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Joseph Fouché. (Bildnis eines politischen Menschen)

AutorStefan Zweig
VerlagBookRix
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl290 Seiten
ISBN9783736869806
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Ob es während der französischen Revolution gegen Robespierre oder später gegen Napoleon geht, stets dient der aus dem Nichts zum Polizeiminister Frankreichs und späteren millionenschweren Herzog aufsteigende und meisterhafte Intrigant Joseph Fouché nur der Macht, die ihm nützt, dienert und spioniert nach allen Seiten und wechselt die Fronten meisterhaft. Doch dann begeht auch er einen Fehler ... Korrektur gelesen und in neuer deutscher Rechtschreibung.

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Leseprobe

Erstes Kapitel


Aufstieg (1759-1793)

 

Am 31. Mai 1759 wird Joseph Fouché – noch lange nicht Herzog von Otranto! – in der Hafenstadt Nantes geboren. Seeleute, Kaufleute seine Eltern, Seeleute seine Ahnen; nichts darum selbstverständlicher, als dass der Erbsohn wieder Meerfahrer würde, Schiffskaufmann oder Kapitän.

Aber früh zeigt sich schon: Dieser schmächtig aufgeschossene, blutarme, nervöse, hässliche Junge entbehrt jeder Eignung zu so hartem und damals wirklich noch heldischem Handwerk. Zwei Meilen vom Ufer – und er wird schon seekrank, eine Viertelstunde Lauf oder Knabenspiel – und er ermüdet.

Was also tun mit einem so zart geratenen Schössling, fragen sich die Eltern nicht ohne Sorge, denn das Frankreich um 1770 hat noch keinen rechten Raum für eine geistig bereits aufgewachte und ungeduldig vordrängende Bürgerschaft. Bei Gericht, bei der Verwaltung, in jeder Anstellung, jedem Amt bleiben alle fetten Pfründen dem Adel vorbehalten; für den Hofdienst benötigt man gräfliches Wappen oder gute Baronie, selbst in der Armee bringt es ein Bürgerlicher mit grauen Haaren kaum weiter als bis zum Korporal. Der dritte Stand ist überall noch ausgeschlossen in dem schlecht beratenen, korrupten Königreich; kein Wunder, dass er ein Vierteljahrhundert später mit Fäusten fordern wird, was man allzu lange seiner demütig bittenden Hand versagte.

Bleibt nur die Kirche. Diese tausend Jahre alte, an Weltwissen den Dynastien unendlich überlegene Großmacht denkt klüger, demokratischer und weitherziger. Sie findet immer Platz für jeden Begabten und nimmt auch den Niedrigsten in ihr unsichtbares Reich.

Da der kleine Joseph sich schon auf der Schulbank der Oratorianer lernend auszeichnet, räumen sie dem Ausgebildeten gern das Katheder ein als Lehrer der Mathematik und Physik, als Schulaufseher und Präfekt. Mit zwanzig Jahren hat er in diesem Orden, der seit der Vertreibung der Jesuiten überall in Frankreich die katholische Erziehung leitet, Würde und Amt, ein ärmliches zwar, ohne viel Aussicht auf Aufstieg, aber eine Schule immerhin, in der er sich selber schult, in der er lehrend lernt.

Er könnte höher gelangen, Pater werden, vielleicht einmal gar Bischof oder Eminenz, wenn er das Priestergelübde leistete. Aber typisch für Joseph Fouché: Schon auf der ersten, der untersten Stufe seiner Karriere tritt ein charakteristischer Zug seines Wesens zutage, seine Abneigung, sich vollkommen, sich unwiderruflich zu binden an irgendjemand oder irgendetwas.

Er trägt geistliche Kleidung und Tonsur, er teilt das mönchische Leben der andern geistlichen Väter, er unterscheidet sich während jener zehn Oratorianerjahre äußerlich und innerlich in nichts von einem Priester. Aber er nimmt nicht die höheren Weihen, er leistet kein Gelübde. Wie immer, in jeder Situation, hält er sich den Rückzug offen, die Möglichkeit der Wandlung und Veränderung.

Auch an die Kirche gibt er sich nur zeitweilig und nicht ganz, ebenso wenig wie später an die Revolution, das Direktorium, das Konsulat, das Kaisertum oder Königreich: Nicht einmal Gott, geschweige denn einem Menschen verpflichtet sich Joseph Fouché, jemals zeitlebens treu zu sein.

 

Zehn Jahre lang, vom zwanzigsten bis zum dreißigsten Jahre, geht dieser blasse, verschlossene Halbpriester durch Klostergänge und stille Refektorien. Er unterrichtet in Niort, Saumur, Vendôme, Paris, aber er spürt kaum den Wechsel des Wohnorts, denn das Leben eines Seminarlehrers spielt sich gleich still, ärmlich und unscheinbar ab in einer Stadt wie in der andern, immer hinter schweigsamen Mauern, immer vom Leben abgesondert.

Zwanzig Schüler, dreißig Schüler, vierzig Schüler, denen man Latein beibringt, Mathematik und Physik, blasse, schwarzgewandete Knaben, die man zur Messe führt und im Schlafsaal überwacht, einsame Lektüre in wissenschaftlichen Büchern, ärmliche Mahlzeiten, schlechte Bezahlung, ein schwarzes verschabtes Kleid, ein klösterliches, anspruchsloses Dasein. Wie eine Erstarrung scheinen sie, unwirklich und abseits von Zeit und Raum, unfruchtbar und ehrgeizlos, diese zehn stillen, verschatteten Jahre.

Aber doch, in diesen zehn Jahren der Klosterschule lernt Joseph Fouché viel, was dem späteren Diplomaten unendlich zugute kommt, vor allem die Technik des Schweigenkönnens, die magistrale Kunst des Selbstverbergens, die Meisterschaft der Seelenbeobachtung und Psychologie.

Dass dieser Mann ein Leben lang jeden Nerv seines Gesichts auch in der Leidenschaft beherrscht, dass man nie eine heftige Wallung des Zorns, der Erbitterung, der Erregung in seinem unbeweglichen, gleichsam in Schweigen vermauerten Gesicht entdecken kann, dass er mit der gleichen tonlosen Stimme das Umgänglichste wie das Furchtbarste gelassen ausspricht und mit dem gleichen lautlosen Schritt ebenso durch die Gemächer des Kaisers wie durch eine tobende Volksversammlung zu schreiten weiß – diese unvergleichliche Disziplin der Selbstbeherrschung ist erlernt in den Jahren des Refektoriums, sein Wille längst gezähmt durch die Exerzitien Loyolas und seine Rede geschult an den Diskussionen jahrhundertealter Priesterkunst, ehe er das Podium der Weltbühne betritt.

Kein Zufall vielleicht, dass alle die drei großen Diplomaten der Französischen Revolution, dass Talleyrand, Sieyès und Fouché aus der Schule der Kirche kamen, schon längst Meister der Menschenkunst, ehe sie noch die Tribüne betraten. Die uralte, gemeinsame, weit über sie hinausreichende Tradition prägt ihren sonst gegensätzlichen Charakteren in den entscheidenden Minuten eine gewisse Ähnlichkeit auf. Dazu kommt bei Fouché noch eine eiserne, gleichsam spartanische Selbstzucht, ein innerer Widerstand gegen Luxus und Prunk, ein Verbergenkönnen privaten Lebens und persönlichen Gefühls; nein, diese Jahre Fouchés im Schatten der Klostergänge waren nicht verloren, er hat unendlich viel gelernt, indes er Lehrer war.

Hinter Klostermauern, in strengster Abgeschiedenheit erzieht und entfaltet sich dieser eigentümlich biegsame und unruhige Geist zu psychologischer Meisterschaft. Jahrelang darf er nur unsichtbar in engstem geistlichen Kreise wirken, aber schon 1778 hat jener soziale Sturm in Frankreich begonnen, der selbst über die Klostermauern schlägt. In den Priesterzellen der Oratorianer wird ebenso diskutiert über Menschenrechte wie in den Freimaurerklubs, eine neue Art Neugier drängt diese jungen Priester den Bürgerlichen entgegen, Neugier auch den Lehrer der Physik und Mathematik zu den erstaunlichen Entdeckungen der Zeit, den Montgolfiers, den ersten Luftschiffen, den großartigen Erfindungen auf den Gebieten der Elektrizität und Medizin.

Die geistlichen Herren suchen Fühlung mit den geistigen Kreisen, und die bietet in Arras ein ganz sonderbarer geselliger Zirkel, die „Rosati“ genannt, eine Art „Schlaraffia“, in der sich die Intellektuellen der Stadt in heiterer Geselligkeit vereinigen.

Recht unscheinbar geht es dort zu, kleine unansehnliche Bürger tragen Gedichtchen vor oder halten literarische Ansprachen, Militär mischt sich mit Zivil, und auch der Priesterlehrer Joseph Fouché wird gern gesehen, weil er von den neuen Errungenschaften der Physik viel zu erzählen weiß.

Oft sitzt er dort im kameradschaftlichen Kreise und hört zu, wenn etwa ein Hauptmann vom Geniekorps, namens Lazare Carnot, mokante selbstgedichtete Verse vorliest oder der blasse, schmallippige Advokat Maximilian de Robespierre (er legt damals noch Gewicht auf seinen Adel) eine blümerante Tischrede zu Ehren der „Rosati“ hält. Denn noch genießt die Provinz die letzten Atemzüge des philosophierenden Dix-huitième, gemütlich noch schreibt Herr von Robespierre statt Bluturteile zierliche Verslein, noch verfasst der Schweizer Arzt Marat statt grimmiger kommunistischer Manifeste einen süßlich sentimentalen Roman, noch müht sich der kleine Leutnant Bonaparte irgendwo in der Provinz an einer Werther nachahmenden Novelle: Die Gewitter stehen noch unsichtbar hinter dem Horizont.

Aber Schicksalsspiel: Gerade mit diesem blassen, nervösen, hemmungslos ehrgeizigen Advokaten de Robespierre freundet sich der tonsurierte Priesterlehrer besonders an; ihre Beziehungen sind sogar gerade auf bestem Wege, schwägerliche zu werden, denn Charlotte Robespierre, die Schwester Maximilians, will den Lehrer der Oratorianer von seiner Geistlichkeit heilen, schon munkelt man von ihrer Verlobung an allen Tischen.

Warum diese Brautschaft schließlich auseinanderfällt, ist Geheimnis geblieben, aber vielleicht verbirgt sich hier die Wurzel jenes furchtbaren und welthistorischen Hasses zwischen diesen beiden Männern, den einst befreundeten, die später auf Tod und Leben kämpfen.

Damals aber wissen sie noch nichts von Jakobinismus und nichts von Hass. Im Gegenteil sogar: Wie Maximilian de Robespierre als Abgeordneter zu den Generalständen nach Versailles geschickt wird, um an der neuen Verfassung Frankreichs mitzuarbeiten, ist es der tonsurierte Joseph Fouché, der dem blutarmen Rechtsanwalt de Robespierre die Goldstücke borgt, damit er die Reise bezahlen und sich einen frischen Anzug schneidern lassen kann. Symbol auch dies, dass er, wie später so oft, einem andern die Steigbügel hält für die...

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