1 Was ist Migräne, was Spannungskopfschmerz?
Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz. Genauso unterschiedlich sind die Möglichkeiten, gegen die Schmerzen vorzugehen. Wichtig ist zu verstehen, was eigentlich in Ihrem Körper vor sich geht.
Migräne und andere Kopfschmerzen sind weit verbreitet. 90 Prozent der Europäer haben mindestens einmal in ihrem Leben Kopfschmerzen. Alarmierend ist auch, dass der Anteil der 18–27-Jährigen mit einer Kopfschmerzdiagnose seit 2005 um 42 Prozent gestiegen ist. Demnach gehen 10 Prozent der Deutschen mindestens einmal im Jahr wegen Kopfschmerzen zum Arzt. Parallel zu dieser Entwicklung steigt der Gebrauch von Schmerzmitteln.
Die internationale Kopfschmerzklassifikation (ICHD 3-beta, 2013) beschreibt über 250 Kopfschmerzarten. Welchen Kopfschmerz ein Betroffener entwickelt hat, richtet sich nach festgelegten Kriterien, z. B.:
Zu oft sehen sich Kopfschmerzgeplagte auch mit gut gemeinten Tipps aus ihrem Umfeld konfrontiert – z. B. mehr Wasser oder starken Kaffee zu trinken. Viele Nichtbetroffene verstehen nicht, wie unterschiedlich Kopfschmerz sein kann. Einige Kopfschmerzbetroffene behalten deshalb ihre Diagnose für sich und versuchen – trotz der Einschränkungen –in Beruf und Alltag durchzuhalten.
1.1 Formen des Kopfschmerzes
Ist der Kopfschmerz die Krankheit selbst, lässt sich also keine Ursache der Kopfschmerzen finden, sprechen Ärzte von primären Kopfschmerzen. Bestehen Erkrankungen, die die Kopfschmerzen verursachen und die möglicherweise beseitigt werden können, sprechen sie von sekundären Kopfschmerzerkrankungen.
Die häufigsten primären Kopfschmerzen sind Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp. Etwa zwölf Prozent der Deutschen leiden unter Migräne, Frauen sind häufiger betroffen. Kopfschmerzen vom Spannungstyp treten mit 15–23 Prozent am häufigsten auf. Eine weitere, seltene Form sind Clusterkopfschmerzen, die sich durch heftige, plötzlich eintretende Schmerzen äußern. Kopfschmerzen, die ihre Ursache in der Halswirbelsäule haben (zervikogene Kopfschmerzen), gehören zu den sekundären Kopfschmerzen und sind eher selten.
1.2 Migräne
Migräne geht mit 4- bis 72-stündigen Kopfschmerzattacken einher. Der Kopfschmerz ist häufig einseitig und pulsierend, er ist mittelschwer bis sehr intensiv. Weitere Symptome wie Übelkeit oder Lärm-/Lichtempfindlichkeit begleiten diese Attacken. Körperliche Aktivität (z. B. rasches Treppensteigen) verstärkt die Beschwerden.
Vor der Migräne können Symptome wie Gereiztheit, gehäuftes Gähnen oder Euphorie auftreten (sogenannte Prodromalphase). Einige Betroffene beschreiben vor Auftreten der Migräneattacke eine Aura. Sie kann sich durch Sehstörungen, Kribbeln oder Taubheit eines Armes oder Beins, Schwindel, Sprachstörungen und viele andere Phänomene zeigen. Am häufigsten ist die visuelle Aura. Die Betroffenen sehen z. B. Zickzacklinien, Lichtblitze oder ein Flimmern. Videos aus dem Internet können solche Auren für Nichtbetroffene nachvollziehbarer machen, z. B. auf YouTube unter den Suchbegriffen »Migräne visuelle Aura«.
Es existieren viele Unterformen der Migräne, unter anderem auch die hormonell bedingte Migräne. Prinzipiell gibt es eine erblich bedingte Anfälligkeit, an Migräne zu erkranken.
1.2.1 Was geschieht bei einer Migräneattacke?
Die Schmerzen bei einer Migräne entstehen höchstwahrscheinlich durch die Ausschüttung von Botenstoffen (Neurotransmittern, z. B. CGRP) im Gehirn, die an den Hirnhäuten und ihren Blutgefäßen zu einer entzündungsähnlichen Reaktion mit einer Veränderung des Gefäßdurchmessers führen.
Es existieren zahlreiche innere und äußere Auslöser für eine Migräneattacke. Das sind die sogenannten Triggerfaktoren.
Mögliche Trigger sind z. B.:
Stress (bei 80 Prozent)
Hormonschwankungen bei Frauen (65 Prozent)
weggelassene Mahlzeiten (57 Prozent)
Wetterumschwünge (53 Prozent)
Schlafunregelmäßigkeiten (50 Prozent)
Duftstoffe (44 Prozent)
Nackenschmerzen (38 Prozent)
helles Licht (38 Prozent)
Alkohol (38 Prozent)
Ebenso kann aber auch eine Ruhephase eine Attacke auslösen – insbesondere nach schnellem Absinken des Stresspegels. Vermutlich haben Betroffene mit Migräne eine erhöhte Reizwahrnehmung. Entspannen und Abschalten fallen ihnen oft schwerer als Gesunden.
Ab wann spricht man von einer chronischen Migräne? Tritt die Migräne an weniger als 15 Tagen im Monat auf, handelt es sich um eine episodische Migräne. Bestehen die Beschwerden an 15 oder mehr Tagen über einen Zeitraum von drei Monaten, geht man von einer chronischen Migräne aus. Betroffene mit chronischer Migräne sind meistens deutlich stärker eingeschränkt, was sich belastend auf Beruf, Hobbys, körperliche Aktivität und soziale Kontakte auswirken kann.
Was passiert im Gehirn? Das Neuropeptid CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptid), ein Botenstoff, sorgt dafür, dass die Gefäße im Gehirn weitgestellt werden und eine nichtbakterielle Entzündungsreaktion auftritt. Zum Beispiel die Fasern des Trigeminusnervs bilden diesen Botenstoff. Neben der Ausschüttung des CGRP spielen aber noch viele weitere Faktoren eine Rolle bei der Entstehung der Migräne.
1.3 Medikamentöse Therapie
Neurologen oder zertifizierte DMKG-Kopfschmerzexperten klären Sie bei Bedarf über die medikamentösen Möglichkeiten auf. Mediziner unterscheiden prinzipiell zwischen:
Akutmedikation: Am häufigsten kaufen Betroffene Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol sowie Kombinationspräparate aus Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Koffein in der Apotheke. Darüber hinaus gibt es Triptane (ein spezielles Migränemittel). Dieses Medikament greift etwas gezielter in die Entstehung und Ausbreitung des Migräneanfalls ein. Aktuell sind sieben verschiedene Präparate der Triptane zugelassen.
Prophylaxe: Prophylaktisch wirkende Medikamente nehmen Betroffene über einen längeren Zeitraum ein – um Anfälle zu vermeiden. Abhängig von z. B. Schweregrad und Begleiterkrankungen gehören zu dieser Gruppe Betablocker, Antidepressiva (meist zunächst in geringen Dosen), Medikamente aus der Epilepsiebehandlung oder Nahrungsergänzungsmittel. Bitte besprechen Sie Ihren Medikamentenplan mit einem Spezialisten – um Neben- und Wechselwirkungen zu vermeiden.
Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch
Wer zu viele Akutschmerzmedikamente oder Triptane einnimmt, kann seine Kopfschmerzen verstärken oder chronifizieren. Die Diagnose lautet dann: Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch. Dieses Phänomen lässt sich vor allem bei Menschen mit Migräne feststellen.
Die dringende Empfehlung lautet: Bitte nehmen Sie an nicht mehr als zehn Tagen pro Monat Triptane oder Schmerztabletten ein. Und das dann bestenfalls auch nicht mehr als an drei aufeinanderfolgenden Tagen.
1.3.1 Migräneattacken vorbeugen – ohne Medikamente
Wichtig ist, dass Betroffene über ihre Erkrankung gut informiert sind. Allein die Weitergabe von Informationen ist wissenschaftlich als wirksam nachgewiesen. Zudem ratsam bei der Vorbeugung der Migräne sind:
regelmäßig durchgeführte Entspannungstechniken
körperliches Ausdauertraining
physiotherapeutische Übungen
Psychotherapie, Biofeedback und Stressbewältigung
Dass Entspannungstherapie und Ausdauertraining sehr wirksam sind, um Migräneattacken zu reduzieren, ist wissenschaftlich nachgewiesen.
Diese Techniken zeigen teilweise ähnlich gute Effekte wie eine medikamentöse Prophylaxe. Vor allem die Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson ist zu erwähnen. Lesen Sie dazu mehr unter ▶ »Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen«. Aber auch andere Verfahren wie das Autogene Training können Sie einsetzen, lesen Sie dazu ▶ »Entspannungstechnik: Autogenes Training«.
Auch Ausdauertraining hilft nachweislich. Dazu lesen Sie mehr im Kapitel ▶ »Ausdauertraining«.
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