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Kollektiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus dörflich-katholischem Milieu im Erzbistum Köln

Ein Fallbeispiel aus dem Jahre 1935

AutorBernd Floer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783638022477
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,00, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg (Historisches Institut), 122 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur 'mikrohistorischen' Katholizismus- und Widerstandsforschung und stellt in vier Kapiteln ein bemerkenswertes Fallbeispiel kollektiven Widerstandes gegen den Nationalsozialismus dar. Im ersten Kapitel wird zunächst der Kirchenkampf zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus bis zum Abschluss des Reichskonkordats in allen seinen Facetten dargestellt, dann die Situation in der betrachteten Region - dem Erzbistum Köln - im Jahre 1935 beleuchtet. Im zweiten Kapitel wird das Konstrukt 'katholisches Milieu' ausfürlich in seiner sozial- und mentalitätsgeschichtlichen und auch sozialpsychologischen Dimension entwickelt und als 'Raster' auf die betrachtete Landgemeinde und ihre Menschen im Jahr 1935 übertragen. Hierbei wird vor allem auf unveröffentlichte Quellen aus kirchlichen und privaten Beständen zurückgegriffen. Im dritten Kapitel wird die für diese Arbeit zentral wichtige Priesterpersönlicheit ausführlich vorgestellt und aus den Perspektiven von Zeitzeugen, Freunden, kirchlichen Vorgesetzten und seinen Gegnern anhand von Quellenzitaten betrachtet. In Kapitel vier wird sodann der Fall 'kollektiven Widerstands' einer katholischen Dorfgemeinschaft im Zuge des Schulstreits auf Grundlage aller verfügbaren Quellen in Ursachen, Verlauf und Folgen dargestellt. Im Schlussteil, werden zentrale Fragen, die sich durch die vorliegende Arbeit ergeben haben, kurz diskutiert und neue Forschungsfragen aufgezeigt.

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Leseprobe

I. Einleitung


 

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Geschichtswissenschaft und die Zeitgeschichte zahlreiche Ausdifferenzierungen  und Erweiterungen erfahren. Nicht mehr die Personen- und Institutionengeschichte steht im Fokus des Interesses der neueren Forschung, sondern die Sozial- und die Alltagsgeschichte auch der einfachen Menschen; die Frage nach der langfristigen Entwicklung auch von Denken und Fühlen, von Selbstwahrnehmung und Weltbild der Individuen rückt immer mehr in den Vordergrund.

 

Auch die moderne Katholizismusforschung hat sich diesem Trend nicht verschlossen. Schon 1989 forderte etwa Urs Altermatt in einem „Plädoyer für die Sozialgeschichte des Katholizismus“ die verstärkte Hinwendung zu einer „Perspektive von unten“, zum „Volks- und Alltagskatholizismus“, zur „Kultur- und Mentalitätsgeschichte der Durchschnittskatholiken“, um „den Katholizismus von unten und von innen zu erforschen.“[1]

 

Gerade in jüngster Zeit hat nun ein Buch von sich reden gemacht, welches die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus erneut hinterfragt und kritisch thematisiert. Daniel Jonah Goldhagens „Untersuchung über Schuld und Sühne“ der katholischen Kirche im Dritten Reich und bezogen auf den Holocaust  – der Titel impliziert bereits die Sichtweise des Autors – beleuchtet jedoch ebenfalls nur die Interaktion von Institutionen und Amtsträgern beider Seiten und das spezielle Verhältnis der Amtskirche zum Judentum, geht aber in ihrer Betrachtung nicht in die Tiefe und taucht nicht wirklich in das Alltagsleben der deutschen Katholiken jener Zeit ein.[2]

 

Anders als Goldhagen will diese Arbeit „die katholische Kirche“ – auch und gerade in der Zeit des Nationalsozialismus – als eine „Kirche der Gläubigen“ verstehen und spezifisch das Verhalten der „einfachen Menschen“, die sich als Katholiken sahen und in weiten Teilen über ihren katholischen Glauben definierten, in einem überschaubaren räumlichen und zeitlichen Rahmen untersuchen.[3]

 

Der Untersuchungsraum, die kleine Landgemeinde Dattenfeld an der mittleren Sieg, heute im äußersten Südosten Nordrhein - Westfalens im Gebiet des Erzbistums Köln gelegen, soll hierbei als Beispiel für viele andere strukturell ähnliche Landgemeinden dienen, in welchen sich über

 

Jahrhunderte hinweg wohl ähnliche Lebenswelten und Mentalitätsstrukturen herausgebildet haben mögen.

 

Ebenfalls als beispielhaft soll die als Kleriker in jene katholische Lebenswelt eingebettete Person eines jungen Geistlichen dargestellt und in seiner Wechselwirkung mit jener „Lebenswelt“ und ihren Menschen, jenem „katholischen Milieu“ betrachtet werden.

 

Denn beispielgebend war jener Vikar Ernst Moritz Roth, dessen Name in kaum einem Werk zum katholischen Widerstand oder zum Schicksal katholischer Priester unter der NS-Herrschaft erwähnt wird[4], für seine damaligen und auch heutigen geistlichen Brüder ob seines unermüdlichen Kampfes für seinen Glauben und gegen den Nationalsozialismus allemal.

 

So vielseitig und faszinierend die Person jenes jungen Geistlichen aber auch erscheinen mag und so umfangreich das Quellenmaterial zu Ernst Moritz Roth sich auch präsentiert, will diese Arbeit sich jedoch nicht im Nachvollziehen des Lebens und Wirkens Ernst Moritz Roths als einem beispielhaften Jungpriester des Erzbistums Köln erschöpfen.

 

Vielmehr soll seine Person und seine Tätigkeit als Vikar und Jugendführer in der Pfarrei Dattenfeld an der Sieg während der Frühphase des Dritten Reiches eingebettet werden in eine umfassendere Betrachtung, die zunächst das allgemeine Verhältnis der katholischen Kirche zum nationalsozialistischen Staat im Deutschen Reich im allgemeinen und insbesondere im Erzbistum Köln unter besonderer Berücksichtigung des Schulstreits beleuchtet, um dann, zunächst unter Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes zu jenem Begriff, die Pfarrei Dattenfeld als ein typisches Beispiel eines festgefügten, rural-katholischen Milieus darzustellen. Selbige Lebenswelt, so eine Leitthese dieser Arbeit, formte ihre Menschen mentalitär und weltanschaulich so nachhaltig und so stark, dass sie bereits den  Keim des Widerwillens, der „Resistenz“ gegen das repressive NS-System in sich barg,[5] welche in einem denkwürdigen Vorfall, der sich im Frühjahr des Jahres 1935 in dem Ort Dreisel bei Dattenfeld im Rahmen des Kampfes um den Erhalt der Konfessionsschulen ereignete, deutlich sichtbar zutage trat.[6]

 

Diese Arbeit versteht sich somit sowohl als ein Beitrag zur Erforschung des  Widerstandes gegen den NS-Staat aus katholischen Kreisen im Kleinen[7], als einen weiteren Beitrag zur Untermauerung der „Resistenzthese“ Martin Broszats[8], nach der bestimmte Sozialmilieus – und hier vor allem das katholische – sich als nahezu immun gegen die Einflüsse der NS-Ideologie und als „widersetzlich“ bezüglich des Totalitätsanspruches des Regimes erwiesen hatte. Broszat vollzieht hierbei eine Abgrenzung zwischen den Begriffen „Widerstand“ und „Resistenz“ nur insofern, als er auf diejenigen, mannigfaltigen, „untergeordneten“, da nicht explizit gewaltsamen Formen des Widerstandes eben unter jenem „Resistenzbegriff“ verweist, die in seinen Augen den eigentlichen Hauptanteil der „Widerstandshandlungen“ der „einfachen Deutschen“ ausmachten, welche etwa zu den heute immer noch gefeierten und ikonenhaft als Beweise der Widerstandskraft einiger weniger Eliten gefeierten „Führerattentaten“ und – meist nur geplanten und diskutierten – Umsturzversuchen entweder nicht die Kraft oder nicht die Möglichkeiten hatten. Vielmehr gelten Broszat all jene Handlungen, alle jene „Formen der Einstellung oder des Reagierens“ als „Resistenz“, also einer „volkstümlicheren“ Form des Widerstandes, welche letztendlich „eine die NS-Herrschaft und NS-Ideologie einschränkende Wirkung hatten“.[9] Und wie hier gezeigt werden soll, wirkten die in dem hier betrachteten Kontext wirksamen Konstellationen von Personen, Gruppen und Mechanismen sogar mehr als „einschränkend“ auf die Herrschafts- und Entfaltungsmöglichkeiten des NS-Regimes innerhalb es Untersuchungsraumes. Als besonderer Aspekt in dem hier betrachteten Fallbeispiel soll hierbei jenes kollektive Moment der „Resistenz“, namentlich das Aufbegehren einer gesamten Dorfgemeinschaft gegen willkürliche Regimeentscheidungen, hervorgehoben werden, und es soll auch eine Betrachtung der spezifischen Mentalität eines ländlich-dörflichen Katholizismus und deren Wechselwirkungen mit den Repressions- und Infiltrationsmechanismen eines totalitären Regimes erfolgen. Die besondere Würdigung der Person Ernst Moritz Roths – als „geistigem Führer“[10] der Jugend und Vikar der Pfarre Dattenfeld integraler Bestandteil der Lebenswirklichkeit und der Weltsicht seiner Pfarrkinder – fügt sich hierbei notwendig in den Gesamtrahmen ein, welcher das Zusammenspiel und auch das Gegeneinander von Staat, Geistlichkeit und katholischer Dorfbevölkerung vor Augen führen soll.

 

Die vorliegende Arbeit gliedert sich daher in fünf aufeinander aufbauende Kapitel.

 

In einem ersten Abschnitt soll zunächst das allgemeine Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus kurz vor und nach der Machtergreifung in Deutschland,  bis zum Abschluss des Reichskonkordates, betrachtet werden[11], um dann genauer und mehr in die Tiefe gehend die Situation speziell im Erzbistum Köln herauszuarbeiten.[12] Hierbei wird nach Möglichkeit eng an den edierten und nicht edierten Originalquellen seitens der Amtskirche und der entsprechenden staatlichen Stellen gearbeitet. Es soll explizit nur die Haltung der Kirche als Institution  – insbesondere in Gestalt der deutschen Bischöfe als deren oberste Vertreter und Wortführer -  beleuchtet werden, sowie die der eng mit der katholischen Kirche verbundenen katholischen Vereine und Kongregationen, insbesondere des Jungmännervereins. Die Rolle des politischen Katholizismus und insbesondere der Zentrumspartei soll hier aus Gründen der Begrenzung der Thematik nicht näher beleuchtet werden.

 

Ein Hauptaugenmerk soll auf der Haltung des damaligen Kölner Erzbischofs, Kardinal Karl Joseph Schulte, liegen, dessen vorsichtige und bisweilen abwartende Haltung gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern bei vielen jungen Geistlichen, die sich in ihrem täglichen Kampf um Selbstbehauptung und Aufrechterhaltung von Seelsorge und Jugendarbeit von ihrem Oberhirten oftmals im Stich gelassen fühlten, auf wenig Verständnis stieß.[13]

 

In einem zweiten Abschnitt wird sodann zunächst der Forschungsstand zum Begriff des „Katholischen Milieus“, vornehmlich auf der Grundlage neuerer Forschungsberichte und Aufsätze[14], aufbereitet, um dann die so herausgearbeiteten Definitionsmerkmale und Parameter, über welche in der Katholizismusforschung weitest gehender Konsens herrscht, auf den betrachteten Historischen Ort und auf die Gegend der mittleren Sieg, die Pfarrei Dattenfeld und ihre Menschen zu übertragen. In jenem zweiten Schritt sollen vor allem aufgrund quantifizierbarer Materialien, wie etwa Visitationsbögen...

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