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E-Book

Joachim Gauck

Träume vom Paradies - Biografie

AutorJohann Legner
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641102135
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Zum 75. Geburtstag des Bundespräsidenten am
24. Januar 2015

Zwischenbilanz für Joachim Gauck: Zum 75. Geburtstag des elften Bundespräsidenten und zur Halbzeit im Amt wagt Johann Legner eine Biografie, die zwischen Nähe und Distanz fein changiert. Dabei gewinnt er seine besondere Perspektive aus den Erfahrungen als langjähriger Vertrauter Gaucks und aus einem genauen Blick auf die geschichtlichen Umbrüche in dessen Leben. Legners zentrale These ist, dass Gauck keineswegs zufällig in sein Amt kam. Er sieht den langjährigen Pastor als unverzichtbaren Botschafter des Gemeinsamen jenseits der Parteipolitik. Mit seinen charismatischen Fähigkeiten gewinnt Gauck den Respekt für ein beschädigtes Amt zurück. Er spricht die Menschen in ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Eigenverantwortung glaubwürdig an. Aber seine Botschaft ist nicht frei von der Gefahr pathetischer Überhöhung. Sie bedarf einer stetigen kritischen Reflexion. Der Autor erklärt, warum Gauck nicht all diesen Erwartungen wird genügen können.

Johann Legner (1954-2015) wurde in Bopfingen/Ostwürttemberg geboren. Er studierte in Berlin und Strasbourg Politik und Volkswirtschaft und begann seine Laufbahn als Journalist 1980 bei der taz. Von 1986 bis 1990 arbeitete er für die FDP-Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen, danach kehrte er in den Journalismus zurück, zuerst bei der ARD, dann beim Nachrichtensender n-tv. Von 1996 bis 2000 war er der Pressesprecher von Joachim Gauck. Seitdem war er wieder als Journalist und Autor tätig, unter anderem als stellvertretender, zeitweise auch kommissarischer Chefredakteur der Lausitzer Rundschau. Für ein Jahr ging er 2012 als Korrespondent der Nachrichtenagentur dapd nach Washington.

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Leseprobe

1

Wer, wenn nicht ich – wo, wenn nicht hier?

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen lässt sich gern ohne Mitreisende in seinem Dienst-Mercedes durch die Lande fahren. Joachim Gauck liebt diese einsamen Momente, in denen er ungestört liest oder sich ein Nickerchen gönnt. Mal kurz für eine halbe Stunde vollkommen abschalten – das kann er auf solchen Reisen ganz ausgezeichnet. Da tankt er wieder auf und gewinnt Kraft für den nächsten Auftritt. Und wenn es die Zeit zulässt, bittet er den Fahrer auch um einen kleinen Ausflug auf Landstraßen – dort rüttelt es so schön und döst es sich noch etwas besser. Wenn aber so einer wie beispielsweise der bekannte britische Historiker Timothy Garton Ash anfragt, ob er mitreisen kann, wird eine Ausnahme gemacht. So einer wie Ash darf mit. Und so fahren die beiden im Frühling 1999 ein gutes Jahr vor dem Ende der Amtszeit des Bundesbeauftragten gemeinsam nach Rostock.

Ash hat sich zu dieser Zeit bereits als vorausschauender Beobachter der Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa einen Namen gemacht. Er verknüpft vorzugsweise persönliche Erlebnisse und den großen Gang der Weltgeschichte miteinander. So kann er aus eigener Erfahrung mitreden, wenn es um die Aktivitäten der kommunistischen Geheimpolizei geht. Ashs Schilderungen der ostdeutschen Staatssicherheit speisen sich aus dem Studium der Stasi-Akten, die einst über ihn angelegt wurden. Das hat er zu einem Buch verarbeitet – Die Akte Romeo.3 Gauck überreicht er ein Exemplar samt Widmung.

Als Student konnte Ash, wie so mancher junge Brite, zu Beginn der Achtzigerjahre einige Monate in der DDR verbringen und wurde, wie alle westlichen Gäste dort, sehr genau von der Staatssicherheit beobachtet. Dem zukünftigen Historiker Ash begegnete die Geheimpolizei der DDR von Anfang an mit tiefem Misstrauen und vermutete in ihm zunächst einen Agenten Ihrer Britischen Majestät. Auch deswegen kümmerte sich die Stasi-Hauptabteilung II, die Spionageabwehr, um ihn. »Romeo«, der von der Stasi für Ash gewählte Deckname, hat aber nichts mit den von ihm andeutungsweise geschilderten amourösen Abenteuern in der DDR zu tun. Der Name auf seinen Überwachungsakten bezieht sich auf ein neu erworbenes Automobil der Marke Alfa Romeo, das der Brite nach Berlin mitgebracht hatte.

Dieses Mal, 1999 mit Gauck, ist Ash allerdings tatsächlich mit einem Auftrag aus London unterwegs. Zum 10. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer wird er für die BBC eine Filmreihe produzieren, die überall auf dem Globus die Menschen noch einmal an die Ereignisse erinnern soll. Joachim Gauck hat er darin eine herausragende Rolle zugedacht.

Gauck und Ash verbindet auf der Fahrt von Berlin nach Rostock eine eigenartige Komplizenschaft. Sie wollen der Welt etwas beweisen, was in jenen Tagen nicht jedem einleuchten mag. Ash wird als Zeugen und Akteure jenes Wendepunkts der Weltgeschichte drei Persönlichkeiten porträtieren. Dass er Gauck in dieses Trio einordnet, ist keinesfalls eine selbstverständliche Sache, und Gauck wie Ash wissen das nur zu gut. Die beiden anderen Protagonisten sind der Pole Lech Wałęsa und der Tscheche Václav Havel. Gauck schmeichelt dieses Vorhaben, es macht ihn aber auch verlegen. Es steht ja die Frage im Raum, ob sich die zwei Reisenden nach Rostock mit diesem Trio – Havel, Wałęsa, Gauck – nicht etwas anmaßen.

Wałęsa und Havel kennt jeder politisch interessierte Mensch in ganz Europa und weit darüber hinaus. Havel wie Wałęsa stiegen nach 1989 von einst Verfolgten zu den Staatsoberhäuptern ihrer Vaterländer auf. In ihren Taten sahen sich ihre Nationen verkörpert. Sie sind mit Ehrungen überschüttet worden – Wałęsa hat sogar den Friedensnobelpreis überreicht bekommen.

Es ist das beredte Schweigen über die Personenwahl des britischen Wissenschaftlers, das die Fahrt nach Rostock bestimmt, im gemeinsamen Wissen darum, dass hier eine fragliche Verbindung zwischen zwei herausragenden Symbolfiguren des europäischen Umbruchs einerseits und Joachim Gauck andererseits hergestellt wird. Denn wer ist dieser Joachim Gauck des Jahres 1999 schon? Was ist er mehr als ein in Deutschland viel beachteter, aber über die Landesgrenzen hinaus weitgehend unbekannter Behördenleiter? Er mag in seiner Heimatstadt Rostock einen Beitrag zum Ende des Kommunismus in Mitteleuropa geleistet haben. Aber sein Wirken dort und später in Berlin lässt sich keinesfalls vergleichen mit jenen Anstrengungen und Gefahren für Leib und Leben, denen sich Havel und Wałęsa aussetzten. Der Pole war 1981/1982 für elf Monate inhaftiert, der Tscheche verbrachte insgesamt fünf Jahre im Gefängnis. Gauck dagegen hat nicht eine Stunde in einem Kerker der Kommunisten gesessen.

Doch wenn andere das kritisieren mögen – Gauck ist mit sich im Reinen, als er von Ash zur Symbolfigur des Umbruchs in Deutschland auserkoren wird. Stellte man ihn dafür zur Rede, so würde die Antwort jener gleichen, die er zuvor schon und danach wieder und wieder gegeben hat, wenn ihm Selbstüberschätzung und Legendenbildung vorgeworfen wurde. Er stehe stellvertretend für einen großartigen Moment der deutschen Geschichte. Es gehe ja im Grunde gar nicht um ihn. Es gehe um die friedliche Revolution von Hunderttausenden seiner Landsleute. Die Revolution, die im Herbst 1989 den Sturz der diktatorisch regierenden SED herbeiführt habe. Es müsse ja jemanden geben, der glaubwürdig die Botschaft von der Selbstbefreiung der Ostdeutschen vertreten kann. Wer, wenn nicht er, könne dies denn insbesondere im Ausland wirklich besser? Ash habe also einen Platz für ihn gefunden, der ihm nicht zustehen mag, den aber einer auszufüllen hat und den er gut auszufüllen weiß.

Gauck hatte zunächst etwas gezögert, als Ash ihn bat mitzumachen, sich auch umgesehen unter seinen Mitstreitern des Jahres 1989. Aber es zeigte sich, dass nirgendwo nur eine oder einer von damals bereit war, eine herausragende Rolle im wiedervereinigten Deutschland zu beanspruchen. Von den Aktivisten des Umbruchs ist er im Jahr 1999 tatsächlich der Profilierteste in der Bundesrepublik. Angela Merkel, die zu diesem Zeitpunkt gerade in den engen Führungskreis der CDU vorgedrungen ist, taugt dafür nicht. Sie war nicht dabei – genauso wie der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse, der inzwischen Bundestagspräsident geworden ist. Im Vergleich insbesondere mit der zur Parteivorsitzenden und dann zur Bundeskanzlerin aufsteigenden Angela Merkel ist Gauck allemal so etwas wie ein Revolutionär. Zwar wird ihm zuweilen der Vorwurf gemacht, dass er auch erst spät dazugekommen und gar kein wirklicher »Bürgerrechtler« sei. Unzweifelhaft aber stand er nicht ohne Grund über Jahre hinweg unter strenger Beobachtung der Staatssicherheit, und völlig unumstritten ist, dass er ab Oktober 1989 entscheidend mithalf, die Bevölkerung von Rostock zu mobilisieren.

Und so mag Gauck 1999 nicht zu Unrecht denken, dass es nicht nur beim Blick zurück, sondern ebenso in der Zukunft noch eine besondere Rolle geben müsste für ihn – selbst wenn zu diesem Zeitpunkt unklar ist, wie die wohl aussehen könnte. Jedenfalls hat er sich endgültig entschieden, nicht ein weiteres Mal als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen zu kandidieren. Denkbar wäre das bei einer wohlwollenden Auslegung des Gesetzes, das nur eine Wiederwahl in dieses Amt vorsieht. Denn tatsächlich gewählt worden ist er bislang nur ein einziges Mal vom Bundestag – davor nur von der Volkskammer als Sonderbeauftragter bestimmt worden. Aber solch eine spitzfindige Interpretation des Verbots einer zweiten Wiederwahl will er sich nicht zumuten.4

Es hat in dieser Zeit das eine oder andere Geraune und Gerede um die weitere Rolle von Joachim Gauck in der deutschen Politik gegeben, aber Konkretes ist daraus nichts geworden. Die FDP hatte den Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms geschickt, mit der Idee, ob Gauck sich vorstellen könne, für den Bundestag zu kandidieren oder ein Amt in einer Landesregierung für die Partei zu übernehmen. Aber weiterverfolgt wurde dieser Vorschlag nur halbherzig. Die Liberalen waren wie so oft vor allem mit sich selbst beschäftigt und hatten in der Folgezeit das Werben um Gauck schlichtweg vergessen. Und der hatte seinerseits erhebliche Zweifel daran, ob ihm eine solche politische Karriere angemessen wäre.

Auch bei der Union war der Gedanke aufgekommen, Gauck nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesbeauftragten einen Neuanfang anzubieten. Insbesondere einige sächsische und thüringische Abgeordnete, aber ebenso namhafte Vertreter der bayerischen CSU dachten daran, dass Gauck ein guter Vertreter ihrer Interessen wäre. Sie wollten mit ihm hoch hinaus. Sollte es im vereinten Deutschland nicht an höchster Stelle einen Vertreter des Ostens geben? Gauck als Präsident, auf den Spuren von Havel und Wałęsa, das könnte doch 1999 Geschichte schreiben.

Aber dann gewinnen die Sozialdemokraten 1998 nicht nur die Bundestagswahl, auch in der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, verschieben sich die Gewichte gewaltig. SPD und Grünen fehlen nur sieben Stimmen zu einer absoluten Mehrheit. Das sollte ausreichen, um 1999 ihrem früheren Spitzenkandidaten und langjährigem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, einen Herzenswunsch zu erfüllen und den Einzug in das Schloss Bellevue zu ermöglichen. Die von der CDU nominierte Gegenkandidatin, die damals noch parteilose Dagmar Schipanski, eine Frau der Wissenschaft und aus dem Osten5, wies zwar...

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