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Kleine Geschichte der Zeit

AutorHans Lenz
VerlagEdition Erdmann in der marixverlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843802628
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Alles in uns und um uns geschieht in der Zeit, aber unsere Sinne genügen nicht, sie wahrzunehmen. Seit Jahrtausenden haben Menschen über ihre Geheimnisse nachgedacht. Die Ergebnisse ihres Bemühens findet man in steinzeitlichen Bauwerken, in den Schriften antiker Philosophen, in den vielfältigen Kalendern der Völker, in der Handwerkskunst der Uhrmacher, in den Erkenntnissen der Wissenschaftler so unterschiedlicher Gebiete wie Archäologie, Biologie, Geologie, Medizin, Physik, Soziologie oder Völkerkunde. In der klaren Sprache des Ingenieurs vermittelt der Autor tiefgehende Einblicke in diese Vielfalt, erklärt Begriffe, schafft Übersicht und deckt Zusammenhänge auf.

Hans Lenz, geboren 1938 in Berlin, war Wirtschaftsingenieur. Er verfügt über breit gefächerte technische Spezialkenntnisse und arbeitete lange Jahre nebenberuflich als Hochschuldozent in der Erwachsenen-Weiterbildung.

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Leseprobe

II. Die Zeitskalen der Natur


1. Zeit in der Physik


Zeit ist gewaltig, sie umfasst alles jemals Existierende. Ohne Begriffe von Zeit und Raum kann über kein Ereignis im Universum gesprochen werden, und außerhalb des Universums ist Zeit nicht definiert. Sie beginnt mit der Entstehung des Weltsystems, und ihre bisherige Dauer ist unvorstellbar groß. Wir können uns die Stellung des Menschen in der Zeit nur anhand von Modellen der Wirklichkeit deutlich machen.

Stellen wir uns die Geschichte des Universums als eine gewaltige gedruckte Chronik mit 150 Bänden vor, dann berichtet diese in Band 110 von der Entstehung der Erde. Am Anfang des vorletzten Bandes 149 erscheinen auf ihr die ersten kleinen Säugetiere. Falls nun jeder Band 1000 Seiten enthält, dann werden die frühesten menschenähnlichen Wesen auf Seite 980 des letzten, des 150. Bandes erwähnt. Und wenn schließlich jede Seite der gedachten Bücher 100 Zeilen aufnimmt, finden wir den Startpunkt unserer Zeitrechnung, das Jahr 1 n. Chr., ganz unten auf der letzten Seite.

Falls wir aber versuchen, uns die Zeitbegriffe der modernen Physik zu veranschaulichen, so versagen alle derartigen Modellvorstellungen. Nur die Mathematik gestattet uns eine Darstellung der Größenverhältnisse. Der kürzeste bekannte Zeitraum ist die nach dem Physiker Max Planck benannte Planck-Zeit von rund 10-43 Sekunden. Der längste Zeitraum ist das Weltalter, die vom Urknall bis zur Gegenwart verstrichenen etwa 14 Milliarden Jahre oder 4,4 x 1017 Sekunden.

1922 hatte der russische Mathematiker und Physiker Alexander Fridman theoretisch hergeleitet, dass das Universum nicht statisch sein kann, und ein auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basierendes kosmologisches Modell erdacht. Er stellte sich punktförmige Objekte vor, die als Bestandteile jeweils einer anderen Galaxie mit diesen zusammen durch das sich ausdehnende Universum driften und dabei fiktive Spuren in der Raumzeit hinterlassen. Diese Spuren verlängerte Fridman in Gedanken rückwärts und fand, dass sich alle in einem imaginären Punkt der Raumzeit schneiden müssen. In diesem Schnittpunkt waren alle Teilchen des Universums früher dicht beieinander vereint. Er ist gleichzeitig Ort und Zeitpunkt des Urknalls, und mit ihm beginnt die Existenz von Zeit.

Als Beweis für einen Ur-Anfang gilt das Vorhandensein von Radioaktivität in der Materie um uns herum. Radioaktivität kann nicht unendlich lange andauern, und deshalb kann der Aufbau dieser Materie nicht unendlich lange her sein. Auf dieser Tatsache beruhen die radiometrischen Methoden der Zeitmessung, zum Beispiel zur geologischen Altersbestimmung. Als weiterer empirischer Beweis für die Urknallhypothese wird die 1964 entdeckte kosmische Hintergrundstrahlung angesehen.

Unmittelbar auf den Urknall folgte eine Inflationsphase des Weltalls. Sie dauerte zwar nur 10-32 Sekunden, doch während dieser Zeit vergrößerten sich alle Abstände um den Faktor 1050. Von dieser jedes Vorstellungsvermögen sprengenden Epoche abgesehen, erfolgt die Ausdehnung des Alls in Raum und Zeit mit einer bestimmten konstanten Geschwindigkeit, jener des Lichts.

Die Lichtgeschwindigkeit verkörpert die absolute Bewegung, auf welche Albert Einstein 1905 mit seiner Speziellen Relativitätstheorie eine neue Physik gründete. Aber nur relative Veränderungen der Bewegung sind beobachtbar. Mit dem alten Denkmodell von der absoluten Ruhe musste deshalb auch die alte Vorstellung von einer absoluten Zeit aufgegeben werden; Zeit und Raum hatten sich als relativ erwiesen.

Aus dieser Relativität ergibt sich unter anderem die Dilatation der Zeit. Dieser Effekt wird in dem bekannten Uhrenparadoxon deutlich: Eine Uhr, die mit großer Geschwindigkeit von einem Raumpunkt weg und wieder zurück bewegt worden ist, muss eine geringere Zeitspanne anzeigen als eine Uhr, die in Ruhe blieb. Über Jahrzehnte mit Skepsis betrachtet, wurde der Effekt mit Atomuhren an Bord von Flugzeugen experimentell bestätigt. Das Uhrenparadoxon zeigt außerdem, dass jedes sich gegenüber einem anderen bewegende System seine eigene Zeit hat. Daraus folgt, dass auch der Begriff der Gleichzeitigkeit nur relativ ist. Damit hat die Spezielle Relativitätstheorie den azeitlichen Charakter des Lichts aufgedeckt. Das Phänomen des „Jetzt“ existiert nur in der Welt der Lebewesen.

Einstein hatte weiter gefolgert, dass die Masse eines Körpers bei Lichtgeschwindigkeit unendlich groß würde. Deshalb erkannte er die Geschwindigkeit des Lichts als größte überhaupt mögliche Geschwindigkeit, mit der sich irgendetwas im Raum ausbreiten kann. Damit war die Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante bestimmt. Ihr genauer Wert beträgt 299.792,458 Kilometer pro Sekunde. Mit ihr breiten sich elektromagnetische Wellen aller Frequenzen im Vakuum aus. Das hat heute praktische Bedeutung für die Zeitmessung. Empfängt man Radiosignale von mehreren miteinander gekoppelten Sendern, so kann man die unterschiedliche Laufzeit der Impulse messen. Darauf beruhen die modernen Navigationsverfahren, aus denen die Synchronisation des Weltuhrensystems abgeleitet wird.

1915 legte Einstein dar, dass die Planeten nicht unmittelbar von der Schwerkraft auf ihre Kurvenbahnen gezogen werden. Vielmehr folgen sie innerhalb der vierdimensionalen Raumzeit einer Geraden. Die Masse der Sonne krümmt dieses ganze Bezugssystem, die Raumzeit selbst. Dadurch entsteht für uns, die Betrachter im dreidimensionalen Raum, der objektive Eindruck einer Kreisbahn. Die Quintessenz dieser Überlegungen wurde als Allgemeine Relativitätstheorie bekannt: Die Materie bestimmt die Krümmung der Raumzeit, und diese bestimmt die Bewegung der Materie. Einstein hatte damit eine erste zusammenhängende Physik des Weltalls geschaffen. Danach ist der Weltraum endlich, aber unbegrenzt, und er ist „gekrümmt“ in den vier Dimensionen. Raum und Zeit existieren in einer Einheit als Raum-Zeit-Kontinuum.

Aus der Krümmung der Raumzeit folgt unter anderem auch, dass die Zeit vom umgebenden Gravitationsfeld abhängt. Sie verstreicht in der Nähe einer großen Masse langsamer. Was einst unglaublich schien, ist längst experimentell bestätigt: Von zwei identischen Uhren nahe der Erdoberfläche und hoch darüber geht die untere langsamer. Das hat praktische Konsequenzen in der Satellitentechnik. Ohne entsprechende Korrektur der Borduhr würden im GPS-Navigationssystem Fehler bis zu mehreren Metern auftreten.

Die Existenz von Zeit beginnt mit dem Urknall. Aus der Anfangssingularität, einem sehr gleichmäßigen und geordneten Zustand, gingen in einer Explosionsphase Regionen mit einer etwas höheren Dichte hervor. Im System bildeten sich ungeordnete Verteilungen. In diesem Moment war der thermodynamische Zeitpfeil entstanden. Dieser Ausdruck beschreibt die Eigenart der Zeit, eine bevorzugte Richtung zu besitzen. Das ist jene zeitliche Richtung, in der in einem abgeschlossenen System die Entropie wächst. Dabei geht Energie in einen Zustand höherer Wahrscheinlichkeit über, es entsteht größere Unordnung der Moleküle. Durch diese Richtung unterscheiden sich Vergangenheit und Zukunft.

Zugleich mit dem thermodynamischen entstand der kosmologische Zeitpfeil. Er weist in jene Zeitrichtung, in der das Universum expandiert. Beide Richtungen sind gleich. Da sich der Raum ständig ausdehnt, entsteht ein einseitig gerichteter ununterbrochener Fluss von Energie in ihn hinein. Dieser ruft alle anderen zeitlich gerichteten Prozesse hervor. Es scheint, als würde sich dadurch der kosmologische Zeitpfeil allen anderen Prozessen aufprägen.

Prigogine hat darauf hingewiesen, dass die Zeit auch innere Entwicklungen von Systemen messe. Folglich manifestiere sich der Zeitpfeil im Wachstum von Komplexität. Damit kann das grundlegende Phänomen der Evolution, die Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen, physikalisch erklärt werden. Als einer der Ersten erkannte Prigogine, dass in weit vom Gleichgewicht entfernten Systemen Ordnung aus dem Chaos entsteht. Die Chaostheorie erklärt Bifurkationspunkte als Verzweigungsstellen in der Vergangenheit eines Systems. An jedem von ihnen gab es die Möglichkeit verschiedener Zukünfte für den Fluss der Zeit. Das System stabilisiert seinen einmal gewählten Weg durch Rückkopplung an den Bifurkationen. Dadurch wird gewissermaßen seine Vergangenheit ständig wiederholt. Das bedeutet: Zeit ist irreversibel und rekapituliert doch stets die Vergangenheit. Ein bekanntes Beispiel für solche Vorgänge ist das von Johann Meckel (1781–1833) entdeckte biogenetische Prinzip, demzufolge der einzelne Organismus im Zuge seiner embryonalen Entwicklung die Hauptstadien der Entwicklung seiner Art erneut durchläuft.

Über den Anfang der Zeit sind sich die Naturwissenschaftler heute einigermaßen einig. Anders verhält es sich bei der Frage nach der Zukunft der Zeit. Alle diesbezüglichen Überlegungen münden letztlich in die Frage, ob Zeit endet. Immer wieder anders haben Menschen in ihrer Zeit darüber nachgedacht. Christen im Mittelalter haben sie auf ihre Weise beantwortet, noch bevor sie die Räderuhr kannten. Im 12. oder 13. Jahrhundert meißelte ein unbekannter Künstler an der Kathedrale...

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