2.1 Die Hauptträger der Missionierung in Lateinamerika
Die Hauptträger der Christianisierung Lateinamerikas waren zweifelsohne die Bettelorden Europas. Hierzu zählten vor allem die Dominikaner, Franziskaner, Augustiner, Karmeliter, Merzedarier und nicht zuletzt die Jesuiten, welche durch ihre Missionsarbeit in Paraguay und ihren sogenannten „Jesuitenstaat“[61] zu Berühmtheit gelangten.
Mit der Entscheidung, Bettelorden statt die Ritterorden der Reconquista[62] in die Neue Welt zu entsenden, verfolgte die spanische Krone zwei Ziele: zum einen bestand das christliche Glaubensverständnis der Bettelorden in Demut, Armut, Dienstbereitschaft und Nächstenliebe nach dem Vorbild Jesu Christi, wodurch die Bettelorden aufgrund ihres exemplarisch geführten christlichen Lebensentwurfs für den Missionsauftrag in der Neuen Welt als ideal erschienen. Von den Bettelorden erwartete sich der spanische Staat einen selbstlosen Einsatz und versuchte somit zum anderen die feudale Kirche in Schach zu halten, welche nicht selten auch eigenbesitzorientiert agierte. Darüber hinaus erschienen die Missionsorden (gemeint sind die Bettelorden) aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität gegenüber dem Weltklerus für die Evangelisierung der Indios als geeigneter. Die Missionare galten religiös als hochmotiviert und waren zur Evangelisierung sehr gut ausgebildet. Der Weltklerus der Amtskirche traf meist erst in den Indiopfarreien ein, als die Befriedigung und Integration der Indios bereits durch die Arbeit der Missionare abgeschlossen war. Dass die Missionsorden nicht von Anfang an mit dem Auftreten der Konquistadoren in Verbindung standen, und dies auch im fortschreitenden Zeitraum der Conquista wenig der Fall war, lag in erster Linie daran, dass sie quasi als Reaktion auf das missfällige Verhalten der Konquistadoren an den Indios nach Spanisch-Amerika gesandt wurden. Bereits im 16. und bis ins 17. Jahrhundert hinein gab es mehr Ordens- als Weltkleriker in der Neuen Welt. Während der Zeit der Conquista und der Kolonisation Amerikas bestand stets ein angespanntes Verhältnis zw. Weltklerus und Missionsorden, nicht selten mischte sich der Weltklerus in die Arbeit der Missionare ein.
Die Missionsarbeit der einzelnen Orden zeichnete sich durch die konkrete Begegnung mit den Indios und ihren Kulturen aus. Allzu oft kam es durch das Wirken der Missionsorden zu einer Verschmelzung der Religionen und ihrer Bräuche, d.h. zu Synkretismen[63] des christlichen Glaubens mit indigenen Religionen. Bei ihrer Mission akzeptierten die Missionare häufig die sozialen Bindungen und bestehenden Herrschaftsbeziehungen der indigenen Völker oder bauten diese sogar aus. Durch das Fehlen des feudalen Klerus fand durch die Missionsorden eine weitaus friedlichere Evangelisierung statt und synkretische Formen wurden stärker akzeptiert. Wir dürfen in diesem Zusammenhang von einem kulturell toleranten Missionskonzept[64] sprechen, was die Arbeit der Dominikaner und Franziskaner, aber vor allem die der Jesuiten auszeichnete.[65]
Zwar begleiteten die Missionare auch die Eroberungszüge der Konquistadoren, vor allem aber wirkten sie dort, wo die Religion durch die Gewalttaten der christlichen Eroberer noch nicht in Verruf geraten war. Dafür drangen sie häufig in Gebiete vor, welche für die Spanier noch als unentdeckt galten oder welche aufgrund mangelnder Bodenschätze für die Konquistadoren als uninteressant angesehen wurden. Dass sie damit unweigerlich bis dato unerschlossene Gebiete der spanischen Krone mit einverleibten, war zwangsläufig.[66] In der Anfangszeit der Conquista und vor Ankunft der Missionsorden waren es vor allem Feldkapläne, welche nicht selten aus den Reihen der Konquistadoren selbst rekrutiert wurden, so auch der spätere Dominikanermönch und Bischof von Chiapa, Bartolomé de Las Casas, welche die Eroberungszüge der Spanier begleiteten. Die Feldkapläne kritisierten nicht selten das brutale Vorgehen der Spanier, wie an dem Bericht von Bemal Diaz über das Eingreifen des Feldkaplans von Hernán Cortes bezüglich dessen Zerstörungsdrang deutlich wird. Der Feldkaplan äußert sich diesbezüglich gegenüber Cortes wie folgt: „Es ist nicht recht, die Indios mit Gewalt zu Christen zu machen.“[67]
Darüber hinaus muss man sagen, dass sich letztendlich die Konquistadoren selbst als Missionare, als Glaubensverkünder des christlichen Glaubens verstanden, was vor allem aus ihrem mittelalterlichen christlichen Missionsverständnis von Eroberung und Zwangsmissionierung, einem Gefühl von religiösem Auserwähltsein aus der Zeit der Reconquista und der monolithischen Einheit[68] herrührt. Neben ihrer kultischen Frömmigkeit sahen sie keinen Widerspruch zw. ihrer militärischen Unterwerfung und ihrem religiösen Engagement. Trotz dem die Spanier, sowohl Konquistadoren als auch später Kolonisten, am Bau zahlreicher Kirchen, Klöster, Schulen und Hospitäler maßgeblich beteiligt waren, war ihre missionarische Laientätigkeit nicht von Nachhaltigkeit. Dafür waren ihre Lebensrealitäten zu widersprüchlich.
Die Missionsorden trafen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf dem amerikanischen Kontinent ein und zeichneten sich durch unterschiedliche Missionsvorstellungen aus. Als erste Missionsorden wurden die Franziskaner (1500) und die Dominikaner (1510) in die Neue Welt entsandt und landeten auf der Insel Hispaniola, das Gebiet der heutigen Dominikanischen Republik und Haitis. Die eigentliche Missionstätigkeit der Orden in der Neuen Welt begann allerdings nicht mit der ersten Phase der Conquista, sondern erst später auf dem Festland mit der Eroberung Mexikos, über Zentralamerika bis später nach Südamerika hinunter, da die meisten Ureinwohner auf den Westindischen Inseln (bestehend aus den Großen und Kleinen Antillen und den Bahamas) durch das Wüten der Konquistadoren, das dort eingeführte System der encomiendas und die Sklavenjagd bereits fast vollständig ausgerottet waren. Hierin zeigt sich verstärkt der Widerspruch zw. Conquista und Mission.
Die Franziskaner identifizierten sich, wie die Dominikaner auch, am stärksten mit der Identität der Indios und brachten viel Bewunderung für deren Kultur(en), für ihr in Armut geführtes Leben, für ihren Sinn von Gemeinbesitz und Gemeinwohl, und für das Fehlen von Habsucht und Profitstreben auf. Nach ihren Vorstellungen wollten sie eine indianische Kirche auf dem amerikanischen Kontinent nach dem Vorbild des Urchristentums schaffen, eine das Gebet und den gemeinsamen Besitz teilende Gemeinschaft. Darüber hinaus verbanden sie mit ihren am Urchristentum orientierten Evangelisierungsbemühungen den Wunsch nach einem Neuanfang in der Kirche und ein damit verbundenes Entgegenwirken gegen die in Europa stattfindende Veräußerlichung und Verweltlichung der Kirche. Für den Aufbau einer indianischen Kirche im ursprünglichen Geist des Evangeliums traten die Franziskaner zum Schutz der Indios gegenüber den Spaniern auf, bauten Schulen und Krankenhäuser, und kämpften aus dem christlichen Humanismus heraus gegen das unter den Konquistadoren vorherrschende negative Indianerbild eines Volkes unterentwickelter Wilden.[69] Ein großes Zeichen für die Bewunderung der indigenen Kulturen war die von dem Franziskaner Fray Bernardino de Sahagún verfasste Enzyklopädie über die aztekische Kultur, welche später von der spanischen Krone sogar verboten wurde. Durch ihre (literarische) Arbeit nahmen die Mönche häufig in ihrer Beschreibung der Conquista die Perspektive der besiegten Indios auf. Zum Schutz der Indios vor den Konquistadoren und Kolonisten (Siedler) traten die Franziskaner, ähnlich wie die Dominikaner und die Jesuiten später in Paraguay, für eine Trennung von Mission und Conquista ein, was zwangsläufig zu einer Trennung von Mission und spanischer Herrschaft auf dem amerikanischen Kontinent geführt hätte aufgrund des Patronatsrechtes seitens des spanischen Königs über die entdeckten Gebiete. Die Franziskanermönche traten bei ihren Missionstätigkeiten häufig in Zwölfergruppen als Symbol der zwölf Apostel (los doce apostoles[70]) auf, so auch bei der Bekehrung von Veracruz im Jahr 1524.[71] Nichtsdestotrotz zeichnet sich auch in diesem Bereich der Missionierung ein Widerspruch innerhalb des Franziskanerordens ab, denn nicht alle Franziskanermönche verstanden sich als Beschützer der Indios und Bewahrer von deren Kulturen. So ist schriftlich überliefert, dass Juan de Zumárraga, erster Bischof von Mexiko, für die Zerstörung von hunderten von Tempeln und indigenen Glaubenssymbolen verantwortlich war, auf deren Trümmern später Gotteshäuser zur Verbreitung des neuen Glaubens, meist durch die Indios selbst auf Anweisung, errichtet wurden. Gleichzeitig stand Zumárraga für den Schutz der Indios ein, errichtete zahlreiche Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser u.v.m., und stritt mit den weltlichen Behörden gegen deren Machtmissbrauch in der Neuen Welt, weshalb er 1532 auf Order des Königs auch nach Spanien zurückkehren musste. Später kehrte er als Apostolischer Inquisitor gegen Ketzerei und...