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Kindeswohl und Elternrecht - Zwei Begriffe des Kinder- und Jugendhilferechts im Wandel der Zeit

Zwei Begriffe des Kinder- und Jugendhilferechts im Wandel der Zeit

AutorAstrid Gnielka
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl109 Seiten
ISBN9783640365142
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu skandalösen Vorfällen von getöteten und misshandelten, vernachlässigten und missbrauchten Kindern. Nicht nur für die Boulevardpresse war die Tatsache, dass die Kinder und Eltern dem Jugendamt häufig bekannt waren, ein gefundenes Fressen. Am 1.11.2006 titelte die Berliner Zeitung: 'Kevin - auf dem Amtsweg verstorben'. Der zweijährige Kevin wurde am 10. Oktober 2006 tot im Kühlschrank der Wohnung seines Stiefvaters in Bremen aufgefunden. Nach umfangreichen Untersuchungen, heisst es im Artikel, sei der größte Fehler den Behörden zu attestieren. Die Entscheidung, 'Kevin zunächst bei der Mutter und Bernd K. zu lassen, obwohl deren familiäre, psychische und soziale Vorgeschichte ausreichend bekannt gewesen sei' (Otto; 2006; S.2), sei falsch gewesen. 'Beide waren drogen- und alkoholabhängig, beide hatten wegen diverser Straftaten mehrjährige Haftstrafen hinter sich. Laut Bericht war die Polizei mehrfach in die Wohnung gerufen worden, weil die betrunkene Mutter unfähig war, sich um das Kind zu kümmern.'(ebd.) Nicht aus Kostengründen habe man sich gegen Kevins Unterbringung im Heim entschieden. 'Maßstab aller Dinge waren die Wünsche und Interessen der Eltern' (ebd.), heisst es weiter. Besonders fatal scheint dies, angesichts der Tatsache, dass gegen Bernd K. im Zusammenhang mit dem ungeklärten Tod der Mutter ermittelt wurde. Auch als Kevin nach dem Tod der Mutter einen Vormund erhielt, da ihm Ärzte einen 'sehr erbärmlichen' (ebd.) Zustand bescheinigten, gab es nie weitreichendere Konsequenzen. (...)

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Leseprobe

1. Die Begriffe Kindeswohl und Elternrecht in ihrem historischen Kontext

 

Dass Kinder Rechte haben, die in vielfältiger Form – sei es im Grundgesetz, im Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII), aber auch in der expliziten Formulierung von Kinderrechten – festgeschrieben sind, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Lange wurden Kinder als unfertige Erwachsene gehandelt, die noch nicht vollwertig sind und die es zu formen galt. Der Kindheit wurde kein eigener Wert beigemessen. Sie war notwendiges Übel auf dem Weg zum vollkommenen Erwachsenen. Und so hatten auch die Kinder lange nicht den Stellenwert, den sie heute vor Allem in den Gesellschaften der Industrieländer haben. Es bedurfte vieler gesellschaftlicher Umbrüche und zahlloser Vordenker, ehe sich das Bild von der Kindheit und dem Kind wandelte und ehe man einsah, dass Kindern die gleichen Rechte gebühren wie Erwachsenen. Bis zur Festschreibung der Rechte von Kindern war es allerdings noch ein langer Weg.

 

Aber auch vom Recht der Eltern war nicht immer die Rede. Zwar war seit jeher unumstritten, dass es wohl Aufgabe der Eltern sei, ihre Kinder zu erziehen. Dass dieses als Recht verstanden und auch so niedergelegt wurde, hat seinen Ursprung wiederum in der Historie.

 

Beide Wege sollen zum besseren Verständnis der heutigen Rechtslage in folgenden Kapiteln nachgezeichnet werden.

 

1.1. Kindeswohl und Elternrecht in der Antike (3000 v. Chr. bis 600 n. Chr.)

 

Bei Lloyd de Mause heißt es in „Hört ihr die Kinder weinen“: „Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, die Fürsorge für sie, und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell missbraucht wurden. (...) Bei antiken Autoren (gibt es) hunderte von eindeutigen Hinweisen darauf, dass das Umbringen von Kindern eine allgemein akzeptierte alltägliche Erscheinung war. Kinder wurden in Flüsse geworfen, in Misthaufen und Jauchegräben geschleudert, in Gefäßen eingemacht, um sie darin verhungern zu lassen, auf Bergen und an Wegrändern ausgesetzt als Beute für Vögel, Futter für wilde Tiere, die sie zerreißen würden.“ (Maywald; 2002) Natürlich waren auch in der Antike Eltern zu Mitgefühl ihren Kindern gegenüber fähig und begegneten ihnen nicht ausschließlich mit Gleichgültigkeit. Dass das griechische und lateinische Wort für Kind („pais“ bzw. „puer“) zugleich auch „Sklave“ und „Diener“ bedeutet, belegt jedoch, dass schon in der Antike Kinder nicht als vollwertige Menschen betrachtet wurden. Aus dem antiken Rom wird überliefert, dass Kinder nicht mit Namen, sondern mit Zahlen benannt wurden. (vgl. Kreß; 2006) Kindermord galt bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. weder vor dem Gesetz noch in der öffentlichen Meinung als Unrecht. So lag es im patriarchalischen römischen Recht in der Hand des Vaters, ein neugeborenes Kind anzunehmen oder dem Tode auszusetzen.(vgl. Maywald; 2002)

 

Auch in früheren Gesellschaften half man zwar den Schwachen, Witwen und Kindern. Diese Hilfe ging jedoch zumeist nicht über den Sippenverband hinaus und galt eben auch nur dem Erhalt desselben. Auch finden sich in Sammlungen von Rechtssprüchen des Alten Ägypten oder dem Babylonischen Reich Ansätze öffentlicher Armenversorgung, die u.a. auch vorsahen, Witwen und Waisen mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Das Ziel „Gerechtigkeit im Lande sichtbar zu machen, den Bösen und Schlimmen zu vernichten, den Schwachen vom Starken nicht schädigen zu lassen“ (Prolog König Hammurapis, 1728-1686 v. Chr.) war nicht aus karitativen oder humanitären Beweggründen heraus entstanden, sondern diente einzig und allein dem Erhalt politischer Macht.

 

Noch ca. 1400 Jahre später spricht Aristoteles (384-322 v. Chr.) zwar von der Gerechtigkeit als eine der zentralen Tugenden. Dass diese Gerechtigkeit allen Menschen widerfahre, sei Aufgabe des Staates. Nur inkludierte der Begriff Mensch lediglich freie, gebildete, griechische Bürger, also Männer. Von Menschenrechten geschweige denn von Kinderrechten konnte keine Rede sein. So wurden im Antiken Athen zwar Kriegswaisen auf Staatskosten erzogen. Dies geschah allerdings, um den allgemeinen Wohlstand der Bürger zu heben und um Macht und Ansehen des Staates zu fördern. Keinesfalls geschah es um der Kinder und ihrer selbst willen.

 

Ab ca. 300 v. Chr. entwickelten sich im Zuge der Stoa (Philosophenschule) Gerechtigkeit und Achtung vor dem Mitmenschen als höchste Ansprüche. Es entsteht eine Ethik der allgemeinen Menschenliebe. In Rom werden Stiftungen für arme Kinder und Findelhäuser errichtet. Dennoch bleiben Kinder ohne Rechte.

 

Auch im Judentum gab es eine soziale Verpflichtung gegenüber den Armen wie Witwen, Waisen und Fremden. Aus dem Gebot der Nächstenliebe heraus entstand ein Armenrecht sowie eine Armenfürsorge. Explizit werden Kinder jedoch nicht erwähnt.

 

Unterstützung erhielten auch Witwen, Waisen, Kranke, Alte und Gefangene in frühchristlichen Gemeinden. Die Armenpflege und soziale Fürsorge in Form von Kleider- und Nahrungsspenden wurde durch Gemeindeälteste organisiert, die für die Armenkasse sammelten und die Almosen verteilten. Aber auch hier finden Kinder kein hinreichendes Augenmerk. Arm, hilfsbedürftig und damit schützenswert ist, wer hungrig, durstig, fremd, obdachlos, nackt, krank oder im Gefängnis ist.

 

Mit dem Entstehen einer Ethik der allgemeinen Menschen- und Nächstenliebe ist noch lange nicht davon auszugehen, dass diese auch Kinder unmissverständlich inkludiert. Das Menschenbild scheint noch weit davon entfernt, der Kindheit einen eigenen Wert beizumessen. Hinzu kommt, dass ausschließlich körperliche Mangelerscheinungen verursacht durch Hunger, Durst und Kälte versorgt werden. Die Idee eines seelischen Wohlbefindens im Allgemeinen und damit natürlich auch für Kinder reift erst sehr viel später. (vgl. Lienkamp; 2004)

 

1.2. Elternrecht und Kindeswohl im Mittelalter (600 n. Chr. bis 1500 n. Chr.)

 

Auch im Mittelalter trugen Kinder bisweilen keinen eigenen persönlichen Namen und das Datum ihres Geburtstags wurde nicht im Gedächtnis bewahrt. Ebenso

 

war es nicht unüblich, allen Geschwistern denselben Namen zu geben und sie nur durch

 

Beinamen nach der Reihenfolge ihrer Geburt zu unterscheiden. (vgl. Kreß; 2006) Welche Rolle und welche Wertschätzung den Kindern zuteil wird, belegt dies unmissverständlich. Kinder haben keinen eigenen Wert.

 

Tief greifende Veränderungen setzten mit dem Aufkommen des Christentums ein. In Folge der sich allmählich durchsetzenden christlichen Fürsorgepflicht (Caritas) wurden Kindesaussetzungen verboten und erste Kinderschutzeinrichtungen gegründet. Allmählich änderte sich das Bild vom Kind nachhaltig und Kinder wurden als den Erwachsenen zumindest vor Gott gleich gestellte Menschen anerkannt. 787 n.Chr. öffnete in Mailand das erste Asyl für ausgesetzte Kinder. (vgl. Maywald; 2002)

 

Seit dem 13. Jahrhundert entstanden durch kirchliche Stiftungen immer mehr Findel- und Waisenhäuser auch in Deutschland, jedoch vornehmlich in den Städten. Wurden verwaiste Kinder zuvor in allgemeinen Armenfürsorgeeinrichtungen (Hospitälern) aufgenommen, entwickelten sich mit deren Spezialisierung bald erste Einrichtungen für verwaiste Kinder. (vgl. Jordan; 2005; S.18ff.) Ob dies geschah, um die Kinder vor schlechten Einflüssen wie Krankheiten, grobem Verhalten o.ä., die zum Alltag in den Hospitälern gehörten, zu schützen oder spezialisierte Häuser mit der Zunahme an Hospitälern lediglich leichter zu organisieren waren, ist fraglich. Immerhin wurde mit der Einrichtung spezieller Häuser für Kinder den besonderen Bedürfnissen von Kindern, ob bewusst oder unbewusst, Rechnung getragen. Aufgenommen wurden allerdings nur die Kinder, die verwaist und weder durch die Großfamilie noch die Zünfte versorgt und abgesichert waren. Beide waren im Falle des Todes eines Mitglieds sowohl für die Witwe als auch die hinterbliebenen Kinder des Verstorbenen fürsorgepflichtig. (vgl. Jordan; 2005; S.18ff.) (Dies ist insofern interessant, als auch schon damals wie heute subsidiarisch zunächst die dem Kind nahestehenden Personen mit seiner Fürsorge betraut wurden, ehe man auf familienexterne Personen zurückgriff.) Durch die Mitarbeit bei einem Handwerksmeister konnte sich das verwaiste Kind seinen Lebensunterhalt in Form von Unterkunft und Nahrung verdienen. Da die Mitarbeit von Kindern nicht nur legitim sondern selbstverständlich war, ist diese Art der Versorgung auch für noch sehr junge Kinder sicher probates Mittel gewesen. Erst wenn weder die Versorgung durch die Familie noch durch die Zünfte möglich waren, wurde das Kind in eine ihm völlig fremde Obhut gegeben. Waren die Mitglieder der Großfamilie, aber auch die der Zünfte oder immerhin die Strukturen des Arbeitslebens in den Zünften dem Kind wahrscheinlich nicht gänzlich unbekannt, so musste es sich bei dieser dritten Option an eine ihm völlig neue Art des Zusammenlebens und fremde Menschen gewöhnen. Dieses Subsidiaritätsprinzip in der Versorgung verwaister Kinder gründet jedoch nicht auf dem Wissen um die Bedeutung familienähnlicher Strukturen für Kinder (vgl. spätere Kapitel zu Universalien der Kindheit und Bindungstheorien), sondern war eher pragmatischer Natur. Immerhin...

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