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E-Book

Klassenmanagement

Ein Handbuch für Studium und Praxis

AutorDiemut Ophardt, Felicitas Thiel
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783170238459
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Klassenmanagement ist in letzter Zeit wieder ins Zentrum der deutschsprachigen Didaktik und Lehrerbildung gerückt. Gemeint ist damit die Fähigkeit zur Steuerung der Interaktionsprozesse in einer Schulklasse mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit von Schülerinnen und Schülern auf den Lerngegenstand auszurichten und Störungen effektiv zu bearbeiten. Klassenmanagement gehört so als eigenständiger Kompetenzbereich zur Lehrerexpertise und setzt besondere Strategien und Techniken und damit auch ein besonderes Wissen voraus. Zum ersten Mal wird in dieser Einführung zum Thema Klassenmanagement ein kohärentes Curriculum entworfen, das von einem weiten Begriff des Klassenmanagements ausgeht und die relevanten Forschungstraditionen zusammenführt. Im Mittelpunkt stehen praxisnahe Fragen zur Einführung von Regeln, zu Aufbau und Veränderung von Verhalten, zur Steuerung der Aufmerksamkeit, zum Umgang mit Störungen und zur Bearbeitung von Konflikten. Abschließend werden Wege der Entwicklung und Weiterentwicklung von Kompetenzen des Klassenmanagements vorgestellt. Das Buch ist vor allem als ein Arbeitsbuch für die Lehreraus- und -weiterbildung konzipiert und mit zahlreichen Arbeitsaufgaben, Fallbeispielen und Checklisten versehen.

Dr. Diemut Ophardt ist Geschäftsführerin des Zentrums für Lehrerbildung an der Freien Universität Berlin. Professor Dr. Felicitas Thiel lehrt Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin.

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Leseprobe

2 Unterrichtsexpertise und Klassenmanagement


Unterricht ist die besondere Form, die die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schülern im sozialen System der Schulklasse normalerweise annimmt. Diese Form kann – so wurde im vorausgehenden Kapitel gezeigt – gegenüber anderen Formen der Interaktion, wie beispielsweise in der Familie oder in Freundesgruppen, abgegrenzt werden. Unterricht erfolgt mit dem Ziel der Initiierung, Unterstützung und Beurteilung individueller Lernprozesse. In dem uns interessierenden Fall findet Unterricht in Schulklassen statt und die Steuerung der Interaktion in der Schulklasse stellt damit eine wesentliche Herausforderung des Unterrichtens dar. Die institutionellen Rahmenbedingungen des Unterrichtens im sozialen System Schulklasse wurden im vorausgehenden Kapitel ausführlich skizziert.

Dass Klassenmanagement kein Unterrichtsziel an sich ist, wurde bereits deutlich. Klassenmanagement hat immer eine Stützfunktion für Lernen. Das bedeutet: Obwohl es sich beim Klassenmanagement um einen abgrenzbaren Anforderungsbereich und entsprechend abgrenzbaren Kompetenzbereich handelt, geschieht Klassenmanagement doch immer unter dem Vorzeichen der Herstellung optimaler Bedingungen für den Erwerb von (fachlichen) Kompetenzen. Die Steuerung der Interaktionsprozesse kann deshalb auch nicht unabhängig von zwei weiteren Anforderungen des Unterrichts betrachtet werden: der Unterstützung der Informationsverarbeitung oder der Wissenskonstruktion und der Motivierung der Lernenden. Alle drei Aspekte müssen zueinander ins Verhältnis gesetzt und zudem an die Lernvoraussetzungen der konkreten Schülerinnen und Schüler adaptiert werden. Mit Unterricht verbinden sich demnach außerordentlich komplexe Anforderungen. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, sind spezifische Kompetenzen erforderlich, die wir als Expertenkompetenzen bezeichnen.

Bevor wir im nächsten Kapitel die einzelnen Aspekte des Klassenmanagements systematisch unterscheiden, wollen wir in diesem Kapitel den Zusammenhang zwischen Klassenmanagement und anderen zentralen Anforderungen des Unterrichts beleuchten. Unterricht und Unterrichten wird also zunächst im Gesamtzusammenhang dargestellt. Wir nähern uns auf der Spur der Unterrichtsforschung zunächst den Fragen, wie die grundlegenden Anforderungen des Unterrichtens beschrieben werden können und wie sie zueinander in Beziehung zu setzen sind (2.1). Im Anschluss daran beschäftigen wir uns mit dem besonderen Charakter der Unterrichtsarbeit und fragen die Professionstheorie, was Unterrichten als einen besonderen Beruf charakterisiert (2.2). Schließlich betrachten wir aus der Sicht der Expertenforschung die besonderen Kompetenzen, die Lehrkräfte benötigen, um den unterschiedlichen Anforderungen, die mit dem Unterrichten einhergehen, gerecht zu werden (2.3). Wir betrachten Lehren als Expertenberuf, der zwei grundlegende Kompetenzen umfasst: die Planung von Lehr-Lern-Prozessen und die rasche und situationsangemessene Reaktion auf nichtvorhersehbare Ereignisse im Unterricht. Die Expertenforschung spricht hier einerseits von einer Design-Kompetenz, andererseits von einer »Improvisationskompetenz«.

2.1 Basisdimensionen und -anforderungen des Unterrichts


Das Interesse für Unterricht ist immer dann besonders hoch, wenn, wie nach der breiten Diskussion über die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien, Anlass zu Zweifeln an seiner Qualität besteht. Doch was sind eigentlich Qualitätsmerkmale von Unterricht? Woran können wir Qualität messen?

Die internationale Unterrichtsforschung gibt auf diese Fragen eine eindeutige Antwort (vgl. im Überblick Ditton 2009): Guter Unterricht ist Unterricht, der einen Lernzuwachs bei den Schülerinnen und Schülern befördert. Gemessen wird dieser Lernzuwachs in der Regel an der Entwicklung von Leistungen in den Kernfächern, die durch valide Tests erfasst werden. Gelegentlich werden auch andere Outputs oder Wirkungen des Unterrichts zur Messung von Unterrichtsqualität herangezogen, so z.B. soziale Kompetenzen der Lernenden.

Das oft zitierte Angebots-Nutzungs-Modell (Abb. 3), das Andreas Helmke im Anschluss an Helmut Fend (1998) weiterentwickelt hat, macht den Zusammenhang zwischen den Wirkungen, also den fachlichen und überfachlichen Lernerträgen, und den Unterrichtsprozessen deutlich. Das Modell zeigt auf den ersten Blick, dass die Messung von Unterrichtsqualität eine komplizierte Angelegenheit darstellt. Anders als etwa bei der Prüfung der Qualität eines bestimmten industriellen Fertigungsverfahrens können Erträge nicht allein auf den Prozess – den Unterricht – zurückgeführt werden. Es sind vielmehr Eingangsvoraussetzungen und Kontextbedingungen in Rechnung zu stellen, die neben den »Herstellungs«-Prozessen eine Rolle spielen. Unterricht stellt, anders als beispielweise ein Fertigungsprozess in der Automobilindustrie, zunächst nicht mehr als ein Angebot dar. Dieses Angebot muss von den Schülerinnen und Schülern angeeignet werden und die Aneignung bzw. Nutzung wird von vielfältigen Voraussetzungen und Bedingungen beeinflusst, die dem Einfluss der Lehrkräfte nur mittelbar zugänglich sind bzw. sich diesem Einfluss teilweise entziehen. Dazu gehören etwa kognitive Grundfertigkeiten, motivationale Orientierungen und persönliche Dispositionen.

Abb. 3: Das Angebots-Nutzungs-Modell (Helmke 2008).

Die aktive Lernzeit, so das Modell von Helmke, beeinflusst die Lernerträge (Wirkungen) direkt. Das bedeutet: Je mehr Zeit eine Schülerin oder ein Schüler für die aktive Beschäftigung mit einem Lerngegenstand aufwendet, desto höher ist der Lernerfolg. Die aktive Lernzeit wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: Wie klar ist die Aufgabe, wie strukturiert das Vorgehen, wie passend sind die Methoden, wie gut sind die Erklärungen auf die einzelnen Schüler abgestimmt, wie interessant ist der Gegenstand für die Schülerinnen und Schüler und – von besonderer Bedeutung – welcher Anteil einer Unterrichtsstunde ist überhaupt für das Lernen nutzbar? Die Beantwortung der letztgenannten Frage ist in entscheidendem Maße abhängig vom Ausbleiben von Leerläufen und von der Abwesenheit von Störungen.

Dass es sich beim Klassenmanagement um einen eigenständigen Anforderungsbereich handelt, wurde bereits aus den Ausführungen zum sozialen System Schulklasse deutlich. Allein aus der Tatsache, dass Lernen in Schulen nicht in einer Dyade stattfindet, sondern in Gruppen mit in der Regel mehr als 20 Schülerinnen und Schülern, ergibt sich die Notwendigkeit, die Handlungsimpulse der Interaktionsteilnehmer zu koordinieren. Welche Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten hier zu beachten sind, wurde ebenfalls bereits deutlich. Es geht aber nicht nur um eine Koordination oder Steuerung der unterschiedlichen Handlungsimpulse, sondern um deren Ausrichtung auf ein gemeinsames vordefiniertes Lernziel.

Damit ist klar: Klassenmanagement ist zwar ein eigenständiger Anforderungsbereich des Unterrichts und bei Kompetenzen des Klassenmanagements handelt es sich um einen besonderen Expertisebereich von Lehrkräften, dieser Anforderungsbereich steht jedoch in enger Verbindung mit der kognitiven Aktivierung und der Motivierung der Schülerinnen und Schüler. So reduziert etwa ein gut strukturierter Vortrag die Tendenz zum Abschalten, und die Weckung des Interesses für den Lerngegenstand hilft, die Aufmerksamkeit zu fokussieren. Eine effektive Unterstützung der Wissenskonstruktion und eine gelungene Motivierung wirken wiederum Unterrichtsstörungen entgegen.

Warum Klassenmanagement – wie vielfach empirisch bestätigt – einen sehr hohen Stellenwert für Unterrichtsqualität hat, kann mit Abbildung 4 verdeutlicht werden:

Abb. 4: Rahmenmodell zur Veranschaulichung von Zeitfaktoren für den Lernerfolg (Treiber 1982).

Klassenmanagement ist eine wesentliche Voraussetzung für die Maximierung der aktiven Lernzeit und gilt deshalb zu Recht als Basisdimension der Unterrichtsqualität.

Dafür, dass es sich hier um einen abgrenzbaren Anforderungsbereich handelt, spricht, dass die Lehrerselbstwirksamkeitsforschung Klassenmanagement als »distinct type of teacher efficacy« (Emmer & Hickman 1991), also als einen abgrenzbaren Teilbereich der Lehrerselbstwirksamkeit, identifiziert hat.

Die Einzelmerkmale, die in dem Modell von Helmke unter dem Begriff »Qualität des Unterrichts« aufgeführt sind, fassen wir zu vier Dimensionen zusammen: Kognitive Aktivierung, Motivierungsqualität und Klassenmanagement. Quer zu diesen drei Dimensionen liegt die Dimension der Angemessenheit.

Kognitive Aktivierung bezieht sich auf die Unterstützung von Prozessen der Informationsverarbeitung; vom Standpunkt einer konstruktivistischen Lerntheorie kann auch von Prozessen der Wissenskonstruktion gesprochen werden. Der Psychologe Hans Aebli hat einen Lernzyklus beschrieben, der die einzelnen Phasen der Unterstützung der Wissenskonstruktion verdeutlicht (Aebli 2003). Zunächst geht es darum, die Aufmerksamkeit des Lerners auf die wesentlichen Aspekte des Problems oder der Aufgabe auszurichten. Das geschieht durch eine Präsentation des Problems, die es dem Lerner erleichtert, eine Struktur in diesem Problem zu sehen und gezielt Vorwissen zu aktivieren oder externe Ressourcen (wie Texte oder Lernhilfe) zu beanspruchen. Um einen Gegenstand zu verstehen, muss er nach verschiedenen Seiten durchdrungen werden. Das bedeutet: Die neue Information muss mit vorhandenem Wissen in Beziehung...

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