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Kann mir bitte jemand das Wasser reichen?

Eine kurze Geschichte der Arroganz

AutorAri Turunen
VerlagNagel & Kimche
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783312006823
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dies ist das beste Buch, das Sie je gelesen haben. Ach, das glauben Sie nicht? Dann sind Sie, als Besserwisser, erst recht der ideale Kunde für diese charmante und entlarvende Kulturgeschichte der Arroganz, der Überheblichkeit, der Hybris von Alexander dem Großen bis zu uns und Ihrer Wenigkeit. Anhand von Anekdoten und Beispielen aus der Geschichte zeigt der Autor aus Finnland, wie gefährlich sie sein kann, die Arroganz: Sie führt zu Größenwahn, Wirtschaftskrisen und Klimakatastrophen. Allerdings gibt es zwei probate Mittel dagegen: Selbstkritik und Selbstironie. Wie man sie erlangt - auch das zeigt dieses erheiternde und lehrreiche Buch von einem, der es besser weiß.

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Leseprobe

 

 

 

ZUKOPFSTEIGEN IST ein chemischer Prozess, der seinen eigenen dramatischen Spannungsbogen aufweist. Alexander der Große eroberte ganz Mittelasien, und das war offensichtlich zu viel für ihn. Bereits in Ägypten hatte er sich zum Sohn des ägyptischen Gottes Amon ausgerufen und seine alten Kampfgenossen zwingen wollen, ihn anzubeten.

Eroberer tun im Allgemeinen, was sie wollen, doch alles hat seine Grenzen. Alexander brannte im Suff die persische Hauptstadt Persepolis nieder und tötete seinen Spitzenmann Kleitos, weil dieser Alexanders Vater Philippos zu überschwänglich gepriesen hatte. Alexander wurde zusehends allergisch gegen jede Art von Vergleich und Kritik.

Alexanders Hofhistoriker Kallisthenes nahm ein ähnliches Ende wie Kleistos. Als Alexander versuchte, die gegenüber den persischen Königen übliche Ehrenbezeugung, die Proskynese, für sich zu fordern, kamen seine Männer zu der Überzeugung, dass er endgültig übergeschnappt sei. Die zu dem Gruß gehörende tiefe Verneigung vor dem König war den mazedonischen und griechischen Kriegern im Innersten zuwider, da sie auf diese Weise nur den Göttern huldigten. Kallisthenes weigerte sich, Alexander wie einen Gott zu grüßen.

Manche stellen sich mit den Göttern auf dieselbe Ebene oder sogar über die Götter. John Lennon erklärte 1966 auf dem Höhepunkt seiner Popularität, der christliche Glaube könne einpacken. Das Christentum werde zerfallen und verschwinden. «Ich habe recht», verkündete er und fügte hinzu, die Zukunft werde seine Auffassung bestätigen. Er beendete seinen Erguss mit dem legendären Satz: «Wir sind jetzt populärer als Jesus.» Die amerikanischen Radiosender leiteten einen Boykott der Beatles-Schallplatten ein und organisierten eine Plattenverbrennung. Es hagelte Morddrohungen. John Lennon entschuldigte sich, doch die Flut der Hassbriefe war dadurch nicht einzudämmen. Bei einem Auftritt in Boston mussten mehr als vierhundert Polizisten und Sicherheitskräfte die Band schützen.

Lennon war ironisch veranlagt, aber seine Äußerung, die Beatles seien beliebter als Gott, ist ein anschauliches Beispiel für den totalen Mangel an Augenmaß, den Erfolg mit sich bringen kann. Dann macht man nur allzu leicht Schnitzer. Auch der finnische Verleger dieses Buches gab nach dem vierten Bier zu, dass er im Anschluss an ein paar Verkaufserfolge eine Reihe schlechter verlegerischer Entscheidungen traf.

Für dieses Phänomen gibt es einen speziellen Begriff: Siegeskrankheit. Er wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg verwendet. Die Japaner wurden von dieser Krankheit befallen, nachdem sie 1937 China besiegt hatten. In ihrem Siegestaumel griffen sie 1941 Pearl Harbor an. Danach gewannen die Japaner gegen die Alliierten im Pazifikgebiet und in Südostasien eine Schlacht nach der anderen. Diese Siege ermutigten sie, ihr Sperrgebiet auszudehnen, was die Nachschubversorgung vor immer größere Anforderungen stellte. Die Krankheit erreichte ihren Höhepunkt 1942 in der Schlacht von Midway, in der Japan schwere Verluste erlitt.

Wie der Größenwahn Alexanders des Großen zeigt, ist es oft schwierig, Erfolg seelisch zu bewältigen. Zum Krankheitsbild gehören der übersteigerte Glaube des Patienten an die eigene Bedeutung und die Überzeugung, dass nur wichtige Menschen seine Genialität erkennen. Für den Patienten ist jeder neue Kontakt bis zum Beweis des Gegenteils eine Belastung. Galileo Galilei war nicht unbedingt der Märtyrer der Wissenschaft, als den die Geschichtsschreibung ihn darstellt. Er war ungeduldig und ertrug keine Dummheit in seiner Umgebung. In der Figur des Simplicus in Galileos Buch über das Sonnensystem glaubte der Papst sich selbst dargestellt zu sehen und wurde zornig, denn in dem Buch stellt Simplicus kindische Fragen, die Galileo mit väterlicher Überlegenheit beantwortet. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein empfand Gespräche mit seinen Wiener Kollegen als unerträglich, weil seine Gesprächspartner vulgär seien und sich stillos kleideten. Wenn Wittgenstein bei seinen Mitmenschen Dummheit entdeckte, war er erbost und schrie sie sogar häufig an. Bertrand Russell, der 1950 den Nobelpreis für Literatur erhielt, sagte zu seiner Geliebten, wenn er sich mit gewöhnlichen Menschen unterhalte, habe er das Gefühl, «Babysprache» zu sprechen. Der amerikanische Physiker Murray Gell-Mann, der die Elementarteilchen der Materie, die Quarks, entdeckte, wurde 1969 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. «Wenn ich weiter blicke als die anderen, so liegt es daran, dass ich von Zwergen umgeben bin», konstatierte Gell-Mann in seiner bescheidenen Art.

Von Snobs sagt man, dass sie sich ihrer armen Mutter schämen. An den britischen Universitäten erhielten nichtadlige Studenten den Vermerk s(ine) nob(ilitate) – ohne Adel. Als sich die Macht des Königshauses im 19. Jahrhundert verringerte, legten die mit Clubjacken ausstaffierten Snobs Wert darauf, weiterhin das höfische Leben nachzuahmen und sich von den Durchschnittsbürgern abzuheben. Überheblichkeit ist oft das Mittel, mit dem sich Aufsteiger in ihrer neuen Umgebung zu verankern suchen. Dann gerät der Anteil glücklicher Zufälle am eigenen Erfolg in Vergessenheit. Man vergisst die alten Freunde und die Herkunft. Dankbarkeit verschwindet wie Tränen im Regen. Man beginnt, die schlimmsten Eigenheiten im Benehmen der Oberschicht nachzuahmen.

Eines der Kennzeichen dafür, dass einem der Erfolg zu Kopf gestiegen ist, sind abgeschmackte Forderungen. Das zeigt sich beispielsweise an den Tour-Ridern, den Forderungslisten von Bühnenkünstlern. Den Anfang machte die Hardrockband Van Halen. Als sie ausreichende Erfolge zu verzeichnen hatte, verlangte sie eine Schüssel M&M-Dragees für die Garderobe, mit der Zusatzbedingung, dass alle braunen Dragees entfernt werden mussten. Im Vertrag wurde eigens festgelegt, dass es im Bühnenbereich kein einziges braunes Dragee geben dürfe, andernfalls könne der Auftritt abgesagt werden. Barry Manilow wiederum forderte eine konstante Raumtemperatur von exakt achtzehn Grad.

Die größte unter den Primadonnen ist Mariah Carey, die mitunter Kaninchen und Katzenjungen in ihrer Garderobe haben will, immer jedoch Evian und Cristal-Champagner mit biegsamen Strohhalmen sowie eine persönliche Assistentin, die sich um alle ihre Belange kümmert. Aufgabe der Assistentin ist es zum Beispiel, die verbrauchten Kaugummis des Stars in den Mülleimer zu werfen. Auf ihrer China-Tournee war Mariah Carey mit vier Wagen unterwegs, in denen sechzig Koffer und dreihundertfünfzig Paar Schuhe verstaut wurden. Einmal schickte sie zwanzig Assistenten aus, damit sie die Toiletten eines Musikgeschäfts neu ausstaffierten, bevor Carey dort ihre Alben signierte – es musste sichergestellt werden, dass das Klopapier pink war.

Für das Wohlergehen der Erde sind die Tour-Rider des Unterhaltungsgeschäfts harmlos. Erheblich gefährlicher ist es, wenn Herrschern die Macht zu Kopf steigt, denn ihre Forderungen sind zerstörerischer als die der Popstars. In regelmäßigen Abständen taucht ein Kerl mit großem Ego auf, der stellvertretend für alle über den Lauf der Welt entscheiden will. Oft hat Gott ihm aufgetragen, etwas Bedeutendes zu tun. 1811 erklärte Napoleon gegenüber einem bayerischen General: «Noch drei Jahre, dann bin ich der Herr über das Universum.»

Robert E. Kaplan zufolge haben von der Macht berauschte Herrscher wie Napoleon blinde Flecke, nämlich zügellosen Ehrgeiz, unerreichbare Ziele, Arbeitswut und ein Bedürfnis nach Anerkennung, das sie durch die Überbetonung ihrer äußeren Erscheinung unterstreichen. Ein solcher Mensch bauscht seinen eigenen Wert auf, ist arrogant, bevormundet andere und mischt sich in alles ein, statt zu delegieren. Er ist abhängig von Lob und beansprucht den Ruhm für die Leistungen anderer für sich, legt aber den anderen seine eigenen Fehler zur Last. Er ist unverhältnismäßig besorgt um seine Öffentlichkeitswirkung und idealisiert die materiellen Zeichen des Erfolgs. Kritik macht ihn rasend, und er kann seine Fehler und Schwächen nicht zugeben.

Begegnungen mit Egomanen sind oft anstrengend. Man muss ihnen schmeicheln, denn Schweigen könnte als Kritik aufgefasst werden. Nach Ansicht des antiken Philosophen Philodemos ist ein arroganter Mensch immer besorgt um seine Stellung und seine Fähigkeiten. Er kann sich einbilden, wichtiger als andere zu sein, wenn er eine seiner Meinung nach wichtige Arbeit leistet. Oder er ist einfach nur überzeugt, dass seine Fähigkeiten seinen künftigen Erfolg garantieren. Philodemos hielt es für besonders verwerflich, dass solche Menschen andere aufgrund ihres Selbstbildes definieren. Da ein arroganter Mensch nicht bereit ist, zu kooperieren und um Rat zu bitten, trägt er die Last seiner Projekte und Aufgaben allein und kann sie selten verwirklichen.

Philodemos geht noch weiter: Ein arroganter Mensch schätzt seinen eigenen Edelmut übermäßig hoch ein. Da er andere hierarchisch und einseitig behandelt, schädigt er seine persönlichen Beziehungen und zerstört die Struktur seiner Gemeinschaft. Er ist unausgeglichen in seinen Freundschaftsbeziehungen und verhält sich selten zivilisiert oder abwägend. Er will seine Schwächen nicht eingestehen und sich nicht entschuldigen. Ebenso wenig ist er fähig, anderen zu danken, denn er meint, seine Dankbarkeit sei schon dadurch ausgedrückt, dass er die anderen akzeptiert. Er verachtet Philosophen, denn er glaubt, sie könnten ihn nichts lehren. Laut Philodemos verliert der Arrogante schließlich den Verstand, weil er große Risiken eingeht, die viel Mühe und Geld kosten.

Verlust des Verstandes, Undankbarkeit und Selbstgefälligkeit deuten allesamt auf ein und dasselbe hin: Durch den Erfolg hat sich die Persönlichkeit verändert. Tatsächlich kann man das Phänomen des...

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