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E-Book

Kann man Gott beleidigen?

Zur aktuellen Blasphemie-Debatte

VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451800610
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das Thema Blasphemie hat explosionsartig an Bedeutung gewonnen. Vom 'Punk-Gebet' in einer orthodoxen Kirche über Mohammed-Karikaturen bis zum Papst auf dem Cover einer Satire-Zeitschrift. Während die einen auf die Meinungsfreiheit pochen, sehen viele Gläubige den Tatbestand der Blasphemie erfüllt. Können Gott und der Glaube überhaupt beleidigt werden? Deckt die Meinungsfreiheit jede Äußerung ab? Braucht Religion den Schutz durch den Staat?

Thomas Laubach (verh. Weißer), geb. 1964, Dr. theol., Professor für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

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Leseprobe

Gottesfrevel

Oder: Das Problem des freien Eintritts und freien Austritts

von Arnold Angenendt

1. Frevel – religionsgeschichtlich

Das deutsche Wort Frevel bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung einen präzis wirksamen und rechtlich fassbaren Religions-Mechanismus: Wer Gott oder Götter beleidigt, ihre Heilslehren verschmäht und ihre Heiligtümer verunehrt oder gar zerstört, kurzum: wer die Himmlischen herausfordert, erregt deren Zorn. Gott/Götter reagieren auf schweren Frevel mit Tötung. Fälle von Frevel sind einmal die Blasphemie bzw. Gotteslästerung, sodann das Sakrileg bzw. der Gottesraub, hinzu kommen oft noch im Sozialleben Mord und Ehebruch, dazu im Politischen die Majestätsbeleidigung. Die religionswissenschaftliche Literatur definiert das umfängliche Phänomen des Frevels oft nur mit dem Teilaspekt Blasphemie, als Schändung der Ehre Gottes in Worten, Taten und Gedanken.

Sofern die Himmlischen nicht selbst sofort den Gottesfrevel strafen, geht die Ahndung auf die Verantwortlichen der jeweiligen Menschengesellschaft über. Sie können dem Gotteszorn, solange er noch nicht ausgebrochen ist, zuvorkommen, indem sie den Frevler bestrafen. Sofern der Gotteszorn bereits ausgebrochen ist, müssen sie denselben besänftigen, in schweren Fällen mit Tötung. Bereits gemäß dem Kodex Hamurabi hatten die Obrigkeiten die Frevler zu beseitigen; Griechenland kannte Gerichts-Prozesse wegen Gottlosigkeit, die sog. Asebie-Prozesse. Plato plädierte für die Tötung der Gottesleugner, der Atheisten. Rom verurteilte, wer sich über die altväterliche Sitte (mos patruus) hinwegsetzte; hier hatte die vielberedete Toleranz Roms ihre empfindliche Grenze und das bekamen auch die Christen zu spüren, als sie die Kaiseropfer verweigerten. Besonders entschieden dachte und handelte Israel. Nur ein Psalmwort: „Den Frevler wird seine Bosheit töten; wer den Gerechten hasst, muss es büßen“ (Ps 34,22). Sofern Gott nicht selber den Frevler vernichtet, eliminieren ihn die Menschen mit Steinigung: „Sag den Israeliten: […] Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tode bestraft; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen“ (Lev 24,15f.). Die Praxis reicht bis in die Zeitenwende. Gegen den Christen Stefanus, der die Heiligkeit des Tempels bestritt, „erhoben sie ein lautes Geschrei, hielte sich die Ohren zu [um die Lästerung nicht zu hören …] und steinigten ihn“ (Apg 7,57f.). Ebenso wurde der Herrenbruder Jakobus hingerichtet.

2. Frevel – christlich

2.1 Das Anathema

Wie nun stellte sich die Christen-Gemeinde zum Gottesfrevel? Auch sie verurteilte den Frevel und reagierte auf ihn. Paulus sah sich im gegen 55 nach Christus abgefassten Galater-Brief zum Gottesfluch veranlasst: Wer ein anderes Evangelium verkündige, wer also Gottes Wort lästere, der sei „verflucht“ (anathema, Gal 1,9). Der Anathematisierte war dem Gotteszorn überstellt, und der konnte tödlich sein. In der Apostelgeschichte trifft es Hananias; wegen seiner Unehrlichkeit in Vermögensdingen vor Gott und der Gemeinde stürzte er „zu Boden und starb“ (Apg 5,5).

Entscheidend ist im Neuen Testament die nächste Frage, ob es auch Menschen zukomme, zur Besänftigung des Gotteszornes die Frevler zu exekutierten. Hier lautet die Antwort entschieden anders, nämlich Nein! Die Gottesrache steht nicht Menschen zu, schon gar nicht mit Tötung. Maßgeblich wurde dafür das Weizen/Unkraut-Gleichnis, wo der Hausherr gebietet, das Unkraut nicht auszureißen: „Sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasset beides wachsen bis zur Ernte“ (Sinite utraque crescere; Mt 13,24–30). Gott behält sich das Letzturteil vor; und er allein beurteilt und bestraft am Ende die Frevler.

Noch ein zweites Bibelwort hat Geschichte gemacht, nämlich „die Liebe erträgt alles“ (caritas tolerat omnia) aus dem Hohelied der Liebe des Paulus (1 Kor 13,7). Die antike tolerantia, die ein stoisches Ertragen propagierte, ist hier umgewandelt in eine Sozialtugend des bewussten Ertragens der Anderen: Dieser erweiterte Begriff Toleranz als Bezeichnung für positive Beziehungsgestaltung zwischen Menschen gilt als eine Hervorbringung altchristlicher Latinität. Als Letztes ist noch das Paulus-Wort anzufügen: „Es muss Parteiungen geben“ (oportet et haereses esse; 1 Kor 11,19). In der Auslegungsgeschichte dieses Wortes erscheint der Gedanke, dass Häretiker zur Herausfindung der Wahrheit eine mäeutische Hilfe zu leisten vermöchten und insofern eine positive Leistung erbrächten.

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf das Weizen/ Unkraut-Gleichnis und nehmen das „Reißt nicht aus“ als Leitformel für einen Durchgang durch die christliche Geschichte der Toleranz. Rainer Forst nennt in seinem Buch Toleranz im Konflikt, einer bei Jürgen Habermas angefertigten Habilitationsschrift, das Weizen/Unkraut-Gleichnis „die für die Rechtfertigung christlicher Toleranz prominenteste Stelle“1. Er sieht darin zwei Konsequenzen begründet. Die erste lautet: „Allein das Wort ist demnach die Waffe des Christen, nicht irdischer Zwang oder Gewalt“2. Die zweite lautet: „Der Staat hat kein religiöses Zwangsrecht, die Religion kein politisches“3. Somit ist festzuhalten: Dem Christentum war der Gottesfrevel keineswegs belanglos; wie in allen Religionen zieht der Frevler auch hier die Tötungsmacht Gottes auf sich, aber eben die Tötungsmacht Gottes, und nicht die Tötungsmacht der Menschen.

2.2 Konstantinische Wende

Gewohnterweise sehen wir das große Verderben mit der Konstantinischen Wende einsetzen, in der vorgeblich damals geschehenen Verbindung von Staat und Kirche. In Wirklichkeit hat sich Konstantin letztlich an die christliche Gewaltlosigkeit gehalten. Zwar beginnt hier ein erster, aber keineswegs allgemeiner, Religionszwang zugunsten des Christentums; nicht aber beginnt hier die Häretiker-Tötung. Konstantin ist angesichts der in Jahrhunderten gewachsenen Herrscher-Pflicht zur Herstellung und Wahrung der kultischen Einheit im Reich verpflichtet gewesen, für den Frieden mit den Göttern (pax deorum) zu sorgen; in Fortsetzung dieser Pflicht hat er als Kaiser die christlichen Häretiker gerade nicht eliminiert, sie statt zur Tötung zur Verbannung verurteilt.

Im ersten christlichen Jahrtausend hat es in der westlichen Christenheit nur einen regelrechten Ketzerprozess mit Hinrichtung gegeben, den gegen Priszillian zu Trier im Jahre 385, was sofort das Entsetzen des damaligen Papstes Siricius wie des Ambrosius von Mailand wie noch des Martinus von Tours auslöste. Für den Osten gilt, so jedenfalls der Münchener Byzantinist Hans-Georg Beck: „Man begegnet in der byzantinischen Geschichte keinem Fall, in dem gegen einen christlichen Ketzer ein Bluturteil ergangen wäre“. Und das, obwohl die Novelle 77 des Justinianischen Kodex den Gottesfrevel mit dem Tode bestrafen wollte. Im Westen, wo die antike Rechtsüberlieferung nur trümmerhaft fortdauerte, scheint diese Novelle gar nicht mehr zur Kenntnis gelangt zu sein.

Demnach ist festzustellen: Das Weizen/Unkraut-Gleichnis mit seinem Verbot, Frevler zu beseitigen, hat Wirkung getan. Der große Umschlag sollte erst mit der Jahrtausendwende kommen.

3. Der Beginn der Gewalt

3.1 Augustinus: „Treibt sie herbei“

Doch sind zuvor zwei Einschaltungen zu machen. Es ist zum einen das vielberedete „treibt sie herbei“ (compelle intrare) des Augustinus. Zunächst und vor allem ist Augustinus die große Autorität für den freien Glaubensentscheid: Glauben kann man nur freiwillig (credere non nisi volens). Denn wegen des Gebots der Gottesliebe kann dieser Entscheid nur aus dem Herzen und Verstand hervorgehen, darf darum nicht aufgezwungen werden. In den Auseinandersetzungen mit den Donatisten aber kam es zu Gewalttätigkeiten, und hierbei rief Augustinus die Staatsgewalt an. Die letztliche Begründung sah er gleichfalls in der Pflicht der Obrigkeit, den Gottesfrevel abzuwehren. Dennoch steht für Augustinus absolut fest, dass christlicherseits in Glaubensangelegenheiten niemals eine Tötung erfolgen dürfe. Die damaligen Polizei-Maßnahmen der coercitio mögen brutal gewesen sein; die Todesstrafe hat Augustinus wie schon in der Religion so offenbar auch im profanen Bereich abgelehnt.

3.2 Die Missionsgeschichte

Als weitere Einschaltung ist die Missionsgeschichte anzuführen. Hier wurde der Gottesfrevel – was bisher wenig beachtet worden ist – zu einer Primärquelle von Religionsgewalt. Bekannt ist, dass christliche Missionare die heidnischen Heiligtümer und Götterbilder zerstörten. Bekannt ist ebenso, dass die Paganen christliche Kirchen zerstörten und deren Priester erschlugen. Bislang hat man hierin nur die beiderseitige Rivalität sehen wollen, jeweils den stärkeren Gott für sich auszuweisen. Demgegenüber sind jüngst diese...

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