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E-Book

Kiel 1918

Revolution - Aufbruch zu Demokratie und Republik

AutorMartin Rackwitz
VerlagWachholtz Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783529092565
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Kein Ereignis der Kieler Stadtgeschichte hat den Gang der deutschen, gar der europäischen Geschichte so verändert wie der Aufstand der Matrosen und Arbeiter in Kiel 1918. Mit ihm begann die Revolution, die das Deutsche Kaiserreich innerhalb weniger Tage zum Einsturz brachte. Martin Rackwitz hat für 'Kiel 1918' zahlreiche neue Quellen erschlossen. In seinem Buch lässt er die Originalstimmen der Zeit zu Wort kommen und dokumentiert dabei ebenso detailreich wie lebendig die Ereignisse der Novembertage 1918 in Kiel.

MARTIN RACKWITZ, geboren 1970, studierte Geschichte und Anglistik in Kiel und Edinburgh. Er arbeitet in Kiel als Historiker und Publizist mit Schwerpunkt auf schleswig-holsteinischer Landesgeschichte. 'Kiel 1918' ist sein erstes Buch im Wachholtz Verlag.

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Leseprobe

2. Ein Land militärisch und wirtschaftlich am Boden


Deutschland im Herbst 1918


Nach den langen und zehrenden Kriegsjahren war die militärische und wirtschaftliche Lage des Deutschen Reichs im Herbst 1918 desolat. Über vier Jahre Krieg und britische Seeblockade hatten das deutsche Militär an den Fronten und die Zivilbevölkerung in der Heimat ausgelaugt. Die letzte Frühjahrsoffensive im Westen war endgültig gescheitert, ab dem August 1918 musste sich das erschöpfte deutsche Heer vor den überlegenen Truppen der verbündeten Briten, Franzosen und Amerikaner immer weiter aus Frankreich und Belgien zurückziehen. Befehlsverweigerungen und Desertion wurden häufiger, ganze Einheiten legten ihre Waffen nieder und begaben sich in gegnerische Kriegsgefangenschaft. Die Auflösung des deutschen Heeres an der Westfront schritt unaufhaltsam voran. Gleichzeitig brach im September 1918 das mit dem Deutschen Reich verbündete Königreich Bulgarien militärisch zusammen, sodass sich auch im Südosten die Kriegslage für die Mittelmächte dramatisch verschlechterte. Am 29. September 1918 kapitulierte Bulgarien vor der Entente4, und die Oberste Heeresleitung (OHL) um die Generale Hindenburg und Ludendorff erklärte den Krieg für verloren und teilte dem Kaiser und der politischen Führung mit, dass eine neue Reichsregierung, die das ganze Volk vertrete, die Alliierten sofort um Waffenstillstandsverhandlungen ersuchen müsse. So überließen es die Generale den Politikern, die deutsche Öffentlichkeit über die ausweglose militärische Situation zu informieren. Nach über vier Jahren Krieg mit fast zwei Millionen toten deutschen Soldaten sollten alle Anstrengungen und Entbehrungen vergebens gewesen sein? Der Krieg war verloren, ein unfassbarer Schock ging durch Deutschland.5 Während sich die Generale so aus der militärischen Verantwortung stahlen, das Waffenstillstandsgesuch selbst übergeben zu müssen, begann die neue Reichsregierung unter dem liberalen Prinz Max von Baden, der mit Gustav Bauer und Philipp Scheidemann auch zwei Vertreter der Sozialdemokraten als stärkster Fraktion im Reichstag angehörten, am 4. Oktober 1918 die Waffenstillstandsverhandlungen vorzubereiten.

Weil es für die Entscheidungen der neuen Reichsregierung und die Beweggründe der Matrosen auf den Schlachtschiffen von größter Bedeutung war, muss bereits an dieser Stelle in aller Deutlichkeit betont werden, dass das deutsche Westheer zu diesem Zeitpunkt militärisch geschlagen war und über keine Reserven mehr verfügte. So schrieb Feldmarschall v. Hindenburg am 3. Oktober an den neuen Reichskanzler Max von Baden, dass die Oberste Heeresleitung auf »der sofortigen Herausgabe des Friedensangebotes an unsere Feinde bestehe«, weil der Zusammenhalt der stark geschwächten Westfront nicht mehr garantiert werden könne und der Gegner ständig neue, frische Reserven an die Front brächte. Hindenburgs Analyse der militärischen Lage Deutschlands gab dem gerade neu eingesetzten Reichskanzler keinerlei Anlass zur Hoffnung mehr. In seinem Brief an Max von Baden hatte Hindenburg seine Einschätzung der Lage wie folgt formuliert: »Unter diesen Umständen ist es geboten, den Kampf abzubrechen, um dem deutschen Volke und seinen Verbündeten nutzlose Opfer zu ersparen. Jeder versäumte Tag kostet Tausenden von tapferen Soldaten das Leben.«6

Der Krieg war verloren, und das wussten auch Hindenburg und Ludendorff: Sie hatten den dramatischen Zerfall der Westfront kommen sehen, die deutsche Öffentlichkeit und Politik jedoch bis Ende September 1918 diesbezüglich bewusst getäuscht. Obwohl das deutsche Westheer im Herbst 1918 noch große Teile Belgiens besetzt hielt, war die Niederlage bereits zu diesem Zeitpunkt unausweichlich – und alle gegenteiligen Behauptungen, die sich später in der Bevölkerung verbreiteten, gehören in das Reich der Legenden, genauer gesagt der sogenannten Dolchstoßlegende.7 In den Augen der Anhänger dieser von den führenden Militärs, allen voran Ludendorff, sowie konservativen Politikern verbreiteten Legende seien die »meuternden«8 Matrosen, angestachelt von den beiden sozialdemokratischen Parteien, dem noch immer tief im Feindesland stehenden und tapfer kämpfenden deutschen Heer feige mit einem »Dolchstoß« in den Rücken gefallen und hätten so die deutsche Niederlage im November 1918 herbeigeführt. Die katastrophale militärische Situation Deutschlands und das Eingeständnis der deutschen Niederlage durch Ludendorff und Hindenburg Ende September 1918 wurden dabei völlig ausgeblendet und taten der erfolgreichen Verbreitung dieser Unwahrheit keinen Abbruch. So stand die neue Regierung von Max von Baden im Oktober 1918 vor dem Scherbenhaufen von Hindenburgs und Ludendorffs gescheiterter Kriegspolitik und musste unter allen Umständen einen Waffenstillstand erreichen, bevor die Ententemächte in das Deutsche Reich einmarschieren würden. Aufgrund der aussichtslosen militärischen Lage war der Verhandlungsspielraum der neuen Regierung dabei äußerst eingeschränkt.

Auch in der deutschen Hochseeflotte, dem Stolz des Kaiserreichs, war die Stimmung 1918 auf dem Tiefpunkt. Seit der Skagerrakschlacht am 31. Mai und 1. Juni 1916 waren die großen Linienschiffe (Schlachtschiffe) nicht mehr gegen England ausgelaufen und hatten die meiste Zeit untätig in ihren Stützpunkten in Wilhelmshaven und Kiel gelegen. Das massive Flottenbauprogramm seit der Jahrhundertwende hatte sich angesichts der britischen Übermacht zur See und deren Blockade der Nordsee als strategische Fehlentscheidung erwiesen. Der Admiralstab setzte deshalb ab Februar 1917 voll auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und widersetzte sich damit dem Willen des Reichskanzlers Bethmann Hollweg und der politischen Führung des Reichs, die bereits zu diesem Zeitpunkt Friedensinitiativen unterstützten. Doch selbst der massive Einsatz von U-Booten konnte die maritime Übermacht der Briten und die Abriegelung der Nordsee nicht brechen, im Gegenteil: Er führte zum Kriegseintritt der USA gegen Deutschland im April 1917. Mit der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges waren auch alle Friedensinitiativen von Bethmann Hollweg und dem Reichstag endgültig gescheitert.

Derweil führten der eintönige bis schikanöse Dienst an Bord der Linienschiffe, die beengten Lebensverhältnisse der Mannschaften unter Deck und die schlechte Verpflegung bereits im Sommer 1917 in Wilhelmshaven zu einer Meuterei der Matrosen, insbesondere auf den Schiffen des IV. Geschwaders. Die Admiralität schlug die Meuterei mithilfe der Militärgerichtsbarkeit im August 1917 nieder, bevor sich diese in der Marine ausbreiten oder auf die Zivilbevölkerung in Wilhelmshaven übergreifen konnte. Die beiden Anführer, Max Reichpietsch und Albin Köbis, wurden am 5. September 1917 nach einem auch in Marinekreisen als ungerecht empfundenen Militärprozess hingerichtet, 76 Matrosen und Heizer wurden zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie im Zuchthaus von Celle absitzen mussten.9 Auch wenn damit die Befehlsgewalt auf den Linienschiffen wieder hergestellt war, rumorte es unter den Mannschaften weiter, und die Unzufriedenheit wuchs, denn die eigentlichen Ursachen der Missstände wurden nicht beseitigt. Ebenso greift es zu kurz, die Ursachen für diese Meuterei allein in den schlechten Lebensverhältnissen der Mannschaften an Bord der Linienschiffe zu sehen. So suchte Max Reichpietsch während seines Urlaubs im Juni 1917 in Berlin gezielt den Kontakt zu führenden Politikern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), insbesondere zu Wilhelm Dittmann und Luise Zietz, und übergab ihnen die gesammelten Beschwerden seiner Kameraden. Ebenso nahm er legale politische Broschüren der USPD aus Berlin mit, um sie unter seinen Kameraden auf den Schiffen zu verteilen. Einen Monat später suchte Reichpietsch auch in Kiel gezielt den Kontakt zu den örtlichen Vertretern der USPD. Eine aktive Unterwanderung der Linienschiffe durch Reichpietsch und die USPD mit dem Ziel, eine Meuterei unter den Matrosen auszulösen und damit ein Ende des Krieges herbeizuführen, lässt sich aber nicht belegen.10

Abgesehen davon verschlechterte sich auch die allgemeine Stimmung der Besatzungen auf den Linienschiffen zusehends. Im Rahmen des verstärkten U-Boot-Krieges wurden viele der jüngeren Offiziere, die auf den älteren Linienschiffen eingesetzt waren und den direkten Kontakt zu den Mannschaften hielten, abgezogen und den U-Booten zugeteilt. Sie hinterließen auf den Großkampfschiffen eine empfindliche Lücke. Das Band zwischen dem nun hier eingesetzten Offizierskorps und den Mannschaften begann zu reißen und die Stimmung verschlechterte sich zusehends. Dies trug wesentlich dazu bei, dass die in den Reichskriegshäfen Wilhelmshaven und Kiel stationierten Linienschiffe zur Keimzelle des Matrosenaufstands 1918 werden konnten. Auf den kleineren Schiffen hingegen, wie z. B. den Torpedobooten oder den U-Booten, waren der Zusammenhalt der Besatzung und die Stimmung an Bord oft besser. Hier gab es keine verschiedenen Küchen, und Mannschaften und Offiziere aßen das...

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