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Kants Ethik

Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek)

AutorTim Henning
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783159610856
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,49 EUR
'Ist eine Lüge auch dann verboten, wenn sie eine Notlüge ist?' Diese Frage hat sich sicher jeder schon gestellt. Kant hat diese Frage sehr entschieden beantwortet: Um moralische Fragen in strenger und objektiver Weise zu entscheiden, müssen wir nur einen einzigen Grundsatz erfassen, das 'Sittengesetz'. Tim Hennings Band entstand aus einer Vorlesungsreihe und führt klar und einfach in Kants Theorie des moralisch Richtigen und Falschen ein, eines der wichtigsten Kapitel in der Geschichte der normativen Ethik.

Tim Henning, geb. 1976, ist Professor für praktische Philosophie und Geschichte der Philosophie an der Universität Stuttgart. Neben der Philosophie Kants interessiert er sich für Probleme in der praktischen Ethik, Metaethik, Handlungstheorie und Sprachphilosophie.

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Leseprobe

3 Das Argument in Abschnitt 1 der Grundlegung – Der zweite Schritt


Kant möchte nun zeigen, dass diese Idee eines guten Willens uns auf das Sittengesetz führt. Dazu bedarf es im nächsten Schritt seiner zweiten Prämisse. Er möchte zeigen, dass ein guter Wille (zumindest bei menschlichen Akteuren, s. u.) genau dort vorliegt, wo »aus Pflicht« gehandelt wird.

Er beginnt recht unvermittelt mit der These, dass der Begriff der Pflicht den Begriff eines guten Willens »enthält« – wenn auch, so Kant, mit »gewissen subjectiven Einschränkungen und Hindernissen« (IV: 397). Diese Auskunft ist wichtig, aber ohne weiteres kaum zu verstehen.

Gehen wir schrittweise vor. Mit »enthält« meint Kant zunächst einmal ein begriffliches Implikationsverhältnis. (Der Begriff des Pianisten enthält den des Musikers – daher folgt aus der Aussage, jemand sei Pianist, die Aussage, er sei Musiker.) Wenn wir also in einer bestimmten Weise von Pflicht sprechen, dann folgt daraus, dass ein guter Wille vorliegt. Welche »subjectiven Einschränkungen« sind gemeint? Wir werden in Kürze feststellen, dass Kant nur bei einer ganz bestimmten Redeweise über Pflicht behauptet, dass sie das Vorliegen eines guten Willens impliziert. Es geht ihm speziell um die Rede davon, dass jemand »aus« Pflicht handele. Mit dieser Redeweise ist gemeint, dass die subjektive Motivation eines Akteurs in einer bestimmten Weise Pflicht zum Inhalt hat. Diese auf bestimmte Bedingungen seitens des Subjekts eingeschränkte Redeweise impliziert einen guten Willen.

Was ist schließlich mit »subjectiven Hindernissen« gemeint? Kant glaubt, dass es so etwas wie Pflicht (und speziell das Handeln »aus« Pflicht – was immer das genau sein mag) nur bei Wesen gibt, deren Wille nicht vollkommen von der Vernunft bestimmt ist. Wir Menschen zum Beispiel wollen nicht immer das, was wir als richtig erkennen. Oftmals müssen wir uns dazu zwingen, das Richtige zu tun – und oftmals misslingt sogar das. Wenn Wesen wie wir überhaupt einen guten Willen zeigen, dann muss dieser sich gegen bestimmte innere Widerstände durchsetzen. Deswegen äußert sich die moralische Einsicht in unserem Falle immer als eine Sache des Müssens.

Das ist bei anderen Wesen anders: Gott z. B. hat Kant zufolge einen guten Willen. Aber da es seine Natur ist, das Richtige zu wollen, stellt sich das Richtige für ihn nicht als etwas dar, was er tun muss. Gott muss gar nichts; für ihn gibt es weder Pflicht noch Handeln aus Pflicht (vgl. IV: 412 f.).

Kants Idee ist also diese: Bei Menschen hat der gute Wille immer eine bestimmte Form, nämlich die einer Orientierung an etwas Gefordertem oder Gesolltem, kurz: an Pflicht. Deswegen erfassen wir einen guten Willen bei Menschen mit einem besonderen Begriff, dem des Handelns »aus Pflicht«. Dieser Begriff enthält eine »Einschränkung«, die auf die besonderen »Hindernisse« verweist, denen ein guter Wille im Falle von Menschen begegnet. Die begrifflichen Verhältnisse sind also diese: Wenn wir sagen, jemand handle »aus Pflicht«, dann impliziert dies einen guten Willen in seiner spezifisch menschlichen Erscheinungsform. Umgekehrt impliziert zwar der Begriff des guten Willens nicht den der Pflicht (wie das Beispiel Gottes zeigt). Aber bei Menschen gilt doch, dass ein guter Wille nur als Handeln aus Pflicht auftritt. Wenn man die These so beschränkt, gilt also: Einen guten Willen bei Menschen gibt es da und nur da, wo aus Pflicht gehandelt wird.

Kant will nun zeigen, dass genau diese spezielle Form, in der wir einen guten Willen bei Menschen thematisieren, uns Aufschluss über die Natur dieses guten Willens gibt. Gerade die »subjectiven Einschränkungen und Hindernisse« können, so Kant, den Inhalt des Begriffs des guten Willens »durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen lassen« (IV: 397). Das heißt: Die Rede vom Handeln »aus Pflicht« steht im Kontrast zu anderen Redeweisen, und gerade dieser Kontrast kann es uns erlauben, den Begriff des guten Willens besser zu verstehen.

Kants Strategie ist dabei folgende: Er präsentiert uns eine Reihe von Fällen. Diese Fälle sollen sich dabei sowohl in der Rolle unterscheiden, die die Pflicht in ihnen spielt, als auch darin, ob in ihnen ein guter Wille vorliegt. Das Resultat, das Kant anvisiert, lautet, dass ein guter Wille in exakt den Fällen vorliegt, in denen ein Akteur in einem bestimmten Sinne »aus« Pflicht handelt.

Bevor wir uns diesen Fällen zuwenden, ist es hilfreich, die Wendung »aus Pflicht handeln« vorgreifend kurz zu erläutern. »Aus« Pflicht zu handeln, so kann man vorläufig sagen, heißt, etwas aus dem Grund zu tun, dass man dazu verpflichtet ist. Man mag fragen, was für eine Pflicht Kant eigentlich im Sinn hat. Aber auch hier beruft Kant sich nicht auf eine inhaltlich bestimmte Vorstellung von Pflicht. Das wäre auch unzulässig. Es soll ja erst hergeleitet werden, was unsere Pflicht ist. Kant setzt also nur voraus, dass wir irgendeine Vorstellung von moralischer Pflicht haben. Er wählt Beispiele, von denen er annimmt, dass wir sie unproblematisch finden. Die genauen Beispiele sind aber für sein Argument egal. Ihm geht es um strukturelle Beobachtungen über unseren Diskurs über Pflicht, nicht um konkrete Thesen darüber, was die Pflicht beinhaltet.

Wenden wir uns Kants Beispielen zu. In einer ersten Klasse von Fällen handelt ein Akteur zwar so, wie es plausibler Weise der Pflicht entspricht, aber er tut es ohne »unmittelbare Neigung«. Seine Neigungen (das heißt: seine Wünsche oder Interessen) richten sich auf andere, unabhängige Ziele, denen dann gedient ist, wenn er tut, was die Pflicht verlangt. Das Richtige zu tun, ist hier also Mittel zum Zweck. Ein Beispiel ist der Kaufmann (vgl. IV: 397), der »seine unerfahrnen Käufer nicht übertheure«, sondern sie jederzeit fair behandelt. Dieser Kaufmann aber, so nimmt Kant an, tut dies nur, weil es für sein Geschäft das Beste ist, wenn er als ehrlich gilt, so dass Kunden gerne wiederkommen. Dieser Kaufmann handelt also »pflichtmäßig«. Er handelt ja ehrlich, und Kant geht davon aus, dass wir darin etwas erkennen, was die Pflicht verlangt. Aber an der Ehrlichkeit seines Tuns als solcher liegt dem Kaufmann nichts. Kant kommt es hier auf die Beobachtung an, dass wir die Motive des Kaufmanns nicht moralisch lobenswert finden (was nicht heißen muss, dass sie verwerflich wären). Wenn die Beziehung des Handelns zur Pflicht also so beschaffen ist, dass es lediglich eine mittelbare Neigung zum pflichtgemäßen Tun gibt, liegt kein guter Wille vor.

Ähnliches gilt auch in einer zweiten Klasse von Fällen. Hier handelt ein Akteur so, wie es die Pflicht will, und er hat zudem den unmittelbaren Wunsch danach, genau so zu handeln. Ihm geht es nicht um die Erreichung eines anderen Zieles. Als Beispiel nennt Kant Menschenfreunde oder »theilnehmend gestimmte Seelen«. Sie sind durchaus erfreuliche Menschen: Menschen, die Freude daran haben, Anderen zu helfen. Sie finden »auch ohne einen andern Bewegungsgrund der Eitelkeit, oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran […], Freude um sich zu verbreiten« (IV: 398). Die Handelnden, um die es hier geht, tun Anderen Gutes, und zwar nicht deshalb, weil sie sich selbst einen weiteren Vorteil erhoffen, sondern nur, weil sie gerne Anderen Gutes tun.

Zunächst erscheinen diese Akteure als Musterfälle lobenswerten moralischen Verhaltens. Kants Urteil jedoch fällt etwas anders aus:

Aber ich behaupte, daß in solchem Falle dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Werth habe […]. (IV: 398)

Der Grund ist, dass die Neigung dieser Menschen nur »glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und pflichtmäßig« ist (IV: 398). Diese Akteure tun zwar das Richtige, und sie tun es gerne. Jedoch liegt darin, so ist Kant zu verstehen, kein Verdienst. Diese Akteure gleichen den meisten anderen Menschen darin, dass sie das tun, was sie gerne tun, und es ist lediglich Sache des Zufalls, dass sie Gefallen an etwas haben, das moralisch richtig ist. Wohlgemerkt: Kant unterstellt hier nicht, dass Menschenfreunde dieses Typs letzten Endes doch nur Egoisten seien. Weit gefehlt: Er betont ja, dass Eigennutz nicht ihr Antrieb ist. Er weist aber darauf hin, dass dieser Unterschied zum Egoisten in ihrem Falle kein löbliches Verdienst ist.

Das heißt: Auch eine unmittelbare Neigung zu dem, was die Pflicht verlangt, macht noch keinen guten Willen (keinen Willen mit »wahrem sittlichem Werth«) aus. Was braucht es dann für einen guten Willen? In einem nächsten Beispiel möchte Kant zeigen, dass die Pflicht noch eine weitere Rolle spielen kann. Wir können nicht nur eine mittelbare oder unmittelbare Neigung zu den Handlungen haben, die von der Pflicht verlangt werden. Für die weitere Rolle, die Pflicht in unserer Motivation spielen kann, verwendet Kant nun den Ausdruck des Handelns »aus« Pflicht. Das Beispiel variiert den früheren Fall:

Gesetzt also, das Gemüth jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwölkt, der alle Theilnehmung an anderer Schicksal auslöscht […], und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch aus dieser tödtlichen Unempfindlichkeit heraus, und thäte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdenn hat sie allererst ihren ächten moralischen Wert. […] [G]erade da hebt der Werth des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der...

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