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E-Book

Jetzt ist deine Zeit

Mein Weg, das Leben zu genießen

AutorEddi Hüneke
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783451346569
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Immer blöd, wenn einem die Stimme wegbleibt. Noch blöder, wenn es dir als Sänger vor einem Konzert mit 2000 Zuschauern passiert. Hier erzählt Wise-Guys-Star Eddi Hüneke, was ihm in solchen Momenten geholfen hat: Vom Rüstzeug, das ihm seine Kindheit mit vier Geschwistern in einem Londoner Pfarrhaus mitgegeben hat, vom Flow auf der Bühne, aber auch von tiefen Enttäuschungen und dem Mut, sie immer wieder zu überwinden.

Eddi Hüneke, geb.1971, Gründungsmitglied der A-cappella-Band 'Wise Guys', lebt mit Frau und vier Kindern in Hürth.

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Leseprobe

Jetzt ist deine Zeit:
Routine, Aufregung & Flow


Ende der Neunziger hatte ich mit dem Thema Aufregung eine richtige Krise. Hauptberuflich sah ich mich damals noch als Student. Wir hatten eine Konzertreihe im Millowitsch-Theater in Köln, und da geschah etwas Merkwürdiges. Ich stand plötzlich neben mir und begann, runter zu zählen: »Noch neun Lieder, noch acht Lieder, noch sieben …« Wie ein Automat. Klar, wenn du ein Lied hundert Mal oder öfter gesungen hast – irgendwann wird es selbstständig, es singt sich quasi von selbst, und du bist nur noch dabei. Für die Bühne ist das natürlich die Hölle: Wer will schon ein Automat sein? Und wer will schon einem Automaten beim Singen zuhören oder zusehen? Ich war in meiner Routine gefangen. Diese Gefahr besteht für jeden Profimusiker, für mich war es aber das erste Mal. Es war nicht einfach, damit klarzukommen.

Belastend war zu dieser Zeit außerdem, dass ich ja immer noch den Plan hatte, mein Theologiestudium zu beenden. Irgendwo in meinem Kopf war das noch versteckt, obwohl ich im Grunde schon lange nicht mehr ernsthaft studieren konnte. Auftritte, Vorbereitung und das Songschreiben nahmen viel zu viel Zeit in Anspruch. Was blieb, war ein schlechtes Gewissen, das mich ständig begleitete. Ich empfand es oft als »unruhiges Grundgefühl« – sehr energieraubend. Als mir das bewusst wurde, rang ich mich zu einer Entscheidung durch: Du stellst die Wise Guys an die erste Stelle! Diese Entscheidung musste ich danach noch einige Male treffen, zuletzt und sehr intensiv im Jahr 2008. Aber jedes Mal war es eine innere Befreiung. Dieser jahrelange Prozess, in dem ich zum Wise Guy wurde, hat mich viel über das Leben und mich selbst gelehrt; in Kapitel 4 gehe ich ausführlich darauf ein.

Nach dieser Entscheidung war der Weg frei. Und dieser Schwung half mir auch, den Automaten-Eddi zu überwinden. Seit dieser Zeit erlebe ich manchmal sogar das Gegenteil von automatischem Abspulen, nämlich echte Flow-Erlebnisse. Flow ist der Begriff, mit dem der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi ein Phänomen bezeichnet, das es sicherlich schon seit tausenden von Jahren gibt. Es tritt nur auf, wenn wir etwas zielgerichtet tun: Radfahren, Klavierspielen, Kartoffelschälen, Garten umgraben – oder eben singen. Das Flow-Erlebnis setzt außerdem voraus, dass uns das, was wir tun, weder über- noch unterfordert. Vielmehr sollte alles von großer Mühelosigkeit geprägt sein. Handlung und Bewusstsein verschmelzen, auch das Zeitgefühl kann sich verändern. Es ist fast ein widersprüchlicher Bewusstseinszustand, geprägt einerseits von großer Wachheit und andererseits von innerer Versenkung.

Wenn ich singe, versuche ich, diesen Zustand zu erreichen. Statt mich aus der Sache rauszuziehen, begebe ich mich direkt hinein, tue alles, was ich tue, besonders bewusst. Wenn sich Automatismus-Gefühle anschleichen, hilft es mir, wenn ich mich innerlich frage: Wie empfinde ich das, was gerade passiert? Sobald ich diese Frage innerlich beantworte, gleite ich geradewegs in den Moment, ins Jetzt: in die Schwingungen des Moments, ins Zusammenspiel mit den Jungs auf der Bühne, aber auch mit dem Publikum.

Was bei so einem Konzert geschieht, ist unglaublich komplex: Jeder Wise Guy nimmt sich selber wahr, die anderen Sänger und natürlich das Publikum. Das multipliziert sich mit den Sinnen, denn jeder von uns hört sich und die anderen, sieht die anderen Jungs und die Leute vor der Bühne, und natürlich spüren wir das alles auch. Musik ist ja Schwingung: Die gesungenen Töne, dazu die Verstärker und Lautsprecher bringen die Körper zum Vibrieren, unsere und die der Zuhörer. Im Grunde ist es unfassbar, was da alles gleichzeitig passiert! Das wird noch intensiver, weil wir auf der Bühne elektronische Stöpsel im Ohr haben, mit denen wir hören, was jeder andere Wise Guy gerade singt. Diese Mikrofone übertragen aber natürlich auch Nebengeräusche. Wenn ein anderer Wise Guy schmatzt oder hustet, bekomme ich das direkt ins Ohr. Aber auch was die Zuschauer machen, höre ich über die Mikros, über mein eigenes und über die der anderen. Das ist eine solche Fülle an Informationen, dass sie ein Mensch bewusst gar nicht verarbeiten kann. Auch deshalb gerät man wohl so leicht in einen Automatik-Modus, vielleicht eine Art Überlastungsschutz. Seit ich das überwunden habe, kann ich genau den entgegengesetzten Weg gehen und mich auf all das einlassen, was da ist. Nicht immer, aber immer öfter.

Diese hochempfindlichen Mikrofone, die wir verwenden, zeichnen wirklich alles auf. Wenn wir dann leise Lieder singen, kann man manchmal hören, wie still es im Saal ist. Da sitzen oder stehen tausend oder zweitausend Menschen im Saal – aber wenn wir bei einer Ballade wie »Mad World« für die nächste Zeile Luft holen, könnte man eine Stecknadel fallen hören. Das sind große, berührende Momente, und wenn es mir gelingt, mich ganz hineinzubegeben, alles wahrzunehmen, was gerade da ist, dann erlebe ich ein fließendes Gefühl in der Wahrnehmung – eben diesen Flow. Nichts trennt mich dann von dem, was geschieht, nichts trennt mich von meinen Mitsängern oder dem Publikum.

Ganz stark ist das bei dem Song »Sing mal wieder« zu spüren oder bei »Ich sing dich an die Wand«. Bei beiden Liedern gibt es einen interaktiven Mitsing-Teil: Die Jungs machen den Background, ich singe eine Sequenz vor und das Publikum wiederholt sie. Beim neueren Titel teilen Nils und ich uns den Mitsing-Teil. Da ist im Idealfall nichts geplant, sondern es geschieht ganz von selbst, aus dem Moment heraus – wenn wir im Flow sind 

 

Ein ganz intensives Flowerlebnis hatte ich, als ich den Text für das Lied »Jetzt ist deine Zeit« geschrieben habe. Der Text steht vorne im Buch. Das war 2010 in der Eifel, alles war tief verschneit, eisig kalt, und wir waren in einem sehr schönen Ferienhäuschen. Das kreative Texten ist nicht unbedingt meine Stärke, Musikmachen fällt mir viel leichter. Deshalb freue ich mich, wenn beim Kreativsein das Drumherum schön ist; das hilft aber auch nicht immer 

Diesmal hatte es sich etwas anders ergeben. Wenn das Lied schon »Jetzt ist deine Zeit« heißen sollte, warum sollte es dann nicht genau so entstehen, aus dem Jetzt heraus? Also habe ich mir einen Raum eingerichtet, in dem ich singen konnte. Mikroständer, Akustikwände außen rum, Mikro und die ganze Elektronik natürlich. Ich wollte mich davorstellen, singen und einfach sehen, was passiert. Es war faszinierend! Zwar kam ich mir zuerst ein bisschen dämlich vor, aber es hörte ja keiner zu. Irgendwann entstanden dann Text-Fragmente und Melodie-Ideen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Aus dem Singen heraus, bei ruhenden Gedanken! Ich sah aus dem Fenster. Ein rauer Wind wirbelte die Schneeflocken durch die Luft. Und ich tat genau das, wovon im Lied die Rede ist – ich versuchte, den Moment zu genießen. Ich kam in den Flow, von Moment zu Moment. Wahrscheinlich ist der Text deshalb auch nicht konkret und eindeutig. »Jetzt ist deine Zeit« passt für jemanden, der erfährt, dass er bald sterben muss. Der Text passt aber auch für ein Liebespaar, das nur eine kurze Zeit gemeinsam hat. Ich mochte solche Texte schon immer, die keine konkreten Situationen beschreiben, sondern die wie Brillen sind, durch die man auf das Leben schaut. Insofern ist »Jetzt ist deine Zeit« sicherlich der Song meines Lebens.

 

Dän hat mir bei der Ausarbeitung des Liedtextes übrigens später geholfen und die dritte Strophe ergänzt. Nicht nur bei den Kreativzeiten, die wir uns meistens zweimal jährlich gönnen, sind wir oft füreinander die ersten Hörer der neuen Songs und denken viel zusammen nach, werden gemeinsam kreativ. Bisweilen entwickeln wir auch zusammen die Grundideen oder schreiben etwas zusammen. Aber Dän schreibt viel mehr Songs als ich. Gelegentlich fragt er mich, ob ich einen Text von ihm vertonen will. Ich hoffe, nicht nur aus Nettigkeit 

 

Die Erfahrung mit dem Flow lässt sich übrigens auch mit in den Alltag nehmen. Es geht darum, wahrzunehmen, was ist. Das klingt zunächst fast ein bisschen dämlich: »Wahrnehmen, was gerade da ist.« Was denn sonst? Aber wenn man beobachtet, was wir alles denken, während wir etwas tun, sieht es ganz anders aus. Oft, wenn ich am Computer sitze und gleichzeitig etwas esse, einen Apfel zum Beispiel, bekomme ich von der Frucht so gut wie nichts mit: Meine Aufmerksamkeit gilt ganz dem Computer. Noch schlimmer ist es unterwegs: Wenn mich etwas scheinbar Wichtiges oder Ärgerliches beschäftigt, laufe ich im Grunde wie betäubt durch die Gegend und merke erst spät oder gar nicht, was um mich herum ist. Wie schön der Morgen eigentlich ist, wie klar die Luft, wie die Vögel singen usw. Sogar, wenn wir mit anderen Menschen sprechen, sind wir im Geist oft woanders. Solche Gespräche verlaufen natürlich anders als die, in denen wir mit unserer Aufmerksamkeit ganz beim Gegenüber sind.

»Monkey Mind« nennt das der Dalai Lama, wenn die Gedanken wie Affen durch den Urwald turnen, von Baum zu Baum, immer auf der Suche nach der nächsten Banane. In der digitalen Welt wimmelt es ja nur so vor »Bananen«. SMS, Mails, sonstige Messages, Facebook-Status, Anrufe – es gibt immer was zu gucken, zu checken, zu klicken und zu denken. Besonders häufig ist unser Geist in der Zukunft oder in der Vergangenheit. Beim Test nächste Woche, dem Konzert gestern oder dem Streit vor einer Stunde.

Dabei können wir weder die Vergangenheit ändern noch die Zukunft beeinflussen. Wir existieren immer nur in der Gegenwart. Jetzt – das ganze Leben lang. Das wird oft unterschätzt. Pläne für die Zukunft zu machen, ist ja durchaus in Ordnung, aber...

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