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Kopfschmerzkinder (Fachratgeber Klett-Cotta)

Was Eltern, Lehrer und Therapeuten tun können

AutorHanne Seemann
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783608105681
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Migräne, Entspannungsmigräne, Spannungskopfschmerz - etwa 20% aller Schulkinder leiden darunter. Weil es sich um eine »funktionelle«, also eine nicht-organische Erkrankung handelt, ist der Besuch bei Kinder- oder Facharzt meist vergeblich. In diesem Buch erfahren Eltern und alle, die mit Kopfschmerzkindern zu tun haben, aus der Feder einer Psychosomatik-Expertin: - was Heranwachsende mit Kopfschmerzen ausdrücken - was sie brauchen, um entspannen zu können - was getan werden kann, damit die Störung nicht mehr auftritt - welche Übungen sich am besten bewährt haben und Kindern Spaß machen. Dauer-Medikation ist meistens keine Lösung, die Krankheit will verstanden werden Dieses Buch richtet sich an: - Eltern von »Kopfschmerzkindern« - LehrerInnen - KinderärztInnen - Kinder- und Familienpsychologen

<p><strong>Hanne Seemann</strong>, Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin, Hypnotherapeutin, arbeitet in eigener Praxis in St. Leon-Rot bei Heidelberg. Sie hält Vorträge und gibt Workshops sowie Seminare für Ärzte und Psychotherapeuten. Zahlreiche erfolgreiche Bücher zum Thema 'Psychosomatische Störungen'.</p>

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Leseprobe

3. Migräne und Spannungskopfschmerz – Unterschiede und Ähnlichkeiten


Der Migräne-Kopfschmerz tritt meist einseitig und pulsierend auf. Vorausgehend oder begleitend sind Übelkeit mit oder ohne Erbrechen und eine Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen. Das deutlichste Unterscheidungskriterium gegenüber dem Spannungskopfschmerz ist die Schmerzverstärkung bei körperlicher Aktivität, weshalb man sagt: Treppensteigen verschlimmert. Die Kinder spüren jeden Schritt bis in den Kopf. Bücken verstärkt den Schmerz ebenfalls wie alle schnellen Bewegungen.

Bei Spannungskopfschmerzen kann dagegen Bewegung, besonders draußen in der frischen Luft, lindernd sein. Kopfschmerzen vom Spannungstyp sind ziehend, dumpf, drückend und ziehen oft vom Nacken aus über den ganzen Kopf nach vorne in die Stirn. Der Spannungskopfschmerz naht schleichend heran, baut sich langsam auf, wie wenn sich da etwas zusammenbraut. Da dieser Kopfschmerz anfangs oder auch über lange Zeit hinweg mäßig stark sein kann, ist es möglich, sich durch Konzentration auf etwas anderes von ihm abzulenken. Wenn der Schmerz beginnt, ist es ratsam, nach draußen zu gehen, bewusst zu atmen, sich zu bewegen, den Blick zu weiten und zu entspannen. Wenn ein Kind längere Zeit unbeweglich und »steif« dasitzt oder wenn es die Aufforderung »sitz gerade« befolgt und dabei den Kopf stark nach vorne abknicken muss, um in sein Schulheft zu schauen, ist das für Spannungskopfschmerzen eine passende Gelegenheit, in Erscheinung zu treten. Dann ist Bewegung angesagt. Wenn der Kopfschmerz andauert und schlimm wird, ziehen die Kinder sich gern zurück und legen sich hin. Das ist klug.

Spannungskopfschmerzen sind vielen Menschen vertraut und leichter verständlich als die Migräne. Klar sollte jedoch sein: Wenn Spannungskopfschmerzen chronisch geworden sind – bei mehr als 15 Kopfschmerztagen im Monat –, sind sie schwer zu behandeln – also chronifizierende Kopfschmerzen nicht auf die leichte Schulter nehmen! Hinzu kommt, dass Spannungskopfschmerzen meist gut auf gängige Schmerzmittel ansprechen und die Betroffenen gar nicht merken, dass sie davon regelmäßig – also zu häufig und zu viel – einnehmen. Dann nämlich kann der Spannungskopfschmerz in einen Schmerzmittel-Kopfschmerz übergehen, und es entsteht ein schleichender Teufelskreis, dem man nur durch einen totalen Schmerzmittelentzug entkommen kann.

Die Migräne hat die Eigenschaft, meist sehr schnell, ja überfallartig zu kommen, sodass man ebenso schnell reagieren muss. Wir werden im therapeutischen Teil dem Kind sogar raten, noch schneller zu sein als seine Migräne und ihr nach Möglichkeit zuvorzukommen und zu entrinnen.

Die Migräne ist ein oft dramatisches und auf den ersten Blick unverständliches Ereignis, das aus dem normalen Rahmen des Alltagslebens herausfällt. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist Migräne nicht einfach ein Synonym für starke Kopfschmerzen, es handelt sich dabei um ein sehr komplexes, viele Körperfunktionen betreffendes Geschehen. Da die dabei auftretenden Symptome vielfältig und uneinheitlich sind bzw. bei jedem Menschen anders kombiniert sein können, fällt es auch routinierten und aufmerksamen Ärzten und Eltern schwer, genau festzustellen, woran das Kind leidet. Hinzu kommt, dass die Migräneformen in der frühen Kindheit sich oft gar nicht im Kopf abspielen, sondern im Bauch – die sogenannte Bauch-Migräne –, und, wie man weiß, ist Bauchweh, auch in Form von Koliken, ein sehr häufiges und unspezifisches Symptom im Kindesalter.

Es ist nützlich, sich einmal klarzumachen, was im Organismus eines Menschen abläuft, wenn er einen Migräneanfall bekommt, und mit welchen Besonderheiten das Nervensystem eines Menschen ausgestattet ist, der eine Veranlagung zu Migräne hat.

Zunächst einmal sehen wir, dass es sich bei der Migräne um ein Anfallsgeschehen handelt. Ein Migräneanfall hat Vorläufer (Prodrome), dann kommt der eigentliche Ausbruch mit Schmerzen, oft auch Übelkeit und Erbrechen, der Rückzug mit Tiefschlaf, danach das Abklingen und vollständige Verschwinden aller Symptome – und dann ist alles wieder gut. Es bleibt kein Schaden und keine Zerstörung zurück, so dramatisch die Ereignisse auch gewesen sein mögen!

Migräne – Begleitstörungen und Aura


Für den Migräneablauf typisch sind vorausgehende Begleitstörungen wie Licht- und Geräuschempfindlichkeit, d.h., Licht wird heller, Geräusche werden lauter empfunden und stören erheblich, Gerüche, die sonst im Hintergrund sind, treten deutlich hervor und verursachen Ekelgefühle – z.B. schlechte Luft in Räumen oder abgestandener Zigarettenrauch im Auto. Manchmal müssen Kinder erbrechen, worauf es ihnen etwas besser geht. Wenn sie danach einschlafen können, wachen sie einige Stunden später wieder auf, fühlen sich erholt und sind um den eigentlichen Migräne-Anfall herumgekommen.

Nicht selten treten auch »seltsame« und beunruhigende Begleiterscheinungen auf wie visuelle Halluzinationen, Lähmungen der Gliedmaßen, sehr unangenehme Geruchsempfindungen oder unwillkürliche vegetative Reaktionen wie andauerndes Gähnen, Harndrang, Hitze- oder Kältegefühle, Gesichtsblässe oder -rötung und anderes. Die »seltsamen«, weil unmotivierten Phänomene werden, wenn sie der Migräne vorausgehen, Aura genannt. Für die meisten Betroffenen, seien es nun Kinder, ihre Eltern oder erwachsene Migränepatienten, sind Auraphänomene etwas, was sie ängstigt. Nehmen wir zum Beispiel die visuellen Veränderungen der Umgebung in den Blick, so ist es durchaus irritierend, wenn bei einer sogenannten Halbseitenblindheit nur noch die eine Hälfte der Realität sichtbar ist, die andere Hälfte total fehlt. Oder wenn in einem Verkehrsschild oder einem Text leere Stellen, also Löcher, auftauchen. Ein Schulkind kann dann nicht aus einem Buch vorlesen, es kann auch nicht mit dem Fahrrad fahren, keine Straßenschilder erkennen – ein normaler Umgang mit der räumlichen Umgebung ist dann nicht möglich. Wenn sich ein Mensch in einer Auraphase befindet, so ist die »Verzerrung« der Realität für ihn absolut realistisch. Er kommt nicht darauf, dass die Wirklichkeit »eigentlich« anders aussieht, obwohl er weiß, dass dies gerade eine Migräneaura ist – das hat er schon oft erlebt.

Die visuellen Halluzinationen, z.B. bunte Sternchen, helle Flecken, farbige Blitze und kreisende Bewegungen, dauern nicht allzu lang an und vergehen nach 20–40 Minuten wieder, bevor der Kopfschmerz einsetzt. Selten einmal gibt es auch sogenannte »isolierte Auren«, die ganz ohne nachfolgende Kopfschmerzen auftreten und nicht so leicht als Aura zu deuten sind.

Andere vorausgehende Phänomene wie Stimmungslabilität, Hautüberempfindlichkeit oder leichtes Fieber werden nicht so leicht als Vorboten der Migräne erkannt. Ärzte und Psychotherapeuten sollten die Vielfalt von Auraphänomenen zuordnen können und ihre kleinen Klienten und deren Eltern beruhigen. Auraerscheinungen deuten nicht auf eine psychische Störung hin, was man möglicherweise vermuten könnte, da ja auch Halluzinationen auftreten, sondern auf eine vorübergehende Funktionsstörung des Zentralnervensystems – wie denn überhaupt der gesamte Migräneanfall als solche verstanden werden muss.

Die Vielfalt der Phänomene, die bei Migräneanfällen auftreten, einschließlich Auraerscheinungen, ist sehr eindrucksvoll bei Oliver Sacks (2004) beschrieben – ein Buch, das sich zu lesen lohnt! Auch Alice im Wunderland, besonders der Band Alice hinter den Spiegeln, steckt voller überraschender Wahrnehmungsverzerrungen, was vielleicht darauf schließen lässt, dass sich sein Autor Lewis Carrol mit der Migräne-Aura auskannte. Das soll aber nicht heißen, dass er Migräne hatte: Viele moderne Werke der bildenden Kunst haben Ähnlichkeiten mit Auraphänomenen und werden von Migränepatienten ihren eigenen Aurabildern zugeordnet, was einfach heißt: Unser Nervensystem ist hochgradig bildfähig, sei es in den Träumen, unter Drogen, in der Fantasie. Es muss ständig eine gewisse Arbeit investieren, um seine innere Ordnung und unsere gemeinsam geteilte Weltsicht aufrechtzuerhalten. Wenn es das z.B. wegen Überforderung nicht mehr hinbekommt, wie bei der Migräne, dann entstehen solche Wahrnehmungsverzerrungen wie in der Aura.

Hier kann nicht auf alle vorkommenden Aura-Phänomene eingegangen werden, die häufigsten sind:

Halluzinationen


(Sie bezeichnen ein Erleben, das fälschlicherweise für die Realität gehalten wird – auch Träume sind Halluzinationen.)

  • Optische Halluzinationen, z.B. leuchtende Helle, leuchtende Sterne, Blitze, Funken, Kräuseln, Wellenbewegungen, geometrische Figuren, die durch das Gesichtsfeld wandern in Schwärmen oder einzeln. Komplexe Skotome, z.B. das Flimmerskotom oder das negative Skotom, bei dem der Patient in einem Segment seines Gesichtsfeldes teilweise oder völlig blind ist. Optische Halluzinationen werden von den Patienten sehr oft in sinnvolle Bilder verwandelt bzw. als solche gedeutet.
  • Taktile Halluzinationen, z.B. ein Vibrieren im Bereich der Zunge und des Mundes, den Händen, seltener den Füßen, die sich ausbreiten können. Sie können auch in negativer Form als Taubheitsgefühle auftreten.
  • Andere Halluzinationen, z.B. besondere Gerüche, selten auch seltsame Geschmacksempfindungen, häufiger Déjà-vu-Gefühle oder Empfindungen von Bewegungen des eigenen Körpers, die nicht stattgefunden haben.

Veränderungen von Wahrnehmungsschwellen,


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