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E-Book

Kinder und Jugendliche mit Angststörungen

Erscheinungsbilder, Diagnostik, Behandlung, Prävention

AutorTina In-Albon
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl218 Seiten
ISBN9783170227408
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind von großer gesundheitspolitischer Bedeutung, da sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören und einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. In diesem Buch werden die Erscheinungsbilder der verschiedenen Angststörungen beschrieben und aktuelle Studien zur Epidemiologie, Diagnostik, Psychotherapieforschung und Prävention aufgeführt. Die Module zur Behandlung von Angststörungen werden praxisnah beschrieben sowie mit störungsspezifischen Hinweisen ergänzt. Empirisch überprüfte Therapiemanuale werden vorgestellt.

PD Dr. Tina In-Albon ist Oberassistentin der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie mit Schwerpunkt Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel.

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Leseprobe

2 Angst und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter


2.1 Geschichte der Angststörungen im Kindesalter


In der Geschichte der Klinischen Psychologie war die Erforschung von Angststörungen bei Kindern und deren Behandlung zu Beginn der 1920er Jahre ein angesagter Forschungsbereich. Aus heutiger Sicht sind die beiden bekanntesten Studien, die im Folgenden beschrieben werden, ethisch sicherlich sehr fragwürdig, dennoch sind sie für die Erforschung von Ängsten und deren Behandlung bedeutsam.

Berühmt-berüchtigt sind die Konditionierungsversuche an „Little Albert“, publiziert 1920 von John B. Watson und Rosalie Rayner. Albert war ein gesundes, normal entwickeltes neun Monate altes Kind. In einer Vorstudie beobachtete man Alberts Reaktionen, als er mit einer Ratte, einem Hasen, einem Hund, einem Affen, Wolle und Masken mit und ohne Haare konfrontiert wurde. Dabei zeigte Albert keinerlei Angstreaktionen. Hingegen zeigte er Furcht und begann zu weinen, wenn hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen wurde. Watson und Rayner stellten folgende Fragestellungen auf: Kann eine Angstkonditionierung auf Tiere wie z. B. eine weiße Ratte hergestellt werden, indem gleichzeitig zur visuellen Darbietung der Ratte auf eine Eisenstange geschlagen wird? Wird es nach dieser Konditionierung zu einer Generalisierung der Ängste auf andere Objekte kommen? Welche Effekte hat die Zeit? Falls nach einer gewissen Zeit die emotionalen Reaktionen nicht abflachen, welche Methoden gibt es zur Beseitigung? Die Konditionierungsversuche mit Albert begannen, als dieser elf Monate alt war. Bezüglich ethischer Bedenken beschrieben die Autoren, dass sie zunächst gezögert hätten, die Konditionierung durchzuführen, dann aber zur Überzeugung gelangt seien, dass es sowieso irgendwann zu solchen Ereignissen kommen würde, wenn das Kind das behütete Umfeld verlasse.

Die ersten Konditionierungen fanden mit einer Ratte statt. Als Albert die Ratte berührte, wurde hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen. Beim zweiten Durchgang begann Albert zu wimmern und zögerte, die Ratte zu berühren. In der Folge fanden fünf Durchgänge statt, in denen die Ratte gleichzeitig mit dem lauten Ton präsentiert wurde. Beim fünften Durchgang und in Folge bei der alleinigen Präsentation der Ratte begann Albert zu weinen und krabbelte weg. Weitere fünf Tage später wurde untersucht, ob sich die Angst generalisiert hatte. Bei der ersten Präsentation eines Hasen lehnte er sich weg, wimmerte und brach in Tränen aus. Das gleiche Verhalten zeigte er bei Pelz, Baumwolle und Watsons Haaren. Bei der Präsentation der Ratte wimmerte er und krabbelte davon. Mit Holzblöcken spielte er nach wie vor gerne. Wiederum fünf Tage später fixierte Albert die Ratte mit den Augen und zog sich zurück, weinte jedoch nicht. Damit war es den Autoren leider noch nicht genug und es wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt. Zudem wurde Albert in einen anderen Raum gebracht. Bei der Konfrontation mit der Ratte, dem Hasen und dem Hund zeigte Albert nur leichte Angstreaktionen und versuchte, seine Hände so weit weg wie möglich von den Tieren zu halten. Erneut wurde dann bei der Präsentation der Tiere auf eine Eisenstange geschlagen. Dies führte bei Albert wiederum zu einem Rückzugsverhalten. Nach einem Monat wurden Albert die Maske mit Bart, der Pelz, die Ratte und der Hase präsentiert. Er weinte, als der gezwungen wurde, die Maske zu berühren, und wimmerte, wenn man sich ihm mit dem Pelz näherte. Die Ratte fixierte er mit seinen Augen und als die Ratte seine Hand berührte, zog er sie schnell weg. Das gleiche Verhalten zeigte sich auch beim Hasen und beim Hund.

Dann wurde von den Autoren beschrieben, dass im Anschluss an diese (letzte) Sitzung die Mutter mit Albert weggezogen sei, so dass keine Rekonditionierung hätte durchgeführt werden können. Watson und Rayner erwähnten folgende Methoden zur Beseitigung der Ängste: Konstante Konfrontation, damit sich eine Habituierung auf den angstauslösenden Reiz einstellt. Rekonditionierung, indem bei der Präsentation der Tiere Süßigkeiten oder andere beliebte Lebensmittel gegeben werden.

Weshalb die Mutter wegzog, und was aus Albert wurde, ist bis heute nicht bekannt. Im Zusammenhang mit dieser Studie können, neben den ethischen Aspekten bezüglich der Durchführung der Studie und der Nicht-Beseitigung der willkürlich erzeugten Angst, weitere Probleme festgehalten werden. Es fehlte eine Operationalisierung der Variable „Furcht“ und eine klare Quantifizierung des Verhaltens von Albert. So wird im Studienprotokoll nur von „verzieht das Gesicht“, „wimmert“ und „fällt vorn über“ berichtet. Zudem werden gegen Ende des Experiments die Reaktionen von Albert immer unklarer beschrieben. Des Weiteren wurde der Versuchsplan immer wieder neu angepasst. Beispielsweise wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt, als die Reaktionen von Albert schwächer wurden.

Die zweite wichtige Studie von Mary Cover Jones folgerte 1924 aus dem Versuch von Watson, wenn man Kindern Ängste ankonditionieren könne, es auch möglich sein sollte, diese wieder abzukonditionieren. Die von Watson beschriebenen Methoden zur Rekonditionierung und Beseitigung der Ängste wurden in der Behandlung des „kleinen Peters“ angewendet. Peter war ein fast drei Jahre alter Junge mit einer starken Angst vor Kaninchen, Ratten, Pelzmänteln, Federn und Baumwolle. Am stärksten ausgeprägt war seine Angst vor Kaninchen. Zunächst bestand die Behandlung darin, ihn mit einem Kaninchen zu konfrontieren. Da dieses Vorgehen nicht zur gewünschten Angstreduktion führte, bekam Peter in Anwesenheit des Kaninchens sein Lieblingsessen. Dabei wurde das Kaninchen graduiert immer näher an Peter herangeführt. Peter wurde immer vertrauter mit dem Kaninchen und war dann auch fähig, das Kaninchen zu berühren und mit ihm zu spielen.

Die Geschichte des kleinen Peter ist der erste Fall der Verhaltenstherapie, dessen Behandlungsgeschichte bekannt ist (Pongratz, 1973). Mit dieser Behandlung nahm Jones die von Wolpe entwickelte Methode der Desensibilisierung vorweg (Wolpe, 1958). In Anwesenheit des angstauslösenden Reizes wird eine positive Reaktion provoziert, die inkompatibel und stärker als die negative Reaktion ist (Peter erhält sein Lieblingsessen, während ein Kaninchen anwesend ist). Zudem erfolgt die Annäherung an das Kaninchen schrittweise. Auch bei diesem Experiment gibt es einige kritische Punkte zu berücksichtigen. Beispielsweise der Wechsel der Behandlungsmethode von der einfachen Präsentation des angstauslösenden Stimulus zur Präsentation mit der Darbietung des Lieblingsessens sowie die Nicht-Überprüfung der Generalisierung der Effekte auf andere angstauslösende Stimuli wie beispielsweise Ratten, Pelzmäntel und Federn. Zudem wurden keine Nachuntersuchungen durchgeführt, so dass keine Aussagen zur Stabilität des Behandlungserfolges gemacht werden können.

Man könnte denken, dass insbesondere die „Therapieergebnisse“ zum kleinen Peter dem Bereich der Angststörungen im Kindesalter hätten Auftrieb geben sollen, aber nach diesen Versuchen gingen Forschungsarbeiten zum Thema „Angststörungen bei Kindern“ stark zurück. Für lange Zeit herrschte die Meinung vor, Ängste bei Kindern würden „sich schon wieder auswachsen“. Dass dem nicht so ist, konnten in den vergangenen Jahren mehrere wissenschaftliche Studien zeigen, die unter anderem in den folgenden Kapiteln behandelt werden.

2.2 Angst, Furcht und Phobien


Bevor auf die übermäßigen Ängste, d. h. die krankhafte Angst eingegangen wird, soll hier zunächst eine Definition erfolgen, was unter Angst zu verstehen ist. Angst ist eine notwendige und normale Emotion. Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine überlebensnotwendige Funktion: Sie ist ein Schutzmechanismus, der in tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten einleitet. Da die Kosten einer Flucht relativ gering sind, aber diejenigen einer übersehenen Bedrohung sehr hoch sein können (Tod), ist die „Alarmanlage Angst“ eher empfindlich eingestellt, was jedoch zu einigen „Fehlalarmen“ führen kann. Im Folgenden werden die verschiedenen Begriffe Angst, Furcht und Phobie beschrieben:

Angst ist eine elementare, überlebensnotwendige Basisemotion, welche sich in als bedrohlich empfundenen Situationen äußert. Angst ist ein in die Zukunft gerichtetes Warnsignal.

Furcht ist das Gefühl konkreter Bedrohung. Im Gegensatz zur allgemeinen Emotion Angst ist die Furcht immer ganz konkret auf ein bestimmtes Objekt bezogen, meist rational begründbar und angebracht. Man spricht daher von der Furcht vor etwas.

Phobie ist eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten oder Personen. Sie äußert sich im übermäßigen, unangemessenen Wunsch, den Anlass der Angst zu vermeiden. Ein Kennzeichen von Phobien ist die unmittelbare Angstreaktion bei Auftreten des phobischen Reizes (z. B. Hund, Spritze, vor anderen sprechen).

2.3 Angst oder Angststörung?


Was ist nun aber der Unterschied zwischen normaler Angst und krankhafter Angst?

Ängste werden dann als eine Krankheit bezeichnet, wenn sie lange anhalten, starke und anhaltende Beeinträchtigungen für das Kind bedeuten, das Kind darunter leidet, sie langfristig die normale Entwicklung des Kindes verhindern (z. B. nicht mit Freunden spielen, nicht zur Schule gehen) oder familiäre Probleme auslösen. Ängste, die mild oder nur vorübergehend auftreten und für die jeweilige Entwicklungsphase normal sind, sollten entsprechend nicht behandelt werden und gehen mit einer neuen Entwicklungsphase...

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