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E-Book

Konrad Adenauer

Ein Jahrhundertleben

AutorWerner Biermann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl656 Seiten
ISBN9783644100268
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Erfinder, Staatsmann, Gründervater: Über einen, der unser Land prägte wie kaum ein Zweiter Konrad Adenauer hat die Bundesrepublik Deutschland geprägt wie kaum ein Zweiter. Er setzte die soziale Marktwirtschaft durch, söhnte Deutschland mit Frankreich aus und verankerte den Bonner Staat im Westen. Werner Biermann erzählt dieses Jahrhundertleben, das von Bismarck bis zu den Beatles reichte. Auf der Grundlage bisher nicht beachteter Quellen, jahrelanger Recherchen sowie ausführlicher Gespräche mit der Familie schildert er den ebenso faszinierenden wie dramatischen Lebensweg Adenauers, seine Ideen und Ziele, seine Schwächen und Ängste. Besonderes Gewicht legt Biermann dabei auf das Leben vor der Kanzlerschaft: den politischen Aufstieg im Kaiserreich, die steile Karriere als Kölner Oberbürgermeister und prominenter Reichspolitiker in der Weimarer Republik und nicht zuletzt den jähen Absturz während des «Dritten Reiches» - der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, als er 1944 verhaftet wurde. Dabei wird eines klar: Ohne sein in der Literatur bisher vernachlässigtes Vorleben ist der legendäre Kanzler nicht zu begreifen. Ein grandios geschriebenes Porträt - und ein fesselndes Panorama deutscher Geschichte von der Kaiserzeit bis zum Kalten Krieg.

Werner Biermann (1945-2016) war Autor und Filmemacher und realisierte etwa fünfzig lange Dokumentarfilme, darunter «Am Abgrund. Anatomie der Kubakrise» (2002) und «Der Erste Weltkrieg - Alptraum Verdun» (2004). Für seine Arbeiten wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. «Strauß. Aufstieg und Fall einer Familie» (2006, Neuausgabe 2015) und «Der Traum meines ganzen Lebens. Humboldts amerikanische Reise» (2008).

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Leseprobe

Erster Teil

Der treue Sohn seines Vaters


1 Der Aufsteiger


Meßdorf bei Bonn, 1851

Wenig weiß man über den Jungen, der einmal der Vater von Konrad Adenauer sein wird. Im Sommer 1851 arbeitet der achtzehnjährige Johann Conrad Adenauer als Jungknecht auf dem Gutshof Ostler, einem großen Bauernhof, der so eindrucksvoll ist, dass man ihn im Volksmund die «Meßdorfer Burg» nennt. Vorher hat er sich mit verschiedenen anderen Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen, wie sie sich im Dorf anbieten, unter anderem als Arbeiter in der Ziegelei. Seine Eltern sind seit langem tot.

Sein Vater, der 1810 geborene Franz Adenauer, hatte sein Glück in der Stadt versucht, im nahe gelegenen Bonn, er war Bäcker geworden, hatte mit einundzwanzig Jahren geheiratet und mit seiner Frau Katharina drei Kinder gehabt, darunter Conrad, den einzigen Sohn. Schließlich hat Franz sogar eine eigene Bäckerei eröffnet – ein verheißungsvoller Anfang in der vergleichsweise großen Stadt. Conrad wird später seinen Kindern von dieser Bonner Bäckerei erzählen, dem Duft des frischen Brotes, der schon am frühen Morgen durch das Haus zog. Einmal wird er ihnen sogar die Straße zeigen und das Gebäude, in dem er lebte.[1] Unklar ist, warum Franz Adenauer schon bald darauf, 1837, sein Geschäft einem anderen Bäcker überließ und zurück aufs Land ging, nach Meßdorf, wo ein Teil seiner weitverzweigten Familie lebte.

Allerdings brachte der Umzug dem Franz Adenauer kein Glück, denn in Meßdorf starb plötzlich eines der Kinder und, im selben Jahr, auch seine Frau Katharina, Conrads Mutter. Franz heiratete ziemlich rasch eine andere Frau, Eva Nöthen, und hatte mit ihr eine weitere Tochter, die aber auch bald nach der Geburt starb. Und schließlich, im Alter von nur neunundzwanzig Jahren, starb auch der unglückselige Franz Adenauer. Im Dorf erzählte man noch lange, er sei bei der Apfelernte von der Leiter gefallen und habe sich den Hals gebrochen.

Viel Tod, und so war es schon immer. Auch in der Generation der Großeltern und Urgroßeltern Adenauer waren die Kinder zahlreich zur Welt gekommen und allzu häufig sehr früh wieder von ihr gegangen; man nahm es hin als Fügung. Auch die Frauen starben früh, meist bei der Geburt des fünften oder sechsten Kindes im Kindbett, und die Männer heirateten rasch wieder, ganz pragmatisch. Nach dem Tod des Vaters, als der Junge gerade sieben war, ist Conrad bei seiner Stiefmutter Eva geblieben und bei ihr aufgewachsen, aber jetzt, als junger Mann, wohnt er auf dem Gutshof. Zumindest teilt er sich, solange die Erntezeit dauert, zum Schlafen eine der Kammern im Gesindeflügel der «Meßdorfer Burg».

Die flachen Niederungen und Flussauen westlich von Bonn, mit den versprengt darin liegenden kleinen Dörfern wie Meßdorf, Oedekoven, Alfter, bis hin zum Vorgebirge der Eifel im Westen, der Ville – das alles ist fruchtbares Acker- und Gartenland mit intensivem Gemüse- und Obstanbau auf gutem Lössboden und mit ausgedehnten Apfelplantagen mittendrin. Viel Arbeit für Tagelöhner wie Conrad, solange die Saison andauert. Dann aber kommt der kalte Winter und mit ihm die Arbeitslosigkeit, und manchmal kommt auch der Hunger.

Dat is schon immer so jeweese, sagen die Alten.

Aber es gibt Leute, die wollen, dass alles anders wird. Sie reden sogar von Revolution. Man konnte vor einiger Zeit im «Bonner Wochenblatt» lesen, wie sie sich im Gasthof «Römer» versammelten, alle diese Professoren und Studenten von der Universität, und freche Reden gegen die Obrigkeit gehalten haben, sogar gegen den König, der doch König ist, weil Gott der Herr es so will, und die dann singend losgezogen sind, um sich im Siegburger Zeughaus mit Waffen zu versorgen, Professor Kinkel immer voran. Aber dann reichte es, drei Dutzend preußische Dragoner loszuschicken, und aus war es mit der Revolution in Bonn. Wie dann allerdings dieser Kinkel später von seinen Kumpanen aus der Festungshaft in Spandau befreit wurde, das war ein tolles Stück, das im vergangenen Herbst wochenlang in den Zeitungen erzählt wurde. Neuerdings heißt es, Kinkel halte sich in England auf, von wo er weiterhin die Sache der Revolution zu betreiben versuche.[2]

Also bleibt wohl doch alles, wie es war.

Sommer 1851. Es gibt keine Briefe, keine Tagebücher, nur ein paar im Familienkreis erzählte Anekdoten, doch in diesem Sommer muss der Achtzehnjährige angefangen haben, intensiv über sein Leben nachzudenken: Woher und wohin? Er ist empfindsam genug, die Härten dieses ländlichen Alltags, die großen Abhängigkeiten und kleinen Demütigungen nicht einfach als gegeben hinzunehmen; er hat Phantasie genug, sich andere, bessere Welten jenseits des Horizonts vorzustellen. Und er ist intelligent genug, die richtigen Fragen zu stellen, sogar sich selbst. Was soll aus mir werden? Wer will ich einmal sein? Er kann sein künftiges Schicksal, wie es ihm wohl bestimmt ist, in den verwitterten Gesichtern der altgewordenen Knechte sehen, deren Leben sich im Kreis gedreht hat und die jetzt, nach einer lebenslangen Plackerei, ihr Gnadenbrot verzehren – wie die alten Pferde. Eine schreckliche Vorstellung.

Überall in den Dörfern, bis tief in die Eifel hinein, erzählt man von Brasilien, und manchmal kommt von einem, der die Auswanderung gewagt hat, ein Brief aus diesem fernen Land. Dort lebt der Mensch wahrhaft frei, heißt es, und wenn einer tüchtig ist und strebsam, dem stellen sich, anders als hier, keinerlei Hemmnisse in den Weg. Es gibt dort einen Kaiser, aber keine Fürsten und Grafen, und jeder ist auf seinem eigenen Land sein eigener Herr. Womöglich hat Conrad von Brasilien geträumt, von ungeheuer großen Strömen, endlosen Urwäldern und Savannen, von Reitern, die auf ihren Pferden riesige Rinderherden umkreisen. Allerdings ist es für einen Meßdorfer Jungknecht vollkommen unmöglich, das für die Auswanderung erforderliche Reisegeld aufzubringen.

Die Zukunft scheint versperrt, Meßdorf eine Falle.

Schließlich legt Conrad sein Schicksal in die Hände einer höheren Macht. Diese Macht ist nicht Gott, der zürnende Gott, der seine Gebete nicht erhört, sondern der preußische Staat, zu dem das Rheinland ja nun gehört. Conrad Adenauer tritt in die preußische Armee ein, um Berufssoldat zu werden, und das ist die entscheidende, man kann sagen schicksalhafte Wendung, die er selbst seinem Leben gibt.

Dreißig, fünfunddreißig Jahre später wird er ein würdiger älterer Herr geworden sein, hochangesehener Justizbeamter mit glänzender Laufbahn, stets korrekt gekleidet und mit gepflegtem Bart, der abends wortkarg und mit strengem Blick vom Justizpalast am Kölner Appellhofplatz nach Hause kommt, nicht ohne auf dem Heimweg bei der Schwarzen Madonna in der Kupfergasse ein Gebet verrichtet zu haben – das Prachtexemplar eines preußischen Beamten, kaisertreu und gottesfürchtig, gehorsam seinen Vorgesetzten, streng zu seinen Untergebenen, diszipliniert, strebsam, sparsam. Seinen Kindern gegenüber ist er, mehr noch als ohnehin üblich in seiner Zeit, autoritär und unnahbar. Er befiehlt und ordnet an; er verurteilt und bestraft. Konrad, sein jüngster Sohn, wird in ihm so etwas wie den direkten Gesandten Gottes sehen, der hier auf Erden – und angefangen in der Familie – nach dem Rechten zu sehen hat; eine beinahe erdrückende, überdimensionale Vaterfigur, deren prägender Wirkung er sich nicht entziehen kann.

Ein ganzes Jahrhundert nach dem Meßdorfer Sommer wird dieser Sohn, jetzt selbst schon ein alter Herr von Mitte siebzig, gerade sein Amt als deutscher Bundeskanzler angetreten haben. Und man wird erkennen, wie die Maximen und Grundsätze, die Conrad in seinem Leben als preußischer Soldat und Beamter erworben hat, noch im Charakter des Sohnes lebendig und wirksam sind. Und weil politisches Handeln immer auch von den tiefen charakterlichen Prägungen des Handelnden beeinflusst wird, hat der Meßdorfer Junge im Sommer 1851 mit seiner Entscheidung wohl ein bisschen auch die Geschichte der Bundesrepublik beeinflusst, die sein Sohn so wesentlich gestaltet hat.

 

Die militärische Laufbahn dieses Conrad Adenauer ist geschildert worden als erstaunliche Karriere, als Aufsteigergeschichte eines Jungen vom Lande in der preußischen Armee. Aufstieg durch Dienst. Man hört die Biographen quasi applaudieren. Was aber diese Karriere für den Charakter und die Persönlichkeit des jugendlichen Rekruten, genauer gesagt für deren systematische Zerstörung und allmähliche Umformung, bedeutet und wie diese mentale Abrichtung praktisch verläuft, ist im Falle Conrad Adenauers noch nicht erzählt worden.

Zwar ist die preußische Armee um 1850 nicht mehr die Armee Friedrichs II., der es zum Leitprinzip gemacht hatte, dass «der gemeine Soldat vor dem Officiere mehr Furcht als vor dem Feinde haben» solle, und der dies mit Stockschlägen, Arrest, Haft, Fausthieben oder tagelangem Anketten durchsetzen ließ. Anders als durch diese entsetzliche Angst vor den Offizieren, so glaubte der König, würden sich die meisten Soldaten nicht in die Schlacht und den Tod treiben lassen. Leistete dennoch einer Widerstand, war das Spießrutenlaufen eine oft verhängte Strafe: Dabei muss der Delinquent durch eine von zweihundert oder dreihundert Soldaten gebildete Gasse laufen, während die Männer mit Stöcken oder, besser noch, mit nassen Weidenruten auf ihn einschlagen, auf die nackte Haut, die aufplatzt und blutet; es sind Männer, die ihrerseits von hinter ihnen lauernden Unteroffizieren mit Stockschlägen dazu angetrieben werden,...

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