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E-Book

Klaus Maria Brandauer

Ein Königreich für das Theater

AutorRonald Pohl
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783991001225
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
In den vergangenen Jahren hat Österreichs einziger Weltschauspieler einen atemberaubenden Werkkatalog vorgelegt: Auf die Titelrolle in Lessings 'Nathan der Weise' am Wiener Burgtheater folgte Schillers 'Wallenstein', Kleists 'Dorfrichter Adam', der blinde 'Ödipus auf Kolonos' und der Bananen ver schluckende Krapp in Becketts 'Das letzte Band'. Der epochale 'König Lear' an der Burg schließlich zeigt, wie ein auch in Hollywood nachgefragter Star die Fragestellungen der Theatertradition in ein neues, überraschendes Licht zu rücken versteht. Ronald Pohl zeichnet den Gipfelsturm eines kontrovers diskutierten Einzelgängers im Kontext der Bühnentradition, als Kulmination von Entwicklungen aus Surrealismus, epischem Theater und Schwarzer Romantik. Zu Wort kommen Weggefährten wie Hans Neuenfels, Peter Stein und Brandauer selbst.

Ronald Pohl, geboren 1965, lebt und arbeitet als Autor und Feuilletonredakteur der Tageszeitung 'Der Standard' in Wien. Dort erster Theaterkritiker. Zahlreiche Einzelveröffentlichungen, zuletzt das Prosabuch 'pound in pisa. Die Badeküsser' (Ritter Verlag, Klagenfurt), mehrere Uraufführungen wie 'Der Zuschließer' (2009, Theater Rampe Stuttgart) sowie Vertonung seiner Gedichte ('bix and the boys', 2012).

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Brandauer und Lear


Besser gelaunt ist noch kein Potentat in sein Unglück gerannt. Lear, der Greisenkönig in Britanniens sturmgepeitschter Heide, eilt verwegenen Schrittes auf die Bühne des Wiener Burgtheaters. Der Horizont ist kahl, kein Sonnenstrahl streichelt dem Unhold die Haare. Klaus Maria Brandauer spielt den rätselhaftesten unter allen Shakespeare-Herrschern als Mann der Tat: ein Steppen-Attila, der auf einem Pony einen Draufgänger zum Fürchten abgäbe.

Wäre England nicht ein Eiland inmitten rauer See, man könnte denken, ein Mongolensturm wäre über das Land hinweggefegt. Brandauers Lear hat vielleicht vor 20, 30 Jahren in einer Jurte gehaust. Gut möglich, der Schlüssel zum Erfolg des Usurpators lag bereits damals in dessen Unfähigkeit, still zu sitzen. Noch ehe Englands stolze Ritter die Lanzen eingelegt hatten, um den Emporkömmling anzugreifen, war dieser behände ins Heidekraut echappiert. Ein Kavallerist ohne Rangabzeichen, ein Krieger aus Instinkt.

„König Lear“ spielt in finsterer, nicht mehr recht gegenwärtiger Zeit. Und doch muss Lear seinen Widersachern einmal als jugendlicher Draufgänger erschienen sein. Er war den Herzögen und Peers über, weil er Machtinstinkt und Schläue in sich vereinte. Obwohl schon achtzig Jahre alt, ist Lear selbst ein Sendbote jener Moderne, die ihn, in einem langen, chaotischen, das ganze Land aufreibenden Prozess, zu Fall bringen wird. Ein Nachteil bleibt auch jetzt, im Spätherbst seiner Allgewalt, schmerzhaft spürbar. Lear hat keinen Sohn. Das Schicksal hat es anders gewollt und ihm drei Töchter geschenkt. Jetzt geht der Reiterkönig daran, sein vom ihm errichtetes, unter vielen Mühen befriedetes Reich unter den längst erwachsenen Kindern aufzuteilen.

Klaus Maria Brandauer, seit 1971 Mitglied des Wiener Burgtheaters, stürmt auf die Bühne, als müsste er jedem Einwand zuvorkommen. Als Tyrann ist er es gewohnt, Entscheidungen aus reiner Machtvollkommenheit heraus zu treffen. Sein Reich wird von einer Landkarte aus Lederhaut symbolisiert. „Sorg’ und Müh‘“ wolle er von sich abschütteln. Seine – im Übrigen schon recht reifen – Mädchen blickt der Potentat im räudigen Mantel ein wenig mitleidig an. Er nimmt sie nicht für voll. Den Plan des aufzuteilenden Landes fährt er mit der Fliegenklatsche ab. Den Entschluss zum Rückzug auf Raten tut er sprechsingend kund. Auch das hat Lear also in den langen Jahren auf der Heide, auf Sturmleitern kletternd, mordend und brandschatzend, gelernt: Man muss, um die Menschen für sich einzunehmen, sich auf die Kunst schöner Worte verstehen.

Lears erste Szene mündet in das von Shakespeare intendierte Fiasko. Lear trifft eine staatsrechtliche Entscheidung. Er möchte das Land unter seinen Töchtern aufteilen. Diese können sich obendrein heiraten lassen, um an der Seite von Fürsten zu regierenden Königinnen zu werden. Unheil kündigt sich an. Der Greis mit den verfilzten Locken möchte von den jungen Damen erobert, am Bart gezupft, umworben und gedrängt werden. Das ist kraus gedacht, denn Lear fragt danach, welche von den dreien ihn wohl am meisten liebe. Er versteht sich ganz offensichtlich nicht auf das Dritteln.

Noch schwerwiegender ist der Missgriff in diskursiver Hinsicht. Ausgerechnet Lippenbekenntnisse sollen ihm als Entscheidungsgrundlage dienen. „Aus nichts kann nichts entstehen“, belehrt er seine Jüngste, die störrische Cordelia (Pauline Knof). Ein lässliches, unter Druck abgegebenes Bekenntnis soll für Nähe und Intimität einstehen. Lears Willkür ist, als stümperhaftes Werk eines Greises, mit allen Anzeichen des dreisten Bubenstückes versehen.

Der Vater pocht mit der Gewalt des Herrschers auf die schuldige Kindespflicht. Er vergeht sich damit gegen das Wesen der Kindesliebe, gegen deren Unbedingtheit und Reinheit. Keinesfalls eignet kindliches Zutrauen sich als Handelsgut, als Gegenstand von Spekulation, von kalkulierender Überbietung. Lear, der im Gegensatz zu William Shakespeare gewiss keine Lateinschule besucht hat, handelt nach dem Prinzip „mundus vult decipi ego decipiatur: Die Welt will verlogen sein, also soll sie verlogen werden“. Er muss damit rechnen, nicht dem Sinne, aber wenigstens dem Grade nach belogen zu werden. Eine letzte Möglichkeit besteht noch, den alten Mann zu entschuldigen: König Lear ist selbst der größte Heuchler von allen. Brandauers Augen funkeln gierig, ein wenig verschlagen. Der Thronsessel, auf dem er Platz genommen hat, ist beinahe zierlich. Solche Möbelstücke passen in keine Heidelandschaft, auch nicht in die kahle Ödnis, die Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer im Wiener Burgtheater zur Welt erweitert hat. Bald schon wird Lear, der größte Unglücksrabe unter lauter Raubvögeln, eine Nacht auf dem kahlen Land verleben. Seine Blindheit ist zugleich die finsterste Menschheitsnacht.

Der aus Altaussee in der Steiermark stammende Schauspieler Klaus Maria Brandauer zählt zum Zeitpunkt der „König Lear“-Premiere im Wiener Burgtheater siebzig Jahre. Es fällt schwer, in der Figur des unbeherrschten Krieger-Königs nicht eine gewisse Folgerichtigkeit zu erkennen. Im Nachhinein gewinnt es sogar den Anschein, Brandauer wäre auf diese Rolle zugesteuert. Nicht zaudernd, aber auch nicht geradlinig, sondern wägend, prüfend, spezifizierend, wie um sich im Fach der tolldreisten Kerle jenseits der fünfzig einzuleben und sich dann als Primus inter Pares zu behaupten.

Das Angebot, in den abgrundtiefsten Wahn zu verfallen, den ein Bühnenberserker durchleben kann, konnte KMB gar nicht ausschlagen. Etwas von dieser kindlichen Freude teilt sich seiner Lear-Performance von Anfang an mit. Brandauer entert die Bühne voller Zuversicht. Den Willen der Töchter ist er gewohnt zu brechen wie sonst nur den Eigensinn kleiner Rosse, auf deren Rücken er früher einmal Englands Eliten in den Staub zwang. (Höchstwahrscheinlich gelten ihm Pferde mindestens so viel wie Töchter.)

Brandauers Darstellungskunst rührt jenseits des sportiven Elans an weitaus tiefere, beunruhigende Geheimnisse. Sein Heidekönig mag vor Zorn überkochen. Er mag mit der ganzen Menschheit brechen, sich einzig unter der Bedeckung seines Narren (Michael Maertens) in die sturmgepeitschte Wildnis hinausbegeben. Dies alles eingeräumt, steht Lear nicht nur mit dem Rücken zur Wand, sondern mit der Vernunft im Bunde. Nicht „jeder“ Lear wohlgemerkt; eher nur Klaus Maria Brandauers Fürst. Kein anderer Lear funkelt das Schicksal derart herausfordernd an. Niemand sonst geifert derart los, sobald Cordelia ihm ihr „Nichts!“ eröffnet hat (auf Lears Frage, was sie ihm zum Ausweis ihrer Liebe zu schenken wünsche).

„Bessre deine Rede“, fordert er die Widerstrebende auf. Gebessert kann die Rede („Ich lieb’ Eu’r Hoheit, wie’s meine Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder“) nur werden, indem man sie erweitert, ausschmückt, überhöht. Diese Aufgabe ausgerechnet der Zunge der Lieblingstochter zu übertragen, seinem Nesthäkchen und Liebling, ist eines Königs nicht würdig. Wie viel weniger aber ist dieses Ansinnen die letzte Weisheit eines verschlagenen Fuchses. Weshalb sollte Lear, der reife, aber keinesfalls senile Steppenreiter, plötzlich auf Ruhmredigkeit erpicht sein? Was scheren ihn die Schmeichelreden seiner Töchter, die ihm ohnedies blind ergeben sind? Was ist in den Alten gefahren?

Lears Kalkül ist die letzte, höchste Volte der Vernunft: ein fataler Witz, ein toller Streich. Der geübte Verführer hat gelernt, die Reaktionen seiner Mitwelt verlässlich vorauszusagen. Lear erhält von seinem Darsteller Brandauer die vielleicht verblüffendste Mitgift: Er wird zum Verursacher wie zum Zeugen des Ekels, den Politik hervorruft. Lear weiß schon im Voraus, wie seine Töchter sich verhalten werden: Nacheinander singen sie, gleich Nachtigallen, das Loblied des Herrn, ihres Erzeugers. In den gelehrten Brevieren der Renaissance lesen Höflinge zur gleichen Zeit nach, wie sie ihr innerstes Gewissen, ihre Seele vor den zudringlichen Blicken der Konkurrenten zu schützen haben. Wer Politik betreibt, übt sich aus Gründen der Opportunität in der Kunst der Verstellung. Am besten verstellt sich, wer in das kalkulierbare Verhalten seiner Mitmenschen Zutrauen hat.

Klüger ist, wer die weiter reichenden Prognosen erstellt. Shakespeare und seinen Zeitgenossen dämmerte bereits: Es hat nur den Anschein, als ob Menschen, die ihr Handeln am Gebot der Nützlichkeit orientieren, sich „natürlich“ verhalten würden. Am besten hingegen versteht seine Mitmenschen derjenige zu gebrauchen und in den Dienst zu nehmen, der sie am geschicktesten manipuliert. Oswald Wiener schrieb über die außerordentlichen Kapazitäten seines Freundes, des Wiener Dichters und Selbstmörders Konrad Bayer (1932–1964): „er war häufig mit dem arrangement einer szene oder einer situation beschäftigt, um andere zu für ihn vorhersagbaren handlungen zu bringen (…).“ Der Fluchtpunkt...

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