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Jenseits von Gut und Böse

Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind

AutorMichael Schmidt-Salomon
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783492956796
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seit Charles Darwin wissen wir: Wir sind kaum mehr als »nackte Affen«. Und doch erklären wir uns moralisch gern zu höheren Wesen. Aber was wäre, wenn uns gerade die Unterscheidung in Gut und Böse ins Unglück stürzte? Wenn es uns ohne Moral besser ginge? Michael Schmidt-Salomon, streitbarer Kämpfer gegen den Geist unserer Zeit, entlarvt den freien Willen und die religiös verankerte Aufteilung in Gut und Böse als Illusionen. Ein provokatives Buch mit einer wahrhaft erlösenden Botschaft - die erstaunliche lebenspraktische und gesellschaftliche Folgen hat.

Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil., geboren 1967, ist freischaffender Philosoph und Schriftsteller sowie Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. Er ist häufiger Interviewpartner in Presse, Funk und Fernsehen. Bei Piper erschienen von ihm »Jenseits von Gut und Böse«, »Leibniz war kein Butterkeks« (mit Lea Salomon), »Keine Macht den Doofen«, »Hoffnung Mensch«, »Die Grenzen der Toleranz« sowie zuletzt »Entspannt euch!«.

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Leseprobe
EINLEITUNG
 

Das Böse ist eine Wahnidee, die zwar in unseren Köpfen herumspukt, für die wir in der Realität jedoch keine Entsprechung finden. Je genauer wir hinschauen, desto klarer erkennen wir: Gute und böse Menschen gibt es ebenso wenig wie gute und böse Katzen, Elefanten, Regenwürmer oder Delfine.

Als ich diese zugespitzte These vor etwa einem Jahrzehnt auf einer philosophischen Tagung vortrug, blickte ich in einigermaßen verstörte Gesichter. Von Gott und Teufel hatte sich das philosophisch gebildete Publikum, vor dem ich referierte, zwar weitgehend verabschiedet, doch an der Unterscheidung von Gut und Böse meinte es unbedingt festhalten zu müssen.

Und so stießen meine Argumente gegen das »moralische Schuldprinzip« auf hartnäckigen Widerstand – vor allem, als ich ausführte, dass sich auch Hitler und Stalin nicht aus »freiem Willen« für »das Böse« entschieden hatten. Dass die beiden Diktatoren, immerhin die Hauptverantwortlichen für die Abschlachtung von Millionen von Menschen, letztlich nur das tun konnten, was sie tragischerweise aufgrund ihrer jeweiligen Lebenserfahrungen tun mussten, war ein geradezu ungeheuerlicher Gedanke, den die meisten Zuhörer voller Entrüstung von sich wiesen. Wo kämen wir auch hin, wenn »derartige Bestien« moralisch entschuldigt würden?!

Reaktionen wie diese sind verständlich. Denn unsere Gehirne wurden über Jahrhunderte hinweg auf der Basis von »Schuld und Sühne« und »Gut und Böse« programmiert. Dass man die Welt auch auf eine völlig andere Weise wahrnehmen könnte, kommt vielen Menschen gar nicht erst in den Sinn. Deshalb setzt sich derjenige, der den Versuch unternimmt, diese Denkmuster infrage zu stellen, der Gefahr aus, grob missverstanden zu werden. Nur zu leicht kann man ihm unterstellen, dass er die Gräueltaten Hitlers oder anderer Diktatoren legitimieren wolle. So war es nach meinem Vortrag vor ungefähr zehn Jahren und ich befürchte, dass derartige Fehlinterpretationen auch die Aufnahme des vorliegenden Buches begleiten werden.

Dass ich trotz dieser Gefahr abermals den Versuch wage, eine menschenfreundliche Philosophie jenseits von Gut und Böse zu skizzieren, mag man als Ausdruck von Dickköpfigkeit interpretieren. Doch im Laufe der Jahre ist in mir die Überzeugung gewachsen, dass ein konsequenter Abschied vom moralischen Dreigestirn »Schuld – Sühne – Strafe« das Beste wäre, was uns passieren könnte. Friedrich Nietzsche sah in diesem Abschied sogar den »Fortschritt aller Fortschritte«.1 Obgleich der »Philosoph mit dem Hammer« durchaus zu Übertreibungen neigte, mit dieser Einschätzung traf er voll ins Schwarze: In der Tat würde sich unser Verhältnis zur Welt in dramatischer Weise verbessern, wenn wir unsere altbackenen Moralvorstellungen endlich aufgeben könnten. Denn diese Vorstellungen haben uns summa summarum krank, kritikunfähig, selbstsüchtig und dumm gemacht.

Verlieren würden wir durch den Abschied von Gut und Böse nichts, worauf wir nicht gut und gern verzichten könnten. Denn das traditionelle Gut-und-Böse-Schema hat uns im Kampf um eine humanere Gesellschaft keineswegs geholfen. Im Gegenteil! Hinter der moralischen Maske lauerte immer schon der blinde Instinkt der Rache. Die Belegung »des Fremden«, »des Abweichlers«, »des Gegners« mit dem »Signum des Bösen« erlaubte erst jene Eskalation von Gewalt, die sich wie ein blutroter Faden durch die Geschichte der Menschheit zieht.

Ein Abschied von diesem archaischen Denkmuster würde uns – so eine der Hauptaussagen des vorliegenden Buches – nicht nur in ethischer Hinsicht stärken, er würde uns auch zu einer entspannteren Weltsicht verhelfen. Dieser Perspektivenwechsel würde unser Verhältnis zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen entkrampfen, ja, er hätte durchaus auch eine »spirituelle Dimension«: Denn was Gläubige tagaus, tagein in ihren Gebeten erflehen, die »Erlösung von dem Bösen«, liefert uns eine humanistische, rational-wissenschaftliche Weltsicht gewissermaßen »frei Haus«. Zu dieser »Erlösung« bedarf es nämlich keiner göttlichen Gnade, keines wie auch immer gearteten Beistands von oben, sondern lediglich einer kritischen Überprüfung unserer Annahmen über die Welt.

Sie sind skeptisch? Gut so! Würde ich einen Text lesen, der derartige »Welterlösungsformeln« enthielte, würden auch bei mir sofort sämtliche Alarmsirenen ertönen. Aber ich darf Sie beruhigen: Ich habe ganz gewiss nicht vor, eine neue Religion zu begründen. Als kritisch-rationaler Philosoph2 liegt es mir fern, Versprechungen zu machen, die nicht in irgendeiner Form überprüfbar wären. Und so werde ich Ihnen auch ganz bestimmt nicht vorgaukeln, dass Sie bloß diese oder jene »Weisheit« berücksichtigen müssten und schon wären auf einen Schlag sämtliche Probleme der menschlichen Existenz gelöst.

Die in Aussicht gestellte Erlösung von dem Bösen meint deshalb auch keineswegs die Erlösung von allen Übeln. Selbstverständlich werden wir auch nach dem philosophischen Abschied von Gut und Böse nicht das »Paradies auf Erden« finden. Leid, Schmerz und Tod bleiben unsere ständigen Begleiter. Allerdings können wir sehr wohl lernen, mit diesen Widrigkeiten des Lebens etwas vernünftiger, etwas gelassener, etwas humorvoller umzugehen.

Paradoxerweise sind es gerade die von vielen als kränkend empfundenen Ergebnisse der modernen Naturwissenschaften, die uns bei der Bewältigung dieser Aufgabe helfen können. Ich bin überzeugt – nicht zuletzt aufgrund eigener Erfahrung: Wenn wir die Kraft der Wissenschaft nutzen, um den illusionären Ballast über Bord zu werfen, mit dem wir gewöhnlich durch die Stürme und Flauten des Lebens schippern, so verhilft uns dies zu einer alternativen, heiter-gelassenen Lebenseinstellung, zu einer »neuen Leichtigkeit des Seins«.

Was hierunter zu verstehen ist, werde ich erst im Verlauf des Buches entfalten. So viel sei aber schon verraten: Es handelt sich um eine Lebensauffassung, die so manche negativen Emotionen, die uns als Einzelpersonen belasten und auch das Zusammenleben mit anderen erschweren – etwa Versagensängste, Minderwertigkeitskomplexe, Größenwahn oder Rachsucht –, gar nicht erst aufkommen lässt. Sie meinen, das sei unmöglich? Lassen Sie sich überraschen!

Allerdings: Bevor wir uns dieser »neuen Leichtigkeit des Seins« zuwenden können, müssen wir zunächst einen Parforceritt durch die Wissenschaften absolvieren und uns unter anderem mit der Hirnforschung, Evolutionsbiologie, Genetik, Soziologie und Psychologie beschäftigen. In der weltanschaulichen Verarbeitung dieser wissenschaftlichen Ergebnisse werden selbstverständlich auch Philosophen und Theologen zu Wort kommen. Damit das Ganze nicht zu trocken wird, werde ich zwischendurch immer wieder kleinere Anekdoten und Geschichten einstreuen, um die mitunter vielleicht etwas abstrakten wissenschaftlichen und philosophischen Erörterungen zu illustrieren und ein wenig verdaulicher zu machen.

Eine Geschichte wird uns dabei häufiger begegnen. Sie bildet gewissermaßen den roten Faden dieses Buches. Es handelt sich um jene berühmte Erzählung, die man auf den ersten Seiten des sogenannten Buches der Bücher findet: Die Geschichte von Adam und Eva und jener vermaledeiten Frucht, der wir der biblischen Legende zufolge den ganzen Schlamassel hier auf Erden zu verdanken haben …

Die Geschichte von Eva und dem Apfel, der keiner war


Als man mir zum ersten Mal – ich war wohl gerade fünf oder sechs Jahre alt – die Geschichte vom biblischen Sündenfall erzählte, war ich ziemlich erbost über das Verhalten Evas, die uns, wie ich dachte, bloß wegen eines schnöden Apfels ein Leben in ewiger Glückseligkeit verdorben hatte. Nicht dass ich ein prinzipieller Gegner des Apfelgenusses gewesen wäre, aber mir schien der Preis, den Eva und in ihrer Nachfolge auch ich für diese Frucht zahlen mussten, entschieden zu hoch zu sein.

Es hat einige Zeit gedauert, bis mir klar wurde, dass die Geschichte von Adam und Eva kein historisches Ereignis widerspiegelte, sondern bloß eine phantasievolle, literarische Erfindung war. Der Menschheit insgesamt erging es in dieser Hinsicht kaum anders. Über Jahrhunderte hinweg haben Christen in kindlicher Naivität an die biblische Schöpfungsgeschichte geglaubt. Wer Zweifel am Realitätsgehalt dieser Legende äußerte, lief Gefahr, als Ketzer verbrannt zu werden. Entsprechend verbissen wurde später von religiöser Seite der Kampf gegen die Evolutionstheorie geführt, die nach den Erschütterungen der kopernikanischen Wende dem biblischen Schöpfungsmythos auch noch die allerletzten empirischen Grundlagen entzog.

Wie wir fast täglich aus den Medien erfahren können, ist der Widerstreit zwischen Kreationismus (Schöpfungsglaube) und Evolutionstheorie noch längst nicht ausgefochten. So anachronistisch es auch erscheinen mag: Noch heute gibt es weltweit Abermillionen gläubiger Juden, Christen und Muslime, die die biblische Legende mit einem historischen Tatsachenbericht verwechseln. Man denke nur an die 120 Millionen bibeltreuer US-Amerikaner, die felsenfest davon überzeugt sind, dass das Universum zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als die Mesopotamier schon das erste Bier brauten …3

Im weitgehend säkularisierten Westeuropa ist der Glaube an die reale Existenz von Adam und Eva jedoch nur noch selten anzutreffen. Die meisten Menschen haben in unserem Kulturraum den Erkenntnisfortschritten der letzten Jahrhunderte Tribut gezollt. Für sie ist der biblische Schöpfungsmythos nichts weiter als ein Stück Weltliteratur, vergleichbar etwa mit den Werken Homers,...

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