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Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. Ethische Argumentationslinien in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt

Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 107

VerlagBLV Buchverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl118 Seiten
ISBN9783784390789
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Die starken globalen Veränderungen der vergangenen Jahre - sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch auf Ebene der Biosphäre und des Klimas - führen dazu, dass sich die Akteure im Naturschutz auch einer ethischen Grundsatzdiskussion neu stellen und ihre Wertesysteme hinterfragen sowie ggf. neu justieren müssen. Es ist etwa zu klären, welches Ideal von Natürlichkeit die Gesellschaft vertreten will, wie mit den Veränderungen im Artengefüge von Schutzgebieten umzugehen ist und welche Verantwortung wir haben, wenn neue Arten hin-zukommen. Auf politischer Ebene stellt sich dabei die Frage nach der Handlungsrelevanz und ob in Zeiten einer knappen Haushaltslage nur das schützenswert ist, was dem Menschen nützlich erscheint. Die vorliegende Publikation geht von einer umfassenden Reflexion über die expliziten und impliziten ethischen Grundannahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) aus und bezieht naturschutzrelevante Kapitel der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) in die Analyse mit ein. Es zeigt sich, dass den im Naturschutz etablierten soziokulturellen, ökonomischen und ökologischen Begründungsmustern ethische Argumente zu Grunde liegen, denen bei bewusster Verwendung ein hohes Potenzial für die erfolgreiche Neugestaltung von Naturschutzarbeit zuzusprechen ist. Die herausgearbeiteten 'guten Gründe' für beide Strategien wurden in einem weiteren Schritt für die naturschutzpolitische Kommunikations-, Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit aufbereitet. 'Gute Gründe' be-deuten hierbei zum einen 'philosophisch stichhaltige', zum anderen aber auch 'strategisch erfolgversprechende' Argumente. Gewählt wurde eine Neuordnung der ethischen Begründungen unter dem Dreiklang 'Klugheit, Glück, Gerechtigkeit', die wichtige Impulse für eine Weiterentwicklung ethisch fundierter Naturschutzargumente liefern kann.

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Leseprobe

2       Ethik

2.1     Warum Ethik kein Zusatzargument ist

Die NBS führt unter der Überschrift „Ausgangslage“ unterschiedliche Argumente für die Erhaltung der biologischen Vielfalt an: Ökologische Gründe (A2), ökonomische Gründe (A3), soziale und kulturelle Gründe (A4) und schließlich ethische Gründe (A5). Dort heißt es: „Neben den genannten ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Gründen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt gibt es auch ethische Gründe“ (NBS 2007:15). Hier erscheint Ethik als bloßes Zusatzargument, das neben anderen angeführt werden kann. Dieser Auffassung ist aus unserer Perspektive zu widersprechen. Keines der in A2 bis A4 genannten Argumente kommt ohne wertende Vorannahmen aus, die ihrerseits begründungspflichtig (und meist auch begründungsfähig) sind.

Wir verstehen Ethik als Reflexionstheorie der Moral. Ihr Gegenstand sind moralische Überzeugungen, also Urteile darüber, was gut ist, was gerecht ist und welche Handlungen erlaubt oder verboten sind. Die ethische Theorie versucht nun, reflexiv Kriterien zu entwickeln, die möglichst mit vorhandenen moralischen Überzeugungen in Einklang zu bringen sind, aber auch dort Orientierung geben zu können, wo divergierende moralische Überzeugungen keine eindeutigen Urteile zulassen (NIDA-RüMELIN 2005).

Umweltethik3 erachten wir nicht als Begründungsprogramm, sondern als eine Bereichsethik. Diese hat die Aufgabe, existierende Moralvorstellungen im Hinblick auf den Umgang von Menschen mit ihrer natürlichen Umwelt zu analysieren, die ihnen zugrundeliegenden Vorannahmen zu explizieren und ihre Geltungsansprüche kritisch zu prüfen. Einer so verstandenen Umweltethik geht es also nicht darum, bestimmte moralische Vorstellungen „als Imperative durchzusetzen“4, sondern vielmehr die Voraussetzungen zu schaffen, reflexiv und diskursiv zu ermitteln, was denn im Hinblick auf Natur überhaupt zustimmungsfähige Handlungsanweisungen sein könnten. Dementsprechend gilt es, Gründe, die wir in den Strategiepapieren vorfinden, zu analysieren und zu vollständigen Argumenten zu rekonstruieren. Nicht nur die explizit als „ethisch“ ausgewiesenen Gründe, sondern auch ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Gründe beruhen auf ethischen Vorannahmen, ohne deren Benennung die Argumente unvollständig bleiben.

Prämissen nennt man in der Philosophie die Voraussetzungen, durch deren (logische) Verknüpfung man zu bestimmten Schlussfolgerungen kommt. In der Alltagssprache wäre es zu umständlich, all die stillschweigenden Voraussetzungen stets zu benennen, die uns dazu führen, unser Handeln für richtig zu halten. Im Unterschied zur Alltagssprache versucht ein philosophisches Argument, die verwendeten Prämissen möglichst vollständig darzulegen, um die daraus gezogene Schlussfolgerung nachvollziehbar und diskutierbar zu machen (vgl. DIETRICH 2006).

Als besonders schwierig gilt der Übergang von empirischen Aussagen, also Aussagen über Tatsachen, zu Bewertungen (evaluativen Aussagen) oder Vorschriften (normativen Aussagen): Aus der Tatsache, dass etwas ist, wie es ist, kann nicht ohne weitere Zusatzannahmen gefolgert werden, dass es gut oder schlecht ist, geschweige denn, dass man es bewahren oder ändern muss. Wertende oder vorschreibende Schlussfolgerungen sind logisch nur dann möglich, wenn mindestens eine der Prämissen bereits wertend oder vorschreibend ist. Der Hinweis auf die logische Unmöglichkeit eines Schlusses vom Sein auf das Sollen geht zurück auf den schottischen Philosophen David HUME (1711-1776). Er wird daher auch als HUME’sches Gesetz bezeichnet. Ein Sonderfall dieses Gesetzes ist der sog. naturalistische Fehlschluss. Als solchen bezeichnete der englische Philosoph George Edward MOORE den Schluss von der Tatsache, dass etwas natürlich ist, auf die Aussage, dass es gut ist (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Der naturalistische Fehlschluss

Damit Argumente von anderen nachvollzogen werden können – und das ist Bedingung für eine erfolgreiche Kommunikation – sollten sie nach Möglichkeit alle Prämissen umfassend darlegen. Nur so werden unausgesprochene und als selbstverständlich erachtete Vorannahmen einer Diskussion zugänglich. In Abbildung 2 stellen wir dar, was ein in diesem Sinne vollständiges Argument ausmacht.

Abb. 2: Aufbau eines Arguments

In der Absicht, unvollständige zu vollständigen Argumenten zu rekonstruieren, betrachten wir nun die Gründe, die in der NBS im Kapitel „Ausgangslage“ für die Bewahrung der biologischen Vielfalt genannt werden (Abbildung 3).

Abb. 3: Gründe für die Bewahrung der biologischen Vielfalt

Sofort fällt auf, dass es sich hier nicht um Argumente im Sinne einer vollständigen Argumentation handelt. Die genannten Aussagen beabsichtigen bestimmte Schlussfolgerungen (zugunsten der NBS), und verzichten dabei auf die Benennung von Prämissen, die unstrittig scheinen. Wer die Strategie wohlwollend liest, wird daran keinen Anstoß nehmen – sie sind so plausibel, dass ihre Folgerichtigkeit evident scheinen mag. Wenn wir uns aber auf die Suche nach „guten Gründen“ machen, ist es erforderlich, die nur implizit angesprochenen Werte oder Normen explizit auszusprechen, denn nur so können sie Gegenstand der Kommunikation werden. Wir müssen uns also zunächst einmal um eine Rekonstruktion der Prämissen bemühen, die den Aussagen in der NBS und der DAS zugrunde liegen. Zwei Beispiele sollen dieses Bemühen um eine ausdrückliche Darlegung der ethischen Prämissen verdeutlichen.

2.1.1   Biologische Vielfalt als Existenzgrundlage

Betrachten wir zuerst das Argument, das den Diskurs über die biologische Vielfalt wie kein anderes dominiert: „Biologische Vielfalt ist eine existenzielle Grundlage für das menschliche Leben“ (Abbildung 3, Nr.1). Diese Aussage wird vielen selbstverständlich scheinen. Sie steht grammatisch im Indikativ, der Wirklichkeitsform also. Auch damit kommt zum Ausdruck, dass der bezeichnete Sachverhalt weitgehend als unstrittig gelten dürfte. Nun kann aber aus den genannten Tatsachen – rein logisch – noch kein „Sollen“ gefolgert werden. Das „Sollen“, für das wir hier ein Argument suchen, ergibt sich aus den Zielen der NBS: Der Rückgang der biologischen Vielfalt soll gestoppt, zumindest aber verringert werden.

Wir suchen also das Bindeglied zwischen der Prämisse

P1:  

Biologische Vielfalt ist eine existenzielle Grundlage für das menschliche Leben.

und der Schlussfolgerung

S:  

Der Rückgang der biologischen Vielfalt soll verringert werden!

Da die Schlussfolgerung ein „Sollen“ enthält, also normativ ist, muss auch die gesuchte zweite Prämisse normativ sein. Sie könnte etwa lauten:

P2:  

Das menschliche Leben soll erhalten werden!

Eine solches Prinzip hat etwa der Philosoph Hans JONAS (1979) in seinem Buch „Prinzip Verantwortung“ begründet (siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.4).5

Jetzt erst können wir etwaigen Meinungsverschiedenheiten auf die Spur kommen. So könnte ich gegen P1 einwenden, dass manche Elemente biologischer Vielfalt menschliches Leben nicht etwa ermöglichen, sondern bedrohen (man denke etwa an Krankheitserreger). Vielfalt an sich wäre dann nicht generell als Existenzgrundlage zu betrachten. Oder ich könnte mit P2 nicht einverstanden sein. Möglicherweise möchte ich eine Präzisierung beantragen: Soll tatsächlich „das menschliche Leben“ erhalten werden – oder vielmehr das Leben aller und jedes einzelnen Menschen? Sind noch nicht geborene Menschen hier auch und in der gleichen Weise eingeschlossen? Geht es um „die Menschheit“ als ganze?

Hier wird deutlich, warum sich die Mühe lohnt, unausgesprochene Prämissen ausdrücklich darzustellen: Sobald wir eine Präzisierung der unausgesprochenen Prämisse versuchen, sind wir mitten in der ethischen Debatte – obwohl wir doch bei der scheinbar moralisch ganz voraussetzungsarmen „existenziellen“ Bedeutung der Biodiversität angefangen haben.

2.1.2   Ökologische Gründe

Im Kapitel A 2 werden ökologische Gründe für die Erhaltung der biologischen Vielfalt formuliert. Ihre Kennzeichnung als „ökologisch“ lässt vermuten, dass es sich dabei um rein wissenschaftliche Gründe handelt. „Wissenschaftlich“ wird im Diskurs oft gleichgesetzt mit Attributen wie: „sachlich“, „objektiv“ oder „wertfrei“. Bei genauerer Betrachtung sind aber die in diesem Abschnitt genannten Gründe normativer Natur. Das soll ein Beispiel verdeutlichen.

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