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E-Book

Keine Angst vor Ängsten

Verhaltenstherapeutische Techniken lernen und anleiten

AutorFred Christmann
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl134 Seiten
ISBN9783608190083
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Der rote Faden der Angstbewältigung - Panische und phobische Ängste - welche verhaltenstherapeutischen Möglichkeiten der Hilfe und Selbsthilfe gibt es? Das Buch vermittelt klar und fundiert, was Therapeuten und Betroffene über die Mechanismen der Angst wissen müssen und welche Übungen sich besonders eignen. Der erfahrene Psychotherapeut Christmann möchte mit seinem Buch dazu beitragen, dass die heutigen Möglichkeiten der Therapie von Angststörungen bei Erwachsenen ebenso wie bei Kindern und Jugendlichen optimal ausgeschöpft werden. Die Zusammenstellung von Fakten, Methoden und Übungen in Basic-Form erleichtert den Transfer von theoretischem Wissen zur konkreten Umsetzung. Das Buch klärt für Therapeuten wie für Patienten zentrale Fragen: - Welches sind die wichtigsten Vorgehensweisen beim Umgang mit Ängsten? - Was unterscheidet die erfolgreiche von der weniger effektiven Behandlung? - Welche Fehler gilt es zu vermeiden? - Welche Konstanten sollten besser akzeptiert werden, statt eine Veränderung erzwingen zu wollen? Welche Ressourcen lassen sich gar aus der Angst ableiten? Die vorgestellten Methoden - u.a. Probehandeln, Konfrontation, emotionale Distanzierung, Imagination und Achtsamkeit - eignen sich zur ganzheitlichen Behandlung von diversen Angststörungen in den verschiedensten Lebensphasen. Ergänzt wird das Buch durch hilfreiche Online-Übungen zum mentalen Training - damit der Patient über eine fachgerechte Psychotherapie hinaus bzw. therapiebegleitend nach und nach zum Coach seiner eigenen Angstbewältigung wird. Besuchen Sie uns auf https://youtu.be/OR26TQ9aDUw und https://youtu.be/h6uQQWp6oPY und lassen Sie sich direkt von unserem Autor wertvolle Hintergründe zu seinem Werk und Themen unserer Zeit schildern. KEYWORDS: Angststörung, Angst, Angstbewältigung, Angstbehandlung, Angst Therapie, Verhaltenstherapie von Ängsten, Psychotherapie Angst, Kinder und Jugendliche Angst, Selbsthilfe Angst, Therapiebuch Angst, mentales Training Angst, mentales Training

Fred Christmann, Dipl.-Psych. Dr., Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut; Gründer des ersten deutschen Ausbildungsinstituts für Verhaltenstherapie und langjähriger Leiter der staatlich anerkannten Ausbildungsstätte für Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Stuttgart; Initiator der Stiftung Psyche in Stuttgart.

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Leseprobe

4 Neurobiologische Erkenntnisse


Neben den psychologischen und philosophischen Aspekten der Angst kennen wir heute auch die neurobiologischen Grundlagen der Angstreaktion (▶ Abb. 4-1). Auch wenn wir das Angstnetzwerk im Gehirn noch nicht vollständig verstehen, so wissen wir doch, dass Angst unabhängig vom Auslöser immer eine bestimmte körperliche Reaktion darstellt. Wodurch wird diese körperliche Angstreaktion ausgelöst?

Abb. 4-1 Querschnitt durch das Gehirn und die für eine Angstreaktion bedeutsamen Areale.

Zunächst wird über die Sinnesorgane und die Gefühlssinne eine Bedrohung wahrgenommen. Im Gehirn wird sie vom Thalamus, einem Filter und Verteiler, als wichtig oder unwichtig eingestuft und an die zuständigen Bereiche im Gehirn weitergeleitet. Für die Weiterleitung sind zwei Schaltkreise zuständig. Der langsamere von beiden geht verzweigt vor. Er ermöglicht eine genauere Analyse und ein bewusstes Verstehen. Der zweite ist direkt mit der Amygdala, dem Gefahrensensor im Gehirn, gekoppelt. Dort können alle notwendigen Systeme im Körper sofort aktiviert werden, um sowohl einen entschlossenen Kampf als auch eine rasche Flucht zu ermöglichen. Ein solcher „Schnellschuss“ über die Amygdala erlaubt zwar die unter Umständen lebensrettende Aktion, aber eben keine gründliche Analyse. Sie ist somit anfällig für einen Fehlalarm.

In der Amygdala erfahren die wahrgenommenen Ereignisse eine emotionale Wertigkeit, die für das weitere Handeln, aber auch für das Erinnern, wesentlich ist. Zu diesem Zweck ist die Amygdala mit dem Hippocampus verbunden. Dort wird die eingegangene Bedrohung mit den Vorerfahrungen verglichen. So kann entweder Entwarnung signalisiert oder eine schnelle Angstreaktion ausgelöst werden. Die rasche körperliche Reaktion ist dann notwendig, wenn Elemente einer früheren Angstsituation, z. B. das Knurren eines Hundes oder das Gedränge in einem Kaufhaus, als Hinweise auf Gefahr identifiziert werden. Diese Warnfunktion vor bedrohlichen Objekten und Situationen stellt den ursprünglichen Zweck des Gedächtnisses dar. Dabei ist es unwichtig, zu welchem Zeitpunkt eine bestimmte Gefahr schon einmal eingetreten ist – eine lexikalische Speicherung ist für das Überleben des Organismus nebensächlich. Im Vergleich zur Warnfunktion sind auch Erinnerungen an schöne Kindheitserlebnisse geradezu irrelevant.

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Amygdala durch erschrockene Gesichtsausdrücke besonders stark aktiviert wird. Dies gilt auch, wenn Gesichter so kurz präsentiert werden, dass eine bewusste Wahrnehmung nicht möglich ist. Die Beobachter erinnern sich dann zwar nicht an das Gesehene, zeigen aber dennoch Angstreaktionen (Bellebaum, Thoma und Daum 2012). Hier erkennen wir eine Grundlage für das Beobachtungslernen (siehe Kap. 5.4) und die eingeschränkte Fähigkeit, Ängste bewusst nachzuvollziehen und zu verstehen.

Das Angstnetzwerk im Gehirn ist damit keineswegs ausreichend beschrieben. Die Milliarden von Gehirnzellen (Neuronen) müssen miteinander kommunizieren, um Gedanken, Gefühle usw. zu bewirken. Dies gelingt mithilfe von Boten (Neurotransmitter), die zwischen den Neuronen hin- und herwandern. Wie eine empfangene Botschaft interpretiert wird, hängt auch davon ab, in welchem Hirnareal sie ankommt. Auch die Menge der Neurotransmitter spielt eine Rolle. Werden sehr viele ausgeschüttet, übertragen diese auch viele Botschaften. Ein relativ unwichtiges Ereignis kann sich dann wie ein wichtiger Sachverhalt anfühlen. Das Gehirn versucht, die verschiedenen Neurotransmitter in einer Balance zu halten. Chronischer Stress schafft jedoch einen Mangel, es entsteht ein Ungleichgewicht und der Stress verhindert zudem den Aufbau neuer Vorräte. Neben anderen Vorgängen spielt auch die Hormonausschüttung eine wichtige Rolle. Angst setzt den Körper in Alarmbereitschaft. Das Stresshormon Cortisol sorgt im Notfall dafür, dass nicht benötigte Körperfunktionen, wie Verdauung und Immunabwehr, abgestellt werden. Stattdessen kann zusätzliche Energie für die Gefahrenabwehr mobilisiert werden.

4.1 Sind Ängste schädlich?


Angst setzt im Körper in Sekundenbruchteilen eine Reihe von Prozessen in Gang, die ihn kurzzeitig zu Höchstleistungen befähigen und sein Überleben durch Kampf oder Flucht ermöglichen. Sie stellt wie zeitlich beschränkte Stressreaktionen allgemein eine Erfahrung dar, die zu bewältigen ist. Ständige Angst aber wirkt wie chronischer Stress: Es handelt sich um eine allostatische Last, die den Körper strapaziert. Zwar besteht kein Grund zur Sorge vor Überlastung oder gar einem frühen Tod durch häufige Angstzustände. Dennoch wäre eine Lebensführung mit überschaubaren Zielen und ausreichend Pausen zur Erholung angemessen.

Anhaltende Stressreaktionen graben sich tief ins Gedächtnis ein. Starke Belastungen in der (frühen) Kindheit wirken bis ins Erwachsenenalter fort. Medizinische Forschungen ergaben, dass Jungtiere, die längere Zeit von ihrer Mutter getrennt waren, noch im Erwachsenenalter emotionale Auffälligkeiten zeigten. Sie wiesen eine dauerhaft erhöhte Cortisol-Ausschüttung mit schädlichen Auswirkungen auf den Hippocampus auf. Frühkindliche Belastungen wirken sich insgesamt ungünstig auf die Hirnentwicklung aus – mit negativen Folgen u. a. auch für das Immunsystem.

Dauerhaftes Angsterleben, etwa im Krieg, führt häufig zu einer Gewöhnung. Die Menschen lernen in gewissem Umfang auch den Umgang mit extremem Stress. Dadurch lässt die Angst zwar nach, ist jedoch auch oft mit einer allgemeinen Abstumpfung und zwischenmenschlichen Verrohung verbunden.

Ängste sind also nicht nur ein subjektives oder gar eingebildetes Phänomen, sondern sie verdeutlichen ein intensives körperliches Geschehen. Je früher und anhaltender Ängste bei Tieren und Menschen ausgelöst werden, umso wahrscheinlicher werden sie die weitere Entwicklung von Körper und Psyche formen und das Leben dauerhaft beeinflussen.

4.2 Weshalb dominiert die Angst?


Das Gehirn hat sich evolutionär, das heißt bei „laufendem Betrieb“, entwickelt. Es wurde nicht aus einer Theorie abgeleitet und nach mehreren Probeläufen ausgebessert, bevor es zum Einsatz kam. Stattdessen wurden fortwährend neue Strukturen an ältere, noch funktionsfähige Gehirnteile angebaut, „was zu Redundanzen, Ressourcenverschwendung, unnötiger Komplexität und manchmal sogar zu konkurrierenden Lösungen für das gleiche Problem führte“ (Buonomano 2012, S. 19). Die in unserer DNA festgehaltenen Baupläne für das Gehirn sind noch die gleichen wie vor 100.000 Jahren. Doch die heutigen Lebensbedingungen sind völlig anders. Aus diesem Grund fällt es uns so schwer, die richtige Balance zwischen archaischer Veranlagung und moderner Einbettung dieser Urfunktionen zu finden. Ständig werden wir heute von Medien mit Informationen überflutet. Viele Menschen sind hin- und hergeworfen zwischen Neugier und Angst, die beide trotz gegensätzlicher Antriebe darauf abzielen, das Überleben des Menschen zu sichern. Angst schützt zwar vor Gefahren, verhindert möglicherweise jedoch bessere Lösungen. Bei sich ändernden Lebensgrundlagen braucht es immer wieder auch die Neugier, um geeignete, möglicherweise neuartige Wege der Daseinssicherung zu finden. „Die Evolution stand vor der schwierigen Aufgabe, gegensätzliche Triebe und Verhaltensweisen ins Gleichgewicht zu bringen, damit wir in einer unberechenbaren, sich ständig wandelnden Welt mit unzähligen Zukunftsszenarien zurechtkommen“ (Buonomano 2012, S. 22).

Unser Gehirn ist in funktionalen Modulen organisiert, die je nach Aufgabe verschieden miteinander verbunden werden. So besteht das limbische System aus einer eng vernetzten Gruppe von Hirnarealen, die in verschiedene Bereiche des Großhirns, aber auch des Hirnstamms aussenden. Wichtige Bestandteile sind Hippocampus und Amygdala. Die Funktionen des limbischen Systems lassen sich nicht eindeutig abgrenzen. Seine Strukturen spielen für die Verarbeitung von Emotionen, für Lernen und Erinnerung eine große, jedoch keine ausschließliche Rolle. Durch diese assoziative Architektur des Gehirns werden seine überragenden Leistungen ermöglicht. Gleichzeitig ist dieser Aufbau verantwortlich für erstaunliche Fehler, die der Neurowissenschaftler Dean Buonomano in Anlehnung an die Computersprache „Brain Bugs“ nennt. Fehlerhafte Erinnerungen kommen z. B. nach einer Vergewaltigung durch die assoziative Struktur des Gehirns zustande, die das einmal Erlebte mit aktuellen Eindrücken, etwa der Fragestellung durch die Polizei verbindet; so ist es möglich, dass die Erinnerung schließlich einen falschen Täter „produziert“. Oder eine Angst gewinnt die Oberhand über die Vernunft wie bei der Flugangst oder vielen anderen falsch bewerteten Risiken. Unser Verhalten, unsere Entscheidungen sind das Produkt der beiden sich ergänzenden neuronalen Schaltkreise. Das automatische System arbeitet schnell und unbewusst. Es ist gefühlsbetont und achtet eher undifferenziert darauf, ob etwas gut/sicher oder schlecht/riskant ist. Die Einteilung und Speicherung der Welt erfolgt in Kategorien. Diese Art der Informationsaufbereitung gibt die Umwelt am besten wieder. Schon das Kleinkind unterscheidet schnell zwischen der Mutter und anderen, zwischen der Familie und Fremden. Ein Hund kann für sein Herrchen Schutz oder für einen Einbrecher Gefahr bedeuten. Durch die assoziative Verknüpfung entsteht gleichermaßen Erinnerung und Bedeutung.

Das Gehirn ist so organisiert, dass Verknüpfungen sehr schnell hergestellt werden. Beim Erleben einer Bedrohung werden bisher neutrale Reize zu...

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