KI ist ein Phänomen, welches von erstaunlicher Unschärfe geprägt ist. Die Perspektive der KI kann in vielen verschiedenen Bereichen in unterschiedlichen Wissenschaften angewendet werden. Aufbauend auf begrifflichen Grundlagen sollen nach der Darstellung verschiedener Definitionsansätze eine Arbeitsdefinition festgelegt und bestimmte Unterbegriffe abgegrenzt werden. Anschließend werden theoretische Grundlagen von KI betrachtet.
Im Allgemeinen wird individuelle Intelligenz in der Psychologie wie folgt beschrieben: „Intelligenz ist die allgemeine Fähigkeit eines Individuums, sein Denken bewußt [sic] auf neue Forderungen einzustellen; sie ist die allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens“ (Stern, 1912, S. 3). Durch sie werden anschauliche sowie abstrakte Beziehungen erfasst, hergestellt und gedeutet, wodurch neuartige Situationen gegebenenfalls durch problemlösendes Verhalten bewältigt werden können. Dabei ist Intelligenz immer individuelles Konstrukt und Merkmal der menschlichen Persönlichkeit, da sie über persönliche Denkstrukturen, Interpretationsmuster, Werthaltungen und die eigene Lebenskultur an den Menschen selbst gebunden und durch Erfahrungen und biologische Voraussetzungen geprägt ist. Man kann sie nur über beobachtbares Verhalten messen und muss sie in Beziehung zum Verhalten Dritter und zur jeweiligen Umwelt setzen (vgl. Roth, 1998, S. 10ff.). Die individuelle Intelligenz hat durch die bisherige, empirisch gut belegte Forschung einen hohen Stellenwert in der Psychologie. Wurden früher ausschließlich kognitive Fähigkeiten bei der Intelligenzbeurteilung beachtet, so haben heute vermehrt auch nicht-kognitive Facetten wie z.B. emotionale oder soziale Intelligenz an Bedeutung gewonnen. Für diese Intelligenzbereiche gibt es jedoch noch keine einheitlichen Definitionen und keine empirisch gültigen Messverfahren. Welche Bedingungen intelligentem Verhalten zu Grunde liegen, lässt sich zusammenfassen „als die Interaktion zwischen den im Organismus Mensch genetisch festgelegten Informationen und den relevanten Gegebenheiten der Umwelt in einer individuellen Biographie“ (Roth, 1998, S. 11). Letztendlich ist Intelligenz ein Begriff, der bisher weder eindeutig beschrieben wurde noch problemlos zu beobachten ist (vgl. Myers, 2005, S. 459).
Laut Brockhaus (2010) ist das Verständnis eines „Kollektivs“ definiert als „eine Gruppe, in der Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben; Arbeitsgruppe; Team“.
Die Schlussfolgerung beider Definitionen könnte sein, dass KI die aggregierte Intelligenz von zu einer Gruppe zusammengeschlossenen Individuen ist. Diese einfache Annahme kann jedoch nicht ohne Weiteres getroffen werden. Es folgt eine Rezeption verschiedener, chronologisch geordneter Definitionen:
Nach Pierre Lévy (1997, S. 29) ist KI in Bezug auf den Cyberspace „(…) eine Intelligenz, die überall verteilt ist, sich ununterbrochen ihren Wert erschafft, in Echtzeit koordiniert wird und Kompetenzen effektiv mobilisieren kann“. Darunter versteht er, dass jeder Mensch etwas, aber niemals alles weiß, dass die Gesellschaft die individuelle Intelligenz mangelhaft nutzt, dass Kommunikation über Wissen nur mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel gelingen kann und dass man Unterschiede in Kompetenzen anerkennen muss, um dieses Potenzial zu aktivieren und den Menschen somit eine intelligente Identität geben zu können (vgl. Lévy, 1997, S. 30f.). Vorrangig ging es Lévy um die Schaffung eines (virtuellen) dynamischen Wissensraumes durch menschliche Interaktion.
Thomas Malone vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) definiert KI in umfassender Weise folgendermaßen: „Collective intelligence is groups of individuals doing things collectively that seem intelligent” (Malone, 2006, o.S.). Interessanterweise wird hier nicht der Outcome der Gruppenleistung als KI bezeichnet, sondern die Organisation als Gruppe an sich (vgl. Aulinger, 2009, S. 41).
James Surowiecki (2007) spricht in seinem Buch „Die Weisheit der Vielen“ von KI und meint damit letztlich das statistische Phänomen, dass das von ausreichend vielen Gruppenmitgliedern gewonnene arithmetische Mittel unter bestimmten Bedingungen (Meinungsvielfalt, Unabhängigkeit, Dezentralisierung, Aggregation) eine äußerst exakte Schätzung abgibt, die oft besser ist als die einzelne Schätzung eines Fachexperten. Seiner Meinung nach sind große Gruppen eher in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen als Experten, da diese Gruppen aus einer ausreichende Anzahl gut informierter Menschen bestehen und sich demnach extreme Ansichten gegenseitig neutralisieren.
Nach Segaran (2008, S. 2) geht es um „das Finden neuer Erkenntnisse über unabhängige Teilnehmer“ bzw. um „die Kombination aus Verhalten, Vorlieben und Ideen einer Gruppe von Leuten, um neue Einblicke zu erhalten.“ Er beschreibt, wie man mit modernen Kommunikationsmitteln und dem Internet Nutzerdaten sammeln, kombinieren und analysieren und diese letztlich mit Hilfe statistischer Methoden und Algorithmen nutzen kann.
Peter Kruse versteht unter KI grundlegend „(…) Selbstorganisationsprozesse, bei denen viele Personen übersummative Ordnungen bilden, ohne dass ihr Potenzial eingeschränkt wird und die gesamte Intelligenz nur in der [Anm. d. Verf.: Netzwerkverbindung] steckt“ (Kruse, 2008, S. 25) und das Phänomen, bei dem „(…) das Wissen und die Fähigkeit[en] Einzelner in Netzwerken zu einer übergeordneten Musterbildung [verknüpft werden]“ (Kruse, 2009a, S. 82). Kruse (2008, S. 26) sieht KI lediglich als moderne Variante des Begriffs Kultur, welche er als älteste Fähigkeit des Menschen bezeichnet, mit vereinter Kraft übersummative Lösungen zu erzeugen.
Im Rahmen eines Workshops der Steinbeis School of Management and Innovation (SMI) knüpften Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis KI an folgende Bedingungen:
Die Gruppe besitzt die Fähigkeit zur Bewältigung von Herausforderungen durch gemeinsame oder individuelle Verarbeitung von Informationen.
Diese Fähigkeit erlaubt es der Gruppe, zu besseren Ergebnissen zu gelangen, als es mit herkömmlichen Verfahren oder durch einzelne Gruppenmitglieder möglich ist. (Aulinger, 2009, S. 53)
Was bei dieser Definition als „besseres Ergebnis“ angesehen werden kann, ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, denn es gibt keine festgelegten Maßstäbe oder Messverfahren.
Anhand der Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen wird die Tragweite des KI-Konzepts bereits ansatzweise deutlich. Einige Autoren beziehen KI rein auf die durch neue Technologien ermöglichten Methoden, auf das Wissen vieler zuzugreifen. Andere wiederum halten die Definition allgemeiner und betonen die „höhere Gruppenleistung“ im Gegensatz zu einer reinen Quantität. Um weiter zwischen Konzepten von KI differenzieren zu können, sollen die Unterscheidungsmerkmale
(1) Grad der menschlichen Interaktion
(2) Zeitpunkt der Ergebnisentstehung
(3) Ausprägung der Verbundenheit der einzelnen Akteure einer Gruppe
erläutert werden. Die folgende Grafik verdeutlicht die Zusammenhänge:
Abbildung 1 – Unterscheidungsmerkmale kollektiver Intelligenz
Quelle: Eigene erweiterte Darstellung nach Aulinger (2009), S. 54ff.
Zunächst weichen die Definitionen im Grad der menschlichen Interaktion voneinander ab. Interaktion kann zum einen durch aktive Beteiligung face-to-face oder durch Verknüpfung der Individuen basierend auf modernen Kommunikationsmitteln (bewusste Interaktion) stattfinden. Keine Interaktion kann zum anderen erfolgen, indem sich die Anwender ihres Beitrags zum Endergebnis nicht bewusst sind (unbewusste Interaktion). Diese Möglichkeit wurde erst kürzlich von Google genutzt, indem es, wie bereits 2009, durch Auswertung internationaler Suchanfragen bez. der Teilnehmersongs die Gewinnerin des Eurovision Song Contests 2010 korrekt vorhersagte (Isermann, 2010). Ein weiterer Unterscheidungspunkt ist, ob das Handeln einer Gruppe unmittelbar zu KI führt (unmittelbares Ergebnis) oder ob eine externe Instanz die Einzelleistungen der Mitglieder erst in der einen oder anderen Form auswerten oder aggregieren muss (mittelbares Ergebnis). Schließlich soll noch dahingehend differenziert werden, wie stark die Individuen einer Gruppe miteinander verbunden sind. Fische beispielsweise sind sehr voneinander abhängig und (re)agieren entsprechend dem unmittelbaren Verhalten ihres Nachbarn (taktische Verbundenheit). Internetnutzer weltweit sind sich zwar der Existenz aller anderen bewusst, richten ihr direktes Verhalten jedoch nicht nach dem der anderen aus (strenge Unverbundenheit). Zu diesen beiden Extremausprägungen kommen zahlreiche Zwischenformen wie z.B. Prognosemärkte, bei denen die Akteure die Handlungen der Mitspieler beobachten können, ihr eigenes Tun aber nicht danach richten müssen (taktische Unverbundenheit) (vgl. Aulinger, 2009, S. 47ff.).
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