In der Literatur sind zumeist die Bereiche der Vernachlässigung, Kindesmisshandlung (physische und psychische Misshandlung) und der sexuellen Gewalt als Formen kindlicher Traumatisierungen zu verzeichnen. Neben diesen Bereichen sind auch Formen wie die traumatische Trennung, häufige Bindungsabbrüche, Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen sowie psychisch kranke Eltern zu finden. Deutlich wird, dass jede einzelne Form ihre eigene Charakteristik aufweist und sie häufig in Kombination auftreten (vgl. Garbe 2015, S. 41). Während Kinder rechtlich überwiegend als „Objekte“ erwachsener Personen betrachtet wurden, führte ein immenser Perspektivwechsel in den letzten 30 Jahren dazu, dass Kinder nun als Träger ihrer eigenen Rechte angesehen werden. Laut dem statistischen Bundesamt geht aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik Teil 1 hervor, dass im Jahr 2016 5.929 Fälle von Vernachlässigung, 2.006 Fälle körperlicher Misshandlung, 2.170 Fälle psychischer Misshandlung und 278 Fälle sexueller Gewalt an Kindern von 0-7 Jahren in Deutschland verzeichnet wurden (vgl. Statistisches Bundesamt 2016, S. 7). Trotz Initiativen durch die Bundesregierung wie bereits genannte rechtliche Änderungen, die Einführung des Kinderschutzgesetzes im Jahr 2012 und des Aktionsplans, sowie durch die Installation weiterer Präventionsmaßnahmen und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit über Medien ist das Thema der Kindeswohlgefährdung nach wie vor präsent (vgl. Weltgesundheitsorganisation Regionalbüro für Europa 2013, S.7f.).
Liegt eine andauernde oder wiederholte Schädigung und Beeinträchtigung der Entwicklung des Kindes durch die sorgeverpflichteten und –berechtigten Personen vor, wird von einer Vernachlässigung gesprochen. Dies kann durch mangelhafte gesundheitliche Fürsorge und Ernährung, unzureichender Kleidung und Pflege, geringe oder fehlende Beaufsichtigung und Zuwendung, sowie durch nicht ausreichende Förderung und Anregung emotionaler, geistiger, sozialer und motorischer Fähigkeiten hervorgerufen werden (vgl. Deegener 2005, S. 37). Emotionale und körperliche Zuwendung werden nicht selten verwehrt, Signale des Kindes werden nicht beachtet. Häufig kann es auch zu einer falschen Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse mit einer darauffolgenden inadäquaten Reaktion durch die Bezugsperson kommen (bspw. als Konsequenz auf hungriges Weinen folgt Einsperren). Durch die Missachtung der elementaren Bedürfnisse des Kindes kann es zu einer Beeinflussung der emotionalen, sozialen, kognitiven und körperlichen Entwicklung kommen (vgl. Weiß 2008, S. 23). Kinder, welche einer Vernachlässigung ausgesetzt sind, verfügen außerdem über eine eingeschränkte Impulskontrolle sowie über geringere Kreativität und Flexibilität (vgl. Streeck-Fischer 2014, S. 106). Erfolgt Vernachlässigung aufgrund mangelndem Wissen oder fehlender Einsicht, so wird von passiver Vernachlässigung gesprochen. Liegt jedoch eine wissentliche Verweigerung (bspw. von Schutz oder Nahrung) vor, so handelt es sich um aktive Vernachlässigung (vgl. Deegener 2005, S. 37). Weiterhin wird zwischen emotionaler und körperlicher Vernachlässigung unterschieden. Emotionale Vernachlässigung führt häufig zu einer Vulnerabilität des Kindes durch die Entwicklungsbeeinträchtigung personaler Schutzfaktoren und hat zur Folge, dass Kinder seltener in der Lage sind, Krisen und Herausforderung ausreichend bewältigen zu können. Emotionale Vernachlässigung umfasst nicht nur die fehlende Rücksicht auf die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes, sondern auch Störungen der Eltern Kind-Bindung und –Interaktion (vgl. Herrmann, et. al 2016, S. 224). Körperlich vernachlässigte Kinder wirken häufig ungepflegt, verschmutzt oder sind nicht ausreichend gekleidet. Zudem kann ein reduzierter Allgemeinzustand, psychosozialer Minderwuchs[4] oder Anzeichen von Gedeihstörungen Hinweis körperlicher Vernachlässigung sein. Zudem können Begleitstörungen beim Kind wie Behinderungen, Intelligenzminderungen oder Entwicklungsverzögerungen auftreten (vgl. Blanz et. al 2006, S. 302). Laut dem statistischen Bundesamt waren im Jahr 2016 3.111 Jungen und 2.818 Mädchen von Vernachlässigung betroffen – zudem gilt es als häufigste Form der Kindesmisshandlung (vgl. Statistisches Bundesamt 2016, S. 7).
Kindesmisshandlung wird nach Blum-Maurice definiert als eine
„nicht zufällige, gewaltsame psychische und/oder physische Beeinträchtigung oder Vernachlässigung des Kindes durch Eltern/Erziehungsberechtigte oder Dritte, die das Kind schädigt, verletzt, in seiner Entwicklung hemmt oder zu Tode bringt“
(Blum-Maurice 2000, zit. n. Deegener 2005, S. 37).
Unter körperlicher Misshandlung wird unter anderem folgendes gefasst: Ohrfeigen, von der Treppe stoßen, Peitschen, Schleudern gegen die Wand, Verbrennen mit Zigaretten oder heißem Wasser, Schütteln eines Kleinkindes, Einklemmen in Türen, auf den Ofen setzen, eigenen Urin trinken oder Kot essen lassen, mit Nadeln pieksen, Vergiften oder Würgen, zum Essen zwingen, schubsen oder Schlagen mit Gegenständen (vgl. Deegener 2005, S. 37). Durch die Änderung des § 1631 BGB im Jahr 2000 wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert (vgl. Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. 2016, S. 10). Neben der körperlichen Vernachlässigung kann auch eine seelische Misshandlung, bzw. eine emotionale Kindesmisshandlung vorliegen - dabei werden alle Handlungen und/oder Unterlassungen eingeschlossen, welche durch die Sorgeberechtigten ausgeführt werden und ein Kind über einen längeren Zeitraum ängstigen, ein Gefühl der Wertlosigkeit vermitteln oder es überfordern. Annährungsversuche seitens des Kindes werden verbal, durch Ignorieren oder durch Handlungen zurückgewiesen. Kinder können häusliche Gewalt miterleben, Erpressungen und Drohungen; können bloßgestellt, beschimpft und mit Liebesentzug bestraft werden; erleben Erniedrigung, werden eingesperrt und von Gleichaltrigen isoliert und bedroht. Im Gegensatz dazu kann es auch zu einer Überfürsorge und einem damit verbundenen „Erdrücken“ des Kindes kommen – Kinder werden dabei blockiert sich frei zu entfalten, fühlen sich daraufhin sehr unsicher, ängstlich und abhängig, was zu einem Entwicklungsstillstand führt. Nicht selten kann es auch zu körperlicher und psychischer Überforderung aufgrund inadäquater Rollenzuweisungen kommen (vgl. ebd., S. 38).
Durch sexuelle Gewalt wird die Sexualität des Kindes auf altersunangemessene Weise beeinflusst (vgl. Weiß 2008, S. 31) und schließt jede sexuelle Handlung ein, welche
„an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind auf Grund seiner körperlichen, emotionalen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann bzw. bei der es deswegen auch nicht in der Lage ist, sich hinreichend zu wehren und verweigern zu können“
(Deegener 2005, S. 38).
Zu Lasten der Kinder werden emotionale, soziale und sexuelle Bedürfnisse der tatbegehenden Person durch das Ausnutzen der eigenen Autoritäts- und Machtposition befriedigt (vgl. ebd.). Sexuelle Gewalt geschieht häufig nicht plötzlich – Kinder werden in der Regel schleichend in eine Beziehung geführt, welche zunächst auf einem vertrauensvollen Verhältnis basiert. Sukzessives Annähern des/-r Täters/-in erschwert dem Kind, Grenzüberschreitungen zu erkennen (vgl. Ahrens- Eipper / Nelius 2014, S. 20). In den meisten Fällen findet sexuelle Gewalt innerhalb dem Familien- und Bekanntenkreis (ca. 25%) und im sozialen Nahraum statt (z.B. durch Nachbarn, Personen aus Vereinen oder Einrichtungen), Ausnahmen stellen eher Fremdtäter/-innen dar (vgl. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs 2017, S. 2). Im Falle eines fortgesetzten Missbrauchs kann es beim Opfer zur Entwicklung von Schuld- und Schamgefühlen, Angst, Irritation und Ambivalenz kommen.
Kinder erleben, dass ihr Körper lediglich zur Bedürfnisbefriedigung anderer benutzt wird – ihre persönlichen Bedürfnisse und Grenzen werden ignoriert und es kommt zusätzlich zu einer gezielten Verleugnung der Gefühle des Kindes durch den/die Täter/-in („Das macht dir doch Spaß.“). Aufgrund des kindlichen Entwicklungsstandes ist es ihm/ihr nicht möglich, Schuldzuschreibungen zu hinterfragen. Bedingt durch das Redeverbot kann es bei Kindern außerdem zu einer Isolation kommen, welche durch Schuld- und Schamgefühle intensiviert wird (vgl. Ahrens- Eipper / Nelius 2014, S. 20). Sexuelle Gewalt an und/oder mit Kindern ist in Deutschland strafbar und in den §§ 174, 176, 176 a, 179 und 182 StGB gesetzlich festgelegt. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2016 geht hervor, dass über 12.000 Ermittlungs- und Strafverfahren für sexuellen Missbrauch eingeleitet wurden, hinzu kommen etwa 7.000 Fälle wegen Kinder- und Jugendpornographie. Das Dunkelfeld ist weitaus größer – laut der Weltgesundheitsorganisation sind es in Deutschland etwa eine Million Kinder und Jugendliche, welche von sexueller Gewalt durch Erwachsene betroffen sind (vgl. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs 2017, S. 1f.).
Neben den bereits genannten...