Um die Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit im Bereich der Rehabilitation krebskranker Menschen zu analysieren, ist es zunächst notwendig, den Begriff der Rehabilitation etwas eingehender zu differenzieren.
Als gesetzliche Grundlage einer Sozialen Arbeit im Bereich der Rehabilitation sind die §§ 1 und 4 SGB IX von zentraler Bedeutung:
„Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen.“[76]
„Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern, die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“[77]
Daraus geht hervor, dass formal zwischen einer medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation unterschieden wird, diese faktisch jedoch als einheitlicher bzw. funktional und institutionell ineinandergreifender Prozess zu verstehen ist. Der Gesetzgeber bewilligt nach oben genannten Rechtsbestimmungen alle erforderlichen Sozialleistungen zur Beseitigung, Minderung und Prävention der Verschlimmerung einer Erkrankung, um so die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe des Patienten zu fördern bzw. dessen bestehenden oder drohenden Benachteiligungen entgegenzuwirken. Hintergrund dieser Regelungen ist der Anspruch des Staates, einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Erkrankten oder dessen Pflegebedürftigkeit vorzubeugen bzw. deren Folgekosten (dieser oder weiterer Sozialleistungen) zu minimieren. Aus dem Wortlaut geht jedoch auch hervor, dass der Gesetzgeber explizit darauf hinweist, die rehabilitativen Leistungen an „den Neigungen und Fähigkeiten“ des Patienten auszurichten und dessen „persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern“ (vgl. SGB iX §4), was Krebspatienten demnach sowohl den Anspruch auf Leistungen zur Krankheits- als auch zur Lebensbewältigung und somit das Recht auf Unterstützung bzw. Versorgung durch psychosoziale Dienste einräumt.
Nach der Ottawa-Charta können „Menschen (...) ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können“[78]. Das wird ihnen in erster Linie durch den Erwerb sozialer Kompetenz, sozialer und kultureller Teilhabe sowie durch die Befähigung zur individuellen Selbstbestimmung, -verantwortung und -aktivierung ermöglicht. in diesem Rahmen werden für eine psychosozialtherapeutische Arbeit mit Krebspatienten insbesondere die heilpädagogischen Leistungs- und Hilferegelungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben nach den §§55-58 SGB iX und zur Wiedereingliederungshilfe nach den §§53-58 SGB Xii relevant. Besonders letztere sollen gewährleisten, dass die im Verlauf der Rehabilitation ermöglichten bzw. aktivierten Kompetenzen und Potenziale des erkrankten Menschen dauerhaft sichergestellt werden können. Dem Anspruch des Gesetzgebers nach einer ganzheitlich ausgerichteten Gesundheitsförderung wird im Rahmen der Sicherung der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe im §58 SGB Xii Rechnung getragen, der hinsichtlich der Gewährleistung einer nahtlosen Koordination beteiligter Leistungsträger explizit die Erstellung eines Gesamtplanes fordert[79].
Klinische Sozialarbeit stellt, gemäß ihres Anspruchs nach einer interdisziplinär koordinierenden Funktion, im Rahmen von Sozialberatung und -therapie, insbesondere durch ihre Orientierung an den Konzepten des biopsychosozialen Modells, der Gesundheitsförderung und der Sozialen Unterstützung (siehe 2.4.2.), sicher, dass diese, zur Befähigung und Sicherung zur sozialen Teilhabe nötigen, Leistungen im Kontext medizinischer Behandlung erbracht werden (können).
Die Zuständigkeit der Leistungsträger ist von der Zuordnung in die jeweiligen Leistungsgruppen des §5 SGB iX abhängig und wird im §6 SGB iX festgelegt. im Kontext der Rehabilitation (fortan auch 'Reha' genannt) von Krebspatienten - die in erster Linie eine medizinische Reha ist, jedoch gegebenenfalls mit weiteren Leistungsforderungen anderer Leistungsgruppen einhergehen kann - sind in der Regel die Gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzlichen Krankenkassen, seltener auch die Unfallversicherung zuständig. Nachdem die gesetzlichen Krankenkassen bis 2007 vielfach 'nach Ermessen' Reha-Leistungen bewilligten, wurden sie mit Inkrafttreten des GKW-WSG[80] verpflichtet, die Kosten für die gesamte medizinische Rehabilitation inkl. (psycho-)sozialer Versorgung zu übernehmen[81], insofern dadurch eine Abwendung oder Minderung von Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erwartbar ist[82]. Da sich Krebspatienten zumeist in spezifischen multiplen Problemlagen (auf die später noch detaillierter eingegangen wird) befinden und epidemiologisch eine hohe Komorbidität zu verzeichnen ist (siehe 2.2.2.), wäre eine hypothetisch angenommene Verweigerung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen im Hinblick auf die potenziell daraus entstehenden Folgekosten jedoch unwirtschaftlich, weshalb die Bedingung der Erwartbarkeit der Behinderungsabwendung oder -minderung eher formaler Natur ist. Wie eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation kürzlich zeigte, profitiert ohnehin die gesamte deutsche Volkswirtschaft von der Rehabilitation. Die Studie ergab, dass durch Reha-Maßnahmen „gewonnene Berufstätigkeitsjahre (...) im Untersuchungsjahr [2005] einen Netto-Effekt von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 5,8 Milliarden Euro [ausmachten]. Dem standen nur rund 1,1 Milliarden Euro an Ausgaben für die medizinische Rehabilitation gegenüber. Für jeden in die medizinische Rehabilitation investierten Euro gewinnt die Gesellschaft damit schon heute fünf Euro zurück“[83]. Zudem prognostizierte die Studie bis 2025 angesichts des demografischen Wandels, der gegenwärtigen Bildungssituation und der Entwicklungstendenzen im Bereich der Erwerbsarbeit einen Fachkräftemangel in Höhe von -1,5 Mio. mit Fachschulabschluss und -2,2 Mio. mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss bei einer gleichzeitigen Zunahme der Rehabilitanten um 2,3 Mio. erwerbstätige Menschen. Daran wird erkennbar, dass in der Rehabilitation künftig eine massive Nachfrage nach Fachkräften zu verzeichnen sein wird. Unter Berücksichtigung des enormen Sparpotenzials durch Sozialtherapie[84] ist zu erwarten, dass daher insbesondere die Soziale Arbeit in klinischen Handlungsfeldern an zusätzlicher Attraktivität gewinnen wird.
Soziale Arbeit strebt an, in ihren Möglichkeiten eingeschränkte Menschen zu befähigen, ihre kritische Lebenslage zu überwinden. Für gesundheitsorientierte Sozialarbeit im psychoonkologischen Kontext bedeutet das, Krebspatienten die nötige soziale bzw. psychosoziale Unterstützung zukommen zu lassen, die sie zur Überwindung ihrer genesungshemmenden Problemlagen benötigen. Bezugnehmend auf die, im Kapitel 2.4.1. genannten, indikationskriterien der Klientel Klinischer Sozialarbeit soll daher zunächst herausgestellt werden, in welchen spezifischen Problemlagen sich Krebspatienten häufig befinden. Dort hieß es:
„Eine im Rahmen dieser Fachsozialarbeit durchgeführte Sozialtherapie richtet sich an Menschen, die...
bereits körperlich und/oder psychisch erkrankt oder einem erhöhten Risiko, körperlich und/oder psychisch zu erkranken, ausgesetzt sind
aufgrund sichtbarer körperlicherBeeinträchtigungen von Exklusion bedroht sind
Dass Krebs eine ernsthafte körperliche Erkrankung ist, wurde bereits in Kapitel 2.1.1. ausführlich beschrieben; ebenso die hohe, psychoonkologisch versorgungsbedürftige, Komorbidität (siehe 2.2.2.). Dass Krebspatienten daher als körperlich und psychisch erkrankt oder zumindest psychisch erkrankungsgefährdet zu bezeichnen sind, steht daher außer Frage. Entweder durch die Ausbreitung des Tumors selbst oder durch die, in der Akutbehandlung durchgeführte, Operation können zudem verschiedene, äußerlich sichtbare, Beeinträchtigungen durch Krebserkrankungen entstehen, die die Patienten in ihrer Lebensqualität, insbesondere durch ein verändertes (Körper-)Selbstbild sowie im sozialen Kontakt mit anderen Menschen, einschränken. So sind beispielsweise...