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E-Book

Kinderarmut in Deutschland

AutorPeter Niemeier
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl94 Seiten
ISBN9783638494809
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1.3, Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven; Standort Emden, 50 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Armut oder gar Kinderarmut gibt es in Deutschland nicht.' Dieser Mythos war bis Ende der neunziger Jahre in dem gesellschaftlichen Gedankengut fest verankert. Selbst für die Politik und Wissenschaft war die 'Armut in Deutschland' ein stark vernachlässigter Themenbereich, obwohl bereits im Jahre 1976 Heiner Geißler mit der Veröffentlichung seines Buches 'Die neue soziale Frage' auf eine wachsende Armutstendenz hinwies. In seinen Ausführungen stellte Geißler neue Formen von Unterprivilegierungen in der Bundesrepublik Deutschland heraus und behandelte das Thema Armut im Kontext des herrschenden Sozialstaates: >Armut im Wohlfahrtsstaat<. Es folgten eine Reihe von Armuts- und Sozialberichten der Wohlfahrtsverbände (z.B. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 1989), Kirchen usw., die intensiv auf dieses gesellschaftliche Phänomen hinwiesen. Während der neunziger Jahre wuchs dann das Interesse an der Armutsproblematik und setzte eine Welle von Armutsforschungen in Gang. Eine interessante Erkenntnis ergab sich mit der Veröffentlichung des zehnten Kinder- und Jugendberichtes im Jahre 1998. Hier wurde zum ersten Mal im Auftrag der Bundesregierung die Armut im Blickfeld des politischen Interesses analysiert. Die Forschungsergebnisse enthüllten vor allem auch eine starke Betroffenheit bei Kindern und Jugendlichen in der BRD. Mittlerweile wird regelrecht von einer 'Infantilisierung' der Armut gesprochen, da die Kinderarmut immer erschreckendere Ausmaße annimmt. Die Kinderarmut und die soziale Ungerechtigkeit hat, bezogen auf den Ursachen und deren Auswirkungen, sehr viele unterschiedliche Facetten. Kinderarmut hat nicht nur Auswirkungen auf die materiellen Ressourcen der Kinder, sondern bezieht sich auch auf die persönliche Entwicklung, Gesundheit und auf die Bildungschancen. Mit dem Erscheinen des ersten Armut- und Reichtumsberichts in der Geschichte der Bundesrepublik im Jahre 2000 wurde die Diskussion über Armut und Reichtum publik gemacht und enttabuisiert und somit offiziell in das politische und gesellschaftliche Interesse gerückt. Für mich gibt es tiefgehende Gründe, weshalb ich das Thema 'Kinderarmut in Deutschland - Auswirkungen von Armut auf die kindliche Entwicklung (Soziales Umfeld, Sozialisation und Psyche, Gesundheit)' zum Gegenstand meiner Diplomarbeit gemacht habe.

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Leseprobe

  Kapitel 2

 

Auswirkungen auf das Soziale Umfeld, die Sozialisation, die Psyche und

 

die Gesundheit des Kindes im familiären Kontext

 

 

 1. Allgemeine Auswirkungen von Armut auf die kindliche Entwicklung

 (Hintergrundinformationen über die Bereiche Soziales Umfeld,

 Sozialisation, Psyche und Gesundheit    

 

„Du bist, was du isst.“ Dieses allgemein bekannte Sprichwort könnte wahrhaftig als ein Symbol für Armut gelten, denn wer nicht einmal die Mittel hat, sich und seine Familie vernünftig zu ernähren, der wird auch kaum über Mittel verfügen selbständig aus dem Teufelskreis Armut zu entfliehen. Obwohl die Auswirkungen von Armut bei Kindern und Jugendlichen sehr vielfältig und individuell sein können, bedeuten sie jedoch oft eine starke Einschränkung im Bereich der Erfahrungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten. So wird die Chance des einzelnen Kindes verringert, seine individuellen Anlagen zu entfalten und sie für sich und der Gesellschaft einzusetzen. So bedeutet Armut für Kinder nicht nur ein Verzicht auf Güter, sondern auch oft ein Ausschluss aus der gesellschaftlichen Teilhabe. Die Einschränkungen erstrecken sich zudem auf eine bewusste Ernährung, Unterstützung auf dem Bildungsweg, Pflege sozialer Beziehungen und die Begünstigung eines harmonischen Familienlebens. Die Armut ist also nicht nur als ein Merkmal der sozio-ökonomischen Ressourcen zu definieren, sondern ist als ein multidimensionaler Zusammenhang zwischen materiellen, kulturellen und psycho-sozialen Merkmalen der lebensweltlichen Bedingungen anzusehen.[47]  Vordergründig geht es insbesondere um psychische, gesundheitliche und soziale Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche. Bezüglich der psychischen Auswirkungen tendieren Kinder und Jugendliche laut dem 10. Kinder- und Jugendbericht einerseits zu Reaktionen, wie depressiver Verstimmung, Ängstlichkeit und Gefühle, wie Hilflosigkeit, andererseits zu aggressiven Reaktionen und zu Normverstößen.

 

Diese Auswirkungen wurden in den deutschen Untersuchungen (Schindler, H./ Wetzels 1985; Walpaper 1988) nachgewiesen.[48] Auf der Datenbasis der internationalen Studie „Health Behaviour in School-Aged Children- A WHO (World Health Organisation) Cross National Survey“, die unter anderem Daten über den körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheits- und Krankheitszustand Jugendlicher gewonnen hat, basieren auf die Ausführungen Klockes. Er wählte für seine Analysen den deutschen Datensatz, welcher auf die Altersspanne der 12- bis 16jährigen begrenzt wurde. Wie die Zahlen aufweisen, so Klocke, seien Kinder und Jugendliche in Armut durch ihre Lebensumstände belastet. So lasse sich sehr auffällig eine geringere Lebenszufriedenheit, Gefühle der Hilflosigkeit und  Einsamkeit, sowie ein geringeres Selbstvertrauen der von Armut Betroffenen beobachten. Obwohl nicht alle die Armut als belastend empfunden haben und entsprechend stabil und unbeeindruckt die Armut verarbeiten konnten, ist der Zusammenhang von Armut und psychosozialen Belastungen unübersehbar. Hierdurch wird deutlich, dass durchgängig der Einfluss der sozialen Lebenslage auf das psychosoziale Wohlbefinden und die Lebensfreude der Kinder und Jugendlichen vorliegt.[49] Gerd Iben, der unter anderem Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche hinsichtlich der elterlichen Langzeitarbeitslosigkeit (Untersuchung von Zenke / Ludwig 1983 – 1991) in seinen Ausführungen benennt, führt unter psychischen Auffälligkeiten – Angstzustände, Schlafstörungen, motorische Unruhe, emotionale Labilität, Konzentrationsschwächen, Regressionen und unter sozialen Auffälligkeiten – Abbruch sozialer Kontakte, Angst vor Stigmatisierung, Distanzierung von den Eltern, Leistungsabfall und Delinquenz an. Außerdem wurden bei den Untersuchungen von Zenke und Ludwig weitere Symptome festgestellt:

 

deutlich geringeres Selbstwertgefühl,

 

Depressivität und Einsamkeit,

 

sie sind empfindlicher, misstrauischer, weniger gesellig und

 

weniger in der Lage, Stress zu bewältigen,

 

Nervosität, rasche Ermüdbarkeit und Konzentationsschwäche führen

 

fast immer zum Absinken der Schulleistungen,

 

sie erwarten von der Zukunft weniger und neigen auch gegenüber beruflichen Möglichkeiten zur Resignation.[50]  

 

Andreas Klocke macht in seinen Ausführungen bezüglich des psychosozialen Wohlbefindens in Armutslagen folgende Aussagen: „… Kinder und Jugendliche in Armut haben im Bereich des psychosozialen Wohlbefindens einen schlechteren Status als Kinder und Jugendliche aus der Vergleichsgruppe. Auf die unterprivilegierten Lebensbedingungen reagieren die Kinder und Jugendlichen mit seelischen Belastungen und Anomiesymptomen.“[51]  Ein weiteres Problemfeld in der Armutsbekämpfung ist die Vernachlässigung, die verstärkt in armen Familien entdeckt worden ist. Diese Vernachlässigung lässt sich jedoch ebenso in anderen Bevölkerungsschichten ausfindig machen. Die Ursachen kommen häufig mit der Auseinandersetzung der elterlichen Problembewältigung einher, Anlässe wie  Trennung, Scheidung oder andere Problemlagen können dazu führen, dass die Kinder häufig sich selber überlassen sind.[52] Laut Christoph Butterwegge gilt  als sichergestellt, dass materielle und soziale Armut immer auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben. So macht er in seinen Ausführungen deutlich, dass für Personen die in sozial benachteiligten Verhältnissen leben, folgende Punkte zutreffen:

 

Dass es eine deutlich höhere postnatale Säuglingssterblichkeit, als in den oberen sozialen Schichten, gibt.

 

Dass die Zahl der Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 2.500 Gramm geboren werden, deutlich höher ist.

 

Dass die Mortalitätsrate durch Unfälle zweimal höher ist, als bei Kindern aus privilegierteren Schichten.

 

Dass verschiedene akute Krankheiten deutlich häufiger auftreten und

 

dass es eine höhere Anfälligkeit für chronische Erkrankungen gibt.[53]  

 

Bezüglich gesundheitlicher Beeinträchtigungen ist die Armut häufig mit Fehlernährung und folglich mit gesundheitlichen Belastungen verbunden. Der Bielefelder Gesundheitssurvey weist Zusammenhänge von Armut, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und subjektivem Empfinden von Unwohlsein für ältere Kinder in Nordrhein-Westfalen nach, die vor allem auf schlechte Ernährung, ungenügende Körperpflege und wenig Sport der Kinder in armen Familien zurückgeführt werden.[54] Nach einer Umfrage im Rahmen des „Health Behaviour in School-Aged Children-Survey 1994“ der Universität Bielefeld, bei der 3.328 SchülerInnen im Alter zwischen elf und 15 Jahren befragt wurden, fühlten sich Schüler aus den unteren sozialen Schichten erheblich kränker, als die aus oberen sozialen Schichten. Sie fühlten sich z.B. unglücklicher und klagten häufiger über Kopfschmerzen, als Kinder aus Familien mit höherem Einkommen. Zudem berichteten die Betroffenen, dass sie öfters schlecht gelaunt bzw. gereizt seien.[55]

 

Da das Aufwachsen in Armut den Kindern und Jugendlichen viel abverlangt, ist es nicht verwunderlich, dass sie häufiger körperlich krank sind und öfter psychische und psychosomatische Störungen aufweisen. Neben den Lebensbedingungen spielen auch das Gesundheitsverhalten und die gesundheitliche Versorgung eine große Rolle. Im Hinblick sozialer Benachteiligung wird oftmals die mangelnde Konkurrenzfähigkeit im Konsumbereich genannt. So haben zum Beispiel 25 Prozent der befragten Schulkinder auf die Frage, was sie sich unter Armut vorstellen, geantwortet: „Dann kann ich mir keine Markenklamotten kaufen und habe keine Freunde mehr.“[56] Nach Gerd Iben ein markanter Beweis des Konsumterrors, der als Folge einer Gefährdung sozialer Zugehörigkeit einzustufen sei. Somit werden Kinder und Jugendliche, denen man schon an ihrer Kleidung die finanzielle Lage der Familie ansehen kann, schnell zu Außenseitern abgestempelt. Oft probieren Eltern diese Akzeptanzprobleme zu kompensieren, indem sie versuchen ihren Kindern das gleiche zu bieten, was die Freunde in der Clique besitzen. Dies führt zu einer Einschränkung der Bedürfnisbefriedigung bei den Eltern.

 

Viele Aktionen, wo es darum geht, mit Gleichaltrigen etwas zu tun, fallen ansonsten dem Verzicht zum Opfer. Ob Schulausflüge, Kinobesuche, Mitgliedschaft im Sportverein oder kleine Geburtstagsgeschenke, alles kostet Geld, das man nicht hat. Dabei ist es gar nicht notwendig, sich besonders hervorzutun. Es reicht schon, wenn der ganz normale Standart nicht erreicht wird. Damit büßt das Kind schnell an Wertschätzung in der Gleichaltrigengruppe ein.“[57]

 

Oft kann die Angst der Stigmatisierung die Kinder so unter Druck setzen, dass es zum Abbruch sozialer Kontakte kommt. Diese Isolations- und Rückzugstendenzen schränken die Lebensqualität stark ein und können negative Sozialisationsprozesse in Gang setzen, die ein ganzes Leben prägen.

 

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