ist gewiß das Bedürfnis, uns gegenüber der Welt wesentlich zu fühlen.“[20] Der Künstler spürt die Macht oder die Freiheit sich die Welt durch Gestaltung anzueignen. Die menschliche Existenz wirkt „enthüllend“, d. h. dass es durch ihn Sein gibt: „[..] wir sind es, die jenen Baum mit jenem Stück Himmel in Beziehung bringen [..]“. Der Mensch enthüllt die Dinge durch seine Wahrnehmung.

Hier ist der Zusammenhang zwischen dem phänomenologischen Grundsatz der Intentionalität Bewußtsein ist immer Bewußtsein-von-etwas und der auf die Welt gerichteten Existenz des von Sartre beschriebenen Menschen. Der Mensch nimmt nicht nur intentional wahr enthüllt also und hat damit eine natürliche, intentionale Einstellung zur Welt, sondern auch sein Schaffen hatten diesen gerichteten Charakter. Der Mensch ist bei Sartre ohnehin ein schaffendes Wesen, dass aus seiner Existenz erst seine Essenz entwickeln muss, wie in seinem philosophischen Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ beschrieben. Das Bindeglied zwischen Mensch und Welt ist die Freiheit, die die Kluft zwischen beidem aber nicht gänzlich überbrücken kann. Das Moment der Freiheit erhält bei Sartre immer wieder größte Bedeutung, worauf ich hier aber nicht näher eingehe. Kunst ist Ausdruck von Freiheit, die Freiheit manifestiert sich auch in der Intentionalität und die Intentionalität prägt das künstlerische Schaffen: „Denn genau das ist das Endziel der Kunst: diese Welt vereinnahmen, indem man sie so vorführt, wie sie ist, aber als wenn sie ihre Quelle in der menschlichen Freiheit hätte.“[21] Die Kunst kommt als Ausdruck von Freiheit einer Einheit zwischen Mensch und Welt schon sehr nahe, wenn nicht sogar am...

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