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'Kaluli Soundscape'?

Das klangökologische Konzept nach Murray Schafer und Steven Felds ethnographische Studien in Neuguinea

AutorChristina Heinen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl73 Seiten
ISBN9783656260462
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,0, Universität zu Köln (Musikwissenschaftliches Institut), Veranstaltung: Musikwissenschaften; Musikethnologie, Sprache: Deutsch, Abstract: Während seiner Feldforschungen untersuchte Feld klangliche Phänomene der Kaluli in Neuguinea. Auch Schafer erforschte mit dem World Soundscape Project den Zusammenhang zwischen dem Menschen und der hörbaren Umwelt. Die vorliegende Arbeit verdeutlicht, dass zwischen der Ethnographie Felds und der Konzeption Schafers begriffliche Gemeinsamkeiten bestehen. Beide Gedankenmodelle entstanden im selben Zeitraum und weisen erhebliche Parallelen auf. Im zweiten Kapitel wird Murray Schafers Soundscape-Konzept erklärt und die in dieser Tradition stehenden Positionen der soundökologischen Klangkomponisten vorgestellt. Das dritte Kapitel analysiert ausgewählte Textstellen aus Sound and Sentiment. Hierbei wird herausgestellt, inwiefern Feld im Sinne eines Soundscape-Konzepts interpretierend in den Schreibprozess eingreift. In den vergleichenden Beweisführungen kommen in diesem Kapitel auch Stimmen der elektroakustischen Klangkomponisten zu Wort. Im vierten Kapitel werden die Beziehungen zwischen Schafers Konzept und Steven Felds interpretierten Beobachtungen anhand ausgewählter Textauszüge, die zeitlich nach Sound and Sentiment erschienen, belegt. Die Ergebnisse führen im fünften Kapitel zu einer abschließenden Auswertung, welche die Frage nach Felds Objektivitätsanspruch klärt. Hierfür wird sich zum einen eine Kritik an Murray Schafers Soundscape-Konzeption als notwendig erweisen. Außerdem beabsichtigt die vorliegende Arbeit in Anlehnung an die Positionen von 'Writing Culture' eine Kritik ethnozentristischer Positionen. Da Steven Feld und Murray Schafer sich in ihren Hauptwerken auf verschiedene Einzelwissenschaften beziehen, stammen die herangezogenen Quellen dementsprechend aus verschiedenen Disziplinen. Email-Korrespondenz mit den Komponisten Hildegard Westerkamp, Manuel Iturbide Rocha und Michael Rüsenberg, die außerdem hilfreiche Quellen im Internet veröffentlicht haben, verdichteten mein Verständnis über das soundökologische Konzept. So gehen Antworten aus Emails an Westerkamp sowie Steven Feld als direkte Zitate in den Text mit ein. Die Arbeit befasst sich auch mit klangökologischen Soundscape-Kompositionen. So werden Westerkamps Stück 'A Walk Trough The City' sowie Steven Felds 'From Morning Night To Real Morning' in der Textanalyse besprochen.

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Leseprobe

3. Textanalyse der Ethnographie Sound and Sentiment


 

3.1 Klangmuster im Regenwald


 

Den Kaluli-Studien Steven Felds gingen Edward und Bambi Schieffelins 1966-68 durchgeführte Feldforschungen voraus, aus welchen eine Dissertation[36] und Tonbänder musikalischer Ausdrucksformen hervorgingen. Diese Studien prägten Feld. Bevor er seine Feldforschungen in Bosavi aufnimmt, hat er folgende Vermutung:

 

I suspected that the variety of sound expressions was great, and that a particularly strong relationship would exist between ecology and sounds of the natural world and those of cultural expression.” (Feld 1982:10)

 

Für den Ethnologen scheint demnach die natürliche Welt der Bosavi-Region besonders reich an Klangphänomen zu sein. Felds Ansichten können dadurch parallel zu Murray Schafers natürlicher Lautsphäre betrachtet werden. Die klangliche Landschaft des tropischen Regenwalds scheint für Feld in einem Gegensatz zu einer anderen Welt zu stehen, in welcher keine solche „variety of sounds“ gehört werden kann.

 

Diese Einteilung deckt sich mit Schafers Auffassung einer Lo-Fi-Soundscape der Großstadt, in welcher sich Klänge aufgrund ihrer Lautstärke übertönen und einzelne Töne nicht mehr herausgehört werden können.

 

An einer späteren Stelle in Sound and Sentiment versucht Feld abermals die klanglichen Phänomene zu beschreiben:

 

Elab demarcates a wide range of sounds with a continuous buzzing quality, including sounds of flies, bees, cicades, and numerous other insects. The sound of the source is visually evident, and the quality of the sound is a ‘buzz’ background. (…) Gi-ge is the sound of trees turning with the change of season. There is both the perceptual obviousness of source plus the act that the sound is all around.” (Feld 1982:146)

 

Feld behauptet, dass es gewisse Klangdomänen gibt, beispielsweise elab und gi-ge. Elab ist durch eine „buzzing quality“, also eine surrende Qualität, charakterisiert, da sie durch den Klang von Insekten charakterisiert ist. Außerdem spricht Feld von einem „‘buzz’ background“, der durch elab charakterisiert wird. Die Bezeichnung gi-ge zeigt den Wechsel der Jahreszeiten an und ist „all around“. Die Klangdomänen sind also räumliche Indikatoren für einen Vorder- und Hintergrund der hörbaren Bosavi-Landschaft.

 

Die Wahrnehmung der Klangphänomene im Regenwald schildert er wie folgt:

 

„Perhaps the most fascinating combination is gugu-gogo, which means ‘bush echo’, marking both the consciousness of concentrically radiating sound. It is hard to share the semantic feel of this with one who has not heard the natural echo of the dense tropical forest. The greatest perceptual adaption I had to make to forest sound was the differentiation of height and depth; gugu-gogo specifies the mélange as the ambiguous location of echos.” (Feld 1982:147)

 

Äußerst kryptisch beschreibt Feld seine Sinneseindrücke über den tropischen Regenwald. Er nimmt ein „Busch-Echo“ (gugu-gogo) wahr, welches er als „konzentrisch, strahlenartig wegführenden Klang“ und Gemisch verschiedener Echos beschreibt. Bemerkenswert ist, dass seine Ausführungen sich auf ein Klanggemisch bezieht, das die Laute des gesamten Regenwald einbezieht. Dadurch wird deutlich, dass er die Vorstellung eines dem Regenwald eigentümlichen Klangs hat.

 

Seine Interpretation der Merkmale erinnern an Weckwerths Beschreibungen einer „interessanten Akustik“ eines Klanggemischs von Baumaschinen und Uferklängen und Werners Schilderungen eines speziellen Chicagoer „Grooves“ (s. Kap. 2.1.4). Beide Autoren benennen wahrgenommene Klangmuster. Auch Steven Feld strukturiert die von ihm wahrgenommenen Klangphänomene und beschreibt ein „semantic feel“, also ein bestimmtes Muster, das sich aus der Dichte der einzelnen „Klangzeichen“ des Regenwaldes ergibt. Die Beschreibungen des elab durch den Begriff „background buzzing“ erinnern an die Hi-Fi-Lautsphäre Murray Schafers, die durch einen Grundton charakterisiert ist, vor welchem so genannte Orientierungstöne und Signaltöne als Vordergrund fungieren (s. Kap. 2.1.1 und 2.1.2).

 

In diesen kurzen Textstellen Felds findet man noch keine deutlichen Aussagen, die auf einen Zusammenhang mit der Soundökologie hinweisen. Durch die Veröffentlichungen mehrerer Aufsätze nach Sound and Sentiment macht Feld noch einmal auf das Klangmuster gugu-gogo aufmerksam. In diesen späteren Artikeln wird das „Busch-Echo“ mithilfe Schafers Konzept von Hi-Fi-und Lo-Fi-Soundscapes beschrieben. (s. Kap. 4.1)

 

3.2 Vogelklänge


 

3.2.1 Orientierung im Regenwald


 

In dem Kapitel „The Boy Who Became a Muni Bird“ verweist Feld neben mythologischen Zusammenhängen auch auf ökologische Verbindungen zwischen der Vogelwelt und der Bosavi-Landschaft. Er behauptet folgendes:

 

Kaluli are avid ornithologists. Their knowledge of the habitat, ecology, and migratory patterns of Bosavi avifauna is extensive. They are particularly adept at identifying and locating birds by sound.” (Feld 1982:30)

 

Die Vogelklänge des Regenwalds sind gekoppelt an bestimmte Orte im Regenwald. Das Wissen der Kaluli über den Lebensraum, die Ökologie und das Migrationsverhalten der Vögel ist laut Feld beträchtlich. Der Lebensraum der Kaluli wird durch Vogelklänge gestaltet, nach denen sich der Mensch orientiert. In Verbindung mit Vogelklängen beobachtet Murray Schafer vergleichbare Zusammenhänge. Am Beispiel einer kanadischen Vogelart stellt er fest, dass die Tierlaute aufgrund ihrer Dichte ein Muster schaffen, das der Mensch als „räumliche Perspektive mit Vorder- und Hintergrund“ wahrnimmt und nutzt (s. Kap. 2.1.3).

 

In ähnlicher Weise stellt Feld dar:

 

„Great attention is paid to ascertaining just which birds make which sounds, and Kaluli clearly differentiate contact, alarm, and social [bird] calls for each of their designated taxa. (…) When indicating space, pointing, or describing places, Kaluli often make references to where birds eat, nest, perch, or move about. (…) they locate birds according to where birds are calling.” (Feld 1982:30,61)

 

Bestimmte Vogelarten sind an speziellen Orten heimisch. Da die Vögel durch arteigene Rufe charakterisiert werden, signalisieren bestimmte Rufe auch spezielle Orte und sind behilflich bei der räumlichen Orientierung im Regenwald. Felds Terminologie umfasst „contact, alarm, and social calls“, denen er eine funktionstragende Rolle zuschreibt (Feld 1982:30).[37] In vergleichbarer Weise beschreibt Murray Schafer die Vielfältigkeit von Vogelstimmen, die er aufgrund ihrer Originalität als Orientierungslaute bezeichnet und die er den so genannten Signallauten unterordnet (s. Kap. 2.1.2).

 

Feld beobachtet ferner:

 

„Kaluli are (…) reading the indications of forest vegetation [and] are quick to remark on the relationship between this cycle and that of the avifauna. (...) The seasons from October (…) to mid-March corresponds to dona, and Kaluli know it to be the time that (…) ‘Mountain Pigeons’ come in large groups to feed on dona and other tree fruit [so] dona is the season when pigeons and fruitdoves are highly present and vocally conspicuous.” (Feld 1982:61)

 

Feld erkennt, dass die Stimmen der Fruchttauben während der als dona bezeichneten Jahreszeit besonders auffällig sind. Das Zugverhalten wird akustisch durch die vokalen Rufe dieser Vogelart gekennzeichnet. Zeitspannen und damit verbundene Veränderungen der Vegetation sind charakterisiert durch die hörbare Präsenz der Tauben. Vögel stehen also in Zusammenhang mit ihrer akustischen Repräsentation, die bestimmte Orte im Raum markiert und zeitliche Einheiten strukturiert. Auch das soundökologische Konzept Murray Schafers spricht sich für ein besonderes Klangverhalten von Vögeln aus, das in Abhängigkeit zu Morgen- und Abenddämmerung steht. Durch die Vogelrufe entstehen Klangmuster, nach denen Tages- und Jahreszeiten festgemacht werden können (s. Kap. 2.1.3). Insofern behaupten sowohl Schafer als auch Feld, dass Vogelklänge dem Menschen bei seiner örtlichen sowie zeitlichen Orientierung behilflich sind.

 

3.2.2 Musikalische Merkmale des Vogelgesangs


 

Bei den Merkmalen der Vogelstimmen beobachtet Feld ein „duet and antiphonal singing of the Brown Oriole (…) and the New Guinea Friarbird” (Feld 1982:30). Am Beispiel der gleichzeitigen Rufe von zwei Vogelarten erkennt er, dass die Tierlaute in einem charakteristischen Zusammenspiel miteinander...

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