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E-Book

Kampfzone Straße

Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen

AutorFadi Saad, Karlheinz Gärtner
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783451339165
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Anfangs stehen sie sich unversöhnlich, geradezu feindlich, gegenüber: Hier der Berliner palästinensischer Herkunft, Mitglied einer Straßengang und kriminell. Dort der Berliner Polizist, der Hassgegner schlechthin. Doch es passiert das Unglaubliche: Aus Konfrontation wird die gemeinsame Suche nach Lösungen, aus unversöhnlichen Gegnern werden Freunde. Die Geschichte einer besonderen Beziehung und des gemeinsamen Kampfes gegen die Jugendgewalt.

Fadi Saad, geboren 1979 in Berlin, stammt aus einer palästinensischen Familie, spricht Deutsch und Arabisch, und ist ausgebildeter Bürokaufmann. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Berlin und arbeitet als Quartiersmanager in Berlin Moabit-Ost.

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Leseprobe

Wie alles begann


Der Alltag


„Ich bin überfallen worden!“


Die Nachmittagssonne strahlte in den Wachbereich des Polizeiabschnitts 55 hinein und beleuchtete goldschimmernd den Publikumstresen. Ich stand etwas abseits und beobachtete das rege Hin und Her zwischen Strafanzeigenaufnahme und der Abarbeitung von Funkwageneinsätzen. Wie so häufig war auch an diesem Donnerstag der Polizeiabschnitt Anlaufpunkt für unzählige Hilfesuchende.

Auf einmal fiel mir ein junger Mann auf, groß gewachsen und breitschultrig, der mit bekümmertem Gesichtsausdruck die Wache betrat und sich gegen den Tresen lehnte. Unsicher und zurückhaltend sprach er eine Kollegin an und bat darum, eine Anzeige erstatten zu dürfen. Nach dem Grund fragend, erwiderte er höflich: „Ich bin überfallen worden!“

Aufgrund der Art und Weise seines Auftretens begab ich mich ebenfalls zur Kollegin und hörte mir seine Schilderung des Geschehens an. Unterbrochen von hilflosen Gesten seiner Arme und nur mühsam unterdrückter Wut berichtete er, dass er vor ca. einer halben Stunde mit der U-Bahn der Linie 7 in Richtung Rudow unterwegs war. Auf dem U-Bahnhof Parchimer Allee stiegen drei offensichtlich arabischstämmige Jugendliche in den Zug und kamen unmittelbar auf ihn zu. Zwei der etwa 15- bis 17-Jährigen setzten sich rechts und links neben ihn, während der Dritte vor ihm stehen blieb. Ohne zu zögern beleidigten sie ihn sofort mit den Worten: „Was is, du Schwuchtel, was glotzt du?“ Er, der in seiner Freizeit Taekwondo trainiert und sportlich fit ist, wollte aufstehen und dieser Provokation aus dem Weg gehen, als er bemerkte, dass der rechts neben ihm Sitzende ein überdimensionales Messer gegen seinen rechten Oberschenkel drückte. Stockend, nur mühsam seine eigene Hilflosigkeit unterdrückend, berichtete er weiter. Der mit dem Messer blaffte ihn erneut an mit den hasserfüllten Worten: „Los du Schwuchtel, gib mir Handy, sonst stech ich dich ab!“, während der links von ihm Sitzende die Szene in Richtung Wageninneres abdeckte. Starr gegenüber solcher bisher nicht erlebter Gewalt zog er sein neues Handy, welches er erst vor einer Woche von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, aus der Tasche und übergab es dem „Messertyp“. Dieser nahm es an sich, sprach einige arabische Sätze zu seinen Mittätern, und plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, trat ihm der vor ihm Stehende mit seinem Fuß so stark gegen seinen Oberkörper, dass er gegen die Rückbank prallte. Der Schreck und der Schmerz raubten ihm fast den Atem. Als er um Hilfe rufen wollte, sah er, dass die drei aus dem Waggon heraus auf den zwischenzeitig erreichten Bahnsteig Britz-Süd rannten.

Beim Umsehen erkannte er, dass die anderen Fahrgäste im spärlich besetzten U-Bahn-Waggon nichts von dem Überfall mitbekommen hatten.

Während dieser Schilderung konnte ich erneut sehen, wie sehr ihn das Geschehene mitgenommen hatte, er hatte sogar Tränen in den Augen.

Ich merkte, wie sich mein Magen verkrampfte, und ich erinnerte mich sofort an den Übergriff auf meinen Sohn, der nur ein halbes Jahr zurücklag. Auch er war in ähnlicher Weise überfallen worden. Auf dem Nachhauseweg verließ er die U-Bahn-Station Rudow und wurde von zwei südländisch aussehenden Jugendlichen von vorne und von hinten mit einem Messer bedroht, übelst beleidigt und seines teuer erworbenen Handys beraubt. Glücklicherweise wehrte er sich nicht und wurde auch nicht verletzt. Wobei dies so einfach behauptet wird. Den seelischen Schaden, den solche Überfälle bei jungen Menschen verursachen, möchte ich hier gar nicht weiter erörtern. Festzustellen bleibt, dass diese Überfallenen mit Sicherheit in Gefahr geraten, von ausländerfeindlichen Agitatoren beeinflusst zu werden.

Nachdem ich mich längere Zeit mit dem jungen Mann unterhalten und ihm verdeutlicht hatte, dass er heutzutage leider ein typisches Opfer für diese potentiellen Täter darstellte und er keine Chance zur Gegenwehr gehabt hatte, ging er einigermaßen beruhigt nach Hause. Zuvor hatte er noch, bedauerlicherweise erfolglos, in der Bildlichtdatei nach den Tätern gesucht.

Seit über 40 Jahren als Polizist auf den Straßen


Für mich selbst stellte sich erneut wie schon so oft die Frage nach dem Sinn meines Berufs. Seit über 40 Jahren bin ich als Polizist auf den Straßen Berlins und hier hauptsächlich im Bereich Neukölln unterwegs und versuche, meinem Beruf gerecht zu werden. Zunächst viele Jahre lang bei der Bereitschaftspolizei, wo sich mein Aufgabenbereich im Wesentlichen auf unzählige Demonstrationseinsätze und auf die damaligen Auseinandersetzungen mit Hausbesetzern erstreckte, dann während meiner 11-jährigen Tätigkeit als Leiter einer Einheit zur Straßenkriminalitätsbekämpfung und schließlich bis zum heutigen Tag als Dienstgruppenleiter auf einem Neuköllner Abschnitt erlebte ich oft eine hilflose Wut im Zusammenhang mit diesen sinnlosen Gewalttaten.

Während ich wieder einmal darüber nachdachte, welche Möglichkeiten des Schutzes es vor solchen Überfällen gäbe, klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Es meldete sich ein mir unbekannter Mann, der sich mit dem Namen Fadi Saad vorstellte. Er führte aus, dass er Quartiersmanager des Körner-Kiezes sei und dass er sich gerne mit mir treffen möchte, um ein gemeinsames Projekt zu entwerfen und durchzuführen. Nach dem unmittelbar zuvor Erlebten war ich nicht unbedingt euphorisch gestimmt und verhielt mich zunächst zurückhaltend. Wahrscheinlich auch, weil mein Gesprächspartner dem Namen nach arabischer Herkunft war und mir dabei einige kriminelle arabische Großfamilienmitglieder in den Sinn kamen. Diese besonders gewalttätig, aggressiv und dreist Auftretenden hatte ich in den letzten Jahren immer wieder nach diversen Straftaten festnehmen müssen. Sie störten empfindlich den Rechtsfrieden unseres Neuköllner Kiezes.

Aufgrund meiner Neugier, mehr über die Tätigkeit eines Quartiersmanagers zu erfahren, und des netten Gesprächsangebots von Herrn Saad kamen wir überein, uns am nächsten Tag auf dem Polizeiabschnitt zu treffen.

Der Körner-Kiez


Oh ja, ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern, an dem ich Karlheinz Gaertner kennenlernte. Seit Juli 2006 gehöre ich zum Team des Quartiersmanagements Körnerpark. Ich war noch neu im Körnerkiez.

„Was aber ist ein Quartiersmanagement und welche Aufgaben hat es?“ Fragen wie diese bekomme ich öfter gestellt. Einige glauben, wir vermieten Quartiere, also Wohnungen. Und wenn ich sage, dass ein Quartier ein Kiez ist, dann verbinden sie es mit dem Kiez in Hamburg. Und wenn ich in den Medien vorgestellt werde, dann als Sozialarbeiter, Streetworker oder Jugendbetreuer. Kurz gesagt: Kaum einer kennt den Beruf „Quartiersmanager“.

 

Gemeinsam mit den „Starken Partnern“ (Wohnungsbaugesellschaften, Stadtteilzentren, Nachbarschaftsheimen, Schulen, Kitas und der ortsansässigen Wirtschaft) im Gebiet initiieren und begleiten wir Quartiersmanager Projekte und Aktionen, die die Lebensperspektiven und das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner verbessern und das Wohnumfeld attraktiver machen. Hierzu steht eine Finanzierung durch das Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt“ und den „Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung“ (EFRE) der Europäischen Union zur Verfügung. Das Programm „Soziale Stadt“ dient der Stabilisierung und Weiterentwicklung von Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf.

 

Einen besonderen Entwicklungsbedarf gibt es dort, wo mehrere Faktoren der Stadtentwicklung zusammenkommen und sich Probleme überlagern und verstärken, wie zum Beispiel Defizite in der Infrastruktur, wirtschaftliche Stagnation auf niedrigem Niveau, eine unausgewogene Bevölkerungsentwicklung, hohe Arbeitslosigkeit, ein hoher Grad an Abhängigkeit von Transfereinkommen. Als Konsequenz nimmt die soziale Ungleichheit zu, es gibt Anzeichen von Verwahrlosung, eine zunehmende Gewaltbereitschaft innerhalb des öffentlichen Raums, die Kriminalität steigt an, das Image dieser Gebiete verschlechtert sich und häufig verlassen dann Familien, Erwerbstätige und einkommensstärkere Haushalte solche Stadtteile.

 

Dabei gibt es ungenutzte Chancen und Potentiale der Menschen und ihrer Stadtteile. Zumeist mangelt es an Kommunikation und Selbstorganisation. Sie zu wecken ist ein Anliegen des Programms und Aufgabe des Quartiersmanagements (QM). Im Gebiet Körnerpark leben rund 10.600 Menschen unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten.

 

Meine Schwerpunkte im QM Büro liegen darin, die Akteure im Kiez zu vernetzen und die verschiedenen Kulturen und Generationen im Kiez zusammenzubringen und gemeinsame Dialoge und Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. Vor allem die Jugendkriminalität ist eine meiner größten Prioritätensetzungen. Einerseits versuchte ich Projekte zu initiieren, die deutsche und nichtdeutsche Jugendliche zusammenbringen, um so Vorurteile abzuschaffen. Denn Vorurteile haben beide Seiten reichlich. Aber dies ist nur ein Problem, es gibt noch ein weiteres.

Einen Kriminellen auf 30 Meter erkennen

Ein weiteres Problem war, dass es zwei Parteien gab, die nicht immer gut aufeinander zu sprechen sind und die nur sehr schwer zusammenzubringen waren. Wenn es mal zu Begegnungen kam, waren diese nicht immer auf freiwilliger Basis. Natürlich spreche ich von der Polizei und den Jugendlichen. Ihr Hass auf die Polizei...

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