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E-Book

Konzerne unter Beobachtung

Was NGO-Kampagnen bewirken können

AutorMarkus Mugglin
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783858697226
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Die Macht der Konzerne wächst - in der Schweiz und weltweit. Der Einfluss der Schweizer Multis wie Nestlé, Novartis, UBS, CS, Glencore und anderer kennt keine Grenzen. Ihr Tun entscheidet über das Schicksal von Millionen, über die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen aller Art, darüber, wer profitiert und wer nicht. Doch mit der Macht der global tätigen Konzerne ist auch die Kritik an ihnen gewachsen. Nichtregierungsorganisationen decken auf, wie Multis Menschenrechte missachten, die Umwelt schädigen, Arbeitskräfte ausbeuten, Profite in Steueroasen verstecken. Die Konzerne reagieren mit neuen Strategien. Was ändert sich wirklich? Ist »soziale Unternehmensverantwortung« mehr als nur Imagepflege? Das Buch analysiert, wie Konzerne unterschiedlich auf den Druck der Zivilgesellschaft reagieren, was sich in der Schweiz verändert hat und welche Rolle die Politik spielt. Es zieht eine Zwischenbilanz nach mehr als vierzig Jahren Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Schweizer Konzernen. Und das Buch zeigt, dass die NGOs mit ihren Kampagnen einiges in Sachen Arbeitsbedingungen und Umweltschutz erreicht haben. Eine Erfolgsgeschichte.

Markus Mugglin, geboren 1947, Journalist und Ökonom mit Spezialisierung internationale Wirtschafts- und Entwicklungsfragen, arbeitete bis zu seiner Pensionierung 25 Jahre lang für Radio SRF (früher Radio DRS). Er wohnt in Marly, Kanton Freiburg.

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Leseprobe

Nestlé


Kritik und auch Lob


Nestlé sei »ein wahrer Champion«. Solche Aussagen kommen für den Nahrungsmittelkonzern nicht überraschend, ist er doch weltweit Spitze. Kein Branchenkonkurrent kann ihn übertrumpfen, gemessen am weltweit erzielten Umsatz. Und dennoch dürfte das im Sommer 2014 geäußerte Lob selbst die Nestlé-Chefs überrascht haben. Denn ausgesprochen hat es nicht ein Finanzanalyst oder professioneller Marktbeobachter. Die Kampagnenmanagerin der Entwicklungsorganisation Oxfam, Monique van Zijl, stellte dem ansonsten oft kritisierten Multi das höchste Lob aus.1 Die Vertreterin einer Organisation, die multinationale Konzerne regelmäßig ins Visier nimmt, immer gut dokumentiert ist und erschreckende Geschäftspraktiken der Mächtigen bloßstellt. In Deutschland beispielsweise zählt Oxfam zu den vehementesten Kritikern der Nahrungsmittelspekulanten.

Und nun dieses Lob. Nestlé sei ein wahrer Champion für die Landrechte der Kleinbauern, habe er doch Nulltoleranz gegenüber Landraub verkündet. Auch im regelmäßig von Oxfam publizierten Report »Behind the Brands« holt sich Nestlé nach dem niederländisch-britischen Konzern Unilever die besten Noten unter den weltweit zehn größten Nahrungsmittel- und Getränkekonzernen. Die beiden schneiden bezüglich Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit deutlich besser ab als die nächstplatzierten Coca Cola, Kellogg’s, Mars und Pepsico. Nestlé erhält vor allem in den Bereichen Klimawandel und Respektierung von Landrechten Bestnoten.2

Doch nicht nur NGOs machen plötzlich durch ungewohnt wohlwollende Urteile von sich reden. Auch in umgekehrter Richtung sind überraschende Töne zu vernehmen. Der oberste Nestlé-Mann höchstpersönlich, Peter Brabeck-Letmathe, gab sich ausgerechnet gegenüber dem vielleicht schärfsten und bekanntesten Multi-Kritiker, Jean Ziegler, außergewöhnlich konziliant: Er bekannte sich in einer Fernsehdebatte zu achtzig Prozent einig mit den Positionen und Analysen, wie sie der umstrittene Soziologe in seinem Bestseller Wir lassen sie verhungern ausgebreitet hat.3 Gutheißen könne er natürlich nicht die Kraftausdrücke wie Gauner und Halunken, mit denen Ziegler seine Kontrahenten zu beschimpfen pflegt. Aber auch er geisselt die Produktion von Lebensmitteln, die statt Menschen zu ernähren als sogenannter Biosprit die Fahrzeugmotoren antreiben. Auch die Spekulation mit Nahrungsmitteln kritisierte Brabeck-Letmathe bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Ziegler, wodurch das Rauf und Runter auf den Märkten verstärkt werde. Auch zu dieser Kritik meinte der Nestlé-Chef: »Das ist vollkommen richtig.«4

Werden da neuerdings gemeinsam Friedenspfeifen geraucht? Sind die alten Zeiten der Konfrontation Vergangenheit, als die Berner Arbeitsgruppe Dritte Welt den Nahrungsmittelriesen mit der Publikation Nestlé tötet Babies krimineller Taten beschuldigte und die Erklärung von Bern kurz danach die Multis der Unterwanderung des UNO-Systems bezichtigten? Oder der Multi-Schreck Jean Ziegler Peter Brabeck-Letmathe zu den gefürchtetsten »Kosmokraten« gezählt hat: Er »bekämpft gnadenlos jede Gewerkschaft [...], erobert Märkte mit der Brutalität eines Dschingis Khan und hält in Vevey einen Hofstaat von unterwürfigen Schranzen.«5

Um es vorwegzunehmen, nein, es herrscht nicht »Friede, Freude, Eierkuchen« zwischen den Kontrahenten. Es gibt weiterhin Gegensätze und Auseinandersetzungen, Polemiken, Anschuldigungen und auch gegenseitiges Misstrauen. Aber der Fall Nestlé ist exemplarisch für eine neue Qualität des Streits. Zu ihm gehören Konfrontation und Anklagen ebenso wie Dialog. Gleichzeitig und auch abwechselnd prägen sie das Verhältnis zwischen Konzernen und ihren Kritikern. Oder wie es Peter Brabeck-Letmathe ausdrückt: Am Vormittag sind sie als Kollegen bei uns im Büro, am Nachmittag sind sie draußen als Protester (vgl. Interview mit Peter Brabeck-Letmathe, Seite 37).

Bittersüße Kakaobohnen – USA machen Druck

Die Auseinandersetzungen um Schokolade und Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen scheinen geradezu exemplarisch für die vielfältigsten Formen von Kritik, Sanktionsdrohungen, Gerichtsklagen, Versprechen, schönen Plänen und wirklichen Veränderungen.

Es begann 2001 mit dem »Harkin-Engel-Protokoll«. Harkin steht für einen US-amerikanischen Senator mit dem Vornamen Tom und Engel für das damalige Kongressmitglied Elliott Engel. Sie reagierten empört auf Berichte des State Department, von Zeitungen und eine BBC-Reportage, welche die sklavenähnlichen Bedingungen und Kinderarbeit in den westafrikanischen Staaten Elfenbeinküste und Ghana anprangerten. Rund 15 000 Kinder mussten unter Bedingungen von Zwangsarbeit Kakaobohnen pflücken, sehr viele unter ihnen von Menschenhändlern in den umliegenden Ländern Mali und Burkina Faso rekrutiert.

Für die beiden Politiker Harkin und Engel ein klarer Verstoß gegen ein Gesetz von 1930 mit dem Namen Smoot-Hawley Tariff Act. Es verpflichtet die Zollverwaltung dazu, die Einfuhr von unter Zwangsarbeit produzierten Gütern nicht zuzulassen. Harkin und Engel forderten nun ein Soziallabel für alle Importe. Es sollte den Konsumenten garantieren, dass in den USA nur Kakaoprodukte frei von Kinderarbeit verkauft werden.

Das Vorhaben schreckte die Schokoladekonzerne auf. Sie fürchteten um den Verlust des US-Marktes im Wert von 13 Milliarden Dollar. Das war zwar nicht das Ziel der US-Parlamentarier. Denn sie fürchteten, dass eine Kakaoblockade am meisten den sieben Millionen Kakaobauern und -arbeitern in der Elfenbeinküste schadeten, noch viel mehr als den zum Pflücken der Kakaobohnen gezwungenen Kindern, die nur ein Prozent der im Kakaoanbau Beschäftigten ausmachten.

Die Schokoladeindustrie wollte unbedingt ein Gesetz verhindern. Sie zeigte sich deshalb bereit, über eine andere Lösung zu verhandeln. Nach hartem Feilschen einigten sich die Chocolate Manufacturers Association und die World Cocoa Foundation auf ein Kakao-Protokoll. Damit verpflichteten sich praktisch alle großen Schokoladekonzerne und die Regierungen der Elfenbeinküste und Ghana als die weltweit wichtigsten Produzentenländer darauf, Kinderarbeit in der Kakaoproduktion nicht mehr zuzulassen. Das Protokoll wurde zudem auch von den US-Politikern Harkin und Engel sowie Gewerkschaften und mehreren Nichtregierungsorganisationen mitunterzeichnet. Bis am 1. Juli 2005 sollte ein öffentliches Zertifizierungssystem garantieren, dass Kakaobohnen und daraus hergestellte Produkte ohne die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bereitgestellt werden.

Das Versprechen tönte gut. Doch die Realität sah anders aus. Bis 2005 änderte sich praktisch nichts. Eine BBC-Reportage über die Lage auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste bilanzierte: »Niemand kümmert sich um die Umsetzung der im Rahmen des Kakao-Protokolls versprochenen Maßnahmen.« Auch die im Jahre 2002 eigens in Genf gegründete International Cocoa Initiative änderte nichts daran. Da hatten sich mehrere Konzerne wie Nestlé mit Gewerkschaften, Konsumenten- und mehreren Menschenrechtsorganisationen zusammengetan mit dem Ziel, verantwortungsvolle Arbeitsstandards im Kakaosektor zu fördern. Außer Pilotprojekten in Ghana und in der Elfenbeinküste konnte diese Initiative im Zieljahr 2005 nur wenig vorweisen. Die Konzerne mussten eingestehen, dass das Ziel »nicht vollständig erreicht« worden sei.

Die Reaktion blieb nicht aus. Einige NGOs wollten das Protokoll aufgeben. Die Menschenrechtsorganisation Global Exchange reichte zusammen mit drei Personen aus Mali in Kalifornien Klage gegen Nestlé, ADM und Cargill ein und erhöhte so den Druck. Sie warfen den drei Konzernen vor, sie hätten es versäumt, Folter, Zwangsarbeit und willkürliche Festnahmen zu verhindern, die die drei als Kindersklaven erlitten hatten; ja, die Konzerne hätten sich sogar der Beihilfe oder Begünstigung schuldig gemacht. Auch hätten sie Profit gezogen aus der Arbeit von Kindern und damit gegen internationale Konventionen der Arbeit und internationales Recht verstoßen. Nestlé wies die Klage zwar sofort als unbegründet zurück. Doch das änderte nichts daran, dass sich der Druck auf die Multis verstärkte.

Andere NGOs forderten ein Sozial-Label auf Kakaoimporten und den Importstopp für Kakaoprodukte, bei denen nicht belegt werden könne, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt wurden. Wieder andere gestanden der Schokoladeindustrie eine zusätzliche Frist für die Zertifizierung der Produkte zu.

Die Fristverlängerung wurde vorerst auf 2008 angesetzt. Die Industrie versprach, bis dann zu 50 Prozent eine Kakaoproduktion ohne Kinderarbeit zu erzielen. Aber auch dieses Ziel wurde verfehlt. Die Industrie versprach...

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