Kooperatives Lernen trägt bei der Erziehung zum und durch Sport eine besondere Rolle, da sich beide Elemente gegenseitig ergänzen. Die Erziehung zum und durch Sport zeigt durch die Mehrperspektivität bereits eine Richtung, die für das kooperative Lernen prädestiniert ist (vgl. Abschnitt 3). Durch das gegenseitige Bedingen wird ein Rahmen geschaffen, welcher das soziale und aktive Lernen verstärkt. Um jedoch die Anwendung dieser Symbiose zu verstehen, müssen die pädagogischen Perspektiven aufgezeigt werden. Sie sind Sinnträger für die Durchführung kooperativen Lernens in Zusammenhang mit der Erziehung zum und durch Sport (vgl. Abschnitt 3). Im erziehenden Unterricht, der mit den pädagogischen Perspektiven einher geht, ist es zielführend, dass die Schüler ihre eigenen Erfahrungen machen und moralisch vertretbare Schlüsse in Bezug auf den erlebten Unterricht ziehen. Ein wichtiger Aspekt ist die Vereinigung von Entwicklungsförderung und die Sacherschließung, welche zusammen den Doppelauftrag bilden. Die pädagogischen Perspektiven bilden damit den Mittelpunkt des erziehenden Unterrichts (vgl. Balz & Kuhlmann, 2003, S. 154-155).
Die sechs pädagogischen Perspektiven gliedern sich nach dem hessischen Lehrplan in: "Das Leisten erfahren, verstehen und einschätzen", "Gesundheit fördern, Gesundheitsbewusstsein entwickeln", "Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen", "Sich körperlich ausdrücken, Bewegung gestalten", "Sinneswahrnehmung verbessern, Bewegungserlebnis und Körpererfahrung erweitern" und "Etwas wagen und verantworten".
„Das Leisten erfahren, verstehen und einschätzen" ist eine der prägnantesten pädagogischen Perspektiven im Sportunterricht, denn Sport und Leisten bilden immer eine Einheit (vgl. HKM, S. 6) Das Leisten selbst, ist stets „ein Prozess qualitativer bzw. quantitativer Verbesserung."(HKM, S.6) Im individuellen Vergleich der eigenen Leistungen mit früher erzielten Leistungen, dem Vergleich mit den Ergebnissen der anderen Schüler und dem Vergleich mit zuvor gesetzten Kriterien, wie zum Beispiel Standards, kann dieser Prozess eingeschätzt werden. In diesem Zusammenhang ist ein Bewertungssystem mit festgelegten Gütekriterien unabdingbar, da das Leistungshandeln nachvollziehbar sein muss. Zwar kann man auch durch die soziale und individuelle Bezugsnorm Vergleiche und Verbesserungen der Schüler aufzeigen, jedoch ist dies teilweise schwierig, da die verschiedenen Bewegungsfelder oft nur in sich selbst vergleichbar sind. Wenn auch das Leisten immanenter Bestandteil des Sportunterrichts ist, muss es doch im Sinne der Mehrperspektivität von anderen Perspektiven ergänzt werden. Ein Unterricht, der nur das Leisten und das Überbieten eigener erbrachter Leistungen, oder der Leistung anderer Schüler in den Mittelpunkt stellt, wirkt letztendlich leistungshemmend und wird der Individualität der Schüler und ihrer ganz persönlichen Sichtweise auf den Sinn im Sport nicht gerecht. Leistungssituationen müssen deshalb vom Sportlehrer mit viel Verantwortung vorbereitet werden. Ziel ist es, den Schülern die Möglichkeit zu geben in vielfältigen Bewegungsfeldern gleichmäßig und über einen längeren Prozess hinweg eine für sie optimale Leistung anzustreben. Beim Üben und Trainieren, sollen die Schüler, unter Anleitung, den Unterricht mit organisieren und durchführen. (vgl. HKM, S.6)
In der pädagogischen Perspektive "Gesundheit fördern, Gesundheits-bewusstsein entwickeln" steht das "physische, psychische und soziale Gleichgewicht" der Schüler im Vordergrund. (HKM, S.6) Die Aufgabe der Gesundheitserziehung, mit dem Ziel der Herausbildung eines Gesundheitsbewusstseins bei den Schülern sollte auf Grund ihrer Komplexität auch fächerübergreifend betrieben werden. Der Sportunterricht leistet hier seinen spezifischen Beitrag, indem er bestimmte Gesundheitspraktiken zum Thema des Unterrichts macht und damit einen Beitrag leistet bei den Schülern ein Gesundheitsbewusstsein zu entwickeln. Die Gesundheit der Schüler kann wegen der geringen Zahl von Sportstunden in der Woche allerdings nur sehr begrenzt verbessert werden. Schüler sollten aber unter dieser Perspektive erfahren, dass der Sport die Gesunderhaltung fördert. Dabei sollen sie lernen, "ein "Körpergewissen" zu entwickeln und zu der Einsicht gelangen, dass letztlich die Gesunderhaltung als permanenter Prozess zu verstehen ist, der in die Verantwortung jedes Einzelnen gestellt ist" (HKM, S.6 ff.).
Beim „Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen", steht das gemeinsame Sporttreiben und die Verbesserung der sozialen Beziehungen im Mittelpunkt. Im Sport besteht besonders in den Spielsportarten die Notwendigkeit des Miteinanders, im Sinne von gemeinsamem sportlichem Handeln in der Mannschaft. Soziales Handeln ist auch nötig, wenn es um das Aushandeln von Regeln oder Spielformen mit dem Gegner geht. Im Spiel selbst werden wichtige Schlüsselkompetenzen erworben und erlernt. Das Wettkämpfen erhält also unter diesen Bedingungen nicht nur einen sportlichen Charakter, sondern auch einen sozialen. In diesem Sinne ist die Erziehung zur Selbstständigkeit und sozialen Verantwortung ein wichtiges Ziel dieser Perspektive. Neben den genannten Mannschaftssportarten können und sollen aber viele Bereiche sportlichen Handelns unter dieser Perspektive im Unterricht zum Einsatz kommen. Im Lehrplan werden exemplarisch das Helfen und Sichern im Turnen, das gemeinsame Klettern oder die Partner- und Gruppenakrobatik genannt (vgl. HKM, S.7).
Der Sport bietet vielfältige Möglichkeiten sich "körperlich auszudrücken oder Bewegung zu gestalten". Diese pädagogische Perspektive beschäftigt sich hauptsächlich mit der Vermittlung von Botschaften, die sowohl für die Zuschauer als auch für den sportlich Aktiven gedacht sind. Dabei spielt die Körpersprache eine große Rolle. Dies kann sowohl im Tanztheater als auch in turnerischen Choreographien geschehen. Der Sportunterricht stellt dazu ein breites Spektrum sich körperlich Auszudrücken zur Verfügung. Neben dem Tanzen und Turnen bieten sich noch weitere Bereiche, wie zum Beispiel Akrobatik oder Wasserspringen, an. Diese pädagogische Perspektive findet also in vielen Bereichen des Sports seinen Platz. Das gemeinsame Gestalten von Bewegungsabläufen kann auch außerhalb des Sportunterrichts bei zum Beispiel Projekten oder Klassenfesten in einer Gruppenpräsentation ihren Höhepunkt finden (vgl. HKM, S.7).
Als fünfte pädagogische Perspektive wird die „Sinneswahrnehmung verbessern, Bewegungserlebnis und Körpererfahrung erweitern", genannt. Ziel ist das Sammeln von Körpererfahrungen, z.B. Körperspannung, Entspannung oder auch Muskelbildung. Das Erfahren dieser Körperereignisse können Schüler nutzen, um einen bewussteren Umgang mit ihrem Körper zu lernen. Des Weiteren können koordinative Herausforderungen wie Gleichgewicht oder Raumorientierung erlernt werden (vgl. HKW, S.8). Durch geschulte Sinneswahrnehmungen können die Schüler im Sportunterricht auch Hilfen für andere Schüler geben. Da im gemeinsamen Miteinander oft ein Feedback über Bewegungsformen gegeben werden muss, bietet es sich an, bewusst die Sinneswahrnehmung der Schüler zu verbessern und ein breites Spektrum von Bewegungserlebnissen zu vermitteln. (vgl. HKM, S.8)
Unter der pädagogischen Perspektive des „Etwas wagen und verantworten" sollen Lerngelegenheiten geboten werden, in denen die Schüler mit ihrer Angst konfrontiert werden, um ihre Selbsteinschätzung zu verbessern. Das ist wichtig, da Schüler auch lernen sollen, „Nein" zu sagen, um so möglichen Risiken im Sport vorbeugen zu können. Durch die Vielzahl an Reizangeboten in der heutigen Zeit werden Kinder oft mit Situationen konfrontiert, die verlockend sind und gern ohne Abwägung der eigenen Fähigkeiten ausprobiert werden. Um Verletzungen oder Enttäuschungen vorzubeugen, sollen die Kinder deshalb im Sportunterricht lernen, sich bewusst mit Wagnissen und Ihren Folgen auseinander zu setzen. Dadurch erwerben die Schüler eine realistische Gefahreneinschätzung. Des Weiteren lernen die Schüler sich gegenseitig zu sichern und verantwortungsbewusst zu handeln. Sportunterricht bietet hier eine gute Möglichkeit, unter kontrollierten Bedingungen Wagnisse einzugehen (vgl. HKM, S.8).
Durch den Wandel in der Gesellschaft, ist es heut zu Tage wichtig ">>Schlüsselqualifikationen<< wie eigenverantwortliches Handeln, Flexibilität, Kooperationsfähigkeit, selbständiges lebenslanges Lernen usw." auszubilden (zsfd. vgl. Weidner 2003, 17ff.). Das Fach Sport ist wie unter Punkt 3 dieser Arbeit beschrieben, dazu angehalten, nicht nur die Bewegungskultur zu vermitteln (Erziehung zum Sport) sondern auch die Herausbildung von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu unterstützen (Erziehung durch Sport). Bähr beschreibt in ihrem Basisartikel die besondere Stellung kooperativen Lernens im Sportunterricht und seine günstige Koppelung mit dem Doppelauftrag im Sport. Beides kann und soll integrativ im Sportunterricht verfolgt werden und gleichzeitig vermittelt...