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Körperkult, Schönheitswahn und Essstörungen

Hintergründe und Ursachen, Möglichkeiten der Intervention und Prävention in der Sozialpädagogik und interdisziplinär

AutorS. Dormann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl146 Seiten
ISBN9783656221869
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Veranstaltung: Sozialpädagogik / Sozialarbeit, Pädagogik, Sprache: Deutsch, Abstract: Die amerikanischen Psychologen Feingold und Mazzella wiesen anhand von 222 Einzelstudien nach, dass sich die Körper-Unzufriedenheit bei Frauen innerhalb von 50 Jahren nach Kriegsende dramatisch gesteigert hat. Auch Ess-Störungen nahmen rapide zu. Kaum eine Kultur ist so stark körperfixiert wie die westliche. Der Körper soll Selbstzufriedenheit ermöglichen, Sympathie und Liebe erwirken, er soll zu Erfolg und Ansehen verhelfen und als Lustobjekt taugen. Dabei soll er fit und gesund sein, aber in erster Linie schön. Dies betrifft insbesondere Frauen, jedoch zeigt sich zunehmend auch bei Männern eine steigende Unzufriedenheit mit ihrem Körper. Ein Psychiater-Team an der Harvard Medical-School untersuchte die zunehmende Körper-Verzweiflung der Männer in den USA und in Europa und stieß immer wieder auf das auch bei Männern weit verbreitete Eingeständnis: 'Ich hasse meinen Körper'. Was bei Frauen schon lange nachgewiesen ist, nämlich dass ihre Körperunzufriedenheit in den letzten Jahrzehnten anstieg, wird jetzt auch bei Männern festgestellt. 1972 waren nach einer amerikanischen Studie nur 15 % der männlichen Probanden mit ihrer Gesamterscheinung unzufrieden. 1997 dagegen hatte sich dieser Anteil schon verdreifacht. Bei den weiblichen Probanden war ein Anstieg von 25 % im Jahr 1972 auf 56 % im Jahr 1997 festzustellen. Außerdem zeigte die Studie auch, dass 40 % der befragten Männer mindestens die Hälfte ihrer Freizeit damit zubrachten, ihr Gewicht unter Kontrolle zu halten, 58 % hatten bereits eine Diät hinter sich und 4 % brachten sich zum Erbrechen, um nicht zuzunehmen. Das Auftreten von Körperverachtung und -ablehnung und das Phänomen der Körperschemastörung, bei gleichzeitiger exzessiver Beschäftigung mit dem Körper, ist in dieser Form historisch einmalig. Nicht-westliche Kulturen kennen sie nicht in dieser Weise und in Entwicklungsländern ist Magersucht rar, bei schwarzen Amerikanerinnen selten, und auch in der ehemaligen DDR kam sie kaum vor. Dies legt nahe, dass diese Störungen mit den sozialen Lebensformen zusammenhängen. Während in nicht-westlichen Gesellschaften die Beschaffenheit des Körpers kaum ein Thema ist, stehen die Menschen in den Industrienationen unter dem Diktat, schlank sein zu müssen. Will man zu einer bestimmten Gruppe in der Gesellschaft gehören, setzt das nicht selten intensive Arbeit am Körper voraus. [...]

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Leseprobe

2. Körperkult und Schönheitswahn

2.1 Körpermanipulationen und Körpermodifikationen

Körpermanipulationen, sei es die plastische Chirurgie, die Diät, die Tätowierung, das Piercen oder nur der Friseurbesuch, sind weder neu noch singulär. Der Mensch hat naturgegeben einen Körper und kann über ihn verfügen, fast so wie er über Objekte verfügen kann. An dieser Tatsache entzünden sich auch die ethischen Fragen, die die Körperlichkeit des Menschen betreffen. Im Kern laufen diese immer auf die Frage zu: Wie sehr ist die körperliche Natur verfügbar? Wie sehr kann der Mensch mit ihr instrumentell umgehen? Laut Villa ist es unbestreitbar, dass unsere genuin menschliche Kreativität eben auch darin besteht, unsere Körper und auch unsere physiologische Natur zu gestalten.[35] Die Verfügbarkeit unseres Körpers ist also nicht eine kontingente Dimension von Sozialität, sondern ein zwingender Konstituens dieser Sozialität. Jedoch ist die Art und Weise dieser Verfügbarkeit historisch, politisch und sozial spezifisch. Jede noch so individuelle Verfügung über den eigenen Körper ist immer beeinflusst von gesellschaftlichen Normen, Traditionen und Phantasien. Es geht bei Kleidungsstücken, Haarlängen, Diäten und selbst bei der Fingernagelform immer auch um die angemessene Verkörperung sozialer Positionen und Ambitionen. Gerade auch dann, wenn diese nicht bewusst sind. Es gibt laut Villa keinen Weg zurück zu einer Authentizität, die den Körper als Ausdruck einer nicht-entfremdeten Existenz postuliert. Frisuren, Diäten, Kleidungsmoden, Sport, alle Arten von Drogen, Tätowierungen und Piercings sowie plastische Chirurgie sind in diesem Sinne alle auf einem Kontinuum angesiedelt.[36] Die plastische Chirurgie ist seit einigen Jahren nicht nur als gesellschaftliches Phänomen quantitativ gewachsen, sondern auch in den Medien zunehmend präsent. Sie steht dabei nicht allein da, sondern muss laut der Autorin als Teil einer „visuell unterfütterten Diskursivierung von Körpermanipulationen“ verstanden werden, die unsere Massenmedien flutet.[37]

 

 

2.2 Körpermanipulation und -modifikation am Beispiel kosmetischer Chirurgie

Die Begriffe „kosmetische-“ „plastische-“ und „ästhetische-“ und „Schönheits-Operation“ können synonym verwendet werden. Jedoch unterliegen sie unterschiedlichen Konnotationen. Als „Schönheitsoperation“[38] oder kosmetische Operation wird ein chirurgischer Eingriff ohne medizinische Indikation bezeichnet. Sie dient damit einer subjektiv wahrgenommenen Verschönerung des menschlichen Körpers. „Schönheitschirurgie“ und „kosmetische Chirurgie“ sind von den medizinischen Berufsverbänden nicht als Fachgebiete definiert. Kosmetische Operationen werden in Deutschland meist „ästhetische Operationen“ genannt. Die kosmetische Chirurgie ist in vielen deutschen Bundesländern Teil der Facharztkompetenz „Plastische und Ästhetische Chirurgie“ zugeordnet. Sie ist, gerade wenn sie als „Schönheitschirurgie“ betitelt wird, zugleich Medizin und „Wellness“ sowie Wissenschaft und Kommerz. Die Thematisierung der kosmetischen Chirurgie (z.B. in Medien und Politik) stellt die Frage nach einer Grenzziehung zwischen Medizin und Kommerz bzw. medizinischer Therapie und „Wohlfühlbehandlung“. Villa beschreibt die politischen Debatten um dieses Thema als „schwankend“ zwischen „Voyeurismus und Alarmismus, zwischen tabuisierenden Verbotsgelüsten und intensiver Diskursivierung“.[39] Bevor ich jedoch weiter auf die gesellschaftlichen Dimensionen hinsichtlich kosmetischer Chirurgie eingehe, stelle ich zunächst kurz einige Daten zu Häufigkeit, Formen und Auftreten von kosmetischen Eingriffen vor, um den Gegenstandsbereich eindeutiger zu klären.

 

Laut der 14. Shell-Jugendstudie von 2002 ist für 88 Prozent der 12- bis 25-Jährigen „tolles Aussehen“ das Wichtigste, noch vor Karriere und Markenkleidung.[40] Und nach einer repräsentativen Internetbefragung des Meinungsforschungsinstituts „zehnvier“ sind knapp drei Viertel der Befragten in Deutschland der Ansicht, dass jeder für sein Aussehen selbst verantwortlich ist. Laut der Amerikanischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie ist die Anzahl der Schönheitsoperationen in den USA auf 10 Millionen in 2006 angestiegen, was einen Anstieg von 48 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 bedeutet. Eine Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) besagt, dass sich in Deutschland im Jahr 2005 gut 420.000 Menschen einer Schönheitsoperation unterzogen. Die operative Faltenbehandlung ist laut Studie mit hochgerechnet 200.000 Fällen die häufigste kosmetische Operation in Deutschland, dicht gefolgt von 192.000 Laserbehandlungen des Gesichts (bei Laserbehandlungen werden u.a. ebenfalls Falten reduziert oder Altersflecken und Narben verringert). In insgesamt 56.000 Fällen ließen sich Patientinnen die Brüste verkleinern, vergrößern oder straffen. Auch Korrekturen von Nase (39.000), Augenlid (34. 000) und Ohren (23.000 Fälle) gehören zu den häufigeren Operationen. Für die Studie befragte das Münchner Institut für Grundlagen- und Programmforschung 497 Frauen und 123 Männer und wertete die Angaben von 225 Ärzten und Einrichtungen aus.[41] Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC), die 1972 gegründet wurde, gibt an, dass es keine offiziellen und allgemein gültigen, statistischen Erhebungen auf dem Gebiet der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie in Deutschland gibt. Sie führte jedoch 2008, 2009 und 2010 Patientenbefragungen (einseitige, anonymisierte Multiple-Choice-Fragebögen)unter den Patienten aller Mitglieder durch. Die Ergebnisse geben allerdings nur Informationen über die Arbeit der Fachärzte für Ästhetisch-Plastische Chirurgie in Deutschland. An der Befragung im Jahr 2008 nahmen 1.086 Patienten teil.

 

Im Folgenden stelle ich einige der Ergebnisse dieser Befragungen vor, um einen Überblick zu schaffen über Alters- und Geschlechtsverteilung der Menschen, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen und darüber, welche die populärsten Eingriffe in den letzten Jahren waren. In der ersten Befragung 2008 ging es hauptsächlich um die Kriterien für die Facharztwahl der Patienten, in der zweiten Befragung 2009 lag der Themenschwerpunkt  auf der Einbeziehung von Freunden und Verwandten. Es nahmen diesmal 582 Patienten teil. Es sollte herausgefunden werden, wie offen die Patienten und Patientinnen in ihrem sozialen Umfeld mit der ästhetisch-plastischen Operation umgehen. Zudem gaben die Befragten Auskunft über Geschlecht, Alter, Familienstand sowie den gewählten medizinischen Eingriff. Die dritte Patientenbefragung 2010 beschäftigte sich vor allem mit der Vorbereitung der Patienten auf eine Schönheitsoperation. Das Interesse lag auf den Fragen: Welche Informationsquellen nutzen Patienten zur Orientierung? Wie viel Zeit nimmt sich ein Patient zur Entscheidungsfindung? Wird die Entscheidung eher spontan oder gut überlegt getroffen? Wie wichtig ist die fachärztliche Beratung im Vorfeld? In dieser Befragung steht also die Phase vor einer Operation im Mittelpunkt. An der 2010 durchgeführten Patientenbefragung beteiligten sich insgesamt 854 Patienten.[42] Im Folgenden werde ich Daten und Informationen aus allen drei Patientenbefragungen zusammentragen, um so einen Überblick zu ermöglichen (siehe auch Diagramme auf der folgenden Seite).

 

2010: Altersstruktur der befragten Patienten in Prozent

 

Der größte Teil der in der DGÄPC-Studie im Jahr 2010 befragten Patienten ist zwischen 18 und 30 Jahren alt. Der zweitgrößte Teil ist in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei etwa 38,5 Jahren. Besonders auffällig ist, dass die männlichen Patienten mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren im Vergleich zur Studie im Vorjahr jünger werden. 2009 lag der Altersdurchschnitt der männlichen Patienten noch bei 41 Jahren.       In der Befragung von 2010 führt bei den weiblichen Patienten die Brustvergrößerung die Rangliste der durchgeführten chirurgischen Operationen an. Männer lassen am häufigsten eine Lidstraffung durchführen. Vergleicht man weiter die Angaben von männlichen und weiblichen Patienten, kommt man zu folgendem Ergebnis: Männer und Frauen gleichen sich in Bezug auf die Altersstruktur an.

Studie 2010: Altersstruktur nach Geschlecht

 

 

So ist der Großteil der Patienten zwischen 18 und 30 Jahre alt, wenn sie einen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen aufsuchen, 2010 ist jeder dritte Mann und jede dritte Frau unter 30 Jahre alt. Als Beziehungsstatus gab die Mehrheit der befragten Frauen an, in einer Partnerschaft zu leben. Männer sind häufiger Single. Befragt nach der Eingriffsart, liegen Faltenkorrekturen sowie Korrekturen der Körpersilhouette bei Frauen und Männern gleichermaßen ganz weit vorn. Während bei Frauen die Brustvergrößerung dominiert, sind es bei Männern häufiger Korrekturen im Gesichtsbereich, wie Lidstraffungen und Nasenkorrekturen.[43]

 

In der Patientenbefragung von 2009 wurde wie zuvor erwähnt auch darauf eingegangen, wie offen die Patienten mit den Operationen im Freundes- und Verwandtenkreis umgehen. Die Studie zeigt, dass jede vierte befragte Patientin (25 Prozent) angibt, niemandem – abgesehen vom Partner – im sozialen Umfeld von dem Eingriff berichtet zu haben. In einem von zehn Fällen wird nicht einmal der Partner ins Vertrauen gezogen. Der Grund dafür liegt jedoch nicht immer in der Angst vor...

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