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E-Book

Joseph Pilates

Die Biografie

AutorEva Rincke
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783451814082
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Was haben unzählige Fitness-Liebhaber und Hollywoodstars gemeinsam? Sie alle schwören auf die ganzheitliche Trainingsmethode Pilates. Es ist fast 100 Jahre her, dass Joseph Pilates, ein kauziger Einwanderer aus dem Ruhrgebiet, sein erstes Studio eröffnete und die Tänzerinnern in Manhattan fit machte. Diese Biografie erzählt die ungewöhnliche Lebensgeschichte des Selfmade-Mannes, dessen Methode heute beliebter denn je ist.

Eva Rincke, geb. 1981, ist Historikerin, freie Schriftstellerin und war Stipendiatin der Prosawerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin. Seit Jahren praktiziert sie Pilates. Sie lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

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Leseprobe

VORWORT


Das weiße Ampelmännchen leuchtete auf. Inmitten einer Menschenmenge überquerte ich die 55. Straße auf der Eighth Avenue in New York. Noch ein paar Schritte, dann hatte ich mein Ziel erreicht: Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand das Haus, in dem Joseph Pilates 40 Jahre lang gelebt und gearbeitet hat. Allein dieser Anblick war die Reise über den Ozean wert. Das sechsstöckige Haus überragte die Nachbarhäuser um einige Stockwerke. Es hatte eine hellbraune Fassade und hohe, breite Fenster, die ich von historischen Fotos und Filmen aus dem Pilates-Studio kannte. Vor den Fenstern, die zur Straße hin zeigten, waren die typischen New Yorker Feuertreppen angebracht: schmale Metallbalkone, die von jedem Apartment aus zugänglich sind und über wackelige Leitern bis auf die Straße führen. Joseph Pilates’ Studio hatte sich im ersten Stock des Gebäudes befunden, mit Fenstern direkt zur Straße. Ich ließ meinen Blick zu den umliegenden Häusern schweifen. Eine Suppenbar, ein Bauernmarkt, ein Vitamin-Laden: die Bewohner des angesagten Stadtteils Hell’s Kitchen achteten offenbar auf ihre Gesundheit. Mitten in Manhattan auf einem Bürgersteig stehen zu bleiben, ist gar nicht mal so einfach. Schöne Menschen, die es äußerst eilig hatten, wichen mir ärgerlich aus. Es war großartig, hier zu sein!

Die Idee, eine Biografie über Joseph Pilates zu schreiben, kam mir nach einem Pilates-Mattenkurs, den ich nach der Geburt meines Sohnes besuchte, um meinen Körper wieder in Form zu bringen. Vor der Stunde hatte unsere Trainerin ein wenig von dem Menschen erzählt, der sich all die Verrenkungen ausgedacht hatte, die wir im Verlauf jeder Stunde mehr schlecht als recht nachmachten. So erfuhr ich, dass die Methode von Joseph Pilates stammte, einem Mann, der im späten 19. Jahrhundert in Mönchengladbach zur Welt gekommen war. Zu Hause versuchte ich im Internet mehr über ihn herauszufinden und mit jeder Geschichte, die ich dort las, wurde ich neugieriger: Er sei griechischer Abstammung gewesen und im Ruhrgebiet aufgewachsen, er habe die Methode als Krankenpfleger in einem Kriegsgefangenenlager in England entwickelt, habe für den Zirkus und als Boxer gearbeitet, als Trainer von Max Schmeling sei er schließlich in die USA ausgewandert und dort berühmt geworden. Die Geschichten stammten aus Interviews, die Joseph Pilates gegen Ende seines Lebens in den USA gegeben hatte. Er war also ein berühmter Mann geworden. Ich war fasziniert: Ein Turner, der Bier braute. Ein Boxer, der den Beckenboden trainierte. Ein Schulschwänzer, der Schiller und Schopenhauer zitierte. Und ein zigarrerauchender Frischluftfanatiker. Kurz: Er war ein Mensch mit vielen Rätseln. Zu gern hätte ich eine Biografie über diesen Mann gelesen, aber da ich keine fand, beschloss ich, sie eben selbst zu schreiben.

Ich fing an zu recherchieren. Gleich bei meiner ersten Station im Stadtarchiv Mönchengladbach fand ich viel Material zu Joseph Pilates, das der Archivar zusammengetragen hatte. Mir wurde klar, dass vieles von dem, was ich im Internet gelesen hatte, nicht stimmte. Pilates hatte ein Netz aus Legenden um sich herum gesponnen, die den Blick auf seine Person vernebeln. So stammte die Familie Pilates nicht aus Griechenland, sondern lässt sich über mehrere Generationen hinweg in der Gegend von Mönchengladbach nachweisen. Die Familie war arm, in Joseph Pilates’ Jugend war alles knapp: Geld, Essen, Licht und vor allem der Platz. Die drei jüngsten Geschwister starben noch im Kleinkindalter, kurz darauf verlor Joseph seine Mutter. Als er später eine eigene Familie gründete, wiederholte sich dieses Schicksal auf grausame Weise. Sein kleiner Sohn starb im Alter von zehn Monaten, vier Jahre später starb seine Frau. Darüber hat Pilates in Amerika nie gesprochen. Auch die Geschichte vom Kriegsgefangenenlager war nicht ganz zutreffend. Joseph Pilates wurde zwar in England interniert, aber nicht als Kriegsgefangener, sondern als Zivilist, als sogenannter feindlicher Ausländer. Meinen Recherchen zufolge hat er sich im Internierungslager auf der Isle of Man in erster Linie mit Boxen beschäftigt, daneben aber tatsächlich auch mit Kranken gearbeitet und erste Geräte entwickelt. Zurück in Deutschland gründete er eine Boxschule, heiratete wieder und stieg bei Profikämpfen in den Ring. Max Schmeling hat er nicht trainiert. Doch er hat den amerikanischen Boxjournalisten Nat Fleischer auf Schmeling aufmerksam gemacht, und Fleischer holte erst Joseph Pilates und später auch Max Schmeling in die USA.

Ich versuchte mehr über Pilates’ Tätigkeit in den USA herauszufinden. 1926 hatte er sich von seiner zweiten Frau Elfriede getrennt und war nach New York ausgewandert. Auf dem Schiff lernte er Clara Zeuner kennen, gemeinsam eröffneten sie 1927 ein Studio in New York. Dort trainierten Hollywoodstars wie Katharine Hepburn, Musiker wie George Gershwin und vor allem jede Menge Tänzerinnen. Joseph Pilates hatte den Ruf, Verletzungen schnell heilen zu können. Die vielen Stars unter seinen Klienten zogen Journalisten an und in seinen späten Jahren wurde er häufig interviewt. Sein Geburtsjahr gab Joseph Pilates gegenüber Journalisten stets mit 1880 an, obwohl er am 9. Dezember 1883 geboren wurde. Der Mann machte sich also älter als er war. Denn Joe Pilates betrachtete sich selbst als bestes Aushängeschild seiner Trainingsmethode, er wollte den verjüngenden Effekt der Methode betonen – und nutzte dazu drei zusätzliche Jahre. Er war schlau, unkonventionell und hatte ein Talent sich zu verkaufen. Dass er beim morgendlichen Jogging nur eine Badehose trug, würde heute kaum mehr auffallen. Damals aber erregte dieser vermeintliche Exhibitionismus große Aufmerksamkeit. Joseph Pilates war ehrgeizig, beinahe krankhaft ehrgeizig, immer unzufrieden mit dem Erreichten.

Die Glastür der Nummer 939 Eighth Avenue fiel hinter mir ins Schloss, nun wurde mir doch ein bisschen mulmig zumute. Als ich die Stufen der schmalen Holztreppe in den ersten Stock hinaufstieg, wo sich heute wieder ein Pilates-Studio befindet, das ich besuchen wollte, kamen mir Fotos in den Sinn, die ich im Onlinearchiv des Life Magazine gefunden hatte. Bilder von einer Fotosession mit der Opernsängerin Roberta Peters, die im Pilates-Studio trainierte, darunter auch ein Bild dieses dunklen Treppenaufgangs, wo sie in einem historischen Kostüm im Schatten neben Heizungsrohren posierte.

Roberta Kirschenbaums Studio hatte nichts mit dem unheimlichen Treppenhaus gemein und erinnerte auch keineswegs an die „Folterkammer“, die so vielen von Joseph Pilates’ Klienten in den Sinn kam, als sie sein Studio zum ersten Mal betraten. Der große, hohe Raum mit gelben Wänden wirkte auf mich ungemein einladend. Hier gab es jedes Pilates-Gerät, von dem ich je gelesen hatte, und dazu eine Ansammlung von großen und kleinen Gymnastik-Bällen, Tüchern und Bändern der verschiedensten Formen und Farben. Aus Lautsprechern tönte klassische Musik und ich spürte, wie sich meine Muskeln nach der anstrengenden Reise lockerten und entspannten. Roberta Kirschenbaum begrüßte mich freundlich. Sie führte mich in ihre Pilates-Atmung ein, während ich sie zu ihrer Lehrerin Carola Trier befragte, der ersten Pilates-Schülerin, die ein eigenes Studio aufgemacht hatte. Und wie war sie selbst dazu gekommen, an diesem historischen Ort ein Pilates-Studio einzurichten? Es sei, so Roberta Kirschenbaum, einer dieser Zufälle gewesen, die wie Schicksal daherkämen: sie habe im Vorbeigehen stets einen respektvollen Blick auf das Gebäude geworfen, von dem sie wusste, dass Joe Pilates hier früher unterrichtet hatte, und als sie eines Tages das Schild „Zu Vermieten“ sah, sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihr Studio von ihrer Wohnung hierher zu verlegen. Sie nannte es „Rolates“: Eine Mischung aus ihrem eigenen Namen und dem des Erfinders der Methode.

Zwei Tage später fand ich mich in dem beschaulichen College-Städtchen Northampton, Massachusetts, wieder. Dort wollte ich Mary Bowen treffen, die in den 1960er-Jahren bei Joseph Pilates trainiert hatte. Ich ging um das weiß gestrichene Holzhaus herum, durch den Hinterhof, genau wie sie es mir in einer Mail erklärt hatte, und klopfte an die Terrassentür. Mit freudigem Gebell empfingen mich ihre zwei kleinen Hündinnen und hinter ihnen erschien lachend Mary Bowen selbst. Zwei volle Tage lang erstaunte mich Mary Bowens Energie. Es war weniger so, dass ich sie befragte – vielmehr erzählte sie mir einfach in einem nicht versiegenden Wortschwall von Joe und Clara Pilates, von ihren Erinnerungen an das Studio in der Eighth Avenue und all den Menschen, die sie dort getroffen und mit denen sie später trainiert hatte: Bob Seed, Romana Kryzanowska, Kathy Grant, Bruce King. Ich hörte zu, streichelte eine ihrer vier Katzen, die es sich auf meinem Schoß gemütlich gemacht hatte, und versuchte hin und wieder, eine Frage dazwischenzuschieben. Aber als ich in einer ruhigen Minute meine Frageliste überflog, wurde mir klar, dass sie mir über all die Aspekte, die mich interessierten, bereits ausführlich erzählt hatte.

Mary Bowens Sicht auf Pilates brachte eine Ahnung auf den Punkt, die mich während meiner Recherchen immer wieder beschlichen hatte: Die Person Joseph Pilates war identisch mit seinem Körper. Pilates kannte seinen Körper sehr gut, sein tiefgehendes Verständnis für den menschlichen Körper rührte schlichtweg daher, dass er sich in seinem eigenen Körper so zu Hause fühlte. Er konnte anderen helfen, ihren Körper besser zu beherrschen und kennenzulernen. Er interessierte sich für nichts als den Körper. „Ich habe nie wieder jemanden getroffen, der so sehr auf eine Sache fokussiert war wie Joe“, sagte Mary Bowen.

Langsam wurde mir...

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