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Jenseits des Grüns. Cornwall und seine industrielle Vergangenheit

AutorLaura C. Göbelsmann
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783853718100
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Im äußersten Südwesten Englands versinken die letzten Landmarken einer uralten Geschichte allmählich im Grün: Zwischen Farnen, Heidekraut und Ginster, auf Hochmooren und auf Klippen wird hier ein überwachsener Schornstein sichtbar, dort die allein stehende Wand eines Maschinenhauses. Der Rundbogen eines Fensters rahmt die Farben des Atlantiks wie eine Kulisse, die man vergessen hat, beiseite zu schieben. Die Ruinen mit ihrer eigenartigen Poesie sind Zeugnisse einer Zeit, die Cornwall veränderte wie kaum eine Epoche zuvor. Der cornische Erzbergbau ist Jahrtausende alt, doch erst im Verlauf der Industriellen Revolution stieg die Grafschaft zum größten Kupfer- und Zinnproduzenten der Welt auf. Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten etwa 40.000 Menschen über und unter Tage: Männer, Frauen und Kinder. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts begann der Niedergang. Die Hinterlassenschaft dieses langwierigen Prozesses sind zerfallene Fabriken, überwachsene Schornsteine und stillgelegte Bahnstränge, prachtvolle Herrenhäuser und üppige Gärten, hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung und das Ende der alten Gemeinwesen. Zehn Jahre lang ist Laura Göbelsmann dieser Geschichte nachgegangen. Auf Wanderungen durch die ehemaligen Reviere, auf alten Transport- und Handelswegen, durch Landschaften von betörender Schönheit. Der Vergangenheit scheinbar entzogen, voll schillernder Farben und einem Licht wie feinste Gaze, fasziniert die Landschaft durch den Kontrast zwischen Geschautem und Geschehenem. Das ästhetische Erleben tritt neben den industriegeschichtlichen Diskurs.

Laura C. Göbelsmann, 1945 in Burscheid/NRW geboren und in Wuppertal aufgewachsen, war Fremdsprachen- und Wirtschaftskorrespondentin und hat mehrere Jahre in Toronto und London gearbeitet. Seit 1985 ist sie journalistisch tätig und hält sich regelmäßig in Cornwall, Yorkshire und Wales auf. Berichte zur britischen Industriegeschichte und Industriekultur sind u.a. in der Berliner 'taz' erschienen. Die Autorin lebt in Köln.

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Leseprobe

Vom Berg aufs Meer


Fußspuren der Ahnen


Die Landstraße nach Towednack war eine alte, krumme Naht zwischen Feldern und blühendem Buschwerk, Heidekraut, Findlingen und Farnen, irgendeine der zweihundert Arten, die in Cornwall beheimatet sind. Unterhalb der Küstenstraße tauchten zwischen verwildertem Grün die Schornsteine und Ruinen der St. Ives Consolidated auf, aus einer Zeit, als Kapital zu Kapital fand. Dann fiel der Blick auf welliges Grün, das erst von Steinmauern festgehalten wurde, dann immer weiter hinabstürzte, sich, nur einige Schattierungen dunkler, im Meer fortsetzte, am Horizont mit dunklem Blau mischte, von dort zurück schwang und sich über mir in ein winziges Stück aus hellem Blau mit einer sehr dunklen Rahmung verwandelt hatte.

Nach drei Wochen Regen wusste ich, was dieses Blau und die Redewendung von Out of the blue zu bedeuten hat. Die ersten Tropfen fielen. Ein starker Wind zwang mich, gebückt zu gehen, sodass ich mich bald bestens auskannte mit dem Belag aus grauen und helleren Splittern, dem vorläufig letzten Palimpsest des Tinners‘ Way, einem der vielen Jahrtausende alten Pfade, die sich über den Granitbuckel der Halbinsel ziehen.1

Als die Niederungen Cornwalls noch von dichten Wäldern bedeckt waren, in denen wilde Tiere umherstreiften, war es am sichersten, sich auf dem offenen Hochland zu bewegen oder entlang der gerodeten Ufer von Wasserläufen. Nach und nach schrieben sich diese Pfade tief in die Landschaft ein. Sie verbanden kleine und verstreut liegende Siedlungen, dienten seit der Bronzezeit als Transportweg für das Erz und, als privater Besitz über gemeinschaftlich genutztes Land siegte, auch dazu, Grundbesitz abzustecken. Im 12. Jahrhundert, als die Gemeinden entstanden, markierten sie, wie auch Flüsse und ungewöhnliche Felsen, die Grenzen zur Nachbargemeinde. Später, im Zeitalter der Dampfmaschinen, als Schächte und Stollen immer tiefer in die Erde getrieben werden konnten, zogen auf ihnen mit Kohle oder Erz beladene Lasttiere zwischen Häfen und Bergwerken hin und her.

Der Tinners‘ Way, wie er heute genannt wird, führte von der an Erzen reichen Gegend um St. Just im äußersten Westen der Halbinsel zu dem etwa 30 Kilometer entfernten Hafen von Hayle am Atlantik, der im Schutz der Bucht von St. Ives lag, und zur Mount’s Bay auf der Kanalseite. Der Schiffsweg um die Spitze Cornwalls, das Land’s End, von den Römern Sitz der Stürme genannt, wurde gemieden, obwohl die Lagerstätten nicht weit entfernt waren.

Die Wegführung des alten Pfades ist nicht vollständig nachweisbar; das Konzept des Weges der Zinner ist eher eine Neuschöpfung aus den Überresten eines Netzwerks aus Handelswegen, das im Neolithikum entstand. Dem Lokalhistoriker Hugh Miners sei es zu verdanken, dass der Weg einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht habe, erfuhr ich. Unvergesslich die von ihm geführten Nachtwanderungen bei Vollmond und zur Mitsommernachtszeit.

„Ich bin zu alt für solche Wanderungen geworden“, sagte Miners mit kräftiger und jugendlicher Stimme am Telefon und gab mir Tipps für eine etwa 8 Kilometer lange Teilstrecke. Die Wegführung war schwer zu verstehen. Vorsichtshalber kaufte ich mir außer einer Karte namens Pathfinder eine Broschüre über den Tinners’ Way.

Es soll Sprachen geben, in denen der Begriff Weg so viel wie Fußspuren der Ahnen bedeutet. Auch der Tinners‘ Way verweist auf uralte Geschichten von Leben und Tod, Glauben und Ritualen, Festen und Arbeit. Über viele Jahrhunderte hinweg war es vor allem die Arbeit von Bergleuten. Anfänglich handelte es sich jedoch noch nicht um Bergbau im eigentlichen Sinne, weshalb ich – etwas frei – den tinner mit Zinner übersetze. Auch das Englische spricht von einem miner, dem Bergmann, erst mit Beginn des Tiefenbergbaus.2

Von welcher Zeit an Erz gewonnen wird, lässt sich nicht genau sagen, aber wahrscheinlich geschah das weit früher als die Funde beweisen, da die Lagerstätten über und über bearbeitet worden sind. In jeder Produktionsstufe wurde der Erdboden umgedreht und selbst der Abraum noch einmal zu nutzen gesucht. Nachweisbar ist, dass von 1500 vor unserer Zeitrechnung bis ins 20. Jahrhundert Zinn abgebaut wurde. Seit wann man in Cornwall Kupfer abbaute und Bronze herstellte, das heißt Legierungstechniken für Kupfer und Zinn kannte, lässt sich nicht genau sagen. Bronzefunde werden auf die Zeit um 1500 v. Chr. datiert.3

Hier eine kurze Vita der langen Geschichte des Bergbaus:4

Die Kelten, die im 7. Jahrhundert v. Chr., vermutlich aber bereits früher, nach und nach in Cornwall eindrangen, brachten ihre Sprache, Kultur und handwerklichen Künste mit, waren Meister in der Verarbeitung von Bronze und schafften es, dass Cornwall über viele Jahrhunderte mit dem Attribut keltisch versehen war.

Unter römischer Herrschaft erlitt die Zinnindustrie große Einbußen. Nicht nur, dass Caesar die für Cornwalls Handel mit den Mittelmeerländern wichtige Flotte der Veneter zerstörte: Mit Rom gab es auch nichts zu verhandeln, da es seinen Bedarf aus den hauseigenen Lagerstätten in Spanien deckte. Ihre Bürokraten verwalteten den äußersten Westen vom heutigen Exeter aus. In Cornwall war ihre Präsenz eher unauffällig.

Erst im 3. Jahrhundert n. Chr. kam die cornische Zinnindustrie erneut in Schwung, als die spanischen Lagerstätten nichts mehr hergaben, Zinn jedoch immer mehr nachgefragt wurde. Für Essgeschirr und Trinkgefäße aus Hartzinn vor allem, die bei den Reichen im römischen Imperium begehrt waren.

Abmarsch der Römer, Aufmarsch weiterer Invasoren. Auch in den Dark Ages, soviel weiß man, wurde weiterhin Zinn abgebaut und verhandelt, wenn auch in kleinerem Umfang.

Bemerkenswert ist die Entwicklung ab dem 12. Jahrhundert. Die Zinnindustrie war inzwischen derart bedeutend geworden, dass König John ihr eine Charta mit dem wohlklingenden Namen Charter of Liberties to the Tinners of Cornwall and Devon gab. Die Charta hatte zum Ziel, durch stärkere Kontrolle der Zinnindustrie die Einkünfte der Krone zu erhöhen. Was die Freiheiten der Zinner betraf, so machte sie amtlich, was längst schon Praxis war. Sie erlaubte dem Zinner als freier Mann zu arbeiten und ungehindert auf jedem unbebauten Land nach Zinn zu schürfen, auch auf den Lehen der Bischöfe, Äbte und Grafen, allerdings gegen eine Abgabe an den Grundbesitzer, im Englischen sehr sinnlich Lord’s Dish genannt, eine Speise, die den Lord gut nährte.

Überdies gewährte die Charta dem Zinner etliche Privilegien, die ihm innerhalb des Feudalsystems eine Sonderstellung einräumte: Er war vom Militärdienst freigestellt, unterlag nicht mehr der Rechtsprechung des Feudalherrn und zahlte auch keine der üblichen Steuern, wie etwa den Zehnt, sondern eine Abgabe auf das verhüttete Zinn an die Krone.

Den Feudalherren ging das alles zu weit. Sie opponierten unverzüglich, und von den Freiheiten des Zinners blieb außer dem Recht „to go for tin“ erst einmal nichts übrig.5

Doch schon wenige Jahre später, unter Henry III., trat die alte Charta wieder in Kraft. In der Charter of Liberties to the Tinners of Cornwall bestätigte König Edward I. Anfang des 14. Jahrhunderts nochmals die von König John gewährten Freiheiten. Der König brauchte Geld für seine Kriege, und die carrot-and-stick Politik,6 eine Mischung aus Anreiz und Kontrolle, schien das geeignete Mittel, sich Einkünfte aus der Zinnindustrie zu sichern.

Die Zinnindustrie war in Distrikte eingeteilt, hatte eine eigene Gerichtsbarkeit, eigene Gesetze und ab dem 16. Jahrhundert auch ein Parlament. Die Charta erhob Helston, Liskeard, Lostwithiel und Truro zu Münzstädten, denen die Besteuerung des Zinns oblag. Die coinage genannte Sondersteuer wurde nun an das Herzogtum Cornwall abgeführt und zu einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen.

Der Vergleich mit den mittelalterlichen Zünften drängt sich auf, doch während diese ausdrücklich Schutz vor Konkurrenz untereinander boten, wollte die Charta selbständiges Unternehmertum und Konkurrenz fördern, um die Produktivität und somit die Einnahmen für die Krone zu steigern.

In den Münzhallen versammelten sich zwei bis vier Mal im Jahr Zinner, Kaufleute, Zinngießer, Händler vom Kontinent und die Aufsicht führenden Beamten der Krone. Die Barren wurden gewogen und die Qualität des Zinns durch Herausschlagen eines münzgroßen Stückes geprüft. Abschließend wurde das Produkt mühevoller Arbeit durch das herzogliche Siegel geadelt.

Von Truro wird berichtet, dass die Straßen, in denen sich die Zinnbarren stapelten, „glitzerten wie im antiken Tyrus und alle Kaufleute Prinzen waren“, so Hamilton Jenkin in The Cornish Miner.7

Doch wie stand es wirklich um den freien, selbständig arbeitenden Zinner? Tatsächlich war er abhängig von der Krone, dem Markt und den Kaufleuten. Das Besteuerungssystem hatte den gravierenden Makel, dass der Zinner sein Produkt höchstens vierteljährlich verkaufen konnte.

Standen zusätzliche Ausgaben an, für Gerätschaften etwa, oder fielen Einkünfte gering aus, was mehr die Regel als die Ausnahme war, sahen sich viele Zinner gezwungen, Geld zu leihen. Leider war der Gläubiger zumeist auch der Abnehmer des Zinns. Diese Prinzen des Systems, die ohnehin nicht in dem Ruf standen, faire Preise zu zahlen, waren gegen überhöhte Zinsen bereit, dem Zinner Geld vorzustrecken, oft in der Absicht, den Schuldner mit der Zusage auf die nächste Lieferung an...

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