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E-Book

Jenseits des Wachstums

Warum wir mit der Erde Frieden schließen mu?ssen

AutorVandana Shiva
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783858696045
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Im 21. Jahrhundert plu?ndert eine dem grenzenlosen Wachstum verpflichtete globalisierte Wirtschaft die Erde und ihre Ressourcen in schier unersättlicher Weise: Weltweit werden Wälder, Wasser, fruchtbare Böden und Saatgut einer radikalen Marktlogik folgend patentiert, privatisiert, ausverkauft. Die ökologischen Kosten werden den lokalen Gemeinschaften - und, global betrachtet: uns allen - aufgebu?rdet. Vandana Shiva fordert einen Paradigmenwechsel: Schließen wir Frieden mit der Erde! Indien wird gern als Paradefall einer boomenden Wirtschaftsnation herangezogen. Am Beispiel ihrer Heimat erzählt die mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftlerin von wirtschaftlichen Megaprojekten und davon, wie Bauern und Umweltaktivisten ihr Recht auf ein eigenbestimmtes, nachhaltiges Leben und Arbeiten mit aller Kraft verteidigen. Shiva mahnt uns: Augen auf! angesichts der ökologischen und sozialen Folgen des Raubzugs gegen die Erde - ein aufru?ttelnder Appell gegen das zukunftsblinde »Weiter so«. Dieses Buch basiert auf einem Vortrag Vandana Shivas an der Universität Cambridge vom Fru?hjahr 2012. Es ist die Essenz einer herausragenden Denkerin unserer Zeit.

Vandana Shiva, geboren 1952 in Indien, Physikerin und Philosophin, zählt zu den herausragenden Denkerinnen unserer Zeit, wenn es um die Themen Umwelt, Frauenrechte und dezentralisierte Ökonomie geht. Ihr Wirken als Wissenschaftlerin und Aktivistin wurde u. a. mit dem Alternativen Nobelpreis gewu?rdigt. Im Rotpunktverlag erschienen: Der Kampf um das blaue Gold (2. AUflage 2005), Geraubte Ernte (2. Auflage 2011), Erd-Demokratie (2006) sowie Leben ohne Erdöl (2009).

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Leseprobe

2Der große Landraub


Die Erde, wo das Meer und die Flüsse und das Wasser, wo die Nahrung und die Völker der Menschen entsprangen, wo das atmende, sich bewegende Leben ist.

Aus der Prithvi Sukta,
einer Hymne aus der hinduistischen Textsammlung Atharva Veda

Land ist Leben. Es ist die Lebensgrundlage für die Bauern und die indigenen Völker überall in der Dritten Welt, und es ist auch auf dem besten Weg, zum wichtigsten Wirtschaftsgut in der globalen Ökonomie zu werden. Weil die Nachfrage nach Ressourcen in der Globalisierung ständig größer wird, ist Land zum Hauptschauplatz der Konflikte geworden. Die globale Wirtschaft, die durch Finanzspekulationen und maßloses Konsumverhalten angetrieben wird, braucht Land für den Bergbau und die Industrie, für Städte, Autobahnen und Biotreibstoff-Plantagen. Die spekulative Ökonomie der globalen Hochfinanz ist um einiges größer als der Wert der realen Güter und Dienstleistungen, die auf der Welt produziert werden. Das Finanzkapital hungert nach Investitionen und nach Gewinnen aus diesen Investitionen. Es muss alles und jedes auf dem Planeten zur Ware machen und vermarkten – Land und Wasser, Pflanzen und Gene, Mikroben und Säugetiere. Die Reduzierung von Land auf ein Wirtschaftsgut treibt in Indien den Landraub, das Land Grabbing durch die Unternehmen an. Und zwar sowohl durch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen als auch durch ausländische Direktinvestitionen in Ländereien. Land gehört für die meisten Menschen auf der Welt zur Identität eines Volkes, es ist die Basis von Kultur und Wirtschaft. 75 Prozent der Menschen in der Dritten Welt leben auf dem und vom Land – die Erde ist der größte Arbeitgeber unseres Planeten.

Das Prinzip der Sonderwirtschaftszonen

In Indien wird der Landraub durch eine toxische Mischung aus Politik und Justiz erleichtert: Das koloniale Landerwerbsgesetz von 1894, der sogenannte Land Acquisition Act, spielt zusammen mit der Deregulierung von Investition und Handel durch die neoliberale Politik und mit dem Aufkommen einer Herrschaft von unkontrollierter Gier und Ausbeutung. Die Weltbank arbeitet schon seit vielen Jahren daran, dass Land für Profit vermarktet werden kann. 1991 machten die Strukturanpassungsprogramme die Landreform rückgängig und deregulierten den Bergbau sowie die Straßen und Häfen Indiens. Während die Gesetze des unabhängigen Indien, das das Land in den Händen der Bauern belassen wollte, zurückgenommen oder geändert wurden, blieb das Landerwerbsgesetz aus dem Jahr 1894 unangetastet. Der Staat konnte sich also weiterhin das Land der Bauern und der indigenen Bevölkerung mit Zwang aneignen und dann an private Spekulanten, Immobilienhändler, Bergbauunternehmen oder Industriebetriebe weitergeben. In ganz Indien, von Battha in Uttar Pradesh bis nach Jagatsinghpur in Orissa und Jaitapur in Maharashtra, hat die Regierung unseren Bauern den Krieg erklärt, um deren fruchtbares Land zu rauben. Sie wendet dabei das Landerwerbsgesetz von 1894 an: zugunsten des Großkonzerns Jai Prakash Associates in Uttar Pradesh, für die Yamuna-Autobahn oder für den Bau luxuriöser Villenviertel in der Industriestadt Noida, zugunsten des koreanischen Stahlgiganten POSCO in Orissa oder des französischen Energiekonzerns Areva in Jaitapur. Die Bauern haben 2011 gegen die ungerechte Landnahme protestiert. Vier Menschen wurden getötet und viele beim Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Polizei verletzt.

Geld kann den Verlust von Land und Boden nicht kompensieren. Parshu Ram, ein achtzigjähriger Bewohner des Dorfes Acheja, der sein Land an die Yamuna-Autobahn verloren hatte, sagte: »Ein Außenstehender kann niemals verstehen, was es heißt, landlos zu werden.« Die Regierung hat den Bauern ihren Boden für umgerechnet etwa fünf US-Dollar Entschädigung pro Quadratmeter weggenommen. Von den Bauträgern wird derselbe Quadratmeter für 10 000 US-Dollar verkauft – eine 200 000-prozentige Erhöhung des Preises und so auch des Profits. In Maharashtra eröffnete die Polizei das Feuer auf friedliche Demonstranten, die gegen das geplante Atomkraftwerk in Jaitapur im Ratnagiri-Distrikt protestierten. Eine Person starb, acht weitere wurden an diesem 18. April 2011 schwer verletzt. Das vom Areva-Konzern gebaute AKW in Jaitapur wird das größte der Welt sein. Der Protest hat nach dem Unglück in Fukushima zugenommen, aber ebenso die Halsstarrigkeit der Regierung. Eine ähnliche Krise braut sich in Jagatsinghpur (Orissa) zusammen. An diesen Ort wurden zwanzig Bataillone beordert, um die verfassungswidrige Landnahme durchzusetzen und Indiens bisher größte ausländische Direktinvestition zu schützen – das Stahlprojekt der Firma POSCO. Die Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, rund vierzig Betel-Farmen pro Tag zu zerstören, um die Landnahme zu erleichtern. Mit dem Anbau von Betel erwirtschaften Kleinbauern umgerechnet 15 000 US-Dollar pro Hektar. Die Anti-POSCO-Bewegung ist in den letzten fünf Jahren während ihrer friedlichen Proteste immer wieder mit staatlicher Gewalt konfrontiert worden. Nun bereitet sie sich auf eine weitere, vielleicht die entscheidende, gewaltfreie und demokratische Widerstandsaktion vor.

Während die indische Verfassung die Rechte der Menschen und der Dorfgemeinschaften, der Panchayats, anerkennt, über Boden- und Entwicklungsfragen selber demokratisch zu entscheiden, tritt die indische Regierung diese Rechte mit Füssen. Beim POSCO-Projekt haben sich drei Panchayats geweigert, ihr Land aufzugeben. Der Einsatz von Gewalt und die Zerstörung von Lebensgrundlagen widerspiegeln einen Trend, der nicht bloß für die Zukunft der indischen Demokratie gefährlich ist, sondern auch für das Überleben des indischen Nationalstaates an sich.

Es kann nicht als öffentliches Interesse erachtet werden, fruchtbares Land in die Hände von Privatunternehmen zu geben, die dann die neuen Zamindare, die neuen aristokratischen Großgrundbesitzer sind. Privatisierte Super-Autobahnen und Schnellstraßen zu bauen, ist nicht das gleiche wie notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Die wirkliche Infrastruktur, die Indien benötigt, ist eine ökologische Infrastruktur, die Ernährungssicherheit und Wassersicherheit schafft. Wenn wir unser fruchtbares und Nahrung produzierendes Land unter Beton und Fabriken begraben, dann begraben wir die Zukunft des Landes. Während die Landbewohner demokratisch über die Landfrage debattieren, rufen wir die Regierung auf: Friert alle Landnahmen ein; stoppt die Polizeiaktionen gegen die Bauern, die ihr Land verteidigen; verlagert die politische Diskussion vom Erwerb des Bodens hin zur Erhaltung des Bodens; identifiziert »No-go-Areas«, eigentliche Landwirtschaftszonen, deren ökologisch reicher und fruchtbarer Boden auf keinen Fall umgenutzt werden darf.

Eine der größten Landnahmen in Indien passiert im Namen der Sonderwirtschaftszonen, der sogenannten Special Economic Zones (SEZ). Seit der entsprechenden Gesetzesverabschiedung im Februar 2006 hat die Regierung Hunderte von SEZ freigegeben, und weitere Gesuche von Bauträgern sind hängig. Sonderwirtschaftszonen sind speziell markierte Gebiete, in denen die üblichen Regeln und Rechtsvorschriften des Landes keine Geltung haben. Im Zentrum stehen da die Förderung von Exporten und die Schaffung eines investitionsfreundlichen Klimas für ausländische Kapitalgeber, unter anderem durch Steuergeschenke. Die Einheiten dieser Sonderwirtschaftszonen müssen zwar insgesamt devisenbringend sein, doch sonst haben sie keine zusätzlichen Anforderungen, etwa bezüglich einer vorgeschriebenen Wertsteigerung oder einer minimalen Exportleistung, zu erfüllen. Auch sind die SEZ nicht an die üblichen Arbeitsgesetze und Arbeitsverträge gebunden. Jeder private, öffentliche oder gemischtwirtschaftliche Sektor oder jede Regierungsbehörde kann eine SEZ beantragen. Auch ausländische Unternehmen sind dazu berechtigt.

SEZ-Einheiten haben Anrecht auf 100 Prozent Steuerfreiheit in den ersten fünf Jahren, 50 Prozent für die nächsten zwei Jahre; dazu kommt ein 50-prozentiger Steuererlass auf die wieder ins Geschäft investierten Exporterlöse für weitere fünf Jahre. Verluste können vorgetragen werden. Das Finanzministerium hat errechnet, dass dem Fiskus durch die SEZ allein zwischen 2004 und 2010 über 30 Milliarden US-Dollar entgangen sind. Die Projektträger dürfen für die Entwicklung, den Betrieb und den Unterhalt ihres Vorhabens Produkte zollfrei importieren. Sie genießen zehn Jahre lang ein steuerfreies Einkommen, mit einer eigentlichen Schonfrist von 15 Jahren. Dazu haben sie das Recht, bereits entwickelte Industriezonen in die neu genehmigten SEZ einzugliedern, und zwar nach rein kommerziellen Kriterien und um Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität, Sicherheit, Restaurants, Freizeitzentren usw. privatwirtschaftlich anbieten zu können. Darüber hinaus sind diese Sonderzonen von der Dienstleistungssteuer befreit. Ein Jahr nach Verabschiedung des SEZ-Gesetzes und weniger als sechs Monate nach der Einführung der Rechtsvorschriften hat der nordindische Bundesstaat Haryana damit begonnen, die größte Multi-Produkt-SEZ Indiens...

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