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Judenfeindschaft in der Frühen Neuzeit

Entwicklungen bis ins 17. Jahrhundert und der Frankfurter Fettmilch-Aufstand

AutorToralf Schrader
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl60 Seiten
ISBN9783640336456
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Mittelalter, Frühe Neuzeit, Technische Universität Dresden (Institut für Geschichte - Geschichte der Frühen Neuzeit), Sprache: Deutsch, Abstract: Das Thema der Judenfeindschaft hängt eng mit dem Schlagwort des 'Antisemitismus' zusammen. Für jede Antwort auf eine Frage bietet es zwei neue Fragen an. So ist die religiöse oder 'Volksbezeichnung' Jude einerseits nicht nur völlig legitim, sondern dürfte wohl von keinem Juden als abwertend verstanden werden. Andererseits wurden Juden im Laufe der Geschichte mit derart vielen Stigmata besetzt, dass eine unvoreingenommene Benutzung unmöglich ist. Er weckt sofort unterschiedlichste Assoziationen, die im europäischen Kontext indes immer wieder mit Verfolgung und Holocaust im Dritten Reich zusammenhängen. Ohne daher unverhältnismäßig lange über die Wahl der Terminologie zu befinden: Warum trägt diese Arbeit das Wort 'Judenfeindschaft' und nicht etwa 'Antisemitismus' in ihrem Titel? Zumal letzteres seit neuestem wieder häufiger in der öffentlichen Debatte auftaucht, leider auch auftauchen muss. [...] Die Ablehnung gegenüber den Juden veränderte sich in ihren Begründungen im Laufe der Zeit. Trotz - oder besser in - dieser Wandlung lässt sich auch eine Kontinuität der Judenfeindschaft erkennen, die bis heute anhält, da sie sich vielerorts als politisch-moralisch motiviert und gegen die israelische Palästinenserpolitik gerichtet gibt, sich dabei allerdings leider doch nur althergebrachter geistiger Infrastrukturen des Antisemitismus zu bedienen droht oder diese unbewusst nährt. So stand im Vorfeld der Themenwahl für diese Arbeit der Wunsch, über den Blick in die Geschichte einige Wegmarken zum modernen Antisemitismus zu erkennen. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand ist eine dieser Wegmarken, dabei umso erstaunlicher, weil die vertriebenen Juden in ihre Heimatstadt zurückkehren durften. Das Wort Pogrom klingt in diesem Zusammenhang unheilvoll vertraut. Doch wie konnte es zum Überfall auf die jüdischen Nachbarn kommen? Um die Ereignisse der Jahre 1612 bis 1616 als judenfeindliches Ereignis besser verstehen zu können und den Hintergrund für die Situation der Juden in der Frühen Neuzeit nachvollziehen zu können, holen wir weit aus. Die Untersuchung der Hintergründe des Judenhasses wird von Interesse sein, sie wird neben dem konkreten Frankfurter Ereignis einen Großteil der Arbeit in Anspruch nehmen.

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Leseprobe

3. Die Frankfurter Juden und der Fettmilch-Aufstand

 

3.1. Die jüdische Gemeinschaft in Frankfurt am Main

 

In der bis heute 1200jährigen Geschichte Frankfurts am Main gab es über einen Zeitraum von beinahe 900 Jahren eine jüdische Gemeinschaft. Sie wurde mit ihrer eigenen Liturgie und anerkannten Gelehrten rasch zu einer der bedeutendsten im gesamten Deutschen Reich. Hier wurden hebräische Bücher gedruckt und Silberkunst betrieben. Beatus Murner begann seit 1511 in der Stadt Bücher zu drucken, 1616 folgte ausgerechnet mit dem Megallis Vinz, jenem Werk welches das Schicksal der Juden während des Fettmilch-Aufstandes schildert, das erste Werk in hebräischer Sprache.[125]  Rabbi Josef Kaschman urteilte 1718:  

 

„Als Deutschland noch nicht geordnet war, wirr und verwüstet unter der Last von Königen und Fürsten, da war diese Stadt, die heilige Gemeinde Frankfurt, schon lange eine Königin, mit einer reinen Krone auf dem Haupte [...] Alle übrigen in Deutschland verstreuten Juden – sie überwanden Berge und durchquerten Täler [...], daß man hier ihre blinden Augen öffne [...] denn alle Gelehrten und Richter, die in Gauen und Grenzen saßen, alles, was ihnen zu schwierig war, das brachten sie vor die Ältesten dieser Stadt.“[126]

 

Diese Worte mögen die Wirklichkeit pathetisch prächtig ausgeschmückt haben, und doch zeugen sie in ihrer Quintessenz von der herausragenden Bedeutung der Gemeinde. Frankfurt am Main war zur Zeit des Fettmilch-Aufstandes eine der Hauptgemeinden Deutschlands.[127] Was sie vor den anderen Gemeinden auswies, war die Anwesenheit von 13 bene yeshiva, hervorragende Geistesgelehrte, mehr als jeder andere deutsche Stadt.[128] Dabei war Frankfurt an mehreren großen Kriegen beteiligt: Am Schmalkaldischen Krieg von 1547 auf Seiten der protestantischen Fürsten, am Fürstenaufstand aus dem Jahre 1552 für die Sache des Kaisers und schließlich am 30jährigen Krieg.[129] Umso erstaunlicher, dass die Gemeinde ein geistig-kulturell derart hohes Niveau erreichte.[130]

 

   Zum Ende des Mittelalters durchlief die Frankfurter jüdische Gemeinde im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der übrigen deutschen Städte einen enormen Wachstumsprozess. So verfünffachte sich ihre Größe während der Jahre 1462 bis 1556 und um mehr als diese Betrag nochmals in den darauf folgenden 50 Jahren. Bestand sie noch 1462 aus ca. 100 Juden (1% der Gesamtbevölkerung)[131] in 15 Haushalten[132], zählte sie 1610 bis zu 3000 Personen und entsprach damit 15% der Gesamtbevölkerung[133]. Auch wenn diese Zahlen nicht fest verbürgt werden können, verdeutlichen sie doch die Tendenz zum rasanten Anstieg der Gemeinde. Diese lässt im übrigen auch der Anzahl der im Ghetto der „Judengasse“ errichteten Häuser entnehmen, zu dessen Errichtung im Jahre 1462 noch 6 Häuser zählten, während es 1610 bereits 195 waren.[134] Das Wachstum der Gemeinde bildete unbestreitbar die Voraussetzung für die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der Frankfurter Juden. Diese Entwicklung war noch ein, bzw. zwei Jahrhunderte vorher nicht abzusehen gewesen, gehörte Frankfurt doch im 13. und 14. Jahrhundert mit seinen 10.000 Einwohnern noch nicht zu den deutschen Großstädten. Der wirtschaftliche Einfluss der Frankfurter Juden hielt sich in Grenzen, so bewegten sich ihre wenigen Geschäfte eher im agrarischen Umfeld und standen in der Nähe der Geldleihe. Es handelte sich zumeist um den Handel mit verfallenen Pfändern, Getreide, Wein und Pferden.[135] Was die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts betrifft, lassen sich deutliche Schwankungen diagnostizieren.[136]  Diese hängen mit der Politik der Stadtobrigkeit, den Steuerschwankungen und den Aufregungen nach dem 1462 gefällten Beschluss des Stadtrates zur Errichtung eines Ghettos zusammen. Zum Anwachsen der Gemeinde kam es erst in der gesicherten Phase des ausgehenden 15. Jahrhundert. Paralleles lässt sich im Übrigen auch über die Entwicklung der christlichen Stadtbewohner befinden.[137] Analog dazu gehörte Frankfurt bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch nicht zur Reihe der wirtschaftsstarken Gemeinden, einen guten Eindruck von der Entwicklung gibt die Höhe der erhobenen Judenregale. Denn bereits 1497, als König Maximilian in 17 Reichsstädten eine für die Finanzierung seines Italienzugs bestimmte Steuer erhob, entfiel auf Frankfurt die nach Worms zweithöchste Geldsumme mit 380 fl.[138], wobei die damals geforderten Beträge vergleichsweise niedrig waren. Daraus lässt sich auf einen allgemeinen Niedergang des jüdischen Kreditwesens in dieser Zeit schließen.[139] Insgesamt lässt sich aber im Vergleich zu vorangegangenen Zeiträumen und zu den übrigen deutschen Judengemeinden für Frankfurt die gegenteilige Entwicklung konstatieren. Es kam zu einem Wachstumsprozess. Der Grund hierfür liegt weniger in einer judenfreundlichen Politik des Frankfurter Stadtrates sondern vielmehr in den Ausweisungen der Juden aus den übrigen Großstädten des Reiches. So existierten spätestens 1520 in den meisten von ihnen kaum noch jüdische Gemeinden. Hauptstationen der Ausweisungen waren Trier (1418), Wien (1420), Köln (1424), Augsburg (1438), Breslau (1453), Magdeburg (1493), Nürnberg (1499) und Regensburg (1519). Von den Exilanten hatten sich etliche in Frankfurt angesiedelt, man kennt bspw. die Namen der aus Nürnberg Gekommenen. Der Stadtrat gestattete freilich nicht jedem Juden die Aufnahme. Nur die Finanzkräftigsten durften sich in der Judengasse niederlassen. Ein entscheidender Grund für den Aufstieg Frankfurts war also die judenfeindliche Politik der übrigen deutschen Städte und der daraus hervorgegangene Geldtransfer. Und während die Geschäfte zwischen Juden und einheimischen Christen vom Stadtrat möglichst gehindert wurden, ließ man ihnen im Handel mit Fremden weitestgehend freie Hand oder unterstützte sie gar darin.[140]

 

   Die vormalige Haupterwerbsquelle der Frankfurter Juden blieb auch im 16. Jahrhundert von Bedeutung. So waren es vor allem Adlige und Ritter, aber auch andere Bewohner des agrarisch geprägten Umlands, die zu ihrer Kundschaft zählten. In den Quellen gesellten sich zu ihnen zunehmend Handwerker, Bauern und niedrige Beamte. Offenbar hatten ihre Geschäfte mit den Stadtjuden einen enormen Stellenwert, denn bereits 1439 beriefen diese sich auf Erntekrisen, um zu verdeutlichen, dass die Rückzahlung der Kredite zum damaligen Zeitpunkt unmöglich war. Wofür die Bauern letztlich Kredite benötigten, ist indes nur in Einzelfällen festzustellen. Ein Sektor des Agrarbereiches, nämlich der Pferdehandel, fiel nach 1600 angeblich gänzlich in den Einflussbereich der Juden, wenn auch derjenigen des Umlands.[141] Mit der Messezentralität ergab sich schließlich ein weiterer Grund für die Expansion der städtischen Juden, indem große jüdische Handelsfirmen gegründet wurden. Darunter, um nur einige Beispiele zu nennen, war der um 1500 betriebene Kupferhandel Salmann Sacks (aus Nürnberg zugewandert), die Tuchhandelsgesellschaft von Beer Buchsbaum ab 1520 (ebenfalls aus Nürnberg) und seit 1575 der Textilgemeinschaftshandel der Gebrüder Oppenheimer, Moshes zum Schwert und Josephs zum weißen Löwen, der auf ein Kapital von beeindruckenden 80.000 bis 100.000 fl. kam.[142] Für diese wirtschaftlichen Fortschritte sorgte unter anderem auch die Verflechtung mit dem Messebetrieb[143]. Die immer weiter und dabei auch enger geknüpften wirtschaftlichen Netzwerke der Juden mit ihrer Umgebung führten in Frankfurt zur Herausbildung von Hofagenten bereits im 16. Jahrhundert und damit erheblich früher als sonst im Deutschen Reich, wo sich diese Form jüdischer Hoffinanz erst nach dem 30jährigen Krieg ernsthaft etablierte[144]. Diese Hofagenten[145] vermittelten und gewährten Kredite, tauschten Währungen, lieferten Luxusartikel und Textilien, organisierten die Beschaffung von Schmuck, Juwelen und Tafelsilber bei Goldschmieden aus der Nähe oder nötigenfalls aus dem Ausland oder kümmerten sich an Reichstagen um die Verköstigung fürstlicher Gäste und ihrer Entourage.[146]

 

   Das Wirtschaftsleben der Frankfurter Juden wuchs in beeindruckendem Maße. Dem entgegen stand ihre Unterbringung in der Frankfurter Judengasse. In den Judenprivilegien des Kaisers aus dem 9. und 11. Jahrhundert wurden Juden eigene Wohngebiete zugestanden, vergleichbar mit denen der mercatores, der Kaufleute.[147] Doch was anfänglich als Zugeständnis angesehen wurde, übernahm im Falle Frankfurts – wie in allen Städten des Reiches - die Aufgabe der Abschottung der Juden zum „Schutz“ ihrer christlichen Nachbarn. So entstand in der ersten Hälfte auf Geheiß Kaiser Friedrichs II., also eines Kaisers, der nicht gerade als Judenfeind gelten dürfte,[148] das Frankfurter Ghetto, um die jüdischen Wohn- und Geschäftsräume aus der Nachbarschaft der Pfarrkirche zu entfernen. Möglicherweise störten er und gewiss auch die Geistlichen der Stadt sich daran, dass sie an Sonn- und Feiertagen ihre Ware vor der Kirche zum Verkauf anbieten konnten, wie sich auch die...

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