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'Jeder ist sich selbst der Nächste' - Soziale Unterstützung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

Soziale Unterstützung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

AutorMandy Schmeißer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl108 Seiten
ISBN9783638635950
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 2,8, Technische Universität Dresden, 49 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Was passiert, wenn tausende Menschen unfreiwillig auf engstem Raum unter schlimmsten Bedingungen miteinander leben müssen? Wie verändern sie sich? Ist sich dann wirklich jeder selbst der Nächste? Unter Zuhilfenahme verschiedener soziologischer und psychologischer Abhandlungen, sowie hunderter Biografien werden diese und weiter Fragen bearbeitet. Gleichzeitig erscheint es auch sinnvoll, die Aussagen der Täter näher zu betrachten, um einer Erklärung näher zu kommen, wie es überhaupt zu diesem Morden kommen konnte. Dabei kann man den Tätern in den Lagern nicht die Alleinschuld zuweisen, sondern muss sie im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ideologie und Hitlers Vernichtungspolitik betrachten. Die Autorin besuchte die Lager Buchenwald, Sachsenhausen, Dachau, Ravensbrück, Theresienstadt, Bergen- Belsen und Auschwitz. Dort konnte sie sich mit Hilfe der unzähligen Exponate, Fotos und autobiografischer Erzählungen in die Lage der KZ- Häftlinge einfühlen. Das Buch ist so aufgebaut, dass Kapitel 1 und 2 gegliedert sind wie Kapitel 5, um eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Die ersten beiden Kapitel beschäftigten sich mit dem theoretischen Konzept der sozialen Unterstützung, in Abhängigkeit von sozialen Netzwerken. Da die Häftlinge vollkommen rechtlos waren, wird in der Arbeit nicht auf formelle Netzwerke und Hilfen eingegangen. Im dritten Kapitel wird in kurzer Form auf die theoretischen Grundlagen der Biographieforschung eingegangen. Dadurch kann dem Leser die Methodik nahe gebracht werden. Im vierten Abschnitt folgt die Beschreibung des Setting 'Konzentrationslager'. Hauptbezug besteht dabei auf Eugen Kogon, der als Überlebender einen nicht zu ersetzenden Einblick in die Systematik gewinnen konnte und Wolfgang Sofski, der eine wunderbare und ausführliche soziologische Abhandlung dazu verfasst hat. Nur mit diesem Vorwissen kann man sich in die Berichte der Überlebenden hinein versetzen und deren Erlebnisse zuordnen. Im fünften und letzen Kapitel wird schließlich die Frage bearbeitet, weshalb und in welcher Form es in dieser Extremsituation des KZ zu sozialen Unterstützungsleistungen kam. Dazu hat die Autorin eine große Anzahl (Auto-) Biographien von ehemaligen Häftlingen und Lagerpersonal bearbeitet, die zitiert der Arbeit beigefügt sind. Sie veranschaulichen einerseits die Situation, in der sich die Gefangenen befanden und belegen gleichzeitig Thesen und Aussagen, die im Voraus getroffen wurden.

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Leseprobe

2.  Soziale Unterstützung


 

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit soll näher betrachtet werden, was soziale Unterstützung als Funktion sozialer Netzwerke leistet.

 

Die Bereitstellung von sozialer Unterstützung wird beeinflusst von verschiedenen Umgebungsvariablen. Diese können einerseits die sozialen und individuellen Lebens-, Wohn-, und Arbeitsumwelten sein, die wiederum

 

städtisch, ländlich, eng oder weit sind.

 

Andererseits beeinflussen die Persönlichkeitsfaktoren eines Menschen, wie

 

Bevölkerungsgruppe, Herkunft, Ausbildung, Einkommen, Geschlecht und Alter die Bereitschaft zu sozialer Unterstützung (vgl. Keupp; Röhrle, 1987).

 

2.1.  Definition


 

Eine eindeutige Definition für soziale Unterstützung wird man kaum finden. Verschiedene social-support- Forscher ergänzen sich in ihren Versuchen, gültige Theorien aufzustellen.

 

Nach Diewald ist soziale Unterstützung ein ständiger Austauschprozess und keine einzelne Leistung oder Wirkung. Sie erfordert situationsspezifisches Zusammen-wirken der Akteure. Das bedeutet, soziale Unterstützung ist ein zwischen-menschlicher Prozess, bei dem die soziale Umwelt einer Person zugleich Ressource und aktiv handelndes System ist.

 

Die Wirkung sozialer Unterstützung wird von allen Beteiligten unterschiedlich empfunden, und ist nicht eingeschränkt auf bestimmte Situationen oder Kontexte (vgl. Diewald, 1991).

 

Nach House ist sie eine interpersonelle Transaktion, die emotionale Verbunden-heit, instrumentelle Hilfen, Informationen und Wertschätzung bietet.

 

Für Cobb heißt soziale Unterstützung die Versicherung einer Person, sich anerkannt zu fühlen und umsorgt zu werden und einem Netzwerk gegenseitiger Verpflichtung und Kommunikation anzugehören.

 

Das Bewusstsein des einzelnen über das Vorhandensein und die Verfügbarkeit anderer Personen, die ihm helfen und ihn mögen, ist nach Sarason besonderes Merkmal.

 

Soziale Unterstützung verhilft zu sozialer Integration durch gemeinschaftliche Aktivitäten und Eingebundensein (vgl. Manz, 1994).

 

Soziale Unterstützung schützt also vor bedrohlichen und beeinträchtigenden Umweltfaktoren. Sie ist in verschiedenen Konzepten näher beleuchtet worden und soll nun an zwei Beispielen erläutert werden (vgl. Nestmann, 1988).

 

1. Gottlieb

 

Personen unterstützen bereits durch ihre faktische Anwesenheit. Allerdings lässt Gottlieb die negativen Netzwerkbelastungen außer acht. Seiner Meinung nach hat jeder Mensch persönliche und soziale Ressourcen.

 

Direkte Unterstützung gibt hier ein Gefühl des Wohlbefindens dadurch, dass Situationen als weniger belastend eingeschätzt werden. Indirekte Unterstützung wirkt als Puffer, durch den das Selbstbewusstsein gestärkt wird. Dadurch nimmt der Stress ab (ebd.).

 

Netzwerkmitglieder haben in dieser Konzeption zwei Funktionen.

 

Einerseits eine diagnostische, mit der die Stress-Situation beurteilt wird, andererseits eine lösungsorientierte, also ein Dirigieren der Hilfesuche.

 

Das heißt, Helfer unterstützen bei der Problemidentifikation, -interpretation und -bewertung (ebd.).

 

2. Shinn u.a.

 

Die Forschergruppe um Shinn fand heraus, dass zwischen sozialer Unterstützung und Stresssituationen Wechselwirkungen bestehen.

 

Hohe und andauernde Belastung kann Netzwerkunterstützung einschränken, ebenso die Reaktion auf die Hilfe.

 

Unterstützung muss vom Nehmenden nicht zwangsläufig als helfend empfunden werden.

 

Es sind fünf Dimensionen der Beziehung zwischen Helfer und Empfänger möglich:

 

1. das Ausmaß der Hilfe muss angemessen sein an Bedürfnis und Bedarf

2. Timing: der Hilfebedarf variiert während des Bewältigungsprozesses

3. auch die Hilfequellen variieren

4. Struktur: je nach Hilfebedarf ist engeres oder weiteres Netzwerk hilfreich

5. Funktion: Hilfe muss der Situation angemessen sein (beispielsweise

    ist  emotionale Hilfe unpassend bei Geldnöten) (ebd.).

 

2.2.  Inhaltliche Typologie sozialer Unterstützung


 

Soziale Unterstützung kann als konkrete Interaktion oder als Vermittlung von Kognitionen oder Emotionen stattfinden. Sie wird in der Regel nach konkreten Interaktionen und Vermittlung von Kognitionen und Emotionen unterschieden. Diese drei Kategorien werden im Folgenden erläutert  (vgl. Diewald, 1991).

 

2.2.1.  Konkrete Interaktionen - Verhaltensaspekt


 

1. Arbeitshilfen- der Unterstützende hilft bei praktischen Arbeiten oder

    übernimmt sie komplett, Arbeitshilfen sind personen- und/ oder 

    güterbezogen

2. Pflege- muss als Unterschied zu den Arbeitshilfen betrachtet werden, da

    Arbeit nicht für den, sondern am Hilfesuchenden geleistet wird.

3. Materielle Unterstützung- als Sachleistung oder Geldzuwendung

4. Intervention- kann innerhalb des sozialen Netzwerkes geschehen in Form

    von Streitschlichtung und außerhalb, indem sich der Helfende für die Person

    bei Dritten oder Institutionen einsetzt.

5. Information- Vermittlung sachbezogener Informationen und Auskünfte

6. Beratung- Erteilung persönlicher Ratschläge mit intimen Charakter

7. Geselligkeit- positive Effekte für die Gemütslage durch gemeinsame

    Unternehmungen und/ oder das zielgerichtete Einbinden isolierter oder 

    depressiver Personen

8. alltägliche Interaktionen- ritualisierte konstante Verhaltensweisen, die

    unbewusst sind und erst vermisst werden, wenn sie wegfallen (vgl. Diewald, 

    1991)

 

2.2.2.  Vermittlung von Kognitionen


 

 1.  Vermittlung von Anerkennung- entweder Vermittlung persönlicher 

     Wertschätzung (Stärkung des Selbstwertgefühls) oder Status-Vermittlung 

     (Zugehörigkeit zu Gruppen mit hoher sozialer Anerkennung)

2. Orientierung- Vermittlung von Verhaltensmodellen und sozialen Normen,

     in ihrer negativen Ausprägung findet sie als soziale Kontrolle statt.

3. Vermittlung eines Zugehörigkeitsgefühls insofern, als die Person das

    Gefühl vermittelt bekommt, gebraucht zu werden und Verantwortung für

    andere übernehmen zu können.

4. Erwartbarkeit von Hilfe

5. Ort für den Erwerb sozialer Kompetenzen - Neben gesellschaftlicher

    Orientierung können in Netzwerken auch soziale Kompetenzen vermittelt

    und eingeübt werden (vgl. Diewald, 1991).

 

2.2.3.  Vermittlung von Emotionen


 

1. Vermittlung eines Geborgenheitsgefühls- Gefühle des Aufgehobenseins

     und der Stabilität, die sich durch Netzwerkzugehörigkeit entfalten können

2. Vermittlung von Liebe und Zuneigung

3. Motivationale Unterstützung- Person wird ermutigt und vor Ängsten und

    Hilflosigkeitsgefühlen geschützt (vgl. Diewald, 1991).

 

Diese Dimensionen sind empirisch nicht eindeutig unterscheidbar, da

 

Beziehungen nicht nur auf eine Form von Hilfeleistung beschränkt und

 

Interaktionen multifunktional sind, also konkrete Hilfen implizieren stets symbolische Unterstützung (ebd.).

 

2.3.  Reziprozität


 

Eine unverzichtbare Voraussetzung für Unterstützungsleistungen ist die Reziprozität, also die potentielle und aktuelle Gegenseitigkeit.

 

Voraussetzungen für diese Wechselseitigkeit sind Verfügbarkeit, Hilfebereit-schaft, Spontaneität des Interaktionspartners, sowie die beiderseitige Bereitschaft, Hilfe zu empfangen (vgl. Nestmann, 1988).

 

Reziprozität ist ein unreflektierter Prozess, wenn sie jedoch fehlt oder ungleich und unausgeglichen ist, belastet sie die Beziehung. Je enger eine Beziehung ist, desto weniger direkt, zeitgleich und artgleich ist die Reziprozität.

 

Im Laufe der Dauer einer Beziehung entstehen Unterstützungsreserven, auf die erst im Notfall zurückgegriffen wird (ebd.).

 

Äquivalenz, also der gleichwertige Austausch ist entweder

 

a. heteromorph, das heißt, der Austausch erfolgt auf verschiedene Art, ist aber gleichwertig und sein Wert nur subjektiv beurteilbar, oder

b. homeophorph, also mit gleichen...

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